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  Der Sudan steht vor einem Erdbeben

Eric S. Margolis

Ein politisches Erdbeben scheint im Anzug zu sein, das den Sudan erschüttern und Schockwellen über Afrika senden wird. Eine Volksabstimmung ist in etwas mehr als einer Woche angesetzt – am 9. Januar 2011 – in der die acht Millionen Bewohner des südlichen Sudan darüber abstimmen sollen, ob sie sich von den 34 Millionen Bürgern des nördlichen Sudan trennen und ihre eigene Nation Südsudan schaffen wollen.

Nachdem der Großteil der derzeitigen Grenzen in Afrika von den europäischen Kolonialmächten gezogen worden ist, könnten jegliche Änderungen leicht gefährliche Spannungen entfesseln oder Forderungen nach Abspaltung über den ganzen Kontinent hin. 

Eines der größten Tabus Afrikas war, dass aus der Kolonialzeit übernommene Grenzen unveränderbar waren. Ein Zerbrechen des Sudan, des größten Landes Afrikas, wird die gesamte geopolitische Struktur des Kontinents in Frage stellen.

Der Sudan, der sich von der arabischen Welt in das Herz Schwarzafrikas erstreckt, wurde vom britischen Imperium gegründet, um den Nil, Ägyptens einzige Wasserquelle, abzusichern. Der Sudan ist eine verwirrende Sammlung von beinahe 600 sich oft bekämpfenden Stämmen, die 400 verschiedene Sprachen sprechen und über ein riesiges Gebiet verteilt sind: arabisch sprechende Moslems und Nubier im Norden; die wilden Beja von der Küste des Roten Meeres (von den Briten als „Fuzzy-Wuzzies“ bezeichnet); die wilden Bagarra-Nomaden in Darfur; und steinzeitlich lebende Stämme am Oberen Nil.

Es ist bemerkenswert, dass der Sudan so lange zusammengehalten hat. Ein blutiger Bürgerkrieg tobte 60 Jahre lang zwischen den Moslems im Norden und Nichtmoslems im Süden, der zwei Millionen Menschen das Leben kostete, wie es heißt. Die Menschen im Sudan sind zu 75% Moslems, etwa 20% Heiden und 5% Christen, das islamische Recht wurde im Norden angewendet, aber hauptsächlich von Leuten aus dem Süden.

Die christliche Abspaltungsbewegung im Süden des Sudan wurde lange geführt und finanziert von christlichen Missionaren und Hilfsorganisationen aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten von Amerika. Islamophobe amerikanische evangelikale Gruppierungen, die jetzt die Kernbewegung der republikanischen Partei formen, haben eine Schlüsselrolle bei der Vorantreibung der südsudanesischen Unabhängigkeitsbewegung gespielt.

Im südlichen Sudan spielen sich weiters seit Jahrzehnten Konflikte zwischen den drei größten Hirtenstämmen im Nilgebiet ab, den Dinka, Shilluk und Nuer, die sich gegenseitig immer wieder überfallen und Rinder und Frauen rauben.

Der Sudan hat auch in den abgelegenen westlichen Regionen von Darfur und Kordofan unter einem weiteren verwirrenden Konflikt gelitten zwischen Nomaden und Ackerbauern. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat den starken Mann des Sudan General Omar el-Bashir angeklagt wegen Kriegsverbrechen im düsteren Stammeskrieg in Darfur, der im Westen zu einer berühmten Sache geworden ist.

Wie sehr General Bashirs Regierung verantwortlich ist für angebliche Massenmorde in den Stammesgebieten Darfurs, bleibt ungewiss. Der Sudan befindet sich allerdings auf der Schwarzen Liste der Vereinigten Staaten von Amerika als Unterstützer von Terroristen und steht unter Sanktionen der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Sudan, von Washington als „Schurkenstaat“ hingestellt, wurde schon lange für einen „Regimewechsel“ vorgesehen.  

Die Medien der Vereinigten Staaten von Amerika und evangelikale christliche Gruppen haben den Sudan und General Bashir dämonisiert und ihn als gefährlichen Islamisten hingestellt. Israel war sehr aktiv bei der Bewaffnung und Unterstützung der SPLA-Guerillabewegung im Südsudan und wird eine noch einflussreichere Rolle spielen, wenn der südliche Sudan unabhängig wird.  

Beträchtliche Lagerstätten von Erdöl wurden im Sudan in den vegangenen zehn Jahren gefunden. Diese liegen hauptsächlich im südlichen Sudan, die Regierung in Khartoum kontrolliert allerdings die Export-Pipeline. China ist zu einem bedeutenden Kunden sudanesischen Erdöls geworden. Washington hat die Absicht, die Chinesen hinauszudrängen, wenn der Süden wegbricht.

Die weltweite Kontrolle des Erdöls spielt die wichtigste Rolle in der Außen- und Militärpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika mischen sich immer tiefer in den Sudan ein. Washington hat insgeheim mit dem südlichen Sudan zusammen gearbeitet, um eine Regierung zu schaffen, ein Finanzsystem, Polizei und Armee. Südsudanesische Funktionäre werden in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildet. Die Zahl der Diplomaten und Geheimdienstbeamten der Vereinigten Staaten von Amerika wurde verdreifacht.

Ein Auseinanderbrechen des Sudan wird unmittelbare Auswirkungen auf weitere instabile Nachbarn wie Somalia, Tschad und die Republik Kongo haben. Äthiopien könnte eine größere Rolle in der Region spielen. Ägypten, ewig argwöhnisch, wer die lebensspendenden Wasser des Nils kontrolliert, macht sich tiefgehende Sorgen über die Zukunft des Sudan und befürchtet, dass ein neues Regime im Süden damit beginnen könnte, das Wasser des Flusses abzuleiten.

Gerade zu einem Zeitpunkt, in dem die Vereinigten Staaten von Amerika zunehmend aktiv sind in Djibouti, Jemen, Somalia, Äthiopien, Kenia und Uganda, finden sie sich immer tiefer involviert in die Organisierung des Auseinanderbrechens des Sudan. All das könnte allerdings eine Brücke zu weit sein für das bereits überdehnte Militär der Vereinigten Staaten von Amerika, die Geheimdienste und das Außenministerium, nicht zu reden von der leeren Staatskasse der Vereinigten Staaten von Amerika, die jetzt auf geliehenes Geld angewiesen ist.

So sind also in den kommenden Wochen alle Augen auf den Sudan gerichtet.

 
     
  erschienen am 31. Dezember 2010 auf > ericmargolis.com > Artikel  
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