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  EU-Grenzschutz in Iran

German Foreign Policy

 

BERLIN/BRÜSSEL/TEHERAN (Eigener Bericht) - Deutschland und die EU dringen auf den Abschluss eines Flüchtlingsabwehrpakts mit Iran. Die Brüsseler Chefaußenpolitikerin Federica Mogherini hat am Wochenende einen "Dialog" mit Teheran über "das Thema Migration" angekündigt. Dabei geht es um bis zu vier Millionen afghanische Flüchtlinge, die in Iran leben; ihre Weiterreise in die EU soll unterbunden werden. Bereits Mitte März hatte sich der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dafür ausgesprochen, mit Teheran - ähnlich wie mit Ankara - Gespräche über die Flüchtlingsabwehr aufzunehmen; man müsse auch in Iran versuchen, "die Sicherung der EU-Außengrenzen schon vor Erreichen der eigentlichen Grenze wirksam werden zu lassen". Ministerpräsident Weil ist am Wochenende in die iranische Hauptstadt gereist, um - nach dem Ende der EU-Sanktionen - den Ausbau der deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen voranzubringen. Die deutsche Wirtschaft hofft auf Milliardengeschäfte mit hohen Profiten. Die EU bestätigt unterdessen, dass rund 80.000 Afghanen "in naher Zukunft" abgeschoben werden sollen - in ihr kriegszerstörtes Herkunftsland. Allein in Deutschland ist schon jetzt eine hohe vierstellige Zahl betroffen; sie nimmt mit der hohen Zahl abgelehnter Asylanträge kontinuierlich zu.

Zuflucht in Iran

Iran ist für afghanische Flüchtlinge, die in der EU Zuflucht suchen wollen, sowohl Durchreise- als auch Ausgangsland. Zum einen bemühen sich vor allem seit vergangenem Jahr viele Afghanen, auf dem Landweg aus ihrem Herkunftsland über Iran in die Türkei zu gelangen, um sich von dort auf die griechischen Inseln durchzuschlagen. Zum anderen treten immer wieder auch afghanische Flüchtlinge die Reise nach Europa an, die bereits seit längerer Zeit - zum Teil schon seit Jahrzehnten - in Iran leben. Das Land beherbergt zur Zeit laut Angaben des UNHCR beinahe eine Million afghanische Flüchtlinge. Hinzu kommen nach unterschiedlichen Schätzungen weitere 1,5 bis drei Millionen Afghanen, die sich dort ohne offiziellen Flüchtlingsstatus aufhalten. Bereits in den 1980er Jahren flohen Afghanen in hoher Zahl nach Iran - als Opfer eines Krieges, der damals von den westlichen Staaten, darunter auch der Bundesrepublik, aus weltpolitischen Überlegungen energisch befeuert wurde: Es ging darum, der sowjetischen Armee am Hindukusch eine Niederlage zu bereiten. Bonn unterstützte die Aufständischen, bundesdeutsche Soldaten nahmen an ihrer Seite in geheimer Mission sogar an Kampfhandlungen teil (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Um die Menschen dagegen, die vor dem Krieg flohen, kümmerte Bonn sich damals nicht; Zuflucht gewährte ihnen neben Pakistan vor allem Iran.

Bürger zweiter Klasse

Die Verhältnisse, unter denen die bis zu vier Millionen Afghanen heute in Iran leben, sind prekär. Viele von ihnen müssen sich als Tagelöhner verdingen, um sich und ihre Familien mit Hungerlöhnen über die Runden zu bringen. Afghanische Flüchtlinge dürfen bestimmte Gebiete nicht betreten, sind also in ihrer Bewegungsfreiheit deutlich eingeschränkt - nicht unähnlich Asylbewerbern und Menschen mit Duldungsstatus in Deutschland, die ebenfalls bestimmte Gebiete nicht verlassen dürfen ("Residenzpflicht"). Die erst kürzlich zurückgefahrenen Sanktionen des Westens haben die ökonomische Lage in Iran erheblich verschlechtert, was sich in hohem Maß auf die Lebenssituation der Flüchtlinge ausgewirkt hat. Hinzu kommt, dass Teheran, gleichfalls bedingt durch die Sanktionen, jahrelang so gut wie keine finanzielle Unterstützung aus den wohlhabenden westlichen Staaten für die Flüchtlingsversorgung erhalten hat - obwohl die Afghanen bis heute einem Krieg entfliehen, den die westlichen Besatzungsmächte am Hindukusch mit verantworten.[2] Bereits vor Jahren ist dokumentiert worden, dass die iranischen Behörden afghanische Flüchtlinge ohne regulären Aufenthaltsstatus in hoher Zahl nach Afghanischen abschieben; 2011 sollen es fast 150.000 gewesen sein, 2012 sogar durchschnittlich 700 am Tag, insgesamt über eine Viertelmillion. Die Möglichkeiten, in Iran Flüchtlingsstatus zu erhalten, sind de facto deutlich eingeschränkt.[3]

Flüchtlingsabwehrpakt

Im Bestreben, Europa gegen Flüchtlinge abzuschotten, nehmen Deutschland und die EU nach den syrischen Flüchtlingen in der Türkei nun auch die afghanischen Flüchtlinge in Iran ins Visier. Aus Afghanistan machten sich "Menschen in einer Zahlengröße auf den Weg, die uns aus europäischer Sicht erschrecken muss", äußerte Mitte März der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): "Darüber sollten wir mit dem Iran sprechen".[4] In den "Gesprächen" mit Teheran müsse es "gegebenenfalls" um "eine Aufnahme von noch mehr Flüchtlingen" gehen - nicht in der EU, sondern in Iran. Iran (annähernd 80 Millionen Einwohner) kam 2015 auf ein Bruttoinlandsprodukt von knapp 400 Milliarden US-Dollar; allein Deutschland (knapp 82 Millionen Einwohner) erzielte im selben Jahr ein Bruttoinlandsprodukt von mehr als drei Billionen Euro (3,4 Billionen US-Dollar). In Afghanistan, von wo die Menschen in Scharen fliehen, sind nicht iranische, sondern deutsche Truppen stationiert. Wie der SPD-Politiker Weil verlangt, müsse man auch in Iran "versuchen, die Sicherung der EU-Außengrenzen schon vor Erreichen der eigentlichen Grenze wirksam werden zu lassen". Der Abschiebepakt mit der Türkei sei hilfreich, genüge jedoch nicht.

"Dialog über Migration"

Während der niedersächische Ministerpräsident am Wochenende nach Teheran reiste, um dort nach dem Ende der EU-Sanktionen den deutsch-iranischen Handel anzukurbeln - der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält eine Verdoppelung der deutschen Iran-Exporte binnen fünf Jahren auf annähernd fünf Milliarden Euro pro Jahr für realistisch [5] -, nahm die EU-Chefaußenpolitikerin Federica Mogherini in der iranischen Hauptstadt offiziell Gespräche über eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingsabwehr auf. Mogherini, die ebenfalls vor allem nach Iran gereist war, um der Wirtschaftskooperation neuen Schwung zu verleihen und gemeinsame Vorhaben auf dem Energiesektor in die Wege zu leiten, kündigte einen intensiven "Dialog" über "das Thema Migration" an. Brüssel wolle Teheran in einem ersten Schritt 6,5 Millionen Euro als "Soforthilfe" für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, hieß es; es gehe um eine "neue Ära" der Kooperation.[6]

"Wirtschaftsflüchtlinge"

Unterdessen müssen zehntausende afghanische Flüchtlinge, denen es gelungen ist, die EU zu erreichen, in nächster Zeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Entsprechende Pläne, die bereits im März bekannt wurden, bestätigt nun die EU-Kommission. Demnach seien im vergangenen Jahr gut 213.000 Afghanen in die EU gelangt; von ihnen hätten bereits rund 176.900 Asylanträge gestellt. Dabei sei die Anerkennungsquote von 45 Prozent im Jahr 2014 auf 60 Prozent im zweiten und dritten Quartal 2015 gestiegen - ein Ausdruck "der sich verschlechternden Sicherheitslage und der Drohungen, denen die Menschen ausgesetzt sind".[7] Dennoch könne man afghanische Flüchtlinge "unterteilen" - in diejenigen, denen Asyl zustehe, und andere, die lediglich "Wirtschaftsflüchtlinge" seien. 80.000 von ihnen müssten womöglich "in naher Zukunft" an den Hindukusch abgeschoben werden, heißt es in einem auf den 3. März datierten internen Papier der EU-Kommission.

Ausreisepflichtig

Eine Sprecherin der EU-Kommission hat die Pläne in der vergangenen Woche bestätigt - und erklärt, abgelehnte Asylbewerber hätten keinerlei "Bedarf an internationalem Schutz". "Irreguläre" Flüchtlinge abzuschieben sei zudem ein "zentrales Element" der EU-Migrationspolitik.[8] Die EU-Migrationspolitik entspricht demnach in dieser Hinsicht derjenigen Irans, das afghanische Flüchtlinge ohne regulären Aufenthaltsstatus ebenfalls abschiebt - wobei die Zahl der in Iran lebenden Afghanen die Zahl derjenigen, die in der weitaus größeren EU Zuflucht suchen, um ein Vielfaches übersteigt. Im Februar hat die Bundesrepublik, wohl auf künftige Massenabschiebungen einstimmend, 125 Afghanen in einer "freiwilligen Rückkehr" an den Hindukusch verbracht.[9] Das sei - ebenso wie Abschiebungen - möglich, weil es auch im kriegserschütterten Afghanistan "sichere" Gebiete gebe, hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière zuvor behauptet.[10] In Deutschland hielten sich bereits zum Stichtag 31. Oktober 2015 7.654 ausreisepflichtige Afghanen auf. Von den 105.366 Afghanen, die insgesamt in der Bundesrepublik lebten, genossen nur 15.087 unbefristeten Aufenthalt, 39.462 verfügten zumindest über befristete Aufenthaltsrechte. Allein von Januar bis März stellten 20.257 Afghanen einen Asylantrag in Deutschland; weitere Anträge gehen laufend ein. Bei einer Anerkennungsquote, die dem EU-Durchschnitt von 60 Prozent entspräche, kämen zu den schon bisher ausreisepflichtigen Afghanen zahlreiche weitere hinzu.

Mehr zum Thema: Die europäische Lösung, Die europäische Lösung (II), Massenabschiebung als Modell und Das Leiden des anderen.

[1] S. dazu Der Krieg kehrt heim (II).
[2] S. dazu
Weiter scheitern und Weiter scheitern (II).
[3] Unwelcome Guests. Iran's Violation of Afghan Refugee and Migrant Rights. November 2013.
[4] Weil fordert Gespräche mit Iran über Migranten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.03.2016.
[5] S. dazu
Eine neue Ära in Mittelost und Eine neue Ära in Mittelost (II).
[6] EU und Iran wollen "neue Ära" der Zusammenarbeit. www.handelsblatt.com 16.04.2016.
[7] Joint Commission-EEAS non-paper on enhancing cooperation on migration, mobility and readmission with Afghanistan. Brussels, 3 March 2016.
[8] Daniel Mützel: Exklusiv: Die geheimen Abschiebepläne der EU. www.euractiv.de 13.04.2016.
[9] Freiwillige Rückkehr afghanischer Staatsangehöriger aus Deutschland. www.bmi.bund.de 24.02.2016.
[10] "Es gibt kein Begrüßungsgeld in Deutschland". www.tagesschau.de 01.02.2016.

 
 
 
erschienen am 18. April 2016 auf > German Foreign Policy > Artikel
 
  Herzlichen Dank den Kollegen von German Foreign Policy, einer Website, die ich täglich lese und die ich uneingeschränkt empfehle.  
 
Einige Lesetips aus dem Archiv:
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