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  Datumsgrenze Tahrir-Platz  

Eric S. Margolis  

Eric Margolis auf dem Tahrir-Platz

Kairo – Auf dem Tahrir-Platz - dem Zentrum der ägyptischen Revolution - zu stehen ist aufregend und beängstigend. Die explosive Wut, aufgestaute Frustrationen und das Verlangen nach Rache Zehntausender Demonstranten und Schaulustiger brechen wie Wellen über diesen riesigen, unansehnlichen Platz. 

Das ist das Material, aus dem alle Revolutionen gemacht sind. Der Hauch des beinahe giftigen Antidemonstrations-Gases, geliefert von den Vereinigten Staaten von Amerika an die ägyptischen Sicherheitskräfte, hängt noch immer über manchen Stellen. 

Im Abseits der Seitenstraßen warten große Aufgebote von schwarz gekleideten Spezialkräften, bereit zu einem neuen Sturm gegen die Tausenden jungen Demonstranten, die sich auf dem zur Zeit wohl berühmtesten Platz der Welt drängen.  

Bisher wurden mindestens 45 Demonstranten getötet und tausende verletzt durch Gummigeschoße, Kampfgas, Knüppel oder wurden überfahren von Fahrzeugen der Sicherheitskräfte. Zehntausende weitere wurden verhaftet von der Polizei, die nicht für ihre Freundlichkeit bekannt ist.  

Stärker jedoch als die Angst, die über dem Tahrir-Platz hängt, ist die pulsierende Spannung der rohen Revolution und die Hoffnung, dass diese irgendwie Ägypten von Jahrzehnte langer Unterdrückung und Missherrschaft befreien wird.  

Die ersten ehrlichen Wahlen des Landes wurden gerade abgehalten. Sie sollen der erste Schritt sein zur Wahl eines Parlaments mit zwei Kammern, das eine neue Verfassung ausarbeiten wird. Die Militärführung, die wirkliche Macht in diesem Land mit 81 Millionen Einwohnern, verspricht jetzt, im kommenden Juni Präsidentschaftswahlen abzuhalten. 

Das 500.000 Mann starke Militär, bewaffnet und bezahlt mit Milliarden von offener und versteckter jährlicher amerikanischer Hilfe, ist gleich verwirrt wie die Öffentlichkeit in der Frage, was es als nächstes unternehmen soll.  

Seine alte Garde, eng verbunden mit dem Pentagon der Vereinigten Staaten von Amerika und Saudiarabien, will ihre Macht und Privilegien behalten. Die meisten Offiziere jedoch, und ganz bestimmt die Mannschaften haben kein Verlangen danach, gegen die Öffentlichkeit zu kämpfen, die die bewaffneten Streitkräfte schätzt wegen ihrer heroischen Rolle im Krieg 1973 gegen Israel.  

Die bewaffneten Streitkräfte der Türkei, die zweitgrößten der NATO, herrschten auch lange hinter einer Fassade von Politikern. Die Türkei erreichte weder wahre Demokratie noch Rechtsstaat oder einen wirtschaftlichen Aufschwung, bis ihre bulligen Generäle zurück in ihre Kasernen gezwungen wurden – eine Entwicklung, die einen zehnjährigen politischen Kampf erforderte. Ein ähnlich anhaltender Krieg könnte auch Ägypten bevorstehen.  

Der Weg in die Zukunft ist sicher ungewiss. Falls ein Parlament gewählt wird, werden dann das Militär und seine Alliierten im Ausland ihm Macht zugestehen oder seine Befugnisse respektieren? Wird ein Präsident, falls einer gewählt wird, wirkliche Macht ausüben oder nur ein weiteres Aushängeschild sein? Die Ägypter werden sich mit diesen dornigen Fragen beschäftigen müssen, hoffentlich ohne zur Gewalt zu greifen. 

Die größten Gewinne in der laufenden Wahl hat die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit erzielt, der politische Arm von Ägyptens ehrwürdiger Moslem-Bruderschaft. Im Gegensatz zu den irreführenden im Westen verbreiteten Meinungen ist die Bruderschaft eine sehr konservative, ja sogar furchtsame Bewegung, die die islamische soziale Gerechtigkeit befürwortet, nicht gewalttätige Revolution. Junge Ägypter lehnen sie ab als „Partei deines Großvaters.”  

Nächster in der Stimmenanzahl war die al-Nour-Partei, eine Hardline-Salafisten-Gruppe, die einen Staat unter islamischem Gesetz fordert. Ihre starken Gegner sind Liberale, Gemäßigte, die christlichen Kopten (10% der Bevölkerung) und viele Stadtbewohner.  

Weder die Bruderschaft noch al-Nour sind von sich aus anti-westlich. Beide jedoch verlangen wie die meisten Ägypter, dass ihre neue Regierung aufhört, aufgrund des Drucks aus den Vereinigten Staaten von Amerika vor Israel zu knien und setzen sich für die palästinensische Sache ein.

Es könnte allerdings sein, dass Ägypten sich nicht solcher Unabhängigkeit erfreuen können wird. Die Revolution, die den Pharaoh Mubarak stürzte, hat die ägyptische Wirtschaft stark ramponiert. Die politischen Unruhen führten dazu, dass der Tourismus, der 10% der Arbeitskräfte beschäftigt, um über 50% abgefallen ist, obwohl Ägypten ein viel sicherer Platz ist als die Vereinigten Staaten von Amerika oder das Vereinigte Königreich.  

Ägypten ist eine riesige Wüste mit einem Fluss. Beinahe 97% von Ägyptens 81 Millionen Einwohnern leben auf nur 4% seines Landes. Daraus folgt, dass Ägypten sich nicht selbst ernähren kann. Die Hälfte von Ägyptens Nahrungsmitteln kommt aus den Vereinigten Staaten von Amerika in Form von Weizenhilfe. Der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika, ein enger Verbündeter Israels, kontrolliert die Programme, aus denen die ägyptischen Nahrungsmittelimporte bezahlt werden. In diesem Sinne wird also Ägyptens sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln, wie auch mit Waffen, Munition und Ersatzteilen, schwer beeinflusst von den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel.  

Dem entsprechend könnte Ägypten nicht imstande sein, die Stricke zu kappen, die es mit seinen amerikanischen Patronen verbinden. Washington seinerseits scheint so weit auf die Erhaltung von Ägyptens gegenwärtiger militärischer Machtstruktur zu setzen, ungeachtet seines Lobs für den Kampf der Ägypter für die Demokratie.   

Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika wirklich eine reale Demokratie in Ägypten haben wollten, hätten sie diese immerhin schon vor dreißig Jahren einführen können.

 
     
  erschienen am 2. Dezember 2011 auf > www.ericmargolis.com  
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
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