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  Zu den Wurzeln des N-Worts

Robert C. Koehler

 

Unangebracht geäußert besitzt das Wort den Nachrichtenwert einer Kugel, die in einem Einkaufszentrum abgefeuert wird. Ein Wort. Es ist die tickende Zeitbombe der amerikanischen Geschichte. Es pulsiert vor Paradox.

Ich möchte mir die Zeit nehmen, um zumindest das zu würdigen: das Paradox. Wie kommt es, dass die Bedeutung dieses Worts sich abhängig davon ändert, wer es sagt? Einige Amerikaner können das Wort mit einer Art fröhlicher Ironie benützen, ja ein triumphierendes Gefühl der Macht in seinem Gebrauch finden, während andere es nicht einmal in Solidarität aussprechen können, ohne eine Lawine der Missbilligung zu riskieren?

Die kurze Antwort: Rassismus ist die amerikanische Verwerfungslinie. Es braucht nicht viel, um sie zum Beben zu bringen. Fragen Sie nur Bill Maher, der vor einigen Wochen den politisch inkorrekten Knopf zog und live im TV den Begriff „Hausnigger“ äußerte. Er meinte es natürlich ironisch, aber darum geht es nicht. Er wurde schnell wegen schockierend schlechten Geschmacks vorgeführt und hat sich seither entschuldigt, aber nur mit einem Beiton von Fassungslosigkeit: Warum? Warum ist das noch immer eine so große Sache? Ist Jim Crow nicht tot?

Ich habe hier die Absicht, die Kontroverse über Bill Maher hinaus zu bewegen und die Frage zu stellen: Gibt es eine Möglichkeit, über das N-Wort unabhängig von der Geschichte zu reden, die es geschaffen hat? Gibt es eine Zone von Vertrauen und Aufrichtigkeit, die wir betreten können, ohne durch diese Geschichte verseucht zu sein? Gibt es, unverblümt gesagt, eine Möglichkeit für weiße Amerikaner, die „Grenze zu überschreiten“ – wie es der Rapper Ice Cube ausdrückt – und glaubwürdig mit schwarzen Amerikanern über das Thema Rasse und Rassismus zu sprechen, und das Privileg zu erwerben, das N-Wort als Seelenverwandter auszusprechen und nicht als Rassist?

Ice Cube war einer der Gäste bei „Real Time with Bill Maher,” der mit Maher eine Woche nach der Kontroverse über das Thema N-Wort sprach. Sein Zugang war scharfsinnig:

„Es ist ein Wort, das gegen uns benützt worden ist,“ sagte er. „Es ist wie ein Messer, Mann. Und du kannst es als eine Waffe benutzen, oder du kannst es als Werkzeug benützen. Es wurde von weißen Leuten gegen uns als Waffe benützt, und wir werden uns das von niemandem mehr gefallen lassen, weil es nicht cool ist. Jetzt, ich weiß dass du´s gehört hast, es steht im Wörterbuch und ist in aller Mund, aber es ist jetzt unser Wort. Das ist jetzt unser Wort. Und ihr könnt es nicht zurück haben.

„… wenn ich es von meinen Kumpels höre, fühlt es sich nicht an wie Gift. Wenn ich es eine weiße Person sagen höre, dann fühlt es sich an wie dieses Messer, das in mich hineinsticht, sogar wenn sie es nicht so meinen.”

Als eine weiße Person – technisch gesehen und unvermeidbar, trotz meiner Verachtung für die Arroganz, Privilegien und die Ignoranz, die mit diesem Konzept einhergehen – finde ich diese Worte demütigend und entnervend, fast bis zu dem Punkt: Wie kann ich es wagen zu versuchen, dieses Thema anzugehen? Jede These, die ich aufstelle, dass ich weiß, worüber ich spreche, könnte einfach das Gift hochwirbeln und die Dinge schlimmer machen.

Ice Cube sagte aber auch: „Ich akzeptiere deine Entschuldigung. Ich glaube aber noch immer, dass wir zu der Wurzel der Psyche vordringen müssen.“

Die Definition von „Psyche” ist die menschliche Seele, und das zur Debatte stehende Wort – das explosive N-Wort – lässt es mit Sicherheit nicht zu, die Suche nach seiner Wurzel auf einer oberflächlichen Ebene zu belassen.

Reden wir also über Rasse. Ich wuchs in den 50ern und 60ern heran und wurde erwachsen. Was immer diese Periode der Geschichte sonst noch sein mag, sie war das letzte Aufatmen dessen, was ich als goldenes Zeitalter des Rassismus bezeichnen würde, als „Weißsein“ so normal war, dass es fast nicht bemerkt wurde und rassistische Sprache – rassistische Gewissheit – überall war, als Teil des Alltagslebens. „Eene meene mu – fang den ...“

Das nächste Wort war nicht „Tiger.”

Nette Damen drückten ihre Dankbarkeit aus, indem sie sagten „das ist sehr weiß von dir” und die Geschichte der Entdeckung und Eroberung des Planeten Erde durch Europäer war der gesamte Kontext, in dem Buben und Mädchen Geschichte beigebracht wurde. In den Schulbüchern meiner Kindheit existierte ein bestimmter Teil des Planeten nicht wirklich und ernsthaftig, bis „der erste weiße Mann“ seinen Fuß darauf setzte. Und so weiter.

Und natürlich gab es überall die Rassentrennung, physisch wie kulturell. Ich wuchs auf in Dearborn, einer Vorstadt im Westen von Detroit. Die Stadt ist jetzt Heimat einer der größten arabischen Bevölkerungen außerhalb des Mittleren Ostens, aber als ich dort lebte, war es dafür berühmt, „total weiß“ zu sein, mit einem Bürgermeister, Orville Hubbard, der oft als der George Wallace des Nordens bezeicnet wurde und entschlossen war, es dabei zu belassen. 1963, ich besuchte die High School, kam Dearborn kurz landesweit in die Schlagzeilen, als es zu einem Aufstand kam, weil schwarze Möbelpacker einem Paar beim Einziehen in ein Haus halfen und Nachbarn dachten, dass es die Schwarzen wären, die einzogen. Hunderte Menschen umringten das Haus zwei Tage lang. Die Lokalzeitung berichtete danach die Geschichte unter der Schlagzeile: „Massen beschädigen Haus und Auto aus falscher Angst vor Negern.“

Das alles war nur ein Bruchstück des Horrors im Jim Crow, post-Sklavenhalter-Amerika der 1950er. Aber es ist ein Teil des Kontexts – sozialer, kultureller, politischer - weißer Vormachtstellung, der, wenn man seiner gewahr wird, sich anzufühlen beginnt wie ein psychologischer Käfig: etwas absolut falsches, mit dem man nichts zu tun haben will. Mein Eindruck ist, dass Maher, indem er versuchte, das N-Wort in nicht rassistischer Weise zu gebrauchen – versuchte, es im Gangsta-Stil jenseits der Grenze politischer Korrektheit zu gebrauchen – an den Stäben dieses Käfigs rüttelte, um so zu erklären, dass er frei ist von der Kleingeisterei und der Illusion der Vormachtstellung.

Ja ich verstehe. Aber das N-Wort für deine Befreiung zu benützen, nachdem du oder deine Vorfahren nicht persönlich damit verletzt – damit in den Status des Untermenschen gepfercht wurden - ist zu einfach, wenn nur aufgrund des Unrechts des Eurozentrismus der Rassismus fünf Jahrhunderte nach seiner Entstehung ungeheilt bleibt und in der Tat weiter anhält: eingebettet in unsere Kriege, in unsere Gefängnisse und in unsere Wirtschaft.

Die Klinge des N-Worts schneidet noch immer. „Es ist ein Wort, das gegen uns benützt worden ist. Es ist wie ein Messer, Mann.“

Es steht als Beweis dafür, dass dieses Land noch immer in der Tiefe seiner Seele verwundet ist.

 
     
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