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  Was nun, Herr Gates?

Eric S. Margolis

Eines der ersten Dinge, die man mit dem Einmaleins der Diplomatie lernt, ist keine Drohungen zu machen, die man nicht einhalten kann. Gerade das hat der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika Robert Gates in der vergangenen Woche getan, indem er donnerte, die Vereinigten Staaten von Amerika „würden nicht akzeptieren“ und „würden nicht untätig zusehen“, wenn Nordkorea mit der Entwicklung nuklearer Waffen fortfahre. 

Nordkoreas Atomwaffen bedrohen die gesamte Erde, warnte Gates, dessen Pentagon über rund 10.000 nukleare Sprengköpfe im eigenen und in anderen Ländern verfügt, 28.500 Mann ständig in Südkorea und große Truppenkontingente in Japan, Okinawa und Guam stationiert hat.

Um beim Drohen mithalten zu können, warnte Nordkorea seinerseits, dass es im Fall eines Angriffs die südkoreanische Hauptstadt Seoul in „ein Feuermeer” verwandeln und Japan bombardieren würde.

Schreckliche Drohungen und aufgebrachtes Gequassel charakterisieren die giftigen Beziehungen zwischen dem isolierten stalinistischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und Südkorea. Ihre gegenseitigen Beschuldigungen sind zu einer Art ritualisiertem Kabuki-Theater geworden, in dem Zähnefletschen und Grimassen die reale Gewalt ersetzen.

Nach viel wütendem Imponiergehabe zahlen die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und Südkorea üblicherweise Nordkoreas „Lieben Führer“ Kim Jong-il aus, damit er aufhört Schwierigkeiten zu machen.

Dieses Mal sind Washington und Pjöngjang allerdings zu weit gegangen. Man fragt sich, wie Minister Gates Nordkorea davon abhalten will, Atomwaffen zu haben, die es schon besitzt.

Dem Pentagon sind Truppen und geborgtes Geld ausgegangen und es will sich nicht mit Nordkoreas robuster 1,1 Millionen Mann starker Armee anlegen. Seit Vietnam haben es die Vereinigten Staaten von Amerika vorgezogen, ihr Militär nur gegen kleine Länder mit eingeschränkter Verteidigungskapazität einzusetzen, wie Grenada, Panama, Somalia, Libyen, Afghanistan und Irak.

Für die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es keine Möglichkeit, einen Landkrieg gegen Nordkorea zu führen. Angriffe mit Bomben und Raketen wäre kaum in der Lage, sein Atomprogramm lahm zu legen. Aber eine derartige Attacke würde sicher einen größeren Krieg zur Folge haben.

Nach Nordkoreas zweitem kleinen Atomtest in der letzten Woche besteht reale Gefahr, dass dieses üblicherweise harmlose Kabuki tödliche Züge annehmen könnte. Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika  und Südkoreas stehen in höchster Alarmbereitschaft und Nordkorea sagt, es habe den Waffenstillstand aufgekündigt, der angeblich den Koreakrieg beendet hat. Kriegsflugzeuge und Marineeinheiten der Vereinigten Staaten von Amerika umschwirren Norkorea wie wütende Hornissen.

Nordkoreas Atomwaffen sind keine Gefahr für die Welt – zumindest noch nicht. Der Norden hat 800 ungenaue Mittelstreckenraketen gegen Südkorea und Japan gerichtet, die aber nur mit konventionellen Sprengköpfen ausgestattet sind. Man nimmt an, dass Nordkorea noch nicht über die technischen Fähigkeiten verfügt, nukleare Sprengköpfe für den Einsatz mittels Raketen zu produzieren. Es heißt, dass es an einer Langstreckenrakete arbeitet. 

Entgegen den Drohungen Pjöngjangs, die das Blut in den Adern gerinnen lassen, hat seine junge nukleare Ausstattung in erster Linie defensiven Charakter. Die Nordkoreaner mussten sprichwörtlich Gras essen, um für ihre Atomwaffen zu bezahlen.

Sollten sie letztlich zum Einsatz kommen, haben Kims Atomraketen die Aufgabe, mögliche nukleare Angriffe der Vereinigten Staaten von Amerika auf Nordkorea durch die Drohung mit Gegenschlägen auf Südkorea, Japan und die U.S.-Militärbasen auf Okinawa und Guam abzuhalten. Nordkorea würde kaum einen Atomkrieg mit einer größeren Nuklearmacht beginnen, der zu der unmittelbar folgenden Auslöschung durch einen nuklearen Vergeltungsschlag der Vereinigten Staaten von Amerika und zur Verdampfung der Kim-Dynastie führen würde.

Nach dem Atomtest in dieser Woche ist jedoch eine neue Gefahr aufgetaucht. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ihre Drohungen erneuert, nordkoreanische Frachtschiffe, die „Massenvernichtungswaffen“, Raketen oder militärische Güter in den Nahen Osten befördern könnten, auf hoher See anzuhalten und zu durchsuchen. Südkorea und Japan wollen das auch machen, aber nur innerhalb ihrer Hoheitsgewässer. Nordkorea warnt ganz zu Recht, dass eine solche Arrestierung auf hoher See eine Kriegshandlung wäre.

Die Handlung verdichtet sich. Israel macht sich Sorgen, dass Nordkorea auf der verzweifelten Suche nach Geld mehr Raketen, Technologie und Ersatzteile, in Zukunft atomare Sprengköpfe an die Araber oder Iran verkaufen wird. Washington ist beunruhigt, dass Nordkorea eine nukleare Waffe an antiamerikanische Extremisten verkaufen wird.

Israel hat starken Druck auf die Regierung Obama ausgeübt, jeglichen Fluss nordkoreanischer Waffen in den Nahen Osten zu stoppen. Das Weiße Haus reagierte mit Drohungen einer Seeblockade Nordkoreas.

Nordkorea sagt, es werde mit militärischen Mitteln auf jegliche Beschlagnahme auf hoher See reagieren, entweder in seinen umstrittenen Hoheitsgewässern gegen südkoreanische Marineeinheiten, oder durch Angriffe auf Schiffe der Vereinigten Staaten von Amerika und Spionageflugzeuge, die routinemäßig die nordkoreanische Küste beschatten und gelegentlich Nordkorea überfliegen.

In diesem Fall würden die Vereinigten Staaten von Amerika wahrscheinlich mit Raketen- und Luftangriffen antworten. Nordkoreas Gegenschlag würde in einem Dauerfeuer mit schwerer Artillerie und Raketen gegen die südkoreanische Hauptstadt bestehen, die nur 40 km entfernt liegt. Angriffe auf Militärbasen der Vereinigten Staaten von Amerika in Südkorea mit den vielen nordkoreanischen Scud-Raketen könnten folgen.

Die Regierung Obama spielt mit dem Feuer, wenn sie Nordkorea mit einem Akt des Krieges droht, das so viele amerikanische Truppen in Reichweite seiner Kanonen hat.

Wenn Kim Jong-il nicht zurücksteckt, wird Washington vor der unangenehmen Entscheidung stehen, ob es irgendeine Art militärischer Aktion durchführt, die sicher keine Entscheidung herbeiführen wird, oder das Gesicht vor seinen Aliierten und Gegnern verlieren und Kim trumphieren hören wird. Das ist die peinliche Lage, in die Minister Gates sich selbst gebracht hat. Was passiert, wenn ihn der Liebe Führer zwingt, Farbe zu bekennen? 

Kim Jong-il ist glücklich, wenn er mit Washington Hühnchen spielen kann, da dieses gefährliche Spiel seine Position zuhause aufwertet und ihn für einige zu einem Helden macht. Koreaner im Norden wie im Süden sehen in Kim den authentischen koreanischen Führer, der den mächtigen Vereinigten Staaten von Amerika Paroli bietet und sich weigert, ihren Drohungen nachzugeben – eine Art koreanischer Saddam Hussein. Nordkorea hat Südkorea lange beschuldigt, eine amerikanische Kolonie unter militärischer Okkupation durch die Vereinigten Staaten von Amerika zu sein, während Nordkorea das einzige „freie, unabhängige Korea“ sei.

Wie sein verstorbenen Vater Kim Il-sung hat Kim Jong-il wiederholt versprochen, noch vor seinem Tod die koreanische Halbinsel zu vereinigen. Die Zeit wird allerdings kurz für den kränkelnden Kim. Sein Versprechen sollte nicht leicht genommen werden. Die gegenwärtige Krise muss daher in Zusammenhang mit dem innerkoreanischen Kampf um Einheit – natürlich unter der Kim-Dynastie - gesehen werden. 

Der Liebe Führer hat interne Probleme bezüglich seiner Pläne, einen seiner drei Söhne als nächsten dynastischen Führer Nordkoreas zu nominieren. Der letzte Atomtest und die amerikanischen Drohungen werden Kim helfen. Ein anderer seiner Feinde, Südkoreas proamerikanischer Präsident Lee Myung-bak steht unter Druck seiner eigenen Leute nach dem tragischen Selbstmord des ehemaligen Präsidenten Roh Moo-hyun, der für die Aussöhnung mit Nordkorea gewesen war.

Wenn sich die Krise verstärkt, könnten Japan und Südkorea gezwungen sein, nukleare Waffen bereitzustellen, was beide schnell bewerkstelligen könnten. Japan kann eine Atomwaffe in weniger als 90 Tagen herstellen.

Kim Jong-il hat seinen Zeitpunkt gut ausgesucht. Iran wird wieder heißer. Mindestens 50.000 U.S.-Soldaten sollen zumindest bis 2011 dort bleiben. Der Krieg in Afghanistan und jetzt in Pakistan – oder „Afpak“ – läuft schlecht für die Vereinigten Staaten von Amerika, die gerade mehr Truppen hinschicken. Washington hat einen ungeheuren Umbruch in Pakistans nordwestlicher Grenzprovinz provoziert. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind pleite und leben von geborgtem Geld. Welche Zeit könnte da besser geeignet sein um zu zeigen, wer wirklich der Boss auf der koreanischen Halbinsel ist? 

Die Regierung Obama sollte vorsichtig sein. Diese letzte Krise mit Nordkorea ist ein klarer Beweis dafür, dass die amerikanische Weltmacht bereits an ihre Grenzen gestoßen ist.

 
     
  Paris, 1. Juni 2009, Copyright © 2009 Eric S. Margolis   
  erschienen auf > http://www.ericmargolis.com/ > http://www.ericmargolis.com/political_commentaries/ok-mr-gates-what-now_1.aspx  
     
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