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Afghanistans „Souveränität”

Glenn Greenwald

Eine Serie schrecklicher Tötungen von Zivilisten in Afghanistan durch die NATO hat den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai zu der Forderung veranlasst, dass die NATO alle Attacken gegen Wohnhäuser einstellen soll. Das hat ungefähr die Bedeutung, die wir uns vorstellen können, und wie die Los Angeles Times klar macht:

„Das sollte der letzte Angriff auf Wohnhäuser gewesen sein,” sagte der Präsident in einer Pressekonferenz in Kabul. „Solche Angriffe werden nicht länger erlaubt sein.“

Karzais Aufruf wurde als in erster Linie symbolisch betrachtet. Westliche Militärvertreter beriefen sich auf die bestehende Kooperation mit den afghanischen Behörden und versprachen, diese weiterhin zu konsultieren, sagten dann aber inoffiziell, dass die Macht des Präsidenten kein Veto einschließt gegen Entscheidungen über bestimmte Angriffsziele, die in der Hitze des Gefechts getroffen werden.

Wir sind also in Afghanistan, um dem afghanischen Volk Freiheit und Demokratie zu bringen, der Präsident dieses Landes hat aber keinerlei Befugnis, uns zu sagen, dass wir mit der Bombardierung afghanischer Häuser aufhören sollen. Seine Anordnungen sind einfach Ansuchen nur „symbolischer“ Natur. Karzai spricht natürlich nicht für sich selbst, sondern für die (und unter Druck der) Menschen Afghanistans: das sind die, die zu befreien wir gekommen sind, die aber – aufgrund ihrer fremdartigen, primitiven, rätselhaften Kultur und Religion – unverständlicherweise darüber verärgert sind, dass sie fortwährend von ihren Leben befreit werden: „Karzais Erklärungen ... unterstrichen den weit verbreiteten Zorn unter den Afghanen über die Tötungen von Unbeteiligten durch die Hände fremder Kräfte.“   

In der Tat sind die Afghanen – für deren Interessen wir so beherzt kämpfen – völlig undankbare Personen und schätzen in keiner Weise, was wir alles für sie tun. Eine vor kurzem veröffentlichte Umfrage des International Council on Security and Development unter afghanischen Männern erbrachte eine überwältigende Ablehnung der Operationen der NATO in ihrem Land. Zuerst war das der Fall im südlichen Afghanistan, wo die meisten Kämpfe stattgefunden haben und wo wir die Einwohner von der Tyrannei der Taliban befreien:

Und so sieht´s aus im nördlichen Afghanistan, der Region, von der es lange hieß, sie stehe den Kämpfen der NATO mit besonderer Sympathie gegenüber:

Die Taliban sind weitgehend unbeliebt unter den Afghanen (obwohl im Süden eine Mehrheit gegen ein militärisches Vorgehen gegen sie ist), aber was auch immer wahr sein mag, 8 von 10 Männern in allen Regionen dieses Landes glauben, dass die Operationen der NATO schlecht für die Menschen Afghanistans sind.

Die Entscheidungen des afghanischen Präsidenten sind also völlig irrelevant (wenn sie von dem abweichen, was wir wollen). Die Ansichten der afghanischen Menschen sind gleichfalls irrelevant. Aber wir sind dort, um ihnen Freiheit und Demokratie zu bringen (während wir die Entscheidungen ihrer gewählten Anführer zu nur „symbolischen“ erklären) und für ihr Bestes kämpfen (obwohl das so gut wie niemand von ihnen so sieht).

Was für ein großer Krieg, jetzt Amerikas längster, beinahe zehn Jahre alt!

 
     
  erschienen am 31. Mai 2011 auf > Salon.com > Artikel  
     
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