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  Nachbarn in der West Bank: Chronologie des Todes

Ran HaCohen 

11. März 2011

Freitag nachts drangen zwei Männer – vermutlich Palästinenser – in die jüdische Siedlung Itamar in der West Bank ein. Die Siedlung mit 1.000 Einwohnern wurde 1984 errichtet, tief im okkupierten Gebiet (28 km von der Grünen Grenzlinie entfernt). Benannt ist sie nach dem Sohn des biblischen Aharon, Itamar, dessen Grab sich gemäß einer Legende aus dem 13. Jahrhundert im nahe gelegenen palästinensischen Ort Awarta (6.000 Einwohner) befindet, 8 km südwestlich von Nablus.

Die Männer betraten das Haus der Familie Fogel. Mit Messern ermordeten sie den schlafenden Udi (37), seine Frau Hadas (36) und ihre drei Kinder: Yoav (10), Elad (4) und Hadas (3 Monate alt).

Die Metzelei, die besonders entsetzlich war wegen der ermordeten Kinder, wurde von der Palästinenserbehörde und vielen einfachen Palästinensern verurteilt. Die üblichen Verdächtigen – Hamas, Islamischer Jihad, Fatah, Al-Aqsa-Brigaden – bestritten jegliche Beteiligung, was Anlass gab zu allen möglichen Gerüchten auf der palästinensischen Seite.

Die israelische Regierung nutzte die grausame Tat sofort aus, um den Bau von 500 neuen Häusern für Siedler anzukündigen. Die barbarische Tat hätte ein vorzügliches Propagandamaterial abgeben können – besonders jetzt, wo terroristische Attacken so selten sind und Israel verzweifelt nach Vorwänden sucht, um sein kolonialistisches Projekt zu verankern – hätten nicht am selben Tag die Katastrophen in Japan ihren Anfang genommen. In ihrer Frustration versuchte die Regierung Netanyahus sogar, die internationalen Medien mit Bildern des Mordes zu füttern, Fotos, die so entsetzlich waren, dass die israelischen Medien sich weigerten, sie zu zeigen (sie fanden allerdings ihren Weg als heiße Tips auf die SmartPhones). Die internationalen Agenturen sagten, die Bilder wären manipuliert worden (die Gesichter wurden unkenntlich gemacht) und wiesen sie zurück.

Nach der Bluttat machten sich Dutzende Siedler aus Itamar auf nach Awarta, um Rache zu üben. Eine weit rechts stehende hebräische Website berichtete, dass einige der Soldaten, die eingesetzt worden waren, um die Palästinenser vor rachedurstigen Siedlern zu schützen, in Wirklichkeit den Siedlern zeigten, wie sie auf dem Weg nach Awarta die Armeeposten umgehen konnten. Ein Soldat gab den Siedlern eine Eisenstange und wünschte ihnen viel Glück.  

20. März 2010

Am Sonntag Mittag wurden zwei palästinensische Männer aus dem Ort Awarta in der West Bank von israelischen Soldaten tot geschossen. Als „vereitelter terroristischer Angriff“ wurde die Geschichte von allen größeren hebräischen Nachrichtenkanälen berichtet, nachdem die Armee die Meldung herausgegeben hatte. Behauptet wurde, dass die beiden Männer entweder „plötzlich bei einem temporären Armee-Kontrollpunkt auftauchten“ oder „von Soldaten zwecks einer Routineuntersuchung festgehalten wurden“; dass sie eine Mistgabel (oder Mistgabeln) trugen und eine Flasche (oder eine zerbrochene Flasche); dass sie sich weigerten, Ausweise vorzuzeigen und „sich verdächtig verhielten“; dass einer von ihnen die Soldaten angriff und deswegen zweimal angeschossen und getötet wurde; und dass darauf hin der zweite Mann die Soldaten angriff und ebenfalls beschossen und getötet wurde. Die Soldaten „fühlten, sie wären in Gefahr gewesen“ und „reagierten richtig auf die Bedrohung“ seitens der Palästinenser, die „sowohl die Absicht als auch die Mittel“ hatten, den Soldaten Leid zuzufügen, wie die Armee verlautbarte. 

Einige der Berichte fügten hinzu, dass die Soldaten gerade palästinensische Bauern beschützt hätten, als sie von den beiden angegriffen wurden - „wieder ein neuer Beweis für die Schurkerei der Palästinenser,“ wurde ein Armeeoffizier zitiert. Gewalttätige jüdische Siedler attackieren regelmäßig palästinensische Bauern, um ihre Ernte zu vernichten – oder zu stehlen und zu verkaufen – und letztendlich ihr Land zu übernehmen, nachdem unbebautes Land von Israel beschlagnahmt werden kann. Die Armee hat von den Gerichten den Auftrag, die palästinensischen Bauern und Landarbeiter zu beschützen. 

Ein weiterer Nachrichtenkanal äußerte die Vermutung, der Angriff könnte die Vergeltung sein für ein Ereignis am Vortag, als zwei unbewaffnete Palästinenser von Soldaten während einer Demonstration in der Nähe von Nablus getötet worden waren.

Nur YNet fand es der Mühe wert, sich aus palästinensischen Quellen zu informieren. Diese besagten, dass die beiden jungen Männer, beide 19, Verwandte auf dem Weg zur Arbeit auf dem Feld waren und Werkzeuge trugen. YNet war das einzige Medium, in dem die beiden Namen hatten: Muhammad und Salah Qawariq.

CNN berichtete über den Vorfall von beiden Seiten: man brachte die Version der Armee, man sprach aber auch mit Bewohnern der Region, welche sagten, dass die beiden unschuldige Farmarbeiter waren, sowie mit dem Leiter des palästinensischen Gesundheitsdienstes, welcher sagte, dass sie beide in den Rücken geschossen worden waren.

Ende August 2010

Die Leichen der beiden toten jungen Männer wurden in ein Krankenhaus in Nablus gebracht. Laut der medizinischen Untersuchung war Muhammad von sieben und Salah von drei Kugeln getroffen worden, offensichtlich aus sehr kurzer Entfernung. Die israelische Armee zog in Betracht, Maßnahmen gegen die an dem Vorfall beteiligten Soldaten zu ergreifen, aber brachte nicht einmal eine Untersuchung zustande. 

Im August 2010 richtete die israelische Menschenrechtsorganisation Yesh Din eine Petition an das Höchstgericht, in der eine Untersuchung der Tötung der beiden Palästinenser vor fünf Monaten gefordert wurde. Laut Yesh Din „geben die Umstände dieses Vorfalls, in dem die beiden jungen Männer durch Schüsse des israelischen Militärs getötet worden sind, Anlass zu dem Verdacht, dass hier ein schweres Verbrechen vorliegt. Die näheren Details wurden nicht erhoben, und es besteht Gefahr, dass sie niemals erhoben werden, so lange der Rechtsbeauftragte der Armee es weiterhin unterlässt, in der Angelegenheit zu entscheiden.“ 

Die Petition von Yesh Din wurde noch nicht behandelt.

Wie die Zeit vergeht

Die Siedlung Itamar wird von einem Zaun umgeben. Wie ein 2005 von der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel gestellter Antrag enthüllt, verlaufen Teile dieses Zauns auf Grundstücken, welche Bauern aus Awarta gehören und die dadurch effektiv an die Siedlung angeschlossen werden.

Letzte Woche sprangen die Mörder über den Zaun. Die Bewegung wurde von den örtlichen Sicherheitskräften bemerkt, aber der Alarm wurde ignoriert. Das Gebiet war seit langer Zeit ruhig und die Wachen nicht in höchster Alarmbereitschaft. Der israelische Geheimdienst hatte den nahenden Jahrestag der Tötungen in Awarta – in der kommenden Woche – als gefährlichen Zeitraum vorgemerkt. Allerdings hat jemand vergessen zu berücksichtigen, dass das muslimische Mondjahr elf Tage weniger hat als unser Jahr.

 
     
  erschienen am 16. März 2011 auf > www.antiwar.com > Artikel  
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