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  Offensichtlich sind wir alle Weißrussen

Philip Giraldi 

Wieviele Amerikaner können wohl Belarus (Weißrussland) auf einer Landkarte finden? Ich bilde mir ein, in außenpolitischen Angelegenheiten recht gut informiert zu sein, aber ich brauchte zwei Versuche, um es zu finden. Belarus ist immerhin so wichtig, dass der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika derzeit mit dem Belarus Democracy Reauthorization Act of 2011 (Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes über die Demokratie in Belarus) beschäftigt ist, obwohl man annehmen müsste, dass er seine Zeit notwendiger dafür bräuchte, um zu einer Einigung über das neue Bundesbudget zu kommen. Das Gesetz wird „Hilfe zur Förderung von Demokratie und bürgerlicher Gesellschaft in Belarus autorisieren. Diese Gesetzgebung soll gewährleisten, dass der Präsident weitermacht mit den Radio-, Fernseh- und Internetprogrammen im Rahmen der gestiegenen Unterstützung und Finanzierung der entsprechenden Aktivitäten der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und deren Beauftragter in Hinblick auf die Sendungen nach Belarus.“ 

Diese Tätigkeit des Kongresses wäre in etwa vergleichbar mit der Einrichtung einer Sendezentrale durch den Iran in Nordmexiko, um von dort Programme in die Vereinigten Staaten von Amerika auszustrahlen. Als amerikanischer Bürger und Steuerzahlen könnten Sie sich nun fragen, welches Interesse unser Kongress daran hat, die Politik in anderen Ländern zu lenken und Geld für Propagandaanstrengungen hinauszuwerfen, welche laut unserer Verfassung in den Verantwortungsbereich des Präsidenten und des Außenministeriums fallen.

In einer möglichen Neuauflage des Debakels in Georgien, das unter Mitwirkung von Senator John McCain stattfand, der 2008 dieses „Wir alle sind Georgier“ intonierte, wird Belarus umso mehr ins Visier genommen für das, was es ist, als für das, was es macht. Präsident Alexander Lukaschenko ist kaum ein Musterbeispiel für politische Vielfalt, aber er ist auch kein Monster. Belarus wird ständig verspottet als letztes Regime nach sowjetischem Modell in Europa, aber seine zentralisierte Wirtschaft und verstaatlichte Industrie sind beide produktiv und gut geführt. Die Bürger von Belarus haben eine flächendeckende gute medizinische Versorgung und freie Bildung einschließlich der Universitäten, was mehr ist, als man von den Vereinigten Staaten von Amerika sagen kann. Seine Wirtschaft ist eine der stärksten unter den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion, und die Menschen unterstützen allgemein diesen Zustand einschließlich Lukaschenko, aber wenn es nach dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika gehen soll, muss das alles geändert werden. 

Und wenn man ein bisschen tiefer gräbt, würde man herausfinden, dass Belarus in keiner Weise allein dasteht. Im Lauf des letzten Jahrzehnts, in einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten von Amerika an ihre augenscheinliche Bestimmung glaubten, die Welt zu ändern, um sie zu einem besseren Ort zu machen, verabschiedete der Kongress Resolution auf Resolution in Hinblick darauf, wie andere Länder sich benehmen sollten. Viele der Gesetze beinhalten Sanktionen, welche schmerzhafte Strafen für Ungehorsam verhängen.

Gerade in der vergangenen Woche stand Belarus nicht als einziger Gang auf der Speisekarte des Kongresses. Das Repräsentantenhaus beschloss auch mit überwältigender Mehrheit ein Gesetz, das jeden palästinensischen Versuch verurteilt, im September vor den Vereinten Nationen einen eigenen Staat auszurufen, und machte sich damit die Position Israels zu eigen. Wahrscheinlich werden alle Hilfsgelder gestrichen und weitere noch nicht näher bezeichnete Schritte gesetzt, falls die palästinensische Führung bei der Fortführung ihres Plans bleibt. Nur sechs Abgeordnete stimmten dagegen, darunter Ron Paul, der dagegen eine Rede hielt, so wie er auch ans Rednerpult getreten war, um gegen das Belarus-Gesetz aufzutreten. Paul hielt fest, dass die Einmischung der Vereinigten Staaten von Amerika in die inneren Angelegenheiten und Konflikte anderer immer einen schlimmen Ausgang nimmt. Es ist schwer, ein Argument gegen diesen Punkt zu finden, aber keiner der für das Gesetz stimmenden Abgeordneten unternahm auch nur einen entsprechenden Versuch.   

Der Kongress war auch damit beschäftigt, sich um die Bedrohung aus Damaskus zu kümmern. Am Dienstag kam das Tom Lantos Human Rights Hearing (eine Menschenrechtsgruppe bestehend aus einigen Kongressabgeordneten) zusammen, um zu diskutieren, was man mit dem syrischen Regime machen soll, das vielleicht totale Unterdrückung betreibt oder vielleicht auch nicht, je nachdem, wem man Glauben schenkt. Lantos ist tot, aber zu Lebzeiten wurde er als bedeutenderer Vermittler für die illegale Weitergabe von geheimen Informationen an die israelische Regierung betrachtet. Es ist nett zu sehen, dass sein Geist im 112. Kongress weiterlebt, überhaupt wo Syrien ein angrenzender Staat ist, der von Tel Aviv als Feind betrachtet wird. Das Lantos-Treffen wird mitgetragen vom Kongressabgeordneten Frank Wolf aus Virginia, der ein bedeutenderer Empfänger von Geldern des AIPAC („Amerikanisch-israelischer Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten“ – größte israelische Lobbygruppierung) ist. 

In den letzten paar Jahren verabschiedete der Kongress eine Reihe von weiteren Resolutionen und Gesetzen, welche viele Länder betreffen, die er nicht mag. Abgesehen von Belarus, Syrien und Palästina befassten sie sich mehrmals mit dem Iran, Libanon, Somalia, Jemen, Russland und Pakistan. Viele der Ziele kongresslicher Galle sind Staaten mit muslimischer Mehrheit, die irgendwie mit Israel übers Kreuz gekommen sind. Man wird sich mit Recht fragen, was im Kopf des durchschnittlichen Kongressabgeordneten vorgeht, was ihn oder sie glauben lässt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika von vorne herein irgendein Recht haben, sich in die Vorgänge eines souveränen fremden Landes einzumischen, überhaupt wenn dieses Land die Vereinigten Staaten von Amerika weder direkt bedroht oder gar herausfordert. Man wird auch wissen wollen, welche Vorteile es bringt, wenn fremde Regierungen gereizt werden im vollen Wissen, dass das zu keinem guten Ergebnis führen, sondern die fremde Führung verärgern und argwöhnisch gegenüber allem machen wird, was aus Washington kommt.

Noch schlimmer, das Weiße Haus, in dem es einmal vor langer Zeit eine erwachsene Führung gab, ist dem Kongress sogar voraus im „Regimewechsel”-Spiel. Außenministerin Hillary Clinton war Ende Juni in Vilnius, Litauen, wo sie damit prahlte, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika $50 Millionen für die Förderung der Freiheit im Internet ausgegeben und weltweit über 5.000 Aktivisten ausgebildet hat. Wenn Hillary über Freiheit im Internet redet, dann meint sie damit die Entwicklung von Techniken, welche Leute in die Lage versetzen, Internetdienste zu erreichen, sogar wenn es ihre Regierungen verbieten oder technisch schwierig machen. Alec Ross, ihr Chefberater auf diesem Bereich, hat das Internet als „Che Guevara des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet und damit der Technologie ein großes revolutionäres Potential zugeschrieben. Die mit Steuerdollars der Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildeten Aktivisten sind Leute, die in Twitter und anderen sozialen Netzwerkseiten bewandert sind, und die Theorie, die von Clinton und anderen, die auch ihrer Meinung sind, zum Beispiel Tom Friedmann von der New York Times, verkündet wird, ist dass das Chatten im Internet die Kommunikation unter den Widerstandsgruppen ermöglichen und unweigerlich soziale und politische Änderung herbeiführen wird.

Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, Hillary. „Che Guevara“ erwies sich nicht als Freund Washingtons. Der Glaube der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, dass Twitter die Welt politisch verändern wird, ist eine Illusion, genauso ein Schwindel wie die Ansicht, dass Washington Irak und Afghanistan hinkriegen konnte, indem es einmarschierte. Revolutionen machen aufgebrachte Menschen auf den Straßen, die bereit sind, für eine Sache zu sterben, nicht soziale Netzwerke. Nichts beweist, dass das Internet irgendeine größere Rolle bei den Regierungswechseln in Tunesien und Ägypten spielte, und zu welcher Art von Regierung es in den beiden Ländern kommen wird, ist in keiner Weise sicher.

Es wird großzügig übersehen, dass das Internet ein unpolitisches Werkzeug ist, im Prinzip eine passive Maschine, die vom User benützt werden kann. Es ist kein Modell für soziale Neukonstruktion oder politische Aktivitäten, und es zu benutzen heißt noch lange nicht, dass man sich nach Demokratie sehnt. Es funktioniert in zwei Richtungen, wenn man sich mit einer Seite verbindet und beginnt, Informationen auszutauschen. Seine Anonymität bedeutet, dass man, wenn man sich etwa an einer Diskussion beteiligt, nicht weiß, ob der Diskussionspartner ein Student ist oder ein Regierungsbeamter, der eine falsche Identität aufgebaut hat und einen absichtlich mit Falschinformationen versorgt. Viele Länder – darunter die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel – betreiben Regierungsabteilungen zur Überwachung von Internetsites, die als feindlich betrachtet werden, und ihre Angestellten beteiligen sich, um die Diskussionsteilnehmer zu verwirren und die Richtung der Diskussion zu verändern. Manchmal geben sie zu, dass sie Regierungsbeamte sind, aber meistens tun sie das nicht. Es gibt auch eine Reihe privater Organisationen, von denen einige gleichermaßen von Israel oder den Vereinigten Staaten von Amerika finanziert werden, die das Gleiche betreiben.

Auch die totale Freiheit des Internets ist eine Illusion. Eine Reihe von Regimes, die an die Überwachung ihrer Leute glauben, haben herausgefunden, dass das Internet auch als Instrument für die Unterdrückung verwendet werden kann. Es ist nicht besonders schwierig, Dissidenten auf den verschiedenen Websites zu identifizieren, wenn genügend Zeit und Anstrengungen aufgewendet werden. Man braucht nur die Websites zu kennen, auf denen sie sich bewegen, und es ist wie Fische in einem Fass schießen, wenn Verhaftungen in großem Ausmaß betrieben werden wie etwa neulich in Syrien. Wenn man Möglichkeiten entwickelt, das Internet und die Mobiltelefonie auszuschalten, könnte die Regierung schnell herausfinden, dass die Möchtegern-Demonstranten zu abhängig sind von den Technologien und keine andere Möglichkeiten haben, untereinander zu kommunizieren. Ende der Revolution.

Und dann gibt es noch das Problem der effektiven Ausbeutung durch das Internet. Online ist jeder gleich anonym, was heißt, dass eine Neonazi-, ultrareligiöse oder rassistische Gruppe ihre Waren vertreiben kann. In einer Zeit, in der Regierungen in der arabischen Welt fallen wie Kegel, werden die Gruppen, die sich an die politische Spitze vorarbeiten, diejenigen sein, die über eine Führung und definierte Ziele verfügen und die sozialen Netzwerke und andere Medien benützen können, um eine plausible Botschaft zu präsentieren, auch wenn diese Botschaft im Wesentlichen falsch ist. Es gibt keine Tatsachenüberprüfung im Internet. Die Gefahr, dass eine extremistische Gruppe, die es schafft, ein positives Image aufzubauen, an die Macht kommt, ist nur zu real. Um es anders zu sagen, Hillary Clinton hat absolut keine Ahnung, wie sie die Kräfte kontrollieren kann, die sie da vielleicht freisetzt.

Die einfache Lösung für Washington besteht darin, das es sich aus dem Einmischungsspiel ganz und gar zurückzieht, sowohl was die Gesetze und Sanktionen des Kongresses betrifft als auch die Manipulation des Internets durch das Außenministerium. Nichts Gutes kommt dabei heraus, und es besteht immer die Gefahr von unbeabsichtigten Konsequenzen, was heißt, dass es zu sehr schlimmen Ergebnissen kommen kann, wie zum Beispiel al-Qaeda, die bei dem Bemühen geboren wurde, die Russen aus Afghanistan zu vertreiben. Die Weißrussen, Syrer und Palästinenser in Ruhe zu lassen ist wirklich die beste Medizin. 

     
  erschienen am 14. Juli 2011 auf > www.antiwar.com > Artikel  
  siehe dazu auch  
  > Daniel McAdams - Moldawiens ‘Twitter-Revolution’ – made in USA?  
  > Eric Garris - Ron Paul über ‘Demokratie in Belarus’  
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