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  >>> Verbrechen gegen den Frieden? Na und?  
     
  Damit sie nicht in der "Versenkung" verschwinden, finden Sie hier gelegentlich Artikel aus dem Archiv, die meiner Ansicht nach besonders gute Einblicke bieten. Der folgende Artikel von Ron Unz ist rund fünf Jahre alt und leuchtet hinter die Kulissen des Theaters, das rund um die Uhr unter dem Titel "Information" läuft.  
     
 

Chinas Aufstieg, Amerikas Niedergang

Welche Supermacht wird mehr von ihren „extrahierenden Eliten” bedroht?

Ron Unz 

 

Der Aufstieg Chinas zählt sicher weltweit zu den wichtigsten Entwicklungen der letzten 100 Jahre. Während Amerika im fünften Jahr seiner Krise gefangen ist und die chinesische Wirtschaft dabei ist, die unsere noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts zu überholen, zeichnet China sich mächtig am Horizont ab. Wir leben in den ersten Jahren des von Journalisten einst als „Das Pazifische Jahrhundert“ bezeichneten Zeitraums, besorgniserregende Zeichen deuten allerdings darauf hin, dass dieses stattdessen unter dem Begriff „Das Chinesische Jahrhundert“ bekannt werden wird.

Aber hat der chinesische Riese tönerne Füße? In ihrem vor kurzem veröffentlichten Buch Why Nations Fail (Warum Staaten scheitern) charakterisieren die Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und James A. Robinson Chinas herrschende Eliten als „extrahierend“ – parasitär und korrupt – und sagen voraus, dass das chinesische Wirtschaftswachstum bald stocken und abfallen werde, während Amerikas „inklusive“ regierende Institutionen uns von Stärke zu Stärke gebracht haben. Sie argumentieren, dass ein Land, das als Einparteienstaat regiert wird und nicht über die freien Medien oder Kontrolleinrichtungen unseres eigenen demokratischen Systems verfügt, in der modernen Welt nicht lange prosperieren kann. Der begeisterte Applaus, den dieses Buch von einer großen Anzahl von Amerikas prominentesten bekannten Intellektuellen bekommen hat, darunter sechs Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft, bezeugt eindeutig die weit verbreitete Popularität dieser optimistischen Botschaft. 

Rechtfertigen aber die Fakten betreffend China und Amerika wirklich diese Schlussfolgerung?

China lässt die Welt erbeben 

In den späten 1970er Jahren hatten drei Jahrzehnte kommunistischer Planwirtschaft zu einem respektablen Wachstum der chinesischen Produktion geführt, allerdings mit ungeheuren Anpassungs- und Startproblemen, und oft mit furchtbaren Kosten verbunden: 35 Millionen oder mehr Chinesen waren in der katastrophalen Hungersnot 1959-1961 ums Leben gekommen, die von Maos erzwungener Industrialisierungspolitik des Großen Sprungs Vorwärts verursacht worden war.

Die chinesische Bevölkerung war auch schnell gewachsen in diesem Zeitraum, so dass der typische Lebensstandard sich nur leicht verbessern konnte, vielleicht zwei Prozent pro Jahr zwischen 1958 und 1978, und das ausgehend von einer extrem niedrigen Ausgangsbasis. Gemessen an der Kaufkraft hatten die meisten Chinesen 1980 ein Einkommen, das 60-70 Prozent unter dem der Bürger in anderen größeren Ländern der Dritten Welt wie Indonesien, Nigeria, Pakistan und Kenia lag, wobei keines dieser Länder als besonders wirtschaftlich erfolgreich betrachtet wurde. In jenen Tagen waren sogar die Haitianer viel reicher als die Chinesen.

Das alles begann sich sehr schnell zu ändern, nachdem Deng Xiaoping 1978 seine Reformen des freien Marktes in die Wege leitete, zuerst im gesamten ländlichen Bereich und schließlich in den kleineren Industrieunternehmen in den Küstenprovinzen. 1985 brachte der Economist eine Titelgeschichte, in der die 700.000.000 Bauern Chinas dafür gepriesen wurden, dass sie ihre landwirtschaftliche Produktion in gerade einmal sieben Jahren verdoppelt hatten, ein Erfolg nahezu ohne Beispiel in der Weltgeschichte. Mittlerweile hat Chinas neu eingeführte ein-Kind-Politik ungeachtet ihrer beträchtlichen Unbeliebtheit die Wachstumsraten der Bevölkerung kräftig reduziert in einem Land, das relativ wenig bebaubare Fläche besitzt.  

Eine Kombination aus nachlassendem Bevölkerungswachstum und schnell steigendem wirtschaftlichem Ertrag hat offensichtlich Auswirkungen auf die nationale Prosperität. In den drei Jahrzehnten bis 2010 erreichte China vielleicht die schnellste nachhaltige Rate wirtschaftlicher Entwicklung in der Geschichte der Menschheit, mit einem Wachstum der realen Wirtschaft um das fast 40-fache zwischen 1978 und 2010. 1978 war Amerikas Wirtschaft 15mal so groß, aber laut den meisten internationalen Schätzungen ist China jetzt dabei, die gesamte wirtschaftlichen Leistung Amerikas innerhalb von einigen wenigen Jahren zu überholen.

Darüber hinaus ist der weitaus überwiegende Teil von Chinas neu geschaffenem Reichtum zu den einfachen chinesischen Arbeitern geflossen, die von Ochsen und Fahrrädern in nur einer Generation beim Übergang zum Automobil angelangt sind. Während die amerikanischen durchschnittlichen Einkommen seit fast vierzig Jahren stagniert haben, verdoppelten sich die chinesischen nahezu alle zehn Jahre, wobei die Realeinkommen von Arbeitern außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors über die letzten zehn Jahre hinweg um 150 Prozent gestiegen sind. Die Chinesen von 1980 waren bitter arm verglichen mit den Pakistanern, Nigerianern oder Kenianern, aber heute sind sie um ein mehrfaches wohlhabender und haben vergleichsweise ein Einkommen, das mehr als zehnmal so hoch ist.

Ein Bericht der Weltbank betonte vor kurzem den enormen Rückgang der globalen Armutsraten von 1980 bis 2008, aber Kritiker bemerkten, dass über 100 Prozent dieses Rückgangs allein auf China zurückzuführen war: die Zahl der Chinesen unter der Armutsgrenze fiel um beachtliche 662 Millionen, während die verarmte Bevölkerung im Rest der Welt in der Tat um 13 Millionen angestiegen ist. Und obwohl Indien in den westlichen Medien oft mit China verglichen wird, sank ein großer Teil der Inder in diesem Zeitraum tiefer in die Armut. Die untere Hälfte von Indiens noch immer schnell wachsender Bevölkerung hat die letzten 30 Jahre hindurch einen ständigen Rückgang ihrer täglichen Kalorienmenge mitgemacht, die Hälfte aller Kinder unter fünf sind jetzt unterernährt.

Chinas wirtschaftlicher Fortschritt ist besonders eindrucksvoll, wenn er mit historischen Parallelen verglichen wird. Zwischen 1870 und 1900 erfreute sich Amerika einer beispiellosen industriellen Expansion, so dass sogar Karl Marx und seine Anhänger daran zu zweifeln begannen, dass eine kommunistische Revolution notwendig oder auch nur möglich sein könnte in einem Land, dessen Menschen durch kapitalistische Expansion eine derart weit verbreitete Prosperität erreichen konnten. In diesen 30 Jahren stieg Amerikas reales pro-Kopf-Einkommen um 100 Prozent. In den letzten 30 Jahren stieg jedoch das reale pro-Kopf-Einkommen in China um mehr als 1.300 Prozent.

Allein im letzten Jahrzehnt vervierfachte China seine industrielle Leistung, die jetzt vergleichbar ist mit der der Vereinigten Staaten von Amerika. Im entscheidend wichtigen Fahrzeugsektor steigerte China seine Produktion um das Neunfache, von zwei Millionen Fahrzeugen im Jahr 2000 auf 18 Millionen 2010, eine Zahl, die größer ist als die Summe der in Amerika und Japan produzierten. Auf China entfallen volle 85 Prozent des totalen weltweiten Zuwachses in der Automobilproduktion in diesem Jahrzehnt.

Es stimmt, dass viele der chinesischen HighTech-Exporte mehr scheinbar sind als real. Fast alle Apple iPhones und iPads kommen aus China, aber das liegt weitgehend am Einsatz billiger chinesischer Arbeitskräfte für die Endmontage, wobei nur 4 Prozent der Wertschöpfung bei diesen weltweit führenden Gütern auf China entfallen. Das verzerrt die chinesischen Handelsstatistiken und führt zu unnötigen Reibungen. Wie auch immer, einige chinesische HighTech-Exporte sind tatsächlich voll und ganz chinesisch, erwähnenswert etwa die Firma Huawei, die jetzt gleichrangig mit Schwedens Ericsson als einer der weltweit führenden Produzenten für Telekommunikationseinrichtungen rangiert, während einst mächtige nordamerikanische Konkurrenten wie Lucent-Alcatel und Nortel tief abgestürzt oder sogar bankrott gegangen sind. Und obwohl Amerika ursprünglich das Human Genome Project anführte, steht heute das Beijing Genomics Institute (BGI) wahrscheinlich als weltweit führend in diesem enorm wichtigen zukunftsträchtigen Wissenschaftsbereich.

Chinas Anstieg in der letzten Zeit sollte uns kaum überraschen. Den größten Teil der letzten 3.000 Jahre hindurch haben China und die Welt des Mittelmeers mit der daran angrenzenden europäischen Halbinsel die beiden größten weltweiten Zentren des technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts gebildet. Im 13. Jahrhundert reiste Marco Polo aus seiner Heimatstadt Venedig in das chinesische Reich und beschrieb letzteres als um ein vielfaches reicher und höher entwickelt als jedes europäische Land. Bis spät in das 18. Jahrhundert betrachteten viele führende europäische Philosophen wie etwa Voltaire die chinesische Gesellschaft als intellektuelles Vorbild, während Briten und Preußen die Herrschaft der chinesischen Mandarine als Modell für einen leistungsorientierten öffentlichen Dienst benutzten, der auf wettbewerblichen Prüfungen beruhte.

Sogar noch vor einem Jahrhundert, nahe dem Tiefpunkt von Chinas späterer Schwäche und Verfall, sagten einige von Amerikas führenden allgemein bekannten Intellektuellen wie Edward A. Ross und Lothrop Stoddard kühn die kommende Entwicklung der chinesischen Nation zu globalem Einfluss vorher, ersterer mit Gelassenheit und der letztere mit ernsten Bedenken. Stoddard argumentierte, dass nur drei bedeutende Erfindungen wirklich die Welt der klassischen Antike von der des Europas des 18. Jahrhunderts trennten – Schießpulver, Kompass und Buchdruckerpresse. Alle drei scheinen zuerst in China aufgetaucht zu sein, obwohl aufgrund verschiedener sozialer, politischer und ideologischer Gründe keine entsprechend implementiert wurde.

Bedeutet nun Chinas Anstieg zwangsläufig Amerikas Abstieg? In keiner Weise: menschlicher wirtschaftlicher Fortschritt ist kein Nullsummenspiel. Unter den entsprechenden Bedingungen sollte die rapide Entwicklung eines großen Landes eher dazu führen, die Lebensbedingungen für den Rest der Welt zu verbessern. 

Das trifft besonders zu auf jene Länder, deren wirtschaftliche Stärken direkt diejenigen eines wachsenden China ergänzen. Massive industrielle Expansion erfordert eindeutig einen ähnlichen Anstieg des Rohstoffbedarfs, und China ist jetzt weltgrößter Produzent und Verbraucher von Elektrizität, Beton, Stahl und vielen anderen Grundmaterialien, wobei seine Eisenerzimporte zwischen 2000 und 2011 um das Zehnfache anstiegen. Das hat zu großen Preissteigerungen bei vielen Gütern geführt; zum Beispiel stieg der Weltpreis für Kupfer im Lauf des vergangenen Jahrzehnts um mehr als das Achtfache. Als direkte Konsequenz waren diese Jahre insgesamt sehr gut für die Wirtschaften von Ländern, die besonders angewiesen sind auf den Export natürlicher Rohstoffe – Australien, Russland, Brasilien, Saudiarabien und Teile von Afrika.

Während nun China schrittweise die gesamte industrielle Weltproduktion verdoppelt, reduziert der daraus stammende „China-Preis“ die Kosten der produzierten Güter und macht sie leichter erschwinglich für jeden, und trägt dadurch sehr zu einer Anhebung des weltweiten Lebensstandards bei. Während dieser Vorgang negative Auswirkungen auf die besonderen Industriebereiche und Länder haben könnte, die im direkten Wettbewerb mit China stehen, bringt er genauso enorme Möglichkeiten nicht nur für die erwähnten Rohstofflieferanten, sondern auch für Länder wie Deutschland, deren hochentwickelte Ausstattung und Maschinenwerkzeuge auf einen gewaltigen chinesischen Markt gestoßen sind, was unter anderem dazu geführt hat, dass die deutschen Arbeitslosenzahlen den tiefsten Stand in 20 Jahren erreicht haben.   

Während die einfachen Chinesen reicher werden, bilden sie einen wachsenden Markt genauso auch für die Güter und Dienstleistungen führender westlicher Firmen, von FastFood-Ketten über Konsumgüter bis zu Luxusprodukten. Chinesische Arbeiter bauen Apples iPhones und iPads nicht nur einfach zusammen, sondern wollen sie auch kaufen, und China ist zum zweitgrößten Markt dieser Firma geworden, wobei die extravaganten Gewinnspannen fast zur Gänze an ihre amerikanischen Eigentümer und Angestellten zurückfließen. 2011 verkaufte General Motors mehr Autos in China als in den Vereinigten Staaten von Amerika, und dieser so schnell wachsende Markt trug entscheidend zum Überleben dieses altehrwüdigen amerikanischen Konzerns bei. China ist der weltweit drittgrößte Markt für McDonalds und der weltweit größte Profitlieferant für die amerikanischen Mutterfirma von Pizza Hut, Taco Bell und KFC.  

Soziale Kosten eines rapiden Aufschwungs

Ein Land in wenig mehr als einer Generation von einem Land von nahezu einer Milliarde Bauern zu einem von nahezu einer Milliarde Stadtbewohner umzuwandeln, ist keine leichte Aufgabe, und ein derart halsbrecherisches Tempo der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung ist unweigerlich mit beträchtlichen sozialen Kosten verbunden. Die Umweltverschmutzung in chinesischen Städten ist unter den schlimmsten in der Welt und der Verkehr bewegt sich stürmisch auf den gleichen Zustand hin. China hat jetzt die zweitgrößte Anzahl von Milliardären nach Amerika, gemeinsam mit mehr als einer Million Dollarmillionären, und obwohl viele dieser Individuen auf ehrliche Weise zu ihrem Reichtum gekommen sind, war das bei vielen nicht der Fall. Korruption im Amtsbereich ist der Hauptgrund für den öffentlichen Unmut gegenüber den verschiedenen Ebenen der chinesischen Regierung, welcher von lokalen Gemeindeverwaltungen bis in die höchsten Funktionärskreise in Peking reicht. 

Wir müssen uns jedoch den Sinn für Proportionen bewahren. Als einer, der in Los Angeles aufgewachsen ist, als es noch den berüchtigtsten Smog in Amerika hatte, weiß ich, dass solche Dinge mit Zeit und Geld rückgängig gemacht werden können, und in der Tat hat die chinesische Regierung intensives Interesse gezeigt an der aufkommenden Technologie von sauberen elektrischen Autos. Schnell wachsender nationaler Reichtum kann verwendet werden, um viele Probleme zu lösen.

In ähnlicher Weise können Plutokraten, die reich werden durch Freunde in hohen Stellen oder sogar durch reine Korruption leichter toleriert werden, wenn eine ansteigende Welle alle Boote schnell anhebt. Das Realeinkommen einfacher chinesischer Arbeiter ist in den letzten Jahrzehnten um mehr als 1.000 Prozent gewachsen, während die entsprechende Zahl für die meisten amerikanischen Arbeiter nahe bei Null liegt. Wenn typische amerikanische Löhne alle zehn Jahre verdoppelt würden, dann gäbe es in unserer eigenen Gesellschaft viel weniger Ärger gegen das „Eine Prozent.“ Tatsächlich liegt laut dem GINI-Index, nach dem die ungleiche Verteilung des Vermögens gemessen wird, China nicht besonders weit vorne, etwa gleich wie die Vereinigten Staaten von Amerika, was auf größere Ungleichheit hinweist als etwa in den meisten der sozialen Demokratien Westeuropas.  

Viele amerikanische Fachleute und Politiker richten ihre Aufmerksamkeit noch immer auf die tragischen Vorfälle 1989 auf dem Tienanmen-Platz, bei denen hunderte chinesische Demonstranten von Regierungssoldaten getötet wurden. Aber obwohl dieser Vorfall in der damaligen Zeit hohe Wellen schlug, bewirkte er rückblickend nur einen Pieps in der Aufwärtsentwicklung der chinesischen Entwicklung und scheint heute praktisch vergessen zu sein bei den einfachen Chinesen, deren Einkommen im Vierteljahrhundert seit damals um ein Vielfaches gestiegen sind.

Viele von den Protestaktionen am Tienanmen-Platz waren getragen vom öffentlichen Unmut über die Korruption der Regierung, und sicher ist es in den letzten Jahren zu weiteren größeren Skandalen gekommen, welche oft auf den Seiten der führenden amerikanischen Zeitungen groß aufgemacht wurden. Eine genauere Betrachtung ergibt jedoch ein nuancierteres Bild, besonders in Hinblick auf Amerikas eigene Situation. 

Zum Beispiel war im Lauf der letzten paar Jahre eines der ambitioniertesten chinesischen Projekte der Plan, das größte und höchstentwickelte Netzwerk von Hochgeschwindigkeitseisenbahnen zu schaffen, ein Unterfangen, das beachtenswerte $200 Milliarden an Regierungsmitteln in Anspruch nahm. Das Resultat war die Konstruktion von über 9.600 km Schienenstrecken, zusammen wahrscheinlich mehr als die aller Länder der Welt zusammengenommen. Leider war bei diesem Projekt auch beträchtliche Korruption im Spiel, über die in den Medien der Welt groß berichtet wurde, welche schätzten, dass hunderte Millionen Dollars durch Bestechung und Schiebung abhanden gekommen sind. Dieser Skandal führte letztendlich zur Verhaftung oder Entlassung zahlreicher Regierungsvertreter, unter denen sich bemerkenswerterweise auch der mächtige Eisenbahnminister Chinas befand. 

Offensichtlich wäre eine derart gravierende Korruption schrecklich in einem Land mit den makellosen Standards von Schweden oder Norwegen. Geht man allerdings von den veröffentlichten Zahlen aus, so ergibt sich, dass der missbräuchlich verwendete Betrag etwa 0,2 Prozent der Gesamtsumme ausmachte und die restlichen 99,8 Prozent zweckgemäß ausgegeben wurden. Trotz dieser gravierenden Korruption war das Projekt also erfolgreich und China verfügt tatsächlich über das weltweit größte und höchstentwickelte Netzwerk von Hochgeschwindigkeitseisenbahnen, das fast zur Gänze in den letzten fünf oder sechs Jahren errichtet wurde. 

Derweilen besitzt Amerika keinerlei Hochgeschwindigkeitseisenbahn, trotz Dekaden von Debatten und ungeheuren Mengen von Zeit und Geld, ausgegeben für Lobbying, Hearings, politische Kampagnen, Planung und Umweltverträglichkeitsprüfungen. Chinas System von Hochgeschwindigkeitseisenbahnen mag keineswegs perfekt sein, aber es existiert, während das amerikanische nicht existiert. Die jährliche Fahrgastzahl beläuft sich jetzt auf 25 Millionen Fahrten, und obwohl ein gelegentliches Unglück – wie etwa der Zusammenstoß 2011 in Weizhou, bei dem 40 Reisende getötet wurden – tragisch ist, kommt es kaum unerwartet. Immerhin bleiben auch Amerikas alternde Züge nicht von derartigen Kalamitäten verschont, wie wir etwa sahen beim Zusammenstoß in Chatsworth in Kalifornien, bei dem 25 Menschen getötet wurden. 

Viele Jahre lang berichteten westliche Journalisten regelmäßig, dass der Abbau von Chinas altem maoistischem System des von der Regierung betriebenen Gesundheitswesens zu ernsten sozialen Spannungen geführt hat, nachdem einfache Arbeiter gezwungen waren, einen unverhältnismäßig hohen Anteil ihrer Löhne zu sparen, um für medizinische Behandlung bezahlen zu können, falls sie oder ihre Familien krank wurden. In den letzten paar Jahren hat jedoch die Regierung größere Schritte unternommen, um dieses Problem zu reduzieren, indem sie ein landesweites System der Krankenversicherung einführte, das bereits um die 95 Prozent der Bevölkerung erfasst, ein vielfach besseres Verhältnis, als im reichen Amerika zu finden, und das zu einem kleinen Bruchteil der Kosten. Noch einmal – kompetente Anführer mit Zugang zu steigendem nationalem Reichtum können effektiv diese Art von größeren sozialen Problemen lösen. 

Obwohl Verbrechen in den chinesischen Städten kaum eine Rolle spielt und so gut wie keine der schrecklichen Slums existieren, die in vielen der schnell wachsenden Städte in Ländern der Dritten Welt vorzufinden sind, ist die Wohnsituation für einfache Arbeiter oft nicht ausreichend. Landesweite Sorgen betreffend eine steigende Arbeitslosigkeit aufgrund der globalen Rezession boten der Regierung gegen Ende letzten Jahres eine perfekte Gelegenheit, einen kühnen Plan anzukündigen, nach dem mehr als 35 Millionen moderne neue regierungseigene Wohnungen errichtet werden sollen, die dann kostengünstig an einfache Arbeiter vergeben werden.  

Das alles folgt dem Muster von Lee Kwan Yews Modell der gemischten Entwicklung, das staatlichen Sozialismus und freies Unternehmertum kombiniert, und das die Menschen in Singapur aus der hoffnungslos desperaten Armut im Jahr 1945 herausführte zu einem Lebensstandard, der jetzt beträchtlich höher ist als der der meisten Europäer oder Amerikaner, einschließlich eines pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts, das fast $12.000 über dem der Vereinigten Staaten von Amerika liegt. Es liegt auf der Hand, dass die Einführung eines derartigen Programms für die größte Bevölkerung der Erde und in kontinentalem Ausmaß viel herausfordernder ist als in einem kleinen Stadtstaat mit ein paar Millionen Einwohnern und übernommenen britischen kolonialen Einrichtungen, aber bisher hat es China sehr gut geschafft, seine Skeptiker zutiefst zu irritieren.

Amerikas wirtschaftlicher Niedergang

Diese Fakten geben nicht viele Beweise her für die These in Why Nations Fail, nach der Chinas Führer eine selbstsüchtige und bestechliche „extrahierende“ Elite bilden. Leider scheinen derartige Hinweise viel angebrachter zu sein, wenn wir unseren Blick nach innen richten, auf die neuere wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres eigenen Landes.

Vor dem Hintergrund des bemerkenswerten chinesischen Fortschritts bietet Amerika zum größten Teil ein sehr düsteres Bild. Sicher haben Amerikas Spitzenkonstrukteure und Unternehmer viele der weltweit wichtigsten Technologien geschaffen und wurden damit manchmal enorm reich. Diese wirtschaftlichen Erfolge sind jedoch nicht typisch, noch ist die Verbreitung ihres finanziellen Nutzens besonders weit. In den letzten 40 Jahren hat eine große Mehrheit der amerikanischen Arbeiter erlebt, dass ihre Realeinkommen stagniert haben oder gesunken sind. 

Mittlerweile geht die rapide Konzentration des amerikanischen Reichtums schnell weiter: das reichste 1 Prozent der Bevölkerung Amerikas besitzt jetzt so viel an Nettovermögen wie die unteren 90-95 Prozent, und dieser Trend wird sich wahrscheinlich sogar beschleunigen. Eine kürzlich erstellte Studie enthüllte, dass während unserer angeblichen Erholung in den letzten paar Jahren 93 Prozent des gesamten Zuwachses des nationalen Einkommens an das 1 Prozent an der Spitze ging, wobei erstaunliche 37 Prozent von den reichsten 0,01 Prozent der Bevölkerung vereinnahmt wurde, das sind 15.000 Haushalte in einem Land mit mehr als 300 Millionen Einwohnern.

Beweise für den langfristigen Niedergang unserer wirtschaftlichen Situation sind unübersehbar, wenn wir die Situation der jüngeren Amerikaner betrachten. Die nationalen Medien posaunen endlos die kleine Anzahl jugendlicher Facebook-Millionäre herum, aber die Aussichten für die meisten von deren Altersgenossen sind in der Tat sehr düster. Laut einer Untersuchung des Pew Center haben kaum die Hälfte der 18- bis 24-jährigen Amerikaner einen Arbeitsplatz, der tiefste Stand seit 1948, lange bevor die meisten Frauen der Arbeiterschaft angehörten. Nahezu ein Fünftel der jungen Männer von 25 bis 34 wohnen noch immer bei ihren Eltern, während das Vermögen aller von unter 35-jährigen geführten Haushalte heute um 68 Prozent unter dem von 1984 liegt.

Der ausstehende Gesamtbetrag von nicht ablösbaren Schulden aus Studentenkrediten hat die Billion-Dollar-Grenze überschritten und übertrifft jetzt die Gesamtsumme der Kreditkarten- und Autokreditschulden – und nachdem ein Viertel aller Studentenkredit-Rückzahler jetzt säumig sind, gibt es besorgniserregende Anzeichen, dass viel davon eine ständige Belastung bleiben wird, die viele Millionen in langfristiger Schuldenknechtschaft halten wird. Ein gewaltiger Anteil von Amerikas jüngerer Generation scheint völlig verarmt zu sein, und wie es aussieht, auch bleiben.

Internationale Handelsstatistiken zeigen mittlerweile, dass, obwohl es Apple und Google sehr gut geht, das mit unserer Gesamtwirtschaft nicht der Fall ist. Seit vielen Jahren ist unser größter Export der von Regierungs-IOUs (IOU = I owe you [ich schulde dir] = Schuldschein, in diesem Fall Staatsanleihen, d.Ü.), deren Wert in Dollar manchmal den der folgenden zehn Kategorien zusammengenommen überstieg. Irgendwann, vielleicht schneller als wir glauben, wird der Rest der Welt seinen Appetit auf dieses funktionslose Produkt verlieren und unsere Währung wird zusammenbrechen, zusammen mit unserem Lebensstandard. Ähnliche Kassandra-mäßige Warnungen gab es jahrelang hinsichtlich der Immobilienblase oder der Verschwendungspolitik der griechischen Regierung und wurden Jahr für Jahr als falsch hingestellt, bis sie eines Tages plötzlich wahr wurden.

Ironischerweise gibt es einen bedeutenden Bereich, in dem die amerikanische Expansion der chinesischen weit voraus ist, derzeit und bis in unbestimmte Zukunft: Bevölkerungswachstum. Die Rate des amerikanischen demographischen Wachstums überholte die chinesische vor über 20 Jahren und wuchs seither jedes Jahr, manchmal sogar um den Faktor zwei. Laut den standardisierten Prognosen wird die Bevölkerung Chinas im Jahr 2050 fast genau dem Stand des Jahres 2000 entsprechen, wobei das Land eine Stabilität der Bevölkerung erreicht haben wird, die typisch ist für hochentwickelte prosperierende Gesellschaften. In diesem halben Jahrhundert wird jedoch die Zahl der Einwohner Amerikas um fast 50 Prozent zunehmen, eine für die entwickelte Welt beispiellose Zuwachsrate, die noch größer ist als die in vielen Ländern der Dritten Welt wie Kolumbien, Algerien, Thailand, Mexiko oder Indonesien vorgefundene. Eine Kombination aus sehr schnellem Bevölkerungswachstum und zweifelhaften Aussichten auf ein gleich schnelles Wirtschaftswachstum verheißt nichts Gutes für die wahrscheinliche Qualität des amerikanischen Traums im Jahr 2050.

China steigt auf, während Amerika fällt, aber gibt es da bedeutende ursächliche Verbindungen zwischen diesen beiden gegenläufigen Trends, die jetzt die Zukunft unserer Welt neu gestalten? Keine, die ich sehen kann. Amerikanische Politiker und Experten fürchten sich naturgemäß davor, sich mit den besonderen Interessensgruppen anzulegen, die ihr politisches Universum dominieren, daher suchen sie oft nach einem auswärtigen Sündenbock, um die elende Situation ihrer Zielgruppen zu erklären, wobei sie sich gelegentlich auf China stürzen. Aber das ist bloß politisches Theater für die Ignoranten und Leichtgläubigen.  

Unterschiedliche Studien haben angedeutet, dass Chinas Währung beträchtlich unterbewertet sein könnte, aber selbst wenn den häufigen Forderungen Paul Krugmans und anderer entsprochen und der Yuan schnell um 15 oder 20 Prozent angehoben würde, würden wenige Industriearbeitsplätze an Amerikas Ufer zurückkehren, während die amerikanischen Werktätigen viel mehr für ihren notwendigen Bedarf bezahlen müssten. Und wenn China seine Grenzen weit für mehr amerikanische Filme und Finanzdienste öffnen würde, würden vielleicht die Multimillionäre Hollywoods oder der Wall Street noch reicher, aber die einfachen Amerikaner hätten wenig davon. Es ist immer leichter für eine Nation, den anklagenden Finger gegen andere zu erheben, anstatt ehrlich zuzugeben, dass fast alle ihrer heillosen Probleme im Grunde genommen hausgemacht sind.

Verfall der konstitutionellen Demokratie

Das zentrale Thema von Why Nations Fail ist, dass politische Institutionen und das Verhalten der herrschenden Eliten weitgehend wirtschaftlichen Erfolg oder Versagen von Ländern festlegen. Nachdem die meisten Amerikaner seit Jahrzehnten so gut wie keine wirtschaftlichen Zuwächse erfahren haben, sollten wir vielleicht unseren Blick auf diese Faktoren in unserer eigenen Gesellschaft richten.

Unsere Eliten prahlen mit der Größe unserer verfassungsmäßigen Demokratie, den wunderbaren Menschenrechten, deren wir uns erfreuen, der Freiheit und dem Rechtsstaat, die Amerika lange zu einem Licht unter den Nationen der Welt und zum spirituellen Vorbild der unterdrückten Völker allerorts einschließlich Chinas gemacht haben. Aber stimmen diese Behauptungen? Sie stoßen oft sehr merkwürdig auf, wenn sie in den Meinungskommentaren unserer großen Zeitungen auftauchen, gleich nach den Berichten, deren Fakten eine ganz andere Geschichte erzählen.

Erst im vergangenen Jahr veranlasste die Obama-Administration eine massive monatelange Bombenkampagne gegen die rechtmäßig anerkannte Regierung Libyens aus „humanitären“ Gründen, um dann ohne eine Miene zu verziehen zu behaupten, dass ein Militäreinsatz mit hunderten Bombenangriffen und Kosten von über einer Milliarde Dollars tatsächlich nichts mit „Kriegsführung“ zu tun hatte und dadurch völlig von den in der Verfassung vorgegebenen Bestimmungen über die Kriegsermächtigung durch den Kongress ausgenommen war. Ein paar Monate später beschloss der Kongress mit überwältigender Mehrheit und unterzeichnete Präsident Obama den „National Defense Authorization Act“ (nationales Verteidigungsermächtigungsgesetz), der dem Präsidenten die Macht verleiht, unbefristet ohne Verfahren oder Anklage jeden Amerikaner einzusperren, den er auf der Grundlage seiner eigenen Beurteilung und geheimer Beweise als Bedrohung für die nationale Sicherheit erachtet. Wenn wir bedenken, dass die amerikanische Gesellschaft in den letzten zehn Jahren im eigenen Land praktisch keinerlei Terrorismus erlitten hat, dann müssen wir uns fragen, wie lange unsere verbliebenen verfassungsmäßigen Rechte überleben würden, wenn wir es mit häufigen realen Attacken durch einen wirklichen terroristischen Untergrund zu tun hätten, wie es etwa viele Jahre lang mit der IRA im Vereinigten Königreich, der ETA in Spanien oder den Roten Brigaden in Italien der Fall war. 

Erst vor kurzem haben Präsident Obama und Justizminister Eric Holder das inhärente Recht des amerikanischen Präsidenten geltend gemacht, jeden überall auf der Welt standrechtlich umzubringen, sei er amerikanischer Staatsbürger oder nicht, von dem die Berater des Weißen Hauses hinter geschlossenen Türen entschieden haben, dass er eine „böse Person“ ist. Während es zweifelsohne stimmt, dass größere Regierungen auf der Welt gelegentlich ihre politischen Gegner im Ausland umgebracht haben, habe ich noch nie gehört, dass derlei finstere Handlungen öffentlich für gerechtfertigt und korrekt erklärt wurden. Wenn die Regierungen Russlands oder Chinas, gar nicht zu reden vom Iran, erklären würden, dass ihnen das Recht zusteht, jeden überall auf der Welt umzubringen, der ihnen nicht passt, würden unsere Medienexperten diese Erklärungen umgehend als Beweis für ihren totalen kriminellen Wahnsinn brandmarken.

Das sind sehr befremdliche Auffassungen betreffend den „Rechtsstaat“ für die Administration eines Präsidenten, der einst als führender Herausgeber der Harvard Law Review tätig war und regelmäßig in seinen politischen Kampagnen als „Verfassungswissenschaftler“ hofiert wurde.

Viele dieser negativen ideologischen Trends wurden von der populären Kultur und einem großen Teil der amerikanischen Öffentlichkeit aufgenommen und akzeptiert. Eine der in den vergangenen zehn Jahren am höchsten bewerteten Shows im amerikanischen Fernsehen war „24“, geschaffen von Joel Surnow, die sich um Kiefer Sutherland als patriotischen aber rücksichtslosen Agenten dreht, wobei jede Folge eine einzelne Stunde seiner verzweifelten Bemühungen darstellt, terroristische Anschläge zu vereiteln und unsere nationale Sicherheit zu beschützen. Zahlreiche Episoden zeigten unseren Helden, wie er verdächtigte Übeltäter folterte, um aus ihnen die Information herauszubekommen, die nötig war, um unschuldiges Leben zu retten, wobei die gesamte Serie eine populäre wöchentliche Verherrlichung von drastischer Regierungsfolter im Dienste des höheren Guten repräsentierte. 

Im Gegensatz zu schwachsinnigen Beteuerungen haben die meisten Regierungen auf der Welt zumindest gelegentlich Folter praktiziert, besonders im Kampf gegen Volksaufstände, und einige der brutaleren Regimes, darunter das stalinistische Russland und Nazideutschland, haben diese sogar professionalisiert. Aber derartige finstere Handlungen, begangen im Geheimen, wurden in der Öffentlichkeit immer energisch bestritten, und die populären Filme und anderen Medien in Stalins Sowjetunion zeigten unweigerlich gutherzige Arbeiter und Bauern, die tapfer ihre ehrenwerte und patriotische Pflicht für das Mutterland taten, und nicht die schrecklichen Folterungen, die tagtäglich in den Kellern des Lubjankagefängnisses begangen wurden. In der gesamten neueren Geschichte ist mir kein auch nur halbzivilisiertes Land bekannt, das öffentlich die Taten der professionellen Folterer seiner Regierung in den Massenmedien abfeierte. Sicher wären derlei Gefühle im „konservativen Hollywood“ des Kalten Krieges der 1950er Jahre völlig abstoßend und undenkbar gewesen.

Nachdem wir aber in einer von der Unterhaltung dominierten Gesellschaft leben, haben Gefühle, die auf dem Bildschirm bestärkt werden, oft direkte Auswirkungen auf das reale Leben. An einem Punkt fühlten höhere amerikanische Militär- und Antiterrorismusfunktionäre sich genötigt, nach Hollywood zu reisen und dessen Drehbuchautoren zu drängen, mit der Glorifizierung der amerikanischen Folter aufzuhören, da ihre Shows Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika dazu animierten, muslimische Gefangene zu foltern, obwohl ihnen ihre vorgesetzten Offiziere wiederholt befohlen hatten, das nicht zu tun.

Angesichts dieser Tatsachen sollte uns kaum überraschen, dass internationale Erhebungen das vergangene Jahrzehnt hindurch regelmäßig ergeben haben, dass Amerika als die weltweit meistgehasste größere Nation eingestuft wird, eine bemerkenswerte Errungenschaft, zieht man die weltweit dominierende Rolle der amerikanischen Medien und Unterhaltung in Betracht und auch die enorme internationale Sympathie, die ursprünglich unserem Land nach den Attacken des 9/11 entgegengebracht wurde.

Ein aufkommender Einparteien-Staat

Zumindest bis jetzt wurden diese außerhalb der Verfassung angesiedelten und oft brutalen Methoden nicht zur Kontrolle von Amerikas eigenem politischen System eingesetzt, wir sind noch eher eine Demokratie als eine Diktatur. Aber besitzt unser derzeitiges System wirklich das zentrale Merkmal einer wirklichen Demokratie, nämlich einen hohen Grad öffentlichen Einflusses über bedeutende politische Entscheidungen der Regierung? Hier scheint der Nachweis eher ungewiss zu sein.

Nehmen wir das vergangene Jahrzehnt als Beispiel. Mit zwei ruinösen Kriegen und einem finanziellen Zusammenbruch in seiner Amtszeit wurde George W. Bush weitgehend als einer der desaströsesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte angesehen, und zeitweise sank seine öffentliche Zustimmung auf die niedrigsten Werte, die jemals gemessen wurden. Der überwältigende Sieg seines Nachfolgers Barack Obama stand mehr für eine Ablehnung von Bush und seiner Politik als für sonst etwas, und führende politische Aktivisten, linke wie rechte, charakterisierten Obama als Bushs absolute Antithese, sowohl von der Abstammung her als auch in ideologischer Hinsicht. Dieses Gefühl wurde sicher auch im Ausland geteilt, mit der Auswahl Obamas für den Friedensnobelpreis wenige Monate nach seinem Amtsantritt, ausgehend von der weit verbreiteten Annahme, dass er sicher die meisten politischen Entscheidungen seines verhassten Vorgängers rückgängig machen und Amerika zur Vernunft zurückführen werde.  

Daraus wurde allerdings so gut wie nichts. Stattdessen war die Fortführung der Politik der Administration derart umfassend und so offenkundig, dass viele Kritiker jetzt routinemäßig von der Bush/Obama-Administration sprechen.

Die harschen Verstöße gegen Verfassungsprinzipien und Bürgerrechte, mit denen Bush nach den Attacken des 9/11 voranging, wurden unter Obama nur weiter intensiviert, dem gefeierten Harvarder Rechtswissenschaftler und glühenden Bürgerrechtler, und das ganz ohne den Vorwand von neuen terroristischen Attacken. In seinem Vorwahlkampf der Demokratischen Partei versprach Obama, dass er Bushs nutzlosen Irakkrieg sofort nach Amtsantritt beenden werde, aber stattdessen blieben große amerikanische Kräfte jahrelang dort, bis endlich starker Druck seitens der irakischen Regierung ihren Abzug erzwang; währenddessen verdreifachte sich die amerikanische Okkupationsarmee in Afghanistan. Der Freikauf der verhassten Zocker der Wall Street durch die Regierung, der unter Bush begann, ging umso schneller unter Obama weiter, ohne ernsthaften Versuch der Regierung, eine Strafverfolgung einzuleiten oder drastische Reformen durchzuführen. Die Amerikaner leiden noch immer in erster Linie aufgrund des schlimmsten wirtschaftlichen Absturzes seit der Großen Depression, aber die Profite der Wall Street und die Bonusse in mehrfacher Millionenhöhe stiegen bald wieder in Rekordhöhen.  

Besonders beachtenswert ist auch die Kontinuität von Spitzenfunktionären. Als Bushs zweiter Verteidigungsminister war Robert Gates seit 2006 verantwortlich für die Durchführung der amerikanischen Kriege und militärischen Okkupationen im Ausland; Obama behielt ihn und er spielte weiterhin die gleiche Rolle in der neuen Regierung. Ähnlich war Timothy Geithner einer von Bushs höchsten Finanzberatern und spielte eine entscheidende Rolle in dem weitgehend unpopulären Freikauf von Wall Street; Obama machte ihn zum Finanzminister und bestätigte die Fortführung der gleichen Politik. Ben Bernanke war von Bush zum Vorstand der Federal Reserve (Notenbank) bestellt worden und wurde von Obama neu bestellt. Bushs Kriege und Freikäufe wurden zu Obamas Kriegen und Freikäufen. Die amerikanische Öffentlichkeit wählte einen Anti-Bush, bekam stattdessen aber eine dritte Amtsperiode Bush. 

Im Kalten Krieg charakterisierten die sowjetischen Propagandisten unsere Demokratie als Schwindel, bei dem die amerikanische Öffentlichkeit nur aussuchen konnte, welcher der beiden zusammenhängenden Zweige ihrer einen politischen Partei das Amt übernehmen solle, während die wirkliche dahinter stehende Politik im wesentlichen die gleiche blieb und von der gleichen korrupten herrschenden Klasse beschlossen und umgesetzt wurde. Diese Bezichtigung war vielleicht größtenteils falsch, als sie erhoben wurde, scheint aber heute in beunruhigender Weise zuzutreffen.  

Wenn die Zeiten schwierig sind und die Regierungspolitik weitgehend unpopulär, den Wählern aber nur eine Auswahl geboten wird wie zwischen den rivalisierenden aalglatten Werbekampagnen von Coke und Pepsi, kann der Zynismus extreme Ausmaße annehmen. Im Lauf des letzten Jahres haben Umfragen ergeben, dass die öffentliche Ablehnung des Kongresses – der das Washingtoner politische Establishment repräsentiert – bis zu 90 bis 95 Prozent erreicht hat, was es bisher noch nie gegeben hat.

Wenn nun unsere Regierungspolitik auf so breite öffentliche Ablehnung stößt, warum können wir diese nicht ändern durch die geheiligte Macht der Wahl? Die Antwort ist, dass Amerikas Regierungssystem sich zunehmend umgewandelt hat von einer repräsentativen Demokratie zu etwas nahe einer Mischung aus Plutokratie und Medienherrschaft, in der Wahlen fast zur Gänze durch Geld und Medien bestimmt werden, oder vielleicht auch umgekehrt. Politische Anführer werden gemacht oder gebrochen, je nachdem, ob sie das Geld und die Aufmerksamkeit bekommen, die erforderlich sind, um gewählt zu werden. 

Landesweite Wahlkämpfe erscheinen zunehmend als erbärmliche Reality Shows für zweitklassige politische Prominte, während unser Land weiter seinen Weg geht in Richtung vielfältiger drohender Miseren. Kandidaten, die von der Vorgabe abweichen oder die Linie der D.C.-Elite bezüglich Krieg und Freikäufen verlassen – bemerkenswert ein Ideologe mit Prinzipien wie Ron Paul – werden in den Medien routinemäßig als gefährliche Extremisten stigmatisiert oder sogar gänzlich aus der Berichterstattung über die Wahlkämpfe ausgemerzt, wie in humorvoller Weise vom Humoristen Jon Stewart aufgezeigt. 

Wir wissen von den zusammengebrochenen kommunistischen Staaten Osteuropas, dass die Kontrolle über die Medien die öffentliche Wahrnehmung der Realität bestimmen kann, aber nicht die Realität selbst ändert, und die Realität lacht üblicherweise zuletzt. Der Träger des Wirtschaftsnobelpreises Joseph Stiglitz und seine Kollegen haben nach konservativen Kriterien die langfristigen Kosten unseres katastrophalen Irakkrieges auf $3 Billionen geschätzt, was mehr als ein Fünftel unserer gesamten Staatsschulden ausmacht, oder fast $30.000 pro amerikanischem Haushalt. Und sogar jetzt machen die direkten Kosten unseres Krieges gegen Afghanistan noch immer $120 Milliarden im Jahr aus, ein Vielfaches des afghanischen Bruttoinlandsprodukts. Inzwischen ist in diesen Jahren der internationale Erdölpreis von $25 auf $125 pro Barrel gestiegen – zum Teil aufgrund dieser vergangenen militärischen Ausbrüche und wachsenden Befürchtungen von zukünftigen – wodurch unserer Gesellschaft gigantische wirtschaftliche Kosten aufgebürdet worden sind. 

Und wir leiden auch unter anderen Kosten. Eine Geschichte in der New York Times beschrieb vor kurzem den Besuch des Verteidigungsministers Leon Panetta zur Anspornung der Moral unserer Truppen in Afghanistan und bemerkte, dass alle amerikanischen Soldaten aufgefordert wurden, ihre Waffen abzugeben, bevor sie seine Ansprache besuchten, und dass niemand in seiner Nähe Waffen tragen durfte. Eine derartige Entscheidung des Kommandos scheint in der amerikanischen Geschichte fast beispiellos zu sein und gibt kein gutes Bild vom angeblichen Zustand unserer militärischen Moral.  

Zukünftige Historiker werden vielleicht diese beiden gescheiterten Kriege, die aus völlig irrationalen Gründen geführt worden sind, als die unmittelbare Ursache für Amerikas finanziellen und politischen Zusammenbruch bezeichnen, sozusagen als den historischen Abschluss unseres Sieges im Zweiten Weltkrieg, der ursprünglich die amerikanische globale Dominanz begründet hatte.

Unsere extrahierenden Eliten

Wenn parasitäre Eliten eine Gesellschaft nach „extrahierenden” Linien beherrschen, ist ein zentrales Merkmal der massive Aufwärtsfluss von extrahiertem Vermögen, ungeachtet jeglicher entgegenwirkender Gesetze oder Bestimmungen. Sicher hat Amerika ein enormes Wachstum von offiziell tolerierter Korruption erlebt, während sich unser politisches System zunehmend zum Einparteienstaat verfestigte, der von einer einheitlichen Medien-Plutokratie kontrolliert wird.

Nehmen wir den Zusammenbruch von MF Global im Jahr 2011, einer mittelgroßen aber sehr angesehenen Maklerfirma. Obwohl dieses Debakel viel kleiner war als der Lehman-Bankrott oder der Enron-Betrug, illustriert es die inzestuösen Aktivitäten von Amerikas überlappenden Eliten. Gerade ein Jahr davor war Jon Corzine zum CEO bestellt worden, nach seiner Amtszeit als demokratischer Governor und Senator von New Jersey und seiner vormaligen Karriere als CEO von Goldman Sachs. Vielleicht hatte noch keine andere amerikanische Firma eine derartige Kombination von politischen und finanziellen Empfehlungen anlässlich seiner Übernahme aufzuweisen. Bald nachdem er die Zügel übernommen hatte, beschloss Corzine, die Profite seiner Firma in die Höhe zu treiben, indem er deren gesamtes Kapital und noch mehr gegen die Möglichkeit setzte, dass europäische Länder wegen ihrer Staatsschulden in Zahlungsverzug geraten konnten. Als er diese Wette verlor, taumelte seine Multimilliarden-Firma in den Bankrott.

An diesem Punkt bewegt sich die Geschichte von einer allgemein bekannten Geschichte über Arroganz der Wall Street und Gier in einen zwielichtigen Bereich, vielleicht auch Monty Python-mäßigen. Die größeren Zeitungen begannen zu berichten, dass Kundengelder, letzlich war von insgesamt $1,6 Milliarden die Rede, auf geheimnisvolle Weise im Lauf des Zusammenbruchs verschwunden waren, und niemand feststellen könne, was aus diesen geworden war, eine sehr merkwürdige Behauptung in unserem Zeitalter der computerisierten Buchhaltung. Wochen und Monate vergingen, -zig Millionen Dollars wurden für ein Heer von Prüfern und gerichtlichen Sachverständigen ausgegeben, aber die Kundengelder blieben „verschwunden,“ während die Elitemedien über diese bizarre Situation so zurückhaltend wie nur möglich berichteten. Zum Beispiel besagte eine Geschichte auf der Titelseite des Wall Street Journal vom 23.02.2012, dass nach so vielen Monaten die Wahrscheinlichkeit sehr gering sei, dass die verschwundenen Kundengelder jemals wieder auftauchen könnten, betonte aber auch, dass niemand wegen irgendwelcher krimineller Machenschaften angeklagt werde. Sieht so aus, als wären die Journalisten davon ausgegangen, dass die $1,6 Milliarden Kundengelder einfach auf eigenen Füßen davonspaziert sind. 

Geschichten wie diese lassen die endlosen Prahlereien unserer Politiker und Wirtschaftsexperten unglaubwürdig erscheinen, dass Amerikas Finanzsystem das transparenteste und am wenigsten korrupte in der heutigen Welt ist. Sicher steht Amerika nicht allein da mit der Existenz von langfristigem Betrug durch Firmen, wie sich vor kurzem zeigte im Niedergang der japanischen Olympus Corporation auf die Entdeckung hin, dass über eine Milliarde Dollar in lange verborgenen Investitionsverlusten steckte. Wenn wir aber die bedeutendsten Firmenzusammenbrüche der letzten Dekade betrachten, die durch Betrug verursacht wurden, dann sind fast alle Namen amerikanisch: WorldCom, Enron, Tyco, Global Crossing und Adelphia. Diese Liste enthält nicht die amerikanischen Finanzinstitutionen, die durch die finanzielle Kernschmelze vernichtet worden sind – wie etwa Lehman, Bear Stearns, Merrill Lynch, Washington Mutual und Wachovia – und die vielen Billionen Dollars, die in amerikanischem Immobilienkapital und hoch bewerteten MBS-Papieren steckten und sich in diesem Prozess verflüchtigten. Unterdessen überlebte das größte und längste Pyramidenspiel der Weltgeschichte, nämlich das von Bernie Madoff, Jahrzehnte lang direkt unter der Nase der Börsenaufsicht, trotz einer langen Serie von detaillierten Warnungen und Beschwerden. Auch der zweitgrößte derartige Betrug, der von Allen R. Stanford, trägt die Aufschrift „Made in the USA.“ 

Einige der Quellen des chinesischen Erfolgs und des amerikanischen Zerfalls sind nicht gänzlich mysteriös. Wie es so ist, ist der typische berufliche Hintergrund eines Mitglieds der chinesischen politischen Elite das Ingenieurswesen, ihnen wurde beigebracht Dinge zu bauen. Ein beträchtlicher Anteil der amerikanischen politischen Führungsklasse hingegen hat Rechtskunde studiert, wo sie ausgebildet wurden, wirkungsvoll zu argumentieren und zu manipulieren. Es sollte uns daher nicht besonders überraschen, dass, während Chinas Anführer dazu tendieren, etwas aufzubauen, Amerikas Anführer endlose Manipulation zu bevorzugen scheinen, sei es von Worten, von Geld oder von Menschen.  

Wie korrupt ist die amerikanische Gesellschaft, die von unseren derzeitigen herrschenden Eliten geformt ist? Diese Frage ist vielleicht zweideutiger als es scheinen mag. Laut den weltweiten standardisierten Bewertungen durch Transparency International sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein ziemlich sauberes Land, in dem die Korruption zwar um einiges höher ist als in den nordeuropäischen Ländern oder in anderen englischsprechenden Ländern, aber viel niedriger als im größten Teil der übrigen Welt einschließlich Chinas.

Ich vermute aber, dass dieser eindimensionale Maßstab einige der zentralen Anomalien des derzeitigen sozialen Dilemmas Amerikas nicht erfasst. Anders als in vielen Ländern der Dritten Welt verlangen amerikanische Lehrer und Steuerinspektoren nur sehr selten Schmiergelder, und es gibt wenig personelle Überlappung zwischen unserer lokalen Polizei und den Kriminellen, die diese verfolgt. Die meisten einfachen Amerikaner sind in der Regel ehrlich. Nach diesen Maßstäben der Alltagskorruption ist Amerika also sehr sauber, nicht viel anders als Deutschland oder Japan.

Im Gegensatz dazu haben lokale Dorfbehörden in China eine berüchtigte Neigung, sich öffentliches Land anzueignen und es an Immobilienentwickler zu verkaufen, um damit große persönliche Profite zu machen. Diese Art alltäglichen Missverhaltens hat zu bis zu 90.000 sogenannten „Massenvorfällen“ geführt – öffentliche Streiks, Demonstrationen oder Aufstände – die üblicherweise gegen korrupte örtliche Funktionäre oder Geschäftsleute gerichtet sind.

Wie auch immer, während die amerikanische Mikro-Korruption selten ist, scheinen wir unter erschreckenden Größenordnungen von Makro-Korruption zu leiden, unter Situationen, in denen unsere verschiedenen herrschenden Eliten –zig oder sogar hunderte Milliarden Dollars unseres nationalen Vermögens verschleudern oder veruntreuen, manchmal kaum noch im Bereich der gesetzlichen Möglichkeiten und manchmal jenseits davon.

Schweden ist eine der saubersten Gesellschaften in Europa, während Sizilien vielleicht am korruptesten ist. Nehmen wir nun an, dass ein großer Clan rücksichtsloser sizilianischer Mafiosi nach Schweden übersiedelt und es irgendwie schafft, die Kontrolle über die Regierung zu bekommen. Im Alltagsbereich würde sich kaum etwas ändern, die schwedischen Polizisten und Bauinspektoren würden ihre Pflicht mit der gleichen unbestechlichen Effizienz erfüllen wie davor, und ich vermute, dass die Einstufung Schwedens durch Transparency International kaum schlechter würde. Unterdessen könnte ein großer Teil des schwedischen Volksvermögens Schritt für Schritt gestohlen und auf geheime Bankkonten auf den Cayman Islands transferiert oder in lateinamerikanische Drogenkartelle investiert werden, und letztendlich würde die gesamte ausgeplünderte Wirtschaft zusammenbrechen. 

Die einfachen Amerikaner, die schwer arbeiten und versuchen, ein ehrliches Einkommen für sich und ihre Familien zu erzielen, scheinen an den kranken Auswirkungen genau dieser Art einer von der Elite betriebenen wirtschaftlichen Plünderung zu leiden. Die Ursachen unseres nationalen Niedergangs werden gefunden werden genau an der Spitze unserer Gesellschaft, im Bereich des Einen Prozents, oder eher noch der 0,1 Prozent.  

Die in Why Nations Fail präsentierten Ideen scheinen also sowohl richtig als auch falsch zu sein. Die Behauptung, dass nachteilige politische Einrichtungen und korrupte Eliten gewaltige wirtschaftliche Schäden über eine Gesellschaft bringen können, erscheint absolut korrekt zu sein. Aber während die Autoren harsche Blicke auf Fehlverhalten von Eliten über Zeit und Raum hinweg werfen – vom alten Rom über das zaristische Russland bis zum aufsteigenden China – scheint sich ihre Sichtweise rosarot zu färben, wenn sie sich dem heutigen Amerika zuwenden, der Gesellschaft, in der sie selbst leben und deren herrschende Eliten großzügig die akademischen Institutionen finanzieren, denen sie selbst angehören. Angesichts der amerikanischen Realität des vergangenen Dutzends von Jahren ist es sehr verwunderlich, dass die Wissenschaftler, die ein Buch mit dem Titel Why Nations Fail verfasst haben, nie aus ihren eigenen Bürofenstern geschaut haben.

Eine ähnlich gefährliche Zurückhaltung wird dem größten Teil unserer Medien zusetzen, die viel eher darauf erpicht zu sein scheinen, sich auf selbst herbeigeführte Katastrophen in fremden Ländern zu stürzen statt auf diejenigen hier im eigenen Land. Nachstehend finden Sie die dazugehörige Fallstudie „Chinesisches Melamin und amerikanisches Vioxx: ein Vergleich,“ in der ich ausführe, dass, während die amerikanischen Medien vor ein paar Jahren gleich ihren chinesischen Kollegen dem Tod einiger chinesischer Kinder infolge verseuchter Säuglingsmilch enorme Aufmerksamkeit widmeten, sie sich relativ wenig um ein ähnliches heimisches Gesundheitsdesaster kümmerten, das den Tod von vielen zehn- oder sogar hunderttausenden Amerikanern zur Folge hatte.

Medien und akademische Organe einer Gesellschaft bilden den sensorischen Apparat und das zentrale Nervensystem für ihre Politik, und wenn die Information, die sie liefern, ernstlich irreführend ist, werden drohende Gefahren bleiben und wachsen. Medien und Akademien, die korrupt oder unehrlich sind, sind eine tödliche Gefahr für das Land. Obwohl die politische Führung des undemokratischen China gerne haben möchte, dass alle ihre größeren Fehler verborgen bleiben, versagt ihre simple Propagandamaschinerie oft bei diesem selbstzerstörerischen Unterfangen. Amerikas eigenes gesellschaftliches Informationssystem hingegen ist erheblich besser ausgebildet und erfahren in der Formung einer Realität, um den Bedürfnissen von Wirtschafts- und politischen Führern zu entsprechen, und genau diese erfolgreiche Tätigkeit fügt unserem Land ungeheuren Schaden zu. 

Vielleicht ist den Amerikanern wirklich lieber, dass ihre Sendeanstalten lustiges Infotainment liefern und dass ihre politischen Kampagnen amüsante Realityshows sind. Sicher waren dem jubelnden Publikum im Kolosseum des römischen Reichs ihr Brot und Spiele lieber als die schwierigen und gefährlichen Aufgaben, die ihre Vorgänger in der Zeit des Anstiegs Roms zur Weltbedeutung bewältigt hatten. Und so lange wir damit fortfahren können, bedruckte Zettel mit Präsidentenbildern für Flatscreen-Fernseher aus chinesischen Fabriken einzutauschen, ist vielleicht alles gut und niemand braucht sich Sorgen zu machen über den offenkundigen Verlauf unserer nationalen Entwicklung, am wenigsten von allen unsere politische Führungsklasse.

Wenn das allerdings so ist, dann müssen wir zugeben, dass Richard Lynn, ein bedeutender britischer Wissenschafter, recht hatte, als er ein Jahrzehnt lang oder länger vorhersagte, dass die globale Vorherrschaft der von Europa abstammenden Völker rapid ihrem Ende entgegen geht und dass in absehbarer Zeit die Fackel des menschlichen Fortschritts und der weltweiten Führerschaft unweigerlich in die Hände Chinas übergehen wird.

 
     
  erschienen am 18. April 2012 auf > The American Conservative > Artikel  
  Ron Unz ist Herausgeber von The American Conservative und Gründer von Unz.org und The Unz Review: An Alternative Media Selection  
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