HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
  Die Geschichte meines Schuhs

Muntadhar al-Zaidi

Muntadhar al-Zaidi, der Iraker, der George Bush mit seinen Schuhen bewarf, gab bei seiner vor kurzem erfolgten Entlassung diese Stellungnahme ab:

Im Namen Gottes, des Gütigsten und Barmherzigsten.

Hier bin ich, frei. Aber mein Land ist noch immer in Kriegsgefangenschaft.

Als erstes danke ich und grüße ich alle, die an meiner Seite gestanden sind, sei es in meinem Land, in der islamischen Welt oder sonstwo in der Welt. Es ist viel geredet worden über die Tat und die Person, die sie begangen hat, über den Helden und die heldenhafte Tat, über das Symbol und die symbolische Handlung.

Ich sage aber ganz einfach: was mich zu dieser Konfrontation brachte ist die Ungerechtigkeit, die meinem Volk widerfahren ist, und wie die Okkupation mein Heimatland demütigen wollte, indem sie es mit Stiefeln niedertrampelte. 

Und wie sie die Köpfe der Söhne meiner Heimat unter ihren Stiefeln zermalmen wollte, seien es Scheichs, Frauen, Kinder oder Männer. In den letzten paar Jahren fielen mehr als eine Million Martyrer unter den Kugeln der Okkupation und das Land ist jetzt gefüllt mit über fünf Millionen Waisen, einer Million Witwen und hunderttausenden Verkrüppelten. Und vielen Millionen heimatloser Flüchtlinge im und außerhalb des Landes.

Wir waren eine Nation, in der der Araber mit dem Türken und dem Kurden und dem Assyrer und dem Sabeer und dem Yazid sein tägliches Brot teilte. Und der Schiit betete zugleich mit dem Sunniten. Und der Muslim feierte mit dem Christen die Geburt Christi, der Friede sei mit ihm. Und das ungeachtet der Tatsache, dass wir unter Sanktionen über zehn Jahre lang gehungert haben, über eine Dekade lang.  

Unsere Geduld und unsere Solidarität haben uns die Unterdrückung nicht vergessen lassen. Bis wir überrannt wurden durch die Illusion der Freiheit, die einige hatten. Die Okkupation trennte einen Bruder vom anderen, einen Nachbarn vom anderen, und den Neffen von seinem Onkel. Sie verwandelte unsere Häuser in nie endende Trauerzelte. Und unsere Friedhöfe dehnten sich aus in Parks und entlang der Straßen. Es ist ein Elend. Es ist die Okkupation, die uns tötet, die die Gebetshäuser und unser Hausrecht verletzt und Tag für Tag tausende in provisorische Gefängnisse wirft.

Ich bin kein Held und ich gebe das zu. Aber ich habe einen Standpunkt und ich habe eine Einstellung. Es hat mich gedemütigt zu sehen, wie mein Land gedemütigt wurde. Und wie mein Bagdad verbrannt wurde. Und meine Leute getötet wurden. Tausende tragischer Bilder sind in meinem Kopf geblieben, und das belastet mich Tag für Tag und stößt mich auf den rechten Weg, den Weg der Konfrontation, den Weg der Zurückweisung von Ungerechtigkeit, Betrug und Doppelzüngigkeit. Es hat mir den ruhigen Schlaf geraubt. 

Dutzende, nein hunderte Bilder von Massakern, die das Haar eines Neugeborenen weiß färben würden, trieben mir Tränen in die Augen und verwundeten mich. Der Skandal von Abu Ghraib. Das Massaker von Fallujah, Najaf, Haditha, Sadr City, Basra, Diyala, Mosul, Tal Afar und in jedem Inch unseres verwundeten Landes. In den vergangenen Jahren reiste ich durch mein brennendes Land und sah mit meinen eigenen Augen die Pein der Opfer und hörte mit meinen eigenen Ohren die Schreie der Beraubten und der Waisen. Und ein Gefühl der Schande verfolgte mich wie ein hässlicher Name, weil ich machtlos war.  

Und sobald ich meine berufliche Pflicht erfüllt hatte, über die täglichen Tragödien der Iraker zu berichten, und während ich die Reste der Trümmer der zerstörten irakischen Häuser oder die Spuren des Blutes der Opfer abwusch, die meine Kleider befleckten, biss ich die Zähne zusammen und leistete unseren Opfern einen Schwur, einen Schwur der Vergeltung. 

Die Gelegenheit kam, und ich ergriff sie.

Ich ergriff sie aus Loyalität gegenüber jedem Tropfen unschuldigen Blutes, das durch die oder aufgrund der Okkupation vergossen wurde, jedem Schrei einer beraubten Mutter, jedem Stöhnen eines Waisen, dem Leid eines Vergewaltigungsopfers, der Träne eines Waisenkindes.

Ich sage denen, die mich tadeln: wisst ihr, in wie viele durch die Okkupation zerstörte Häuser der Schuh, den ich geworfen habe, gekommen ist? Wie oft er über das Blut unschuldiger Opfer gegangen ist? Und wie oft er in Häuser gegangen ist, in denen freie irakische Frauen und ihr Hausfrieden verletzt worden sind. Vielleicht war dieser Schuh die richtige Antwort, nachdem alle Werte verletzt worden sind.

Als ich den Schuh in das Gesicht des Verbrechers Bush warf, wollte ich meine Ablehnung seiner Lügen, seiner Okkupation meines Landes, seines Tötens meiner Leute ausdrücken. Meine Ablehnung seiner Plünderung des Reichtums meines Landes und seiner Zerstörung von dessen Infrastruktur. Und die Vertreibung seiner Söhne in eine Diaspora. 

Nach sechs Jahren der Demütigung, der Beleidigung, des Tötens und der Verletzung des Hausfriedens, und der Schändung der Häuser des Gebets kommt der Killer, rühmt sich, prahlt mit Sieg und Demokratie. Er wollte sich von seinen Opfern verabschieden und wollte dafür Blumen.

Einfach gesagt war das meine Blume für den Okkupanten und alle, die mit ihm unter einer Decke stecken, sei es, indem sie Lügen verbreiten oder mitmachen, vor der Okkupation oder danach.

Ich wollte die Ehre meines Berufs und der unterdrückten Vaterlandsliebe an dem Tag verteidigen, an dem das Land verletzt und seine Ehre verloren wurde. Einige sagen: Warum hat er nicht Bush bei der Pressekonferenz eine überraschende Frage gestellt, um ihn zu beschämen? Jetzt will ich euch antworten, ihr Journalisten. Wie sollte ich Bush eine Frage stellen, nachdem uns vor Beginn der Pressekonferenz befohlen worden war, keine Fragen zu stellen, sondern nur über die Veranstaltung zu berichten. Es war für jedermann verboten, Bush Fragen zu stellen.

Und was die Professionalität betrifft: die von manchen bedauerte Professionalität sollte unter den Bedingungen der Okkupation keine lautere Stimme haben als die Stimme des Patriotismus. Und wenn der Patriotismus zu sprechen hatte, sollte die Professionalität damit Hand in Hand gehen. 

Ich ergreife diese Gelegenheit: wenn ich dem Journalismus ohne Absicht unrecht getan habe aufgrund der professionellen Peinlichkeit, die ich dem Geschäft zugefügt habe, möchte ich mich bei Ihnen für jede Peinlichkeit entschuldigen, die ich diesen Kreisen bereitet haben mag. Alles was ich tun wollte war mit einem lebendigen Gewissen die Gefühle eines Bürgers ausdrücken, der sieht, wie sein Heimatland Tag für Tag geschändet wird. 

In der Geschichte finden sich viele Gelegenheiten, bei denen Professionalität auch durch die Hände amerikanischer Politiker kompromittiert wurde, sei es in einem Mordkomplott gegen Fidel Castro mit einer Bombe in einer Kamera, die als Journalisten des kubanischen Fernsehens verkleidete CIA-Agenten trugen, oder was sie im Krieg gegen den Irak alles taten, um die Öffentlichkeit darüber zu täuschen, was geschah. Und es gibt noch viele Beispiele, auf die ich hier nicht eingehen will.

Ich möchte aber Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, dass diese verdächtigen Agenturen – der amerikanische Geheimdienst und seine Filialen und Handlanger – keine Anstrengung scheuen werden, um mich zu verfolgen, weil ich ein Rebell bin, der gegen ihre Okkupation ist. Sie werden versuchen mich zu töten oder zu neutralisieren und ich mache die mir nahe Stehenden auf die Fallen aufmerksam, die diese Agenturen aufstellen werden, um mich zu fangen oder zu töten auf verschiedene Weise, physisch, sozial oder beruflich.

Und in der Zeit, als der irakische Ministerpräsident in den Satellitenkanälen auftrat und sagte, er würde nicht schlafen, ehe er für meine Sicherheit gesorgt habe und dass ich ein Bett und eine Decke habe, in dieser Zeit wurde ich mit den schrecklichsten Methoden gefoltert: Elektroschocks, Schläge mit Kabeln, Schläge mit Metallstangen, und das alles im Hinterhof des Gebäudes, in dem die Pressekonferenz gehalten wurde. Und die Pressekonferenz ging weiter und ich konnte die Stimmen der Teilnehmer hören. Und vielleicht konnten diese auch mein Schreien und Stöhnen hören.

Am Morgen wurde ich der Kälte des Winters überlassen, gefesselt, nachdem sie mich in der Dämmerung in Wasser getaucht hatten. Und ich entschuldige mich für Herrn Maliki dafür, dass er die Wahrheit von den Menschen fern gehalten hat. Ich werde später sprechen und die Namen derer bekannt geben, die an meiner Folterung beteiligt waren, und unter denen sich hochrangige Beamte in Regierung und Armee befanden.

Ich habe es nicht getan um in die Geschichte einzugehen oder für materiellen Gewinn. Alles was ich wollte war mein Land verteidigen, und das ist ein rechtmäßiges Anliegen und ist gedeckt durch Internationales Recht und göttliche Gesetze. Ich wollte ein Land verteidigen, eine uralte Kultur, die entweiht worden ist, und ich bin mir sicher, dass die Geschichte – besonders in Amerika – erweisen wird, wie die amerikanische Okkupation Irak und die Iraker bezwingen konnte, bis zu ihrer Unterwerfung.

Sie werden prahlen mit dem Betrug und den Mitteln, die sie benutzten, um ihr Ziel zu erreichen. Es ist nichts neues, unterscheidet sich nicht besonders von dem, was der amerikanischen Urbevölkerung durch die Kolonialisten zugefügt worden ist. Hier sage ich den Okkupanten und allen, die ihnen folgen und allen, die sie unterstützen und sich für ihre Sache ausgesprochen haben: Niemals.

Denn wir sind ein Volk, das eher stirbt als Erniedrigung hinzunehmen.

Und abschließend sage ich, dass ich unabhängig bin, ich bin kein Mitglied irgendeiner politischen Partei, etwas, was während der Folter behauptet wurde – einmal, dass ich weit rechts stehe, ein anderes Mal, dass ich ein Linker bin. Ich bin unabhängig von jeder politischen Partei und meine zukünftigen Anstrengungen werden sich auf zivile Dienste an meinem Volk und allen, die sie brauchen richten, ohne politische Kriege zu führen, wie das manche behauptet haben.

Meine Anstrengungen werden sich auf die Versorgung von Witwen und Waisen richten und alle, deren Leben durch die Okkupation zerstört worden sind. Ich bete um Vergebung für die Seelen der Martyrer, die in dem verwundeten Irak gefallen sind, und um Schande für diejenigen, die den Irak okkupiert haben und für alle, die ihnen bei diesen abscheulichen Taten geholfen haben. Und ich bete um Frieden für die, die in ihren Gräbern liegen und diejenigen, die unterdrückt sind mit den Ketten der Gefangenschaft. Und Friede sei mit euch, die geduldig sind und eure Entlassung in die Hände Gottes legt. 

Und meinem geliebten Land sage ich: wenn die Nacht der Ungerechtigkeit länger dauert, wird sie nicht den Aufgang einer Sonne aufhalten und das wird die Sonne der Freiheit sein.

Ein letztes Wort sage ich der Regierung: es ist ein Versprechen, das ich meinen Mitgefangenen gegeben habe. Sie sagten: „Muntadhar, wenn du frei kommst, berichte den allmächtigen Kräften – ich weiß, dass nur Gott allmächtig ist und ich bete zu Ihm – von unserer Notlage und sage ihnen, dass Dutzende, hunderte Opfer in Gefängnissen dahinrotten nur auf die Angabe von Informanten hin.“ 

Sie sind seit Jahren dort, sie wurden weder angeklagt noch verurteilt.

Sie wurden nur von den Straßen weg geschnappt und in diese Gefängnisse geworfen. Und jetzt, vor Ihnen und in der Gegenwart Gottes hoffe ich, dass sie mich hören oder sehen können. Ich habe jetzt mein Versprechen eingehalten, die Regierung und die Beamten und die Politiker aufzufordern nachzusehen, was in den Gefängnissen geschieht. Das Unrecht, das durch die Verzögerung im Justizsystem verursacht wird.

Danke. Und möge Gottes Friede mit Ihnen sein.

Die Übersetzung ins Englische erfolgte durch McClatchys Sonderkorrespondenten Sahar Issa.

 
     
  erschienen am 17. September 2009 auf > www.antiwar.com > http://original.antiwar.com/muntadhar-al-zaidi/2009/09/16/the-story-of-my-shoe/  
     
  <<< Inhalt