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  Wer waren die Patrioten und wer die Verräter in Nazideutschland?

Jacob G. Hornberger

 

Seit meiner Kindheit habe ich immer wieder Amerikaner fragen hören: „Wie konnten die Deutschen dem Naziregime erlauben, seine bösen Handlungen zu begehen?“

Nun, hier ist die Antwort auf diese Frage: Die Deutschen hatten die selbe verdrehte und verzerrte Auffassung von Patriotismus, wie sie die amerikanischen Mitläufer von heute haben.

Die überwiegende Mehrheit der deutschen Bürger glaubte, dass es ihre moralische Pflicht sei, in Zeiten der Krise ihre Regierung bedingungslos zu unterstützen, besonders als das Land in den Krieg zog. Der gute Bürger fragte nicht, ob seine Regierung im Recht oder Unrecht war. Der gute Bürger setzte sein Vertrauen in das Urteil und die Entscheidungen seiner Regierungsvertreter, besonders in der Zeit von Krise und Krieg.

Das ist es, was Patriotismus für die Deutschen während der 1930er und 1940er bedeutete. Der gute Bürger – derjenige, der sich der Autorität unterwarf – wurde als Patriot betrachtet.

Was war mit den deutschen Bürgern, die sich weigerten, sich der Autorität zu unterwerfen, die eine unabhängige Meinung hatten – die die Politik der Regierung mit kritischem Auge betrachteten – diejenigen, die eine falsche Politik der Regierung in Frage stellten, herausforderten und dagegen auftraten? Diese wurden als schlechte Bürger betrachtet – als Verräter.

Das beste Beispiel für dieses Phänomen bietet die Geschichte der Weissen Rose, einer Organisation, die hauptsächlich aus deutschen Universitätsstudenten bestand. Wenn Sie den Film „Sophie Scholl - The Final Days“ (Sophie Scholl - Die letzten Tage) nicht gesehen haben, lege ich Ihnen diesen sehr ans Herz (Hinweis: ist auf YouTube zu finden). Sophie Scholl und ihr Bruder Hans waren Mitglieder der Weissen Rose. 

Wenn Sie sich den Film ansehen, achten Sie besonders auf die Gerichtsszene, in welcher der vorsitzende Richter Roland Freisler scharf gegen die Angeklagten Hans und Sophie Scholl losgeht. Sie werden dabei etwas bemerken: Freislers Einstellung ist die gleiche wie die von heutigen amerikanischen Mitläufern, die Edward Snowden verurteilen. Nach Freislers Ansicht waren die Geschwister Scholl schlechte Deutsche. Sie waren Verräter. Ihre Eltern hatten sie zu verachtenswerten Kreaturen erzogen.  

Was hatten die Geschwister Scholl getan? Was war ihr „Verbrechen“? Sie hatten ihre Regierung mitten im Zweiten Weltkrieg kritisch betrachtet. Sie hatten befunden, dass sich ihre eigene Regierung im Unrecht befand – dass sie in unrechtmässige Sachen verwickelt war. Im Wissen, dass sie ihr Leben oder Freiheit aufs Spiel setzten, verstiessen sie gegen das Gesetz, indem sie geheim eine Reihe von Flugblättern unter dem Titel „Die Weisse Rose“ veröffentlichten und verteilten, in denen sie die Menschen in Deutschland aufforderten, sich zu erheben, das Fehlverhalten einzustellen und Deutschland auf einen richtigen Weg zu bringen.

Sie wurden erwischt, in erster Linie aufgrund des umfassenden Überwachungssystems des Naziregimes über die Menschen in Deutschland. Ein Hausmeister sah, wie sie Weisse Rose- Flugblätter in den Hof der Schule warfen, und als guter kleiner Bürger, der er war, sperrte er die Türen ab und rief die Gestapo. Hitler und seine Gesinnungsgenossen betrachteten ihn als Patrioten.

Nicht überraschend wurden Hans und Sophie Scholl schnell verurteilt und wegen Verrats mit der Guillotine hingerichtet. Immerhin ist das Gesetz das Gesetz und es wird von den Bürgern erwartet, dass sie dem Gesetz gehorchen, was auch amerikanische Mitläufer uns im Fall von Edward Snowden unaufhörlich vorbeten. 

Nebenbei bemerkt wäre ich nachlässig, wenn ich nicht darauf hinweisen würde, dass das Verfahren gegen die Geschwister Scholl nicht vor einem regulären deutschen Gericht stattfand. Nach dem terroristischen Angriff auf den Reichstag und nachdem einige der in diesem Verfahren wegen Terrorismus Angeklagten freigesprochen worden waren, richtete Hitler ein eigenes Gericht namens „Volksgerichtshof“ ein, um dort Fälle von Terrorismus und Verrat zu behandeln. Sein Zweck? Um sicher zu stellen, dass keine Terroristen und Verräter mehr freigesprochen wurden.

Ein weiterer interessanter WWII-Film ist Downfall (Der Untergang – auch auf YouTube), der von Hitlers letzten Tagen in seinem Bunker in Berlin handelt. Der Film dreht sich um seine junge Sekretärin Traudl Junge. Am Ende des Films gibt die wirkliche Traudl Junge eine Erklärung ab. Sie betont, dass das letzte, was sie dabei dachte, als sie die Stelle als Hitlers Sekretärin annahm, war, dass sie irgendetwas falsches machte. 

Immerhin hielt es Junge mit der gleichen Vorstellung von Patriotismus, mit der es die meisten anderen Deutschen hielten – die gleiche, mit der es die heutigen amerikanischen Mitläufer halten. Ihre Arbeit als gute deutsche Bürgerin war, auf der Seite der Regierung zu stehen, besonders während Krisen und Krieg.

Junge wies jedoch in Der Untergang darauf hin, dass sie, als sie nach dem Krieg von den Geschwistern Scholl erfuhr, realisierte, dass sie die gleiche Art von Fragen hätte stellen sollen, die Hans und Sophie Scholl gestellt hatten. Als sie von Hans und Sophie Scholl erfuhr änderte sich ihre Vorstellung von Patriotismus.

Heutzutage verurteilen amerikanische Mitläufer Edward Snowden, weil er das Gesetz gebrochen und gegen seinen Eid als Regierungs-Subkontraktor verstossen hat, das massive Überwachungssystem vor den Menschen Amerikas geheim zu halten, das der nationale Sicherheitsstaat geheim über die Amerikaner und einen grossen Teil der übrigen Welt gestülpt hat. Mitläufer sagen, dass Snowden ein schlechter Bürger und eine schlechte Person ist. Sie bezeichnen ihn als Verräter. Sie sagen, dass er vor Gericht gestellt werden muss, vielleicht sogar vor das Sondertribunal des nationalen Sicherheitsstaates in Guantánamo Bay.

Welche Rolle spielt das Gewissen in der Vorstellung des amerikanischen Mitläufers in puncto Patriotismus und Verrat? Für den Mitläufer muss das Gewissen den Erfordernissen des nationalen Sicherheitsstaates untergeordnet werden. Alles, was für den Mitläufer zählt, ist die nie endende Loyalität, die die Angestellten, Vertragspartner und Subkontraktoren (und die amerikanischen Bürger) dem nationalen Sicherheitsstaat schuldig sind sowie ihrem Eid, dessen Geheimnisse zu beschützen. 

Für den Mitläufer ist der nationale Sicherheitsstaat alles. Er ist Gott. Er ist Papi, Er ist der grosse Bruder. Alles andere einschliesslich Gewissen muss der „nationalen Sicherheit“ und den Eiden, Gesetzen und Regeln des nationalen Sicherheitsstaates untergeordnet werden.

Die Gefechtslinien formieren sich im Fall von Edward Snowden.

Auf der einen Seite befinden sich die Mitläufer, für die Patriotismus einen bedingungslosen Treueschwur gegenüber dem nationalen Sicherheitsstaat und seinen tiefen und dunklen schändlichen Geheimnissen bedeutet, bei denen es um schwerwiegende Übergriffe gegen Freiheit und ungestörte Privatsphäre geht.

Auf der anderen Seite stehen die Libertären und ein paar Liberale und Konservative, für die Gewissen und Freiheit an oberster Stelle stehen.

Die Zeit wird zeigen, welche Seite gewinnt. Die Zeit wird zeigen, in welche Richtung Amerika geht.

 
     
  erschienen am 12. Juni 2013 auf > THE FUTURE OF FREEDOM FOUNDATION > Artikel  
  Archiv > Artikel von Jacob G. Hornberger auf antikrieg.com  
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