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  Total am Boden in Shah Mansoor

Kathy Kelly und Dan Pearson

Im pakistanischen Bezirk Swabi führt eine holprige Straße nach Shah Mansoor, einem kleinen Dorf, das von Ackerland umgeben ist. Gleich neben dem Dorf sind einheitlich große Zelte in hunderten von Reihen aufgestellt. Die Sonne brennt herunter auf das Lager Shah Mansoor, das zum zeitweiligen Aufenthaltsort für tausende vertriebene Menschen aus dem Swat-Gebiet geworden ist. In der stickigen Hitze sitzen die Bewohner des Lagers herum, Tag für Tag, in Ungewissheit über ihre Zukunft. Mit hitziger Gewissheit sprachen sie über ihre Beschwernisse. 

Sobald wir aus dem Auto gestiegen waren, näherten sich uns Männer und Kinder. Sie alle waren vor 15 Tagen aus Mingora gekommen, der Hauptstadt von Swat. Ein junger Mann, ein Student schilderte uns, wie Bombardierungen und Beschuss in ihrem Gebiet zugenommen hatten, sie aber durch ein von der Regierung verhängtes Ausgangsverbot ihre Häuser nicht verlassen durften. Auf einmal warnte sie die pakistanische Armee, sie müssten ihre Häuser binnen vier Stunden verlassen oder sie würden getötet. Das Ausgangsverbot wurde so lange aufgehoben, bis sie Mingora verlassen hatten. In einer Massenflucht marschierten sie drei Tage lang, bis sie dieses Lager erreichten.  

Nachdem sie einem Bereich des Lagers zugewiesen worden waren, das vom UNHCR (UNO Hochkommissar für das Flüchtlingswesen) koordiniert wurde, bekamen sie Zelte und Plastikmatten. Bis jetzt wurden in diesem Bereich 554 Zelte errichtet, in jedem Zelt lwben durchschnittlich 6 – 10 Menschen.

In den Zelten, die wir besuchten, hatten die Familien einige Habseligkeiten. Einige glücklichere Familien haben Kochmöglichkeiten und Küchengeräte. Die meisten besitzen aber jetzt nicht mehr als die Kleidung, die sie trugen, als sie aus ihren Häusern flüchteten. Die Reinlichkeit des Lagers verbirgt das Chaos, in das seine Bewohner gestürzt worden sind.

Der Besitzer eines kleinen Geschäfts in Mingora beschrieb das Gemetzel und Chaos, das sie hinter sich gelassen hatten. „Da waren nicht hunderte, sondern tausende toter Körper auf den Strassen,“ sagte er. „Wir hatten nur so viel Zeit, dass wir ein Massengrab schaufeln und einige der Leichen mit Erde bedecken konnten.“ Seit den Medien der Zutritt zu Mingora verboten worden war ist es unmöglich, Fakten betreffend die Zahl der getöteten Zivilisten zu bekommen. Aber die Männer rund um uns nickten zustimmend zu dem, was der Ladenbesitzer sagte. „Sie töteten uns dort auf diese Art, jetzt auf diese Art hier,“ sagte er und wies auf die Zelte. „Gehören wir nicht auch zu diesem Land?“  

„In den letzten zwei Jahren,” fuhr der Ladenbesitzer fort, „hat die Regierung keine Taliban getötet. Sie töten nur unsere Frauen und Kinder.“ 

„Das UNHCR hat uns geholfen,“ sagte ein anderer Mann, ein Bauer, „aber bis jetzt ist noch kein Beamter der Regierung gekommen, um uns zu fragen, wie es uns geht. Ist das nicht unsere Regierung?“

Neben der Unzufriedenheit mit ihrer Regierung herrscht bei ihnen auch Unmut gegen die reichen Leute von Swat. Die Männer, mit denen wir sprachen, hatten keine Jobs, bei denen sie viel verdienten. Einer verkaufte Obst und Gemüse. Ein anderer fuhr einen Eselswagen. Einige waren Bauern. Viele nickten, als der Ladenbesitzer die reichen Leute anprangerte, die, wie er sagte, jetzt in Islamabad in ihren klimatisierten Häusern leben, wie sie es auch in Swat getan haben. „Diese Leute wurden reich auf Kosten der armen Menschen,“ sagte einer der Bauern.

Der Kreis öffnete sich und ein älterer Mann gesellte sich zu uns. Der Ladenbesitzer erklärte, dass das Fünfzimmer-Haus dieses Mannes durch Beschuss völlig zerstört wurde. Seine drei Söhne und fünf Töchter sind nirgends zu finden. Der ältere Mann stand bei uns, schweigend und zitternd.

Der Ladenbesitzer berichtete noch mehr Einzelheiten hinsichtlich der Schwierigkeiten, denen sie beim Leben in den Zelten ausgesetzt waren. Sie schlafen auf dem Boden ohne gepolsterte Unterlage. Sie haben kein Wasser zum Baden. Vier Toiletten wurden aufgestellt, haben aber keine Türen und können noch nicht benutzt werden. Die Mitarbeiter des UNHCR sagten, sie könnten elektrischen Strom für diesen Teil des Lagers bereitstellen. Alles, was sie dafür bräuchten sei eine Genehmigung der Regierung, aber die ist noch nicht erfolgt. Vor einigen Tagen schickte die Regierung einen Tankwagen mit Wasser, aber das Wasser wurde verkauft. 

Das UNHCR registrierte alle Personen, als es die Zelte ausgab. Das ist so ziemlich die einzige offizielle Erfassung dieser Flüchtlinge. „Die Regierung behauptet, dass eine Registrierung stattgefunden hat,“ sagte ein Mann, der Englisch sprach, „aber das geschieht nur in der Luft.“ 

Die Männer, mit denen wir sprachen sagten, sie waren arm in Mingora, hatten aber zumindest Betten, in denen sie schlafen konnten. Sie konnten ihr eigenes Essen kochen, ihren Lebensunterhalt bestreiten und die grundlegende Versorgung für ihre Familien bereitstellen.

Die Männer glauben, dass die Regierung die Straßensperren öffnen und sie nach Hause gehen lassen sollte. Sie sind frustriert, da der Kampf gegen die Taliban schon zwei Jahre lang dauert. „Die Taliban sind nicht tot,“ sagte ein Mann, „nur unsere Frauen und Kinder.“

Die Frauen verlassen selten die Zelte, in denen es am Nachmittag unerträglich heiß wird. Apathische kleine Kinder lagen in einem Zelt auf dem Boden. Dort, wo die Kinder herkommen, ist es viel kühler. Ihre Mutter sagte, dass sich die Kinder nicht an die Hitze gewöhnen können und sich immer krank fühlen.

Wir fragten die Männer, ob sie einen Grund für all das Leiden und die Gewalt sehen können. Sie sagten, ihrer Meinung nach sei das Ziel, ihr Land zu nehmen und jemand anderem zu geben. Als wir fragten, wem ihrer Meinung nach ihr Land gegeben werden solle, nannten sie vier Länder: Afghanistan, Indien, China oder Amerika.  

Vielleicht wussten sie nicht, dass der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika Richard Holbrooke vor sechs Tagen einen anderen Sektor dieses Lagers besucht hatte. Richard Holbrooke versicherte, die internationale Gemeinschaft würde „ihr bestes versuchen, für die vertriebenen Menschen von Swat, Buner und anderen betroffenen Gebieten die bestmögliche Versorgung bereitzustellen.“ (AP Pakistan, 4. Juni 2009)

Richard Holbrookes Pläne wurden allerdings im nahe gelegenen Peshawar gewaltsam über den Haufen geworfen, wo er das Gebäude des Luxus-5Sterne-Hotels Pearl Continental in der vergangenen Woche besucht hatte. AP berichtet, dass nach Angaben von zwei höheren Beamten der Vereinigten Staaten von Amerika in Washington das Außenministerium mit den Hotelbesitzern in Verhandlungen stand, „das Gebäude entweder zu kaufen oder langfristig zu mieten, um dort ein neues amerikanisches Konsulat in Peshawar einzurichten.“ (AP, 10. Juni 2009) Am 9. Juni zerstörte eine Autobombe das Hotel, tötete elf Menschen und verwundete sechzig.

Gegen Ende unseres Gesprächs zeigte der Ladenbesitzer auf drei Armeehubschrauber, die über uns flogen. „Das sind die gleichen wie die, die uns beschossen haben,“ sagte er. Er übergab das kranke Kind in seinen Armen dessen Großvater und zeigte auf den Berg in der Nähe des Lagers. „Wir haben gesehen, wie diese Helikopter diesen Berg beschossen haben. Die Sprengstoffe zersplittern den Berghang. Die Kinder haben Angst, dass die Hubschrauber sie wieder beschießen werden.“ 

Es ist schwer, Hinweise für ein neues und besseres Leben für die Menschen zu finden, die durch diese neueste Runde von Gewalt und Krieg in Pakistan getroffen werden. Ein Verbotszeichen über einem Gewehr ist an der Anschlagtafel am Eingang des Lagers befestigt und macht bekannt, dass Waffen verboten sind. Ein wirkliches Verbot der Verbreitung von Waffen, dem alle beteiligten Parteien zustimmen, in Verbindung mit der Entschlossenheit, die vorhandenen Ressourcen gleichmäßig unter den verarmten Menschen in Pakistan aufzuteilen wäre eine Möglichkeit, eine bessere Zukunft für Pakistans Kinder sicher zu stellen. Derzeit sind die Kleinen, die in dem Lager dahinsiechen, sprichwörtlich total am Boden in Shah Mansoor.

   
     
  Kathy Kelly ( kathy@vcnv.org) und Dan Pearson (dan@vcnv.org) koordinieren Voices for Creative Nonviolence (Stimmen für kreative Gewaltlosigkeit) - www.vcnv.org  
  erschienen am 12.06.2009 > http://original.antiwar.com/kelly-pearson/2009/06/11/down-and-out-in-shah-mansoor/  
     
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