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  Erneuerter Konsens

Andrew Bacevich

In dieser Woche riefen mich einige Reporter an und wollten einen Kommentar zum neuesten Meilenstein im Afghanistankrieg: die Gesamtzahl der amerikanischen Toten in diesem Konflikt hat 1.000 überschritten.

Mein erster Gedanke war, warum wohl jemand auf die Idee kommen kann, diese Angelegenheit sei so bemerkenswert, dass sie einen Artikel verdient. Ich fand, dass das eine dieser Situationen war, in der Journalisten irgendetwas aufschnappen und versuchen, ihm eine Bedeutung zu geben, indem sie Leute (wie mich) dazu bringen, bis dato unbeachtete Aspekte auszugraben.  

Die wirkliche Geschichte – die so gut wie niemandem aufgefallen ist – ist diese: In Washington ist der von beiden Parteien getragene Konsens über den unbefristeten globalen Krieg wieder hergestellt worden. Was die nationale Sicherheitspolitik betrifft, ist das wohl die hauptsächliche Errungenschaft der Obama-Administration bis zum heutigen Tag.

Erinnern Sie sich bitte an die unmittelbaren Auswirkungen des 9/11. Präsident Bush und seine Leutnants verloren keine Zeit, um die Vereinigten Staaten von Amerika auf einen globalen Krieg festzulegen. Amerikas Ziel war, den Terror zu eliminieren – vielleicht sogar das Böse selbst – und Demokratie rund um die Welt zu verbreiten. Bush und andere aus seinem inneren Kreis erklärten ganz unumwunden, dass dieses Unterfangen Jahrzehnte, wenn nicht Generationen erfordern wird, bis ein endgültiger Erfolg erreicht werden kann.

Im Kongress reagierten Republikaner wie Demokraten gleichermaßen mit Applaus, mit Blankovollmachten und mit massiven Zuteilungen von Geld. Wenige Stimmen wurden erhoben, die die Frage stellten, ob unbefristeter Krieg wirklich eine so gute Sache ist. Holt sie euch: das war das Gebot des Tages.

Erst als Bush beschloss, sich auf Saddam zu stürzen – der zwar in wenigen Bereichen unschuldig, aber völlig unbeteiligt an den 9/11-Attacken war – begannen sich Risse in diesem Konsens abzuzeichnen. Als die Operation Irakische Freiheit nicht zum Sieg, sondern zu einem Scherbenhaufen führte, ging der Konsens praktisch in Brüche. Die Demokraten wandten sich (nachträglich) gegen den Krieg. Aus dem Nichts tauchte Barack Obama – der im Gegensatz zu Senatorin Hillary Clinton nicht für die Invasion des Irak gestimmt hatte (er war damals noch nicht im Senat) – als Antikriegs- /Friedens - Präsidentschaftskandidat auftauchte. Obama versprach, den Lauf der Dinge in Washington zu ändern. Sicher bezog das eine Absage an Bushs Rezept des endlosen Krieges mit ein.

Nicht wahr?

Wie man sieht, nicht. Nach seiner Wahl und nach reiflicher Überlegung entschied Obama, dass der unbefristete Krieg weiter gehen muss. Der neue Präsident wollte sich nur auf Afghanistan und “AfPak” konzentrieren anstatt auf Irak und den Persischen Golf. So holte er sich seine eigene Version von General David Petraeus und gab seine eigene Version der Truppenaufstockung bekannt. Im Kongress reagierten Republikaner und Demokraten gleichermaßen mit Beifall, Blankovollmachten und mit massiven Zuweisungen von Geld.

Was uns ziemlich genau wieder an den Punkt bringt, an dem wir nach dem 9/11 waren – außer dass niemand noch länger glaubt, dass der massive Einsatz von militärischer Gewalt die Vereinigten Staaten von Amerika in die Lage versetzen wird, den Terror zu eliminieren – vom Bösen selbst gar nicht zu reden – oder die Demokratie rund um die Welt zu verbreiten. Die Kämpfe gehen weiter. Die Rechnungen steigen. Bis zu welchem Ende?

Ein verflixter Job, Herr Präsident. 

 
     
  erschienen am 26. Februar 2010 in WORLD AFFAIR´S JOURNAL > http://www.worldaffairsjournal.org/new/blogs/bacevich/Consensus_Renewed#comments   
  Andrew J. Bacevich ist Professor für Internationale Beziehungen und Geschichte an der Universität Boston. Er schloss 1969 die U.S.-Militärakademie ab und diente später in Vietnam, Deutschland, El Salvador und am Persischen Golf. Seinen Doktortitel erwarb er an der Princeton-Universität im Bereich Geschichte der amerikanischen Diplomatie. Vor seinem Eintritt in die Bostoner Universität 1998 unterrichtete er in West Point und an der John Hopkins-Universität. Er verfasste eine Reihe von Büchern und hat Artikel in allen bedeutenden Zeitungen in den Vereinigten Staaten von Amerika publiziert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf WorldAffairsDaily.org, einer Website mit Sitz in Washington DC mit Abhandlungen, Blogs, Nachrichtenübersichten, Meinung und Forschung von Medien, Regierungen und Denkfabriken rund um die Welt.   

 
     
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