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  Der Krieg dröhnt weiter

Robert Koehler

„Beschwerden über zivile Opfer haben auch Besorgnis bei Menschenrechtsanwälten hervorgerufen.“

Das Problem ist, dass ein Satz wie dieser – man könnte sagen, ein toter Satz, mit ein paar Quasi-Fakten verpackt in einer dickhäutigen moralischen Sensibilität - als ernstzunehmende Neuigkeit durchgeht. Ich habe ihn gerade der New York Times entnommen: aus einem Bericht über Drohnen, die CIA-Todesliste und unsere neue coole Playstation-Methode, schlechte Kerle (und alle anderen in ihrer Umgebung) umzubringen. Jemand mit einem aktiven Gewissen könnte auf einen Satz wie diesen stoßen, mitten in einer unsäglich verfehlten Geschichte über den endlosen Krieg und glauben, sie müsse verrückt werden.

Als herausragendes Fundstück ist er die Mühe wert, genauer untersucht zu werden, aber lassen Sie mich zuerst den Zusammenhang aufzeigen. Der Einsatz von unbemannten Flugzeugen in Pakistan und Afghanistan zur Ermordung von Taliban-, al Qaeda-Führern und anderen islamischen Amerika hassenden Aufständischen – mit Raketen, immerhin – scheint neulich zu einer unerwarteten rechtlichen Kontroverse geführt zu haben, nachdem bekannt wurde, dass einer der Menschen auf der Todesliste, Anwar al-Awlaki, in New Mexico geboren wurde. Er ist amerikanischer Staatsbürger.

Dieser Punkt ist es, an dem meine moralische Bestürzung beginnt und sofort in verschiedene Richtungen ausstrahlt:

A) Wie kommt es dazu, dass im Zusammenhang mit dem fast acht Jahre dauernden Krieg gegen den Terror (der Afghanistankrieg ist bereits der am längsten dauernde in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika), mit ungezählten tausenden oder hunderttausenden in Kampfhandlungen hingeschlachteten Zivilisten, Millionen von Vertriebenen, und dem giftigen Kampfmüll, der die Raten von Krebserkrankungen und Fehlgeburten in Irak und Afghanistan in die Höhe schnellen lässt, die mögliche Ermordung eines amerikanischen Bürgers es verdient, in einer Weise als Besonderheit hervorgehoben zu werden, die das Töten von Nichtamerikanern einfach nicht ist? Ich frage nur. Das soll die Angelegenheit nicht schmälern, aber es schmälert auch nicht meine Entrüstung darüber, dass die nicht geäußerten Standpunkte in dieser Kontroverse darauf hinaus laufen, dass amerikanische Leben eine Bedeutung haben, die andere Leben nicht haben. 

B) Warum ist al-Awlaki auf der Todesliste? Laut William Fisher von Inter Press Service ist er ein ehemaliger Iman, der „angeblich islamische Terroristen begeistert hat. Es wird gesagt, dass seine Predigten von drei Entführern des 9/11 besucht wurden.“ Daran ist nicht das leiseste illegal; die Tatsache, dass das der Anlass für das Todesurteil einer schurkischen Geheimagentur ist, deren Tätigkeitsbereich weitestgehend im Dunkeln liegt, weist auf einen nach-9/11 Werteverlust in unserer Gesellschaft, der mich zutiefst beunruhigt. Unsere Regierung ist infiziert mit dem, was ich nur als Nazivirus bezeichnen kann.

C) Mord per Drohne. Der Einsatz von unbemanntem Fluggerät und der Beschuss von Zielen mit Raketenfeuer ist gelinde gesagt bereits an sich umstritten, obwohl der Auseinandersetzung scheinbar zumindest in den Berichten der führenden Medien die Begeisterung des Militärs für Drohnen entgegenwirkt. Wenn es sich beim potentiellen Ziel um einen Amerikaner handelt, der sich weder im Irak noch in Afghanistan befindet, gibt es mehr Meinungsverschiedenheiten. Es tut mir leid, aber ich habe noch immer nicht den Sinn des Roboterkriegs begriffen, und des Wahnsinns, gegnerische Opfer mit Raketen zu beschießen, sogar wenn das einigermaßen zielgenau funktionieren würde.   

Die Tatsache, dass wir uns oft auf absurd schlechte Berichte verlassen und sich hinterher herausstellt, dass wir große Zahlen von Zivilisten mit unseren Raketen getötet haben, fällt mir, altmodisch gesagt, als falsch ins Auge. Unter „falsch“ meine ich verrückt, dumm, kontraproduktiv, kriminell – eine Mordmethode, die garantiert den Hass gegen uns aufstacheln wird, unsere „Mission“ verkompliziert und den Krieg verlängert. Aber natürlich ist das ein Krieg gegen das Böse, wir wissen also auch so, dass er kein Ende haben wird.

Das alles bringt mich zurück zur New York Times und dem hilfreichen, informativen Satz, den ich oben zitiert habe, den ich einem vor kurzem erschienen Artikel in New York Times Online „topics“ entnommen habe. Dieser Artikel geht hauptsächlich von einem militärischen Standpunkt aus und berichtet über das scheinbare Erwachsenenvergnügen höherer Ränge in Geheimdienst und Militär über die störende Wirkung von Luftangriffen mit Robotern auf die gegnerischen Operationen.

Gegen Ende des Artikels werden statistische Angaben über Kollateralschäden aus zwei Quellen angeführt. Die New America Foundation schätzte, dass seit 2006 Drohnen 500 Kämpfer und 250 Zivilisten getötet haben; das Verhältnis war etwas besser im Long War Journal, das es auf 885 tote Kämpfer und 94 tote Zivilisten brachte. Aus irgendwelchen Gründen wurde eine Studie der Brookings Institution nicht angeführt, nach der auf jeden Kämpfer, der mit Drohnen getötet wird, zehn getötete Zivilisten kommen. Das ist ein atemberaubendes Verhältnis von Grausamkeit, das umgehend alle zukünftigen Mordeinsätze mit Robotern zum Stillstand bringen sollte. 

Dass das nicht der Fall sein wird, liegt zu einem nicht geringen Teil an der lauen, moralisch zögerlichen Berichterstattung der großen Medien, wie sie in diesem Satz zum Ausdruck kommt, der die Menschlichkeit all derer zuschüttet, die ihn lesen: „Beschwerden über zivile Opfer haben auch Besorgnis bei Menschenrechtsanwälten hervorgerufen.“

Wenn wir Kinder bombardieren, sammeln wir „Beschwerden,“ etwa so, wie wenn wir in einem fremden Rosenbeet herumtrampeln. Diese Beschwerden rufen dann „Besorgnis hervor“ – Sie wissen schon, so ähnlich wie wenn die Milch sauer wird – nicht bei den Menschen im Allgemeinen, sondern speziell bei professionellen Gutmenschen, „Menschenrechtsanwälten,“ die ohnehin auf getötete Zivilisten achten und ein Theater darum herum machen.

Nichts in dieser Sprache drückt auf das Gewissen oder unterbricht die Alltagsgeschäfte Amerikas. Da gibt es keinen Hinweis auf den Wert der Leben, die wir zerstören, oder die in unseren Händen liegen. Da gibt es nur Nebel und Gefühllosigkeit, und der Krieg dröhnt weiter.

 
     
  Erschienen am 9. Juli 2010 auf > http://www.antiwar.com > http://original.antiwar.com/robert-koehler/2010/07/08/the-war-drones-on/  
     
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