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  Große Probleme in Tunesien für Amerikas Imperium im Mittleren Osten

Eric S. Margolis

Hoppla! Etwas ist schrecklich schief gelaufen mit Washingtons Plänen für Regimewechsel im Mittleren Osten. Sollte da nicht eine von den Vereinigten Staaten von Amerika und vom Vereinigten Königreich betriebene Revolution gegen Irans Mullahs stattfinden, gefolgt von der Einrichtung einer kooperativen prowestlichen Regierung und einer Bonanza für westliche Erdölkonzerne?

Die Revolution ist gekommen, aber am falschen Ort. Die Explosion des Volkszorns in Tunesien, das den seit 23 Jahren herrschenden Diktator verjagte, sendet Schockwellen durch die arabische Welt und lässt die Alarmglocken in Washington schrillen.

Lassen Sie sich nicht beeindrucken von Präsident Obamas frommen Gemeinplätzen, mit denen er die Revolution in Tunesien begrüßt. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und ihre arabischen Satrapen sind zutiefst beunruhigt, dass die tunesische Volksrevolution ähnliche Aufstände gegen die Diktaturen oder Monarchien in anderen Mitgliedsländern von Amerikas Reich im Mittleren Osten hervorrufen könnte, besonders in Ägypten.

Es ist ans Licht gekommen, dass die herrschende Elite Tunesiens sich Mahlzeiten und Wein aus Paris auf Regierungskosten einfliegen ließ für verschwenderische Parties in ihren Strandvillen. Schatten der iranischen Revolution, wo Damen der herrschenden Elite in Teheran ihre Schmutzwäsche zum Waschen per Hand nach Paris fliegen ließen, oder nach Paris flogen, um sich die Frisur für eine Soiree machen zu lassen. 

Eine ironische Pikanterie am Rande, die an den Medien der Vereinigten Staaten von Amerika spurlos vorüberging: gerade als eine Volksrevolution das brutale von den Vereinigten Staaten von Amerika gestützte Regime Tunesiens davonjagte, belehrte Außenministerin Hillary Clinton in Qatar die regionalen Erdölmonarchen über gute Regierung und die Notwendigkeit, die Demokratie voranzutreiben.

Tunesien hatte keine besondere strategische Bedeutung, seit Karthago – dessen Ruinen und großer Kriegshafen liegen in einem Vorort von Tunis – mit Rom die drei Punischen Kriege führte. In den kriegerischen Aktionen in Nordafrika im Zweiten Weltkrieg wurde Tunis umkämpft von den Briten, Deutschen und Italienern. 

Seit damals war das kleine Tunesien ein ruhiges Gewässer, bekannt hauptsächlich für Sonnenschein, billigen Strandurlaub, und als Zuflucht für italienische Gauner.

Im Jahr 1957 „erreichte” Tunesien die Unabhängigkeit von der bisherigen Kolonialmacht Frankreich. Das war allerdings eine Schein-Unabhängigkeit. Die Franzosen brachten ihren eigenen Handlanger Habib Bourgiba an die Macht, der das Land im Interesse Frankreichs führte.

Nachdem Bourgiba 1987 senil wurde, stürzte ihn der Armeechef General Zine Ben Ali und übernahm die Macht mit dem Segen Frankreichs. In den folgenden 23 Jahren herrschte Ben Ali mit eiserner Faust.

Die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich lobten Tunesien immer als ein Musterbeispiel für „Mäßigung, Stabilität und Demokratie.“

Übersetzung: 1. Mäßigung: die Befehle aus Washington befolgen und nett sein mit Israel; 2. Stabilität: jegliche Opposition brechen, besonders islamorientierte Parteien, die Medien mundtot machen und den Weg für die Geschäfte der Vereinigten Staaten von Amerika ebnen; 3. Demokratie: alle paar Jahre Scheinwahlen abhalten. Die Medien der Vereinigten Staaten von Amerika weichzeichneten Ben Ali und schwärmten über die „gemäßigten“ Tugenden Tunesiens. Das war nicht anders bei Ägyptens Anwar Sadat.

Amerikas weitere „gemäßigte“ arabische Klienten, Ägypten, Marokko, Algerien, Jordanien, Saudiarabien, Kuwait, Jemen, Oman und einige der Golfstaaten betrieben genau dasselbe Modell von Scheinwahlen, grausamer interner Unterdrückung und absolutem Gehorsam gegenüber Washington.

Tunesien gleicht in vielfacher Beziehung anderen arabischen Nicht-Erdöl-Staaten mit seiner sehr hohen Arbeitslosigkeit, sozialem und intellektuellem Stillstand, Mangel an freier Rede oder Meinungsäußerung, und keinerlei Hoffnung für die Zukunft, es sei denn, man hatte Beziehungen zu der habgierigen, selbstsüchtigen, vom Westen gestützten herrschenden Oligarchie. Darüber hinaus ist in den meisten arabischen Staaten über 60% der Bevölkerung unter 25 Jahre alt.

General Alis erweiterter Familienkreis und Geschäftsfreunde bewegten sich in einem Muster von rechtswidrigem Verhalten, Nepotismus und Ausplünderung öffentlicher Einrichtungen, wie es in den meisten arabischen Ländern gang und gäbe ist. Im Mittleren Osten werden derartige Oligarchien üblicherweise als „Mafias“ bezeichnet. Ihre Geheimpolizeien sind berüchtigt für Folter, Mord, Massenarreste und Sadismus. Arabische Armeen sind ausgebildet, um ihre Völker einzuschüchtern, nicht um die Grenzen ihres Landes zu schützen.

Nachdem die Regierungen Bush und Obama sich verpflichtet fühlten, einen symbolischen Aufruf an ihre arabischen Klienten zu richten, zumindest den Anschein einer Demokratie zu wahren, gehorchte General Ali, indem er bei seiner letzten gefälschten Wahl im Jahr 2009 „nur“ einen haarscharfen Sieg von 89% errang, anstatt der üblichen Gewinne von 94% oder 95%.

Die Tunesier sind bekannt als gelassenes, ausgeglichenes Volk. Die Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreichs sollten einen Deckel auf dem Land halten und öffentliche Unruhe entschärfen. Es wurden also fast alle überrascht, als die Lage in Tunesien kritisch wurde.

In einem herzerwärmenden Finale seiner brutalen Diktatur floh General Ben Ali in Richtung Frankreich, um dort Asyl zu suchen. Der französische Präsident Nicholas Sarkozy, der eine bemerkenswerte Undankbarkeit an den Tag legte, verweigerte diesem getreuen langjährigen Diener Frankreichs die Zuflucht. Zwei anderen ehemaligen westlichen Plantagenaufsehern, die schwer an Krebs litten, General Mobutu aus dem Kongo und dem verjagten Schah des Iran, wurde in ähnlicher Weise die Zuflucht von ihren amerikanischen Patronen versagt.

Während ich das hier schreibe, herrscht Aufruhr in Tunesien. Es könnte eine Machtübernahme durch das Militär geben, was Washington, Paris und Kairo sehr freuen würde, oder weitere Unruhen.

Der Anführer der wichtigsten islamorientierten Partei, die verboten war, Rashid Gannouchi (nicht zu verwechseln mit dem derzeitigen als Aushängeschild fungierenden Premierminister gleichen Namens) befindet sich auf der Rückkehr und fordert genuine demokratische Wahlen. Seine Partei Nahda würde wahrscheinlich jede freie Wahl gewinnen. Nicht anders als islamistische Parteien in jedem anderen arabischen Land, wenn es der Westen je gestattete, dort freie Wahlen abzuhalten, was er aber nicht wird.

In den beiden einzigen Fällen in der modernen arabischen Geschichte, in den wirklich ehrliche Wahlen abgehalten wurden, siegten moderate Islamisten in Algerien, und die Hamas-Bewegung gewann in Gaza. Die algerische Armee, unterstützt von Paris und Washington, stieß die Wahl über den Haufen und verhängte das Kriegsrecht. Nachdem sie die palästinensische Wahl gewonnen hatte, sperrten die Vereinigten Staaten von Amerika, Israel und Ägypten die Hamas unter Belagerungszustand in Gaza ein und versuchten, sie mit Hilfe von palästinensischen Söldnern zu stürzen.  

Die großen islamistischen Parteien im Mittleren Osten haben nichts zu tun mit al-Qaida (die es kaum noch gibt) oder antiwestlichen Programmen. Ihr Hauptziel ist es, die vom Westen unterstützten Oligarchien loszuwerden, die die muslimische Welt in Rückständigkeit und in Knechtschaft halten. Ihre gemeinsame Plattform bilden die gerechte Aufteilung des Einkommens aus den Ressourcen, Einrichtung von sozialer Wohlfahrt, Bildung, Beseitigung diebischer Oligarchien und Bekämpfung der endemischen Korruption.

Zur Zeit ist große Frage, ob die dramatischen Vorgänge in Tunesien ein Vorbote von weiteren Explosionen in der unberechenbaren arabischen Welt sind? Alle Augen ruhen auf Ägypten, Heimatland eines Drittels aller Araber. Der 83 Jahre alte Militärherrscher Ägyptens Husni Mubarak ist die überlebensgroße Ausgabe von Tunesiens General Ben Ali.

Mubarak wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika in seine Machtposition gehievt nach der Tötung des langjährigen CIA-„Aktivpostens“ Anwar Sadat. Seitdem hat General Mubarak Ägypten wie die moderne Ausführung eines Pharaohs beherrscht, indem er beide, die gewalttätig extremistische wie auch die legitime Opposition unterdrückte. Mubaraks gefälschte Wahlen, von Washington mit Augenzwinkern bedacht, sind in jeder Beziehung genau so unerhört wie die tunesischen.

Könnten also die Flammen von Tunesiens Revolution auf Ägypten überschlagen? Mubaraks Regime taumelt. Die Ägypter sind genau so unruhig und empört wie ihre tunesischen Nachbarn. Auch die Ägypter sind ein bekannt passives, freundliches Volk, aber die ägyptische Repression, zermürbende Armut und die raubgierige mit dem Westen verbündete Elite haben die meisten einfachen Menschen aufgebracht. 

Tunesiens Nachbarn Libyen, Algerien und Marokko sind ähnlich instabil und geplagt von Arbeitslosigkeit, einer hohen Geburtenrate und grausamer Unterdrückung durch ihre Regimes. Colonel Ghadaffis erdölreiches Libyen bildet einen besonders fruchtbaren Boden für bedeutendere Unruhen nach fünf Jahrzehnten unter einer exzentrischen Regierung.

Alle diese autoritären Regimes haben die Opposition zermalmt und nur Untergrund-Revolutionäre übrig gelassen, die ihre Rolle weiterführen, wenn unweigerlich die Revolution kommt. Durch die Förderung der Repression und das Hintertreiben des Aufkommens von Demokratie in der arabischen Welt haben die Vereinigten Staaten von Amerika die Drachensaat für weitere Gewalt gesät.

Wir sehen jetzt, was die von Washington so geliebten „Stabilität” und „Mäßigung“ in der arabischen Welt wirklich bringen. Das mächtige amerikanische Imperium ist gebaut auf solche Euphemismen, die in Wirklichkeit Diktatur bedeuten, Korruption, Folter und Unterwürfigkeit.

Wenn Washington wirklich die Demokratie unterstützen will, die es predigt, dann sollte es den Menschen in Tunesien helfen, zu einer wahrhaft demokratischen Regierung zu kommen, anstatt wieder einen neuen kooperationswilligen General und dessen habgierige Familie an die Macht zu bringen, wie es das schon so oft seit den 1950er Jahren betrieben hat.

 
     
  erschienen am 17. Januar 2011 auf > ericmargolis.com > Artikel  
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