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  Die Schrift an der Wand in Kabul

Eric S. Margolis  

Eine von meinen Lieblingskünstlern ist die hervorragende viktorianische Malerin Lady Jane Butler, die die Triumphe und Tragödien des britischen Weltreichs in Öl festhielt.

Ihr beeindruckendes Gemälde „Der Rückzug aus Kabul" (>>> LINK) stellt den einzigen Überlebenden einer britischen Armee von 16.500 Mann dar, Dr. William Brydon, der den Weg aus Afghanistan im Januar 1842 gerade noch geschafft hat. Alle anderen waren von afghanischen Stammeskämpfern getötet worden nach einem vergeblichen Versuch, Kabul zu besetzen.

Dieses eindrucksvolle Gemälde hätte über dem NATO-Gipfeltreffen letzte Woche in Chicago hängen sollen, um die Vereinigten Staaten von Amerika und deren Alliierte daran zu erinnern, dass Afghanistan „der Friedhof der Weltreiche“ bleibt. 

Das letzte Weltreich, das Afghanistan zu erobern versucht hat, hat es nicht geschafft und bläst jetzt zum Rückzug.

All die heiße Luft in Chicago betreffend „Übergang,” afghanische Eigenverantwortung und wachsende Sicherheit konnten die Wahrheit nicht verbergen, dass die mächtigen Vereinigten Staaten von Amerika und ihre westlichen HiWis in Afghanistan von einem Haufen von Gebirgskämpfern aus dem 12. Jahrhundert besiegt worden sind.

Das Ziel des Krieges ist es, politische Ziele zu erreichen, nicht Menschen zu töten. Das Ziel der Vereinigten Staaten von Amerika war es, Afghanistan zu einem Protektorat zu machen, mit Stützpunkten nahe am Erdöl des Kaspischen Beckens - und China zu blockieren. Nach einem elf Jahre dauernden Krieg, der eine Billion Dollar kostete, wurde dieses Ziel nicht erreicht – das ist eine militärische und politische Niederlage. 

Die Vereinigten Staaten von Amerika zogen die NATO in einen Krieg hinein, in dem diese nichts zu suchen hatte und keinerlei öffentliche Unterstützung genoss. Das Ergebnis: eine ernsthafte Schwächung der NATO-Allianz und die aufkommende Frage, wessen Interessen diese wirklich dient. Die Niederlage in Afghanistan wird die dominierende Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika in Westeuropa unterminieren. 

In Chicago geäußerte Behauptungen, das von den Vereinigten Staaten von Amerika installierte afghanische Regime werde auf eigenen Beinen stehen mit $4 Milliarden Hilfe aus dem Westen, waren unrealistische Hoffnungen. Sobald die Unterstützung durch die Vereinigten Staaten von Amerika aufhört, wird das Karzai-Regime kaum länger überleben als Najibullahs kommunistisches Regime in Kabul, nachdem dessen sowjetische Sponsoren 1989 abzogen. Oder das von den Vereinigten Staaten von Amerika betriebene südvietnamesische Regime, das 1975 zusammenkrachte.

Bei den derzeit 350.000 Mann der Armee und Polizei der afghanischen Regierung handelt es sich um Söldner, die für Geld kämpfen, das von den Vereinigten Staaten von Amerika und von der NATO kommt. Viele von diesen sind Usbeken und Tadschiken, Blutsfeinde der paschtunischen Mehrheit. Die Taliban und ihre Verbündeten kämpfen für das eigene Land und den Glauben. Die Geschichte sagt uns, wer siegen wird.

Alle Afghanen wissen, dass die westlichen Mächte besiegt worden sind. Die Gewitzten arrangieren sich bereits mit den Taliban. Nachdem Rache eine in Ehren gehaltene afghanische Sitte ist, können diejenigen, die eng mit den ausländischen Besatzern kollaboriert haben, wenig Gnade erwarten.

Luftüberlegenheit ist der Schlüssel zur Kontrolle Afghanistans durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Kriegsflugzeuge und Kampfhelikopter kreisen ständig in der Luft, um Stützpunkte des Westens und Nachschubrouten zu verteidigen. Wird diese Luftmacht reduziert, was wahrscheinlich nach 2014 geschehen wird, werden die verbleibenden Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika in Gefahr sein. Pakistans zeitweilige Schließung der Nachschubrouten der NATO auf dem Land nach Kabul und Kandahar vermittelt einen Eindruck von dem, was dann geschehen wird. Zur Zeit sind die Vereinigten Staaten von Amerika bezüglich eines großen Teils ihres schweren Nachschubs auf Russland angewiesen.  

Man zerbricht sich bereits den Kopf darüber, wie man die Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika und der NATO aus Afghanistan herausbekommt. Frankreichs neuer Präsident Francoise Hollande bestätigte klugerweise sein Versprechen, alle französischen Soldaten noch heuer abzuziehen. Andere NATO-Mitglieder wünschen, sie könnten das Gleiche tun. Niemand will, dass seine Soldaten als letzte in einem sinnlosen Krieg sterben, von dem jeder weiß, dass er verloren ist. 

Um den Krieg gegen Afghanistan zu führen und aufrecht zu erhalten, waren die Vereinigten Staaten von Amerika gezwungen, Pakistan praktisch zu besetzen, seine politische Führung zu bestechen und Islamabad zu zwingen, eine Politik zu verfolgen, die bei 95 Prozent seiner Bevölkerung verhasst war und virulenten Antiamerikanismus hervorrief. Der Krieg gegen Afghanistan muss beendet werden, ehe er Pakistan zerreisst und Südasien in eine Krise stürzt, in die wahrscheinlich auch das atomar bewaffnete Indien hineingezogen wird.

Washington beabsichtigt, nach dem für 2014 angekündigten Rückzug Garnisonen in Afghanistan zu belassen, die dann „Ausbildner“ heißen statt Kampftruppen. Ihre Aufgabe wird darin bestehen, das proamerikanische afghanische Regime an der Macht zu halten. Aber weder die Vereinigten Staaten von Amerika noch die NATO werden für die $4 Milliarden aufkommen, die in Chicago versprochen wurden.

Washington möchte, dass sich Indien immer weitgehender in Afghanistan engagiert – ja sogar dessen neue Kolonialmacht wird. Indien wäre gut beraten, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen. 

In einem zweiten „Rückzug aus Kabul“ könnte den verbleibenden Garnisonen der Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan das gleiche Schicksal blühen wie den britischen Eindringlingen 1842, welche abgeschnitten, aus dem Hinterhalt angegriffen und in Stücke gehackt wurden von den grimmigen paschtunischen Stammeskämpfern. 

     
  erschienen am 26. Mai 2012 auf > www.ericmargolis.com > Artikel auf HUFFINGTON POST  
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