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Kein Krieg ist so schlimm, als dass er nicht durch die Intervention des ICC noch verschlimmert werden könnte  

Brendan O'Neill

Brendan Behan sagte einmal, dass keine Situation so schlimm ist, als dass sie nicht durch das Einschreiten eines Polizisten noch verschlimmert werden könnte. Heutzutage ist kein Krieg so blutig, dass er nicht noch blutiger gemacht werden kann durch das Einschreiten des ICC (Internationaler Strafgerichtshof). Aus dem luxuriösen Ambiente von Den Haag, unter dem Beifall von Liberalen, die zu einem billigen politischen Erfolgserlebnis kommen, wenn sie sehen, wie weiße Juristen gegen böse Afrikaner auftreten, hat heute der ICC einen Haftbefehl gegen Colonel Gaddafi, einen seiner Söhne und seinen Sicherheitschef erlassen. Dieser Akt eines internationalen moralischen Posierens, der den ICC seriös und erhaben erscheinen lassen soll, wird voraussichtlich die verfahrene Situation in Libyen verfestigen.  

Einerseits scheint die Ausstellung des Haftbefehls nur blödsinnig zu sein. Diese Großkopferten des ICC scheinen so weit von der wirklichen und chaotischen Welt der Politik und des Krieges entfernt zu sein, dass sie ernsthaft glauben, dass es möglich ist, einen Krieg zu einem Ende zu bringen durch die Herausgabe eines Papiers, auf dem geschrieben steht: „Gesucht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Muammar Gaddafi.“ Es sieht so aus, dass sie den Krieg gegen Libyen verwechseln mit einer Gasthausschlägerei in Camberwell und glauben, dass es möglich ist, die ganze erbärmliche Chose durch die Forderung nach der Verhaftung einiger Rädelsführer zu lösen. Es gab einmal Zeiten, in denen pickelige Oberprimaner in schwülstigen Klassenzimmerdiskussionen über Konfliktlösung Dinge gesagt hätten wie: „Hey, verhaften wir doch einfach den Bösewicht!“ Diese Art von politischer Naivität ist jetzt im Internationalen Strafgerichtshof ICC institutionalisiert worden.

Andererseits kann das Räuber und Gendarm-, Cowboys und Indianer-, Aufgeklärter Westen und Dunkler Kontinent-Spiel des ICC unvorhersehbare, möglicherweise gefährliche Folgen haben. Geht man von früheren Fällen der Einmischung des ICC in afrikanische Konflikte aus, wird sich diese Intervention in Libyen wahrscheinlich in zweifacher Beziehung auswirken. Zuerst einmal wird sie dazu führen, dass Gaddafi und seine Kräfte sich noch mehr verschanzen in der Überzeugung, dass es besser ist, mit rauchenden Gewehren unterzugehen als in Den Haag zu landen an der Seite von Karadzic und verschiedenen weiteren verhassten Bösewichten. Zum zweiten wird sie den rebellischen Kräften im Osten des Landes die politische Initiative aus der Hand nehmen, indem sie diesen die letztlich lähmende Botschaft sendet, dass sie besser daran sind, wenn sie darauf warten, dass Kräfte von außen kommen und sie retten – in diesem Fall weiße, Perücken tragende Moralapostel des ICC -, anstatt selbst die Befreiung ihres Landes in Angriff zu nehmen. 

Als der ICC im Jahr 2008 einen Haftbefehl gegen Omar al-Bashir, den Präsidenten des Sudan, erließ, waren dessen Auswirkungen so rasch wie tödlich. Wie es die Afrikanische Union richtig beschrieb, goss der Haftbefehl „Öl in das Feuer“ der verfahrenen Situation zwischen Khartoum und verschiedenen Gruppen von Aufständischen in Darfur. Er untergrub umgehend die Friedensverhandlungen zwischen Khartoum und den Vertretern Darfurs. Warum sollte man sich auch weiterhin bemühen, über eine Lösung zu verhandeln, wenn eine mächtige Kraft von außen bestimmt hat, dass die eine Seite bei den Verhandlungen eine bösartige, wahnsinnige, völkermörderische Einheit ist? Wenig überraschend reagierte die darfurische Gruppierung Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit, die nur wenige Wochen zuvor Friedensverhandlungen zugestimmt hatte, auf diesen Schritt des ICC mit der Absage von jeglichen weiteren Verhandlungen mit Khartoum. Noch schlimmer, die Beschreibung Khartoums als verbrecherische Regierung durch den ICC hatte Auswirkungen auf das zerbrechliche Übereinkommen, das erst kurz zuvor den jahrzehntelangen Konflikt im südlichen Sudan beendet hatte. Elemente im südlichen Sudan fühlten sich ermutigt, ihre Stimme gegen die Regierung in Khartoum zu erheben, nachdem diese vom ICC auf die Ebene eines gewöhnlichen Verbrechers reduziert worden war.  

Dieser Art sind die möglichen Nebenwirkungen des moralischen Geheuls und aufgeblasenen Getues des ICC. Dessen eigennützige Possen mögen ein aufgeregtes Gebrumm in den Cafés in Islington und Paris bewirken, aber sie haben ganz reale physische Konsequenzen für die einfachen Menschen in Afrika. Die schlecht beratene Intervention des ICC in Libyen lässt die Möglichkeit einer Verhandlungslösung, eventuell einer, die zum Rücktritt Gaddafis führen könnte, um einiges schwerer vorstellbar erscheinen. Stattdessen wird Gaddafi sich bedrängt und noch mehr isoliert fühlen und wird daher härter gegen seine Widersacher vorgehen; seine Gegner wiederum werden die Rolle der Lieblingsopfer der internationalen Gemeinschaft übernehmen, deren anhaltendes Kämpfen und Leiden ihnen, wenn sie Glück haben, vielleicht mehr Mitleid von den geltungssüchtigen Größen und den Guten von Den Haag und darüber hinaus eintragen könnten. Dieser Haftbefehl hat einen chaotischen Konflikt nur noch chaotischer gemacht, und das alles nur, um ein paar westlichen Juristen und Beobachtern feuchte moralische Gefühle zu bescheren. Nett.  

 
  Veröffentlicht am 28. Juni 2011 in > The Telegraph > Artikel  
  siehe dazu auch folgende Beiträge:  
  > Jean-Paul Pougala - Die Lügen hinter dem Krieg des Westens gegen Libyen  
  > Paul Craig Roberts - Libyen: Die Washington/NATO-Agenda und der nächste Große Krieg  
  > Alexander Mezyaev - Die Demontage des Internationalen Rechts als neue Strategie der globalen Elite  
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