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  Ein Beispiel für Courage: die Türkei stellt sich auf die Seite der Gerechtigkeit

Alan Sabrosky

Es ist immer etwas fesselndes rund um eine Konfrontation „David gegen Goliath“. Die meisten von uns mögen lieber Sieger als Verlierer, und fast jeder fühlt die Spannung, wenn der Außenseiter in Stellung geht und gewinnt. 

Eine derartige überraschende Situation entwickelt sich jetzt in dem immer weitere Kreise ziehenden Drama um den Goldstone-Bericht über Gaza. Goliath – in diesem Fall Israel plus die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer üblichen Rolle als Bibi Netanyahus „Onkel Tom“ – ging davon aus, dass groß angelegte Drohungen und ein vorhersehbares Veto der Vereinigten Staaten von Amerika im UN-Sicherheitsrat diesem Bericht den Garaus machen würden. Noch in der vergangenen Woche schien das der wahrscheinliche absehbare Verlauf zu sein.  

Aber David – in der Person des freimütigen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan – macht dabei nicht mit. Seine mutige Haltung hat eine gute Chance, den Goldstone-Bericht nicht nur so wirksam in die öffentliche Sicht zu bringen, dass nicht einmal die sehr israelfreundlichen U.S.-Massenmedien ihn ignorieren können, sondern auch den politischen Skandal der Unterdrückung der Palästinenser durch Israel aller Welt – besonders der amerikanischen Öffentlichkeit – vor Augen zu führen. 

Genesis in Gaza

Am Anfang dieser Angelegenheit stand Israels brutaler Angriff auf Gaza in den Wochen vor der Amtsübernahme Obamas und dessen Verurteilung nicht durch den UN-Sicherheitsrat (das verhinderte der amerikanische Patenonkel), sondern in einem Bericht, der von einer Kommission des UNO-Menschenrechtsrates unter der Führung des respektierten jüdischen Juristen Richard Goldstone aus Südafrika erstellt worden ist.

Bereits vor Erscheinen dieses Berichts war Erdogan mit Israel wegen dessen Angriff auf Gaza zusammengekracht, wobei er bei einer Debatte mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres im Januar 2009 aufstand und ging. Seither hat er seine Kritik an den israelischen Aktionen in Gaza und gegen die Palästinenser fortgesetzt, indem er Israel von der Teilnahme an kürzlich abgehaltenen NATO-Manövern ausschloss und mit seiner Verurteilung Israels in der vergangenen Woche wegen dessen Einsatz von Brandbomben gegen Zivilisten und Verletzung von Kindern während des Ansturms auf Gaza.

Die Position der Türkei ist in diesem Fall möglicherweise entscheidend. Als langjähriges Mitglied der NATO und als säkularer, in erster Linie von Moslems bewohnter Staat, der aufrechte diplomatische Beziehungen mit Israel unterhält, kann sie von ihren Kritikern nicht als antisemitischer Schurke hingestellt werden. Erdogans Standpunkt in dieser Sache ist in seinem Land sehr populär und wird offensichtlich von der Armee unterstützt. Er nimmt sich auch kein Blatt vor den Mund und bezeichnet die Aktionen Israels und der Vereinigten Staaten von Amerika als das was sie sind, etwas, was leider von so vielen in der Welt – und besonders von den meisten arabischen Ländern, deren Führer es schon aus eigenem Interesse eigentlich besser wissen sollten – mühsam ignoriert und manchmal sogar erleichtert wird.

In die Vereinten Nationen

Es sieht jetzt so aus, dass der Goldstone-Bericht formal vom UNO-Menschenrechtsrat (UNHCR) behandelt wird. Den Vereinigten Staaten von Amerika wäre sicher am liebsten, wenn die Angelegenheit dort enden würde, wenn sie schon in einem Gremium der UNO behandelt werden muss, nachdem sie festgestellt haben, dass der Bericht „zutiefst fehlerhaft“ ist, da er so völlig versagt, Israel total zu entlasten (wie schwer muss es für die Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika Susan Rice sein in den Spiegel zu schauen, nachdem sie derartige Behauptungen nachgeplappert hat, aber vielleicht ist sie das schon gewohnt ...). Und das kann passieren.

Aber das muss nicht passieren. Zur Zeit wollen drei Leute in entscheidenden Positionen der UNO, dass der Gaza-Bericht (und damit die israelisch-palästinensische Frage) jetzt debattiert wird. Es sind der Generalsekretär der UNO, der Präsident der UNO-Vollversammlung und der Präsident des UN-Sicherheitsrats. Das ist eine unübliche Konstellation, die sich nicht so bald wiederholen wird, die die baldige Durchführung der Empfehlungen des Berichts umso wichtiger macht.

Darüber hinaus kann sich das Hin und Her der Palästinenserbehörde in dieser Angelegenheit, in der diese zuerst haben wollte, dass die Behandlung des Berichts aufgeschoben wird und sie dann eine Kehrtwendung gemacht hat angesichts der anwachsenden Kritik seitens der Palästinenser und anderer, zum Besseren auswirken. Der Eklat steigerte die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber dieser Kontroverse und brachte viele Palästinenser von Fatah und Hamas zusammen, mehr als ich in Jahren gesehen habe.

Jenseits des Vetos der Vereinigten Staaten von Amerika

Wie die meisten Tyrannen, die plötzlich mitbekommen, dass das Gesetz naht, schwankt Israels Regierung zwischen Wutgeheul, Wildheit und Drohungen und hofft noch immer, dass der gute alte Onkel Sam – vernarrt, sehr stark und gar nicht hell – von Anfang bis zuletzt intervenieren wird. Und man kann sicher sein, dass AIPAC (israelische Lobby, d.Ü.) und Konsorten alles unternehmen werden, damit das geschieht.

Der Rest der Welt sollte zwei Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Die eine ist, dass die israelische Drohung, die Friedensgespräche mit den Palästinensern einzustellen, irrelevant und wertlos ist. Sie ist irrelevant, weil die unglückselige Palästinenserbehörde, mit der Israel verhandeln könnte, die große Mehrheit der palästinensischen Menschen weder repräsentiert noch für diese sprechen kann. Sie ist wertlos, weil Frieden für Israel die Unterwerfung unter dessen Willen bedeutet: Israel wird keine Territorien zurückgeben, keine Siedlungen räumen, keine palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren lassen und über nichts verhandeln außer über nebensächliche Details seiner Vorherrschaft. 

Die andere ist, dass es durchaus keinen zwingenden Grund gibt, dass der Goldstone-Bericht im Menschenrechtsrat oder gar im Sicherheitsrat sterben muss. Erdogan hat angekündigt, dass die Türkei, die in diesem Monat den rotierenden Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat, den Bericht auf dessen Tagesordnung setzen will ungeachtet dessen, was im Menschenrechtsrat passiert. Das würde die Sache eine Stufe weiter bringen, wo sie nach einer absehbar scharfen Diskussion zu einem Veto der Vereinigten Staaten von Amerika führen wird, an das sich vielleicht Großbritannien und/oder Frankreich anhängen werden.

An diesem Punkt sollten der Präsident des UN-Sicherheitsrats zusammen mit dem Präsidenten der Generalversammlung und dem UNO-Generalsekretär den Mut aufbringen, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, die Angelegenheit gemäß UNGA 377A (die „Einigung für den Frieden-Resolution") in die Generalversammlung zu bringen.

Als Konstruktion aus dem Kalten Krieg, mit der Vetos der Sowjetunion umgangen werden sollten, ist diese kaum bekannt, aber absolut geeignet für die schwelende Situation im Nahen Osten. Ihr großer Vorteil ist, dass sie der Generalversammlung die Macht zur Durchsetzung überträgt, die normalerweise im Bereich des UN-Sicherheitsrat liegt, wobei es hier keine Vetos gibt.

Das ist eine einmalige Gelegenheit. Erwartet sie! Bereitet euch darauf vor! Macht das Beste daraus! Siegt!

 
     
  erschienen am 18. Oktober 2009 in > Foreign Policy Journal > http://www.foreignpolicyjournal.com/2009/10/18/a-profile-in-courage-turkey-takes-a-stand-for-justice/  
  Alan Sabrosky (Ph.D, University of Michigan) hat zehn Jahre im US Marine Corps gedient und das US Army War College absolviert.  
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