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  Der syrische Schmelztiegel

„Förderung der Demokratie“ und Regimewechsel im Mittleren Osten

Justin Raimondo 

Die Verhaftung und das anhängige Verfahren gegen ausländische „Demokratieaktivisten“ in Ägypten aufgrund von Beschuldigungen, sie hätten gegen die Gesetze verstoßen, die eine Finanzierung von NGOs (Nichtregierungsorganisationen) durch ausländische Regierungen verbieten, hat ein Aufheulen in Washington verursacht. Außenministerin Hillary Clinton warnte öffentlich Kairo, dass das die $1,55 Milliarden an Hilfsgeldern gefährden wird, die die Vereinigten Staaten von Amerika heuer zur Verfügung stellen sollten, aber die Ägypter scheinen davon nicht besonders beeindruckt zu sein. „Die Regierung wird nicht zögern, ausländische Machenschaften ans Licht zu bringen, die die Stabilität unseres Landes gefährden,“ sagte Frau Abu el-Naga im Namen der ägyptischen Regierung. Die staatliche Zeitung Al Ahram berichtete darüber und fügte hinzu: „sie setzt auf das wahre Wesen des ägyptischen Volkes, in der Krise zusammenzukommen.“

Und damit liegen sie sehr richtig, da die amerikanische Regierung in Ägypten weithin verschrieen ist wegen ihrer Unterstützung des Diktators Hosni Mubarak all die Jahre hindurch: in der Tat unterstützte die entrüstete Hillary ihn bis zum allerletzten Augenblick, sogar noch als Ägypter aller Überzeugungen auf die Straßen strömten und seinen Rücktritt forderten – und seinen Kopf.

In Amerika sind die Einschränkungen für die Finanzierung von politischen Gruppen und gemeinnützigen Einrichtungen aus dem Ausland noch strenger als in Ägypten. Gemeinnützige, die als Vermittler für ausländisches Geld in den Vereinigten Staaten von Amerika tätig sind, müssen sich registrieren lassen als Agenturen einer ausländischen Macht und alle ihre Aktivitäten und alle ihre Beziehungen mit ausländischen Staatsbürgern und Regierungen offenlegen. 

Kurz gesagt, die Vereinigten Staaten von Amerika halten sich innerhalb ihrer eigenen Grenzen an einen bestimmten Standard, den sie aber nicht anerkennen, wenn dieser an sie selbst im Ausland angelegt wird. Dieses Verhalten ist typisch für Washington und nur einer der Gründe, warum wir gehasst werden, wohin immer wir gehen. Das Außenministerium stellt den Eingriff hin als einen Versuch der Militärjunta, sich an die Macht zu klammern ungeachtet der Zusage, diese an eine demokratisch gewählte Regierung abzugeben, und laut New York Times sagen sogar die „Menschenrechts“-Gruppen, die am Finanztropf der Vereinigten Staaten von Amerika hängen:  

„Sie glauben, dass die herrschenden Generäle einen begründeten Verdacht hegen gegen das, was sie als ‚fremde Hände’ bezeichnen, welche Unruhen auf der Straße hervorrufen. Ein nicht genannt werden wollender ehemaliger General mit Naheverhältnis zum herrschenden Militärrat blieb dabei, dass Washington wirklich darauf aus war, Ägypten zu destabilisieren, indem es diese Gruppen finanzierte.“

Was wäre, wenn eine fremde Regierung zum Schluss käme, dass die amerikanischen Wahlgesetze „undemokratisch“ sind, zum Beispiel weil sie effektiv dritte Parteien ausschließen und routinemäßig von Amtsinhabern manipuliert werden, die ihre Wiederwahl sichern wollen – und beschließen würde, massiv eine Kampagne zu finanzieren, um diese Gesetze zu ändern? Diese würde schnell abgedreht, daran kann kaum ein Zweifel bestehen. Es soll hier nicht die Rede sein von ausländischen Instanzen, die gewalttätige Straßendemonstrationen finanzieren, wie es von den Vereinigten Staaten von Amerika bezahlte NGOs in den Fällen verschiedener „Farbenrevolutionen“ in Osteuropa und ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien getan haben. Wie viele muslimische und arabische Hilfsorganisationen fielen in den Vereinigten Staaten von Amerika Razzien zum Opfer und wurden ihre Leiter aufgrund von Anklagen wegen „Terrorismus“ gerichtlich verfolgt? Als jedoch die Ägypter das Gleiche in ihrem Land machten, bezeichneten die Amerikaner das als einen Angriff auf die „Zivilgesellschaft“. 

Unter dem Titel des National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie) und von USAID überweist Washington Milliarden Dollars aus Steuergeldern ins Ausland, um die Arbeit von der Regierung finanzierter NGOs zu fördern und schafft damit im Endeffekt die amerikanische Neuauflage der alten sowjetischen Comintern. Mit ihren Agenten, die eingebettet sind in die „Zivilgesellschaft“ auf der ganzen Welt, benützt Washington diese Gruppen, um seine außenpolitische Agenda des „Regimewechsels“ zu verfolgen in den Ländern, deren Machthaber nicht unterwürfig genug gegenüber Amerikas Absichten sind. Wir sahen das in der Ära Bush, als verschiedene „Farbenrevolutionen“ von der Ukraine bis Kirgistan angezettelt wurden durch von den Vereinigten Staaten von Amerika finanzierte – und ausgebildete - Gruppen. Die Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika besteht eindeutig darin, den revolutionären Aufstand zu kooptieren, anstatt ihn zu bekämpfen, und ihn als Mittel zu benützen, die amerikanischen Interessen in der Region voranzutreiben, aber das wirft zwei Fragen auf:

1) Wen und was unterstützen wir, und 2) Ist das ein Segen oder ein Fluch für diejenigen, die unter der Diktatur von, sagen wir, Bashar al-Assad von Syrien leiden? Jacob Heilbrunn drückt es in einem Artikel in The National Interest so aus:

„Offenbar hat das Außenministerium syrische Gruppen und TV-Programme finanziert, die das Assad-Regime attackierten. Die Washington Post berichtet, dass Depeschen von Diplomaten der Vereinigten Staaten von Amerika enthüllen, dass das Außenministerium mindestens $6 Millionen an eine Gruppe namens Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung überwiesen hat – eine Gruppe von syrischen Exilanten, die in London leben.

„Die Bedeutung dieses Zuges scheint klar: Präsident Obama unterstützt, nicht anders als sein Vorgänger George W. Bush, einen Regimewechsel in Syrien. Regimewechsel könnte in Amerikas Interesse liegen, oder auch nicht. Die Diktatur der Assads, Vater und Sohn, war eine hässliche. Aber wer würde sie ersetzen? Weiß Obama das? Hat er eine klare Vorstellung von den Exilanten in London (von denen einige offenbar ehemalige Mitglieder der Moslembruderschaft sind, die Amerika unterstützt hat)? Der Verlauf der amerikanischen Unterstützung solcher Gruppen war nicht immer glücklich. 

„Ein weiteres Problem liegt darin, dass durch die Einmischung in die innerstaatliche Politik Syriens die Obama-Administration die Behauptungen des Regimes legitimiert, es kämpfe gegen ausländische Gegner, die darauf aus sind, das eigene Land zu unterminieren. Denn eines ist gewiss: was Obama hier betreibt, ist eindeutig Subversion. Er unterstützt eine Gruppe, die versucht, die derzeitige syrische Regierung zu stürzen.“

Laut den Medien des Westens geht es in Syrien darum, dass wehrlose Demonstranten von Regierungskräften massakriert werden, aber die Realität ist eine ganz andere, wie der Bericht der Beobachtermission der Arabischen Liga klar macht. Natürlich hörten wir nicht viel von diesem Bericht, als er veröffentlicht wurde: alles, was dem offiziellen Narrativ zuwiderläuft, geht von vorneherein in das Gedächtnisloch und wird nie wieder gesehen. Pepe Escobar berichtet:

„Der Bericht ist unerbittlich. Es gab keine organisierte mörderische Unterdrückung von friedlichen Demonstranten durch die syrische Regierung. Stattdessen weist der Bericht hin auf zwielichtige bewaffnete Banden, die verantwortlich sind für hunderte Tote in der syrischen Zivilbevölkerung und über tausend Tote in der syrischen Armee, welche todbringende Taktiken eingesetzt haben wie Bomben in zivilen Bussen, Bomben gegen Züge, die Diesel transportierten, Bomben gegen Polizeibusse und Bomben gegen Brücken und Pipelines.“

Der Bericht selbst hält fest:

„Die Mission stellte fest, dass es eine bewaffnete Gruppierung gibt, die im Protokoll nicht erwähnt wird. Diese Entwicklung auf dem Boden kann zweifelsohne dem exzessiven Einsatz von Gewalt durch die syrischen Regierungskräfte zugeschrieben werden, mit der diese auf Proteste vor der Entsendung der Mission reagiert hat, die den Sturz des Regimes forderten. In einigen Gebieten reagierte diese bewaffnete Gruppierung, indem sie syrische Sicherheitskräfte und Bürger angriff, was die Regierung veranlasste, mit weiterer Gewalt vorzugehen. Letztendlich bezahlen unschuldige Bürger für diese Aktionen mit Leib und Leben.“

Wer oder was ist diese „bewaffnete Gruppierung, die im Protokoll nicht erwähnt wird“ – auch nicht in vielen der Nachrichtenmeldungen über die Ereignisse in Syrien? Woher bekommen sie ihre Waffen? Stratfor meint hauptsächlich aus dem Libanon, aber da ist auch die Grenze mit der Türkei:

„Die Nachschubwege aus dem Libanon sind die wichtigsten für die FSA, da sie am nächsten zu entscheidenden Hochburgen der Opposition in und um die Hauptstadt und in die Städte mit sunnitischer Mehrheit Homs und Hama verlaufen. Die durchlässige syrisch-türkische Grenze kann von der FSA am sichersten überschritten werden. Ankara hat bereits einige Flüchtlingslager für Syrer an der türkischen Grenze eingerichtet und den Führungen von FSA und Syrischem Nationalrat Aufenthalt gewährt. Geheime ausländische Unterstützung für die FSA findet wahrscheinlich ebenfalls auf der türkischen Seite der syrischen Grenze statt, wo Vorräte geschützt werden können und die türkischen Streitkräfte einige Deckung für FSA-Rebellen bieten können, die sich von und nach Syrien bewegen.

Der Antiwar.com-Kolumnist und ehemalige Geheimdienstoffizier Phil Giraldi drückt sich eindeutiger aus:

„Unmarkierte Kriegsflugzeuge der NATO treffen in den türkischen Militärstützpunkten nahe Iskenderun an der syrischen Grenze ein, und liefern Waffen aus den Arsenalen des getöteten Muammar Gaddafi und Freiwillige des libyschen Übergangsrates, die Erfahrung haben im Vorgehen lokaler Freiwilliger gegen ausgebildete Soldaten, gelernt im Kampf gegen Gaddafis Armee. Iskenderun ist auch der Sitz der Free Syrian Army (FSA – Freie Syrische Armee), des bewaffneten Armes des Syrian National Council (syrischen Nationalrats). Ausbildner der französischen und britischen Spezialkräfte befinden sich dort und helfen den syrischen Rebellen, während die CIA und Spezialkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika Kommunikationsgeräte und Geheimdienstinformationen zur Verfügung stellen, wodurch sie den Kämpfern ermöglichen, Konzentrationen von syrischen Soldaten auszuweichen.“

Der libysche „Nationale Übergangsrat” gab seine Unterstützung für die syrischen Rebellen bekannt und schickte 600 Kämpfer an die türkische Grenze. Finanziert und unterstützt von Qatar, Saudiarabien und der Türkei ist die „Freie syrische Armee“ darauf aus, einen Krieg der Konfessionen zu entzünden, indem sie Sunniten gegen Alawiten und Christen aufhetzt. Ihre „Abu Bakr Brigade,“ die aus Libyen kommt und von der es heißt, sie sei von al-Qaeda rekrutiert worden, verbreitet anti-Alawiten-Videos im Rahmen ihrer Propagandaoperation. Diese Gruppe hat sich zu verschiedenen Angriffen auf iranische Ziele bekannt, insbesondere zur Sprengung eines iranischen Militärflugzeugs mit 302 Soldaten an Bord im Jahr 2003. Die Rebellen ärgern sich besonders über das, was sie als wachsenden iranischen Einfluss in Syrien charakterisieren, was ebenfalls auf die konfessionelle Komponente ihrer Sache hinweist.

Während Ägypten in die Umarmung der Moslembruderschaft gerät und die Vereinigten Staaten von Amerika wie man sagt „gemäßigte Islamisten“ in Syrien und anderswo unterstützen, wird die Lage von Christen und Ungläubigen in der Region zunehmend problematisch. Die Ägypter sehen, was in Syrien vor sich geht und versuchen zu verhindern, dass sich das von den Vereinigten Staaten von Amerika gesponserte Chaos ausbreitet.

Proponenten von „soft power“ („weiche Kraft“) bezeichnen diese oft als friedliche Alternative zum Einsatz von „hard power“ („harte Kraft“), aber in Wirklichkeit ist die erstere nur das Vorspiel zu letzterer. Die „Förderung von Demokratie“ bereitet die Bühne für militärische Intervention, indem sie als ersten Schritt die Begründung liefert für einen Regimewechsel und als zweiten das Personal zur Verfügung stellt. Die Radiostation der syrischen Rebellen mit ihrem Hauptsitz in London hat Millionen unserer Steuerdollars bekommen, während unsere Spione sie ausgebildet und mit Waffen versorgt haben. Die Grenze zwischen „weich“ und „hart“ ist immer schwieriger auszumachen.

Als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, unterstützten die Vereinigten Staaten von Amerika die afghanischen Mudschahedin – Präsident Reagan bezeichnete sie als „Freiheitskämpfer.“ Das war die Wiege, aus der al-Qaeda schlüpfte. Welche neuen Monstren erschaffen wir im syrischen Schmelztiegel?

 
     
  erschienen am 6. Februar 2012 auf > www.antiwar.com > Artikel  
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