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  Israels ungerechter Krieg gegen Gaza

Selbstverteidigung gegen den Frieden

Michael Mandel

War der Krieg Israels gegen Gaza gerechtfertigt als Selbstverteidigung?

Gegen diesen Anspruch wurden Bedenken erhoben, da weder Verhältnismäßigkeit noch Notwendigkeit vorgelegen hätten. In drei Wochen über 1.000 Palästinenser, darunter hunderte Kinder zu töten, und tausende mehr zu verwunden, um die Bedrohung durch Raketen abzuwenden, durch die in den sechs Monaten des von beiden Seiten erklärten Waffenstillstands kein Mensch in Israel getötet oder verletzt worden ist, sondern erst nachdem Israel seine Angriffe am 27. Dezember gestartet hat, ist so unverhältnismäßig, dass das kein ethisches System tolerieren kann, das das Leben von Palästinensern gleich hoch bewertet wie das Leben von Israelis. Das ist auch dermaßen unverhältnismäßig, dass die Behauptung, die Verteidigung gegen diese Raketen sei der wahre Grund für diesen Krieg, jeder Glaubwürdigkeit entbehrt. Auch die Nichtbeachtung der vielen diplomatischen Möglichkeiten, gerade diese Gefahr abzuwenden, zum Beispiel durch die Aufhebung des 18 Monate anhaltenden Würgegriffs des Belagerungszustandes, legt die gleiche Vermutung nahe.   

Einwände auf einer fundamentaleren Ebene hingegen ergeben sich aus dem selbstverständlichen rechtlichen und moralischen Prinzip, dass ein Aggressor sich nicht auf Selbstverteidigung berufen kann, um die Anwendung von Gewalt gegen Widerstand gegen seine eigene Aggression zu rechtfertigen. Diesen Grundsatz findet man im innerstaatlichen Recht und in den Urteilen des Nürnberger Tribunals.  

Dazu ein Richter in Nürnberg:

Eines der erstaunlichsten Phänomene dieses Falles, der eine Reihe von erschreckenden Begebenheiten aufweist, ist die Art, in der der aggressive Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion von der Verteidigung behandelt worden ist, als wäre alles ganz anders gelaufen ... Wenn angenommen wird, dass einige Widerstandsgruppen in Russland oder Teile der Bevölkerung Taten begangen haben, die gegen die Gesetze des Krieges verstoßen haben, so müsste doch erst nachgewiesen werden, dass diese Taten nicht im Rahmen der rechtmäßigen Verteidigung gegen das Unrecht begangen worden sind, dem sie durch den Aggressor ausgesetzt worden sind. Nach Internationalem Recht wie auch nach innerstaatlichem Recht kann es keine Vergeltung gegen Vergeltung geben. Der Auftragskiller, der von seinem vorgesehenen Opfer zurückgeschlagen wird, darf dieses nicht töten und dann Notwehr für sich beanspruchen. (Verfahren gegen Otto Ohlendorf und andere, Militärtribunal II-a, 8. April 1948)

Wer war also hier der Aggressor?  

Die Frage nach dem Aggressor hätte sich nicht gestellt, hätte Israel diese Angriffe vor seinem Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 durchgeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Israel 38 Jahre lang eine ununterbrochene Aggression gegen Gaza und das restliche palästinensische Territorium einschließlich Ostjerusalems begangen, durch dessen gesetzwidrige und gewaltsame Okkupation nach der Eroberung im Jahr 1967.

Bis 2005 war die Okkupation von den höchsten Organen der Rechtssprechung über Internationales Recht, besonders vom Internationalen Gerichtshof in seinem Urteil über die Trennungsmauer 2004 als illegal verurteilt worden. Einen besonderen Rechtsbruch im Rahmen der Okkupation sah der Internationale Gerichtshof in den israelischen Siedlungen, die das Gesetz gegen die Kolonisierung verletzen und ein zentrales Element dieser Okkupation bilden. Die fünfzehn Richter des Internationalen Gerichtshofs waren einhellig der Ansicht, dass diese Siedlungen illegal sind, die Trennungsmauer hielten dreizehn (gegen zwei) für illegal, teilweise weil diese da war, um die Siedlungen zu schützen und nicht den Staat Israel und daher nicht als Selbstverteidigung gewertet werden kann.

Die Raketenangriffe aus Gaza begannen 2001 und forderten 2004 das erste israelische Todesopfer. Von damals bis zum jüngsten Krieg wurden 14 Israelis getötet. In der Tat tragisch, aber offensichtlich verblassend im Vergleich mit den 1.700 Palästinensern, die in Gaza im selben Zeitraum getötet worden sind. Ein Toter ist immer eine Tragödie, aber viele Tote sind nicht einfach „eine Statistik“ wie Stalin sagte, sondern eine Tragödie mit dem Vielfachen multipliziert. Ausgehend von der illegalen, aggressiven und gewaltsamen Okkupation durch Israel vor dem Rückzug konnten die Raketen aus Gaza nur als notwendige und verhältnismäßige Selbstverteidigung oder als Vergeltung für die israelische Aggression bewertet werden.  

Hat Israels Rückzug aus Gaza im Jahr 2005 die Rechtslage geändert?

Es gab schlagkräftige Argumente dafür, dass die 18 Monate dauernde Belagerung von Gaza, ein wesentlicher Grund für die Weigerung der Hamas, den Waffenstillstand fortzusetzen, an sich bereits den Tatbestand der Aggression gebildet hat, durch den ein Recht auf Selbstverteidigung begründet worden ist.

Schwerwiegender allerdings, obwohl weitgehend ignoriert, ist Israels anhaltende illegale und aggressive Okkupation der Westbank und Ostjerusalems nach dem Rückzug aus Gaza im Jahr 2005. In der Tat erfolgte der Rückzug aus Gaza, um die Kontrolle über die anderen Gebiete zu verstärken und wurde begleitet durch ein stärkeres Anwachsen der Zahl von Siedlern in diesen Gebieten, als aus Gaza entfernt worden waren.   

Die Okkupation der Westbank und Ostjerusalems steht gleichrangig mit Gaza in den Verurteilungen durch Internationalen Gerichtshof und UN-Sicherheitsrat. Im Abkommen von Oslo hatten Israel und die Palästinenser vereinbart, dass „beide Seiten die Westbank und den Gazastreifen als territoriale Einheit betrachten, deren Unversehrtheit und Status die Übergangsperiode hindurch aufrecht erhalten bleiben sollen.“ Tatsächlich hat die Hamas die Wahlen im Jahr 2006, die von allen internationalen Beobachtern für einwandfrei fair und zivilisiert erklärt worden sind, für das gesamte Gebiet unter palästinensischer Hoheit gewonnen, einschließlich der Westbank (in Ostjerusalem war ihr von Israel die Wahlwerbung verboten worden). Viele Abgeordnete der Hamas aus der Westbank sind in israelischen Gefängnissen eingesperrt. 

Grundlegende Tatsache ist, dass die Palästinenser der Westbank und von Gaza ein Volk bilden, wie immer sie auch durch Mauern und Zäune und Kontrollpunkte getrennt werden. Israels einseitiger Rückzug aus einem Teil des Landes dieses Volkes kann nicht die Menschen zu Aggressoren machen, die sich der illegalen Okkupation des restlichen Teils widersetzen.

Selbstverteidigung kann also weder diese Angriffe noch die vorhergehende Belagerung rechtfertigen. Was dann? Dass Hamas eine „terroristische Organisation“ ist? Terrorismus ist allerdings die absichtliche Tötung von Zivilisten für die Erreichung illegaler politischer Ziele, und in diesem Unterfangen hat Israel die Hamas bereits um ein Vielfaches übertroffen. Dass Hamas Israels „Existenzrecht“ nicht anerkennt? Die Hamas hat allerdings schon oft angeboten, mit Israel ein langfristiges Waffenstillstandsabkommen zu schließen auf der Grundlage der rechtmäßigen international anerkannten Grenzen, wozu sie eindeutig berechtigt ist. Worauf Israel sagt, dass das nicht ausreiche, dass Hamas zuerst die Rechtmäßigkeit Israels anerkennen müsse, in anderen Worten die Rechtmäßigkeit des jüdischen Staates und all dessen, was das für die Palästinenser bedeutet hat. In anderen Worten, wie ein israelischer Journalist ironisch anmerkte, besteht Israel darauf, dass die Hamas sich zum Zionismus bekennt, um die Voraussetzung für Friedensverhandlungen zu erfüllen.  

Das sind keine Rechtfertigungsgründe für Gewalt dieser oder irgendeiner anderen Art. In der Tat weisen sie auf den einleuchtendsten Grund hin, aus dem Israel die Hamas (und davor die PLO) bekämpft: Selbstverteidigung, wenn man das so nennen will, nicht gegen Raketen und Mörsergranaten, sondern gegen die Verpflichtung, entsprechend dem Internationalen Recht Frieden mit den Palästinensern auf der Grundlage der Grenzen von vor 1967 zu schließen. 

   
     
  erschienen in Counterpunch am 05.02.2009 > http://www.counterpunch.org/mandel02052009.html  
  Michael Mandel ist Professor für Recht an der Osgoode Hall Law School of York University in Toronto, wo er Kriegsrecht unterrichtet. Er ist der Autor von "Pax Pentagon: Wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen." (Zweitausendeins 2005, Frankfurt am Main - antiquarisch bei ZVAB.DE)  
     
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