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  Vier Millionen Flüchtlinge

Afghanistan und Irak sind derselbe Krieg

David Orchard und Michael Mandel

Vor vier Jahren entfesselten die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich den Krieg gegen Irak, ein nahezu wehrloses Land der Dritten Welt kaum halb so groß wie (die kanadische Provinz) Saskatchewan. 

Vor der Besetzung und Okkupation hatte Irak zwölf Jahre lang fast jede Woche Bombardierungen durch die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich und die härtesten Sanktionen der Geschichte zu erdulden, deren „hauptsächliche Opfer“ laut UN-Generalsekretär „Frauen und Kinder, die Armen und die Schwachen“ waren. Laut UNICEF wurden etwa eine halbe Million Kinder durch Hunger und Krankheiten infolge der Sanktionen getötet.

Im März 2003 überfielen die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich – Besitzer von mehr Massenvernichtungswaffen als alle anderen Länder zusammen – Irak auf der Grundlage von betrügerischen Vorwänden mit Lenkgeschossen, Napalm, weißem Phosphor und DU-Munition (Munition mit abgereichertem Uran).

Die britische medizinische Zeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte 2006 eine Studie, nach der die geschätzte Anzahl der seit 2003 im Irakkrieg Getöteten 655.000 betrug, eine bestürzende Zahl, die nur zu schnell von den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs abgestritten wurde, ungeachtet weitgehender Zustimmung für die Erhebungsmethode aus dem Bereich der Wissenschaft (einschließlich dem wissenschaftlichen Chefberater der Regierung des Vereinigten Königreichs). 

Am 11. April 2007 veröffentlichte das Rote Kreuz einen Bericht unter dem Titel “Zivilisten ohne Schutz: die immer schlimmer werdende humanitäre Krise in Irak.” Unter Hinweis auf „immenses Leid“ fordert sie „dringend“ die „Beachtung des internationalen humanitären Rechts.“ Andrew White, der anglikanische Vikar von Bagdad fügte hinzu: „Was wir auf unseren Fernsehschirmen sehen, zeigt nicht einmal ein Prozent der grauenhaften Realität in Irak.“

Die UNO schätzt die Zahl der irakischen „Binnenflüchtlinge“ auf zwei Millionen, weitere zwei Millionen sind geflüchtet – in erster Linie in die Nachbarländer Syrien und Jordanien, wo sie die lokale Infrastruktur überlasten. 

Ein Angriff wie der auf den Irak, unternommen weder in Selbstverteidigung noch mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrats, ist in den Worten des Nürnberger Tribunals, das die Nazis verurteilt hat, “das grösstmögliche internationale Verbrechen.“ Gemäß dem Chefankläger dieses Tribunals, dem Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika Robert Jackson ist ein solcher Krieg ganz schlicht und einfach Massenmord.

Die meisten Kanadier sind stolz darauf, dass Kanada sich geweigert hat, beim Einmarsch in den Irak mitzumachen. Wenn aber die Rede auf Afghanistan kommt, hören wir das gleiche hurrapatriotische Kampfgeschrei wie damals gegen den Irak. Als hätten die Kriege gegen Irak und Afghanistan nichts miteinander zu tun, und als sei der Krieg gegen Afghanistan der gute Krieg, der gerechtfertigte und gerechte Krieg.

In Wirklichkeit sind die Kriege gegen Irak und Afghanistan der selbe Krieg.

So hat die Bush-Regierung Afghanistan von Beginn an gesehen; nicht als defensive Reaktion auf 9/11, sondern als Startschuss für den Regierungswechsel in Irak (wie dokumentiert in Richard A. Clarke „Against all Enemies“). Aus diesem Grund wird Afghanistan in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates im September 2001 nie erwähnt, schon gar nicht wird ein Angriff gegen das Land genehmigt. Auch der Angriff gegen Afghanistan war ein „grösstmögliches internationales Verbrechen“, durch das in den ersten sechs Monaten mindestens 20.000 unschuldige Zivilisten getötet worden sind. Die Bush-Regierung benützte 9/11 als Vorwand für den Beginn des unbegrenzten sogenannten „Krieg gegen den Terror“ – in Wirklichkeit ein terroristischer Krieg, der hunderte Male so viele Zivilisten tötet als andere Terroristen. 

Dass die Karzai-Regierung nachträglich unter der Schirmherrschaft der UNO eingerichtet wurde, entschuldigt die Teilnehmer am Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika nicht, und das betrifft auch Kanada. Auch sollte die Tatsache, dass Kanada jetzt im Rahmen der von der UNO autorisierten ISAF (International Security Assitance Force) operiert, niemanden täuschen. Von Anfang an stellte ISAF sich in den Dienst der Operation der Vereinigten Staaten von Amerika, indem sie erklärte: „Das Oberkommando der Vereinigten Staaten von Amerika wird über der ISAF stehen“ (UNSC Document S/2001/1217). Als die NATO das Kommando über ISAF übernahm, änderte sich gar nichts. NATO-Streitkräfte stehen immer unter dem Oberbefehl der Vereinigten Staaten von Amerika. Der „Oberste Befehlshaber“ ist immer ein amerikanischer General, der dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika untersteht, nicht dem afghanischen.

Kanadische Truppen in Afghanistan unterstehen nicht nur dem Kommando der Vereinigten Staaten von Amerika, sie tragen dazu bei, dass mehr amerikanische Kräfte für die blutige Okkupation des Irak verfügbar sind. 

Als die Vereinigten Staaten von Amerika 1961 – 1975 Vietnam, Laos und Kambodscha verwüsteten und dort sechs Millionen Getötete und Verstümmelte hinterließen, weigerte sich Kanada, daran teilzunehmen. Heute jedoch ist Kanada nicht nur an dem Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Irak und Afghanistan beteiligt, sondern auch an einem Netzwerk von bekannten und unbekannten Folterzentren, wie zum Beispiel Guantanamo Bay auf – auch das sollten wir nicht vergessen – illegal okkupiertem kubanischem Territorium. Über das, was die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika als Terrorismus bezeichnet, wissen wir, dass das weitgehend eine Reaktion auf fremde Okkupation ist. Über die Okkupation durch die Vereinigten Staaten von Amerika wissen wir, dass das eine Methode ist, mit der die Reichen der Welt den Rest zwingen, ihre Ressourcen herauszurücken.  

General Rick Hillier brüstete sich, dass Kanada die „Drecksäcke” in Afghanistan ausrotten werde. Er erwähnte nicht, dass die Sowjets mit dem Einsatz von 600.000 Soldaten und Milliarden an Hilfsleistungen über zehn Jahre hinweg außerstande waren, Afghanistan unter Kontrolle zu bringen. Das Vereinigte Königreich versuchte es auf dem Höhepunkt seiner imperialen Macht zwei Mal und scheiterte. Jetzt hilft Kanada einem weiteren niedergehenden Imperium, Afghanistan seinen Willen aufzuzwingen.   

Bisher konnten die Kanadier erhobenen Hauptes durch die Welt reisen. Wir haben unseren guten Ruf nicht erworben, indem wir Kriege gegen die Armen dieser Welt geführt haben, sondern größtenteils dadurch, dass wir uns geweigert haben, das zu tun.

Kanada muss – sofort und mindestens – seine Tore den Irakern und Afghanen öffnen, die vor dem Horror flüchten, der ihren Heimatländern zugefügt wird. Wir müssen aufhören mit der Heuchelei, dass wir nichts zu tun haben mit ihrem Leiden unter Bomben, Mordkommandos und Folter. Das heisst wir müssen uns weigern, unseren Namen, unsere Kraft und das Blut unserer jungen Menschen für diesen endlosen Krieg gegen die Dritte Welt zur Verfügung zu stellen.

   
     
  erschienen in Counterpunch am 28./29.04.2007 > http://www.counterpunch.org/orchard04282007.html  
  Michael Mandel ist Professor für Recht an der Osgoode Hall Law School of York University in Toronto, wo er Kriegsrecht unterrichtet. Er ist der Autor von "Pax Pentagon: Wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen." (Zweitausendeins 2005, Frankfurt am Main - antiquarisch bei ZVAB.DE)  
     
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