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  Drohnen vor Gericht

Robert C. Koehler

Kriegsführung mit Drohnen – Mord mit unbemannten Flugzeugen – ist wohl eine der höllischsten Ausgeburten der modernen militärisch-industriellen Ära, und ihr Gebrauch wird zur Routine im Af-Pak-Krieg, dennoch (was ist daran neu?) gibt es darüber keine Debatte auf der Ebene der nationalen Politik, nur ein Achselzucken und weiter nichts.

Die Zukunft der Nation ist selbst unterwegs mit einer Art Autopilot. Sie ist den Kräften des Marktes überlassen, im Tandem mit den rücksichtslosen, kurzfristigen strategischen Interessen des Pentagon und der Politik des Imperiums. Im Kern dieses Systems gibt es keine Stimme der Moral – nicht einmal mehr eine Stimme des Gemeinsinns. Wir leben in einer Zuschauerdemokratie: unsere Rolle ist es, auf das Spektakel zu starren. Der Nachrichtenzirkus läuft 24/7 und sagt uns nichts, insofern das „Sagen“ in seiner Bedeutung eine Einladung zur Mitwirkung einschließt.

Wie die Studenten, die an abgetrennten Imbisstheken saßen und auch sonst die in der Nation vorherrschenden Mechanismen der Rassentrennung vor fast einem halben Jahrhundert durcheinander brachten, müssen wir einen Weg finden, um den falschen Konsens des militärisch-industriellen Amerika auf der Ebene zu durchbrechen, auf der es Krieg führt und es sich mit dem Rest des Planeten anlegt. Das erfordert Ausdauer und Mut – und manchmal gibt es einen Durchbruch.

Vor der Creech Air Force Base 14: Pater John Dear, Dennis DuVall, Renee Espeland, Judy Homanich, Kathy Kelly, Pater Steve Kelly, Mariah Klusmire, Brad Lyttle, Libby Pappalardo, Schwester Megan Rice, Brian Terrell, Eve Tetaz, Pater Louis Vitale und Pater Jerry Zawada.

Vor eineinhalb Jahren nahmen sie teil an einer zehntätigen Wache vor der Luftwaffenbasis in Indian Springs, Nevada (etwa 35 Meilen entfernt von Las Vegas) und protestierten gegen die Flüge der Predator- und Reaper-Drohnen über Afghanistan und Pakistan, die von dieser Basis aus ferngesteuert werden. Am Ende der Wache betraten diese 14 Aktivisten illegal die Basis und trugen einen Brief mit sich, den sie laut Kathy Kelly von den Voices for Creative Nonviolence (Stimmen für kreative Gewaltlosigkeit) aus Chicago „unter das Personal der Basis verteilen wollten und in dem wir unsere Opposition gegen ein massives gezieltes Mordprogramm darlegten.“ Sie wurden verhaftet und angeklagt wegen widerrechtlichen Betretens.

Was bei ihrer Gerichtsverhandlung in Las Vegas vor zwei Wochen geschah, könnte aus dem Vorfall mehr machen als nur einen symbolischen Protest. Was als nicht besonders aufregende Sache erschien – ein Verbrechen ist ein Verbrechen, das Gesetz ist das Gesetz – entwickelte sich zu etwas, was ein paar Nummern größer war. 

Auf einer der Tafeln, die die Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude trugen, als die Verhandlung begann, war zu lesen: „Klagt die Kriegsführung mit Drohnen an!“ Und genau das könnte passiert sein.

Jedenfalls hörte Richter William Jansen ungeachtet seines strengen Vortrags am Beginn, dass es vor dem Gericht um widerrechtliches Betreten und sonst nichts gehe, die Ausführungen der drei Zeugen an, die die Angeklagten, die sich selbst verteidigten, nominiert hatten – und etwas tat sich, ein Tor öffnete sich, der Bereich des Verfahrens erweiterte sich. Die Frage, wer wir als Nation sind, bekam ihren Tag vor dem Gericht. Einen von vielen, wie ich nur hoffen kann.

In einem Verfahren wegen des leichten Delikts des widerrechtlichen Betretens nominierten die Angeklagten als Zeugen: Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika unter Lyndon Johnson; Oberst im Ruhestand Ann Wright, die aus Protest gegen die Invasion des Irak 2003 den Dienst im Außenministerium quittiert hat; und Bill Quigley, Direktor des Center for Constitutional Rights (Zentrum für Verfassungsrechte).

Sie durften befragt werden. Sie durften reden. Laut Kathy Kelly, mit der ich vor kurzem sprach, wie auch laut verschiedenen Berichten über die Verhandlung, darunter einem von Pater Dear, sprachen die Zeugen über die historischen und legalen Präzedenzfälle von widerrechtlichem Betreten im Dienste eines höheren Rechts, darunter dem, das als „Notrecht“ bekannt ist: Wenn jemand zum Beispiel in einem brennenden Haus eingeschlossen ist, hat man das Recht, das Gesetz gegen unrechtmäßiges Betreten zu brechen, um eine Rettung durchzuführen.

Quigley, schrieb Dear, „erläuterte die Geschichte von Aktivisten, die unbedeutende Gesetze brachen, von den Gründern unserer Nation über die Verfechterinnen der Frauenrechte bis zu den Bürgerrechtsaktivisten, die sich gesetzwidrig an abgetrennte Imbisstheken setzten. Auf lange Sicht gesehen ehren wir sie, weil sie einem höheren Gesetz gehorchen, weil sie helfen, uns der Gerechtigkeit näher zu bringen, sagte er. Leider gibt es eine Kluft zwischen „dem Gesetz“ und der „Rechtssprechung,“ und daher, so erklärte er, geht der Kampf heute darum, diese Kluft zu schmälern.

Die Zeugen brachten eine Reihe von Punkten vor, die das Vergehen der Angeklagten in einen größeren Zusammenhang stellten, darunter auch die Tatsache, dass die Drohnenangriffe der Vereinigten Staaten von Amerika rücksichtslos und in großer Zahl Zivilisten töten (laut einer vor kurzem durchgeführten Studie des Brookings Institute beträgt das Verhältnis zwischen getöteten Zivilisten und getöteten Aufständischen 10:1); dass absichtliches, gezieltes Töten ein Kriegsverbrechen ist, und dass nach den Prinzipien von Nürnberg jeder Bürger die Pflicht hat, Gesetzen oder Befehlen den Gehorsam zu verweigern, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiterführen.

Nachdem die Verteidigung geendet hatte, machte der Richter die erstaunliche Bemerkung, dass es hier um mehr ging als um ein widerrechtliches Betreten im üblichen Sinn. Er gab bekannt, dass er einige Zeit brauchen werde, um die Aussagen zu studieren und setzte ein neues Datum fest – den 27. Januar 2011 – an dem er sein Urteil ausführen werde. Und das ist der derzeitige Stand der Dinge.

Die Zeit wird erweisen, ob hier wirklich ein Tor aufgegangen ist, und ob die Prinzipien von Nürnberg wirklich im Leben und in der Rechtssprechung Amerikas Bedeutung erlangt haben. Aber was ist, wenn das der Fall ist? Was, wenn die moralische Kraft des Friedens ihre Stimme gefunden hat in einer Nation, von der man schon lange gedacht hat, dass sie es aufgegeben hat, sich mit derlei Fragen zu beschäftigen und sich nur mehr ständig dem Konsum hingibt?

 
     
  Erschienen am 30. September 2010, Robert Koehlers Artikel erscheinen u.a. bei HUFFINGTON POST  
     
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