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  Der rechte Hoden der Hölle: Geschichte eines haitianischen Holocausts

Blackwater vor Trinkwasser

Greg Palast

1.

Gepriesen sei der Präsident, der schon im nächsten Augenblick Rettungsteams in der Luft hatte. Das war Präsident Olafur Grimsson von Island. Am Mittwoch berichtete AP, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika versprochen hat: „Das erste Kontingent von 2.000 Marinesoldaten könnte innerhalb der nächsten paar Tage in das vom Erdbeben zerstörte Land entsendet werden.“ „In ein paar Tagen,“ Herr Obama?

2.

Es gibt keine „natürliche“ Katastrophe. 200.000 Haitianer wurden ermordet durch Slumsiedlungen und „Spar“-Pläne des IMF (Internationaler Währungsfonds).

3.

Eine Freundin von mir rief an. Ob ich einen Journalisten weiß, der ihrem Vater Medikamente bringen kann? Und weiter, ihre Stimme gerade noch unter Kontrolle: „Meine Schwester, sie liegt unter dem Schutt. Kommt jemand, der ihr helfen kann, irgend jemand?“ Sollte ich ihr sagen „Obama wird in ein paar Tagen Marinesoldaten hinschicken“?

4.

China schickte Rettungsteams mit Suchhunden innerhalb von 48 Stunden. China, Herr Präsident. China: 8.000 Meilen entfernt. Miami: 700 Meilen nahe. Militärbasen der Vereinigten Staaten von Amerika in Puerto Rico: direkt vor Ort.

5.

Obamas Verteidigungsminister Robert Gates sagte: „Ich wüsste nicht, wie diese Regierung schneller oder umfassender reagieren hätte können, als sie es getan hat.“ Wir wissen, dass Gates das nicht weiß.

6.

Aus meiner bisherigen Tätigkeit weiß ich, dass FEMA (Federal Emergency Management Agency – Bundes-Katastrophen-Management-Agentur) Zugang hat zu sofort verfügbarem Trinkwasser, Generatoren, mobilem medizinischen Gerät und mehr für den Einsatz bei Hurrikanen an der Golfküste. Lieutenant General Russel Honoré von der Armee, der die Rettungsaktivitäten nach Hurricane Katrina leitete, sagte dem Christian Science Monitor: „Ich dachte, wir hätten das von Katrina gelernt – nimm Nahrungsmittel und Wasser und fang an, Menschen zu evakuieren.“ Vielleicht haben wir das gelernt, aber offensichtlich waren Gates und das Verteidigungsministerium an diesem Tag nicht in der Schule.

7.

Schick die Marinesoldaten. Das ist Amerikas Antwort. Das ist es, was wir können. Der Flugzeugträger USS Carl Vinson ließ sich endlich nach drei Tagen blicken. Womit? Er war mit großem Getöse gesendet worden – ohne irgendwelche dringend benötigten Hilfsgüter. Er verfügt über Sidewinder-Raketen und 19 Helikopter. 

8.

Immerhin brach das Internationale Such- und Rettungsteam, voll ausgestattet und ausgerüstet für bis zu sieben Tagen Einsatz ohne Nachschub, sofort auf, mit zehn Tonnen Gerät und Ausrüstung, drei Tonnen Wasser, Zelten, Kommunikationsausstattung und Möglichkeiten der Wasseraufbereitung. Sie kommen aus Island.

9.

Gates schickte weder Nahrung noch Wasser, da, wie er behauptete, es dort keine “Struktur gäbe … die Sicherheit gewährleistet.” Für Gates, der von Bush bestellt wurde und unter Obama herumlungern darf, gilt Sicherheit zuerst. Das war seine Lehre aus dem Hurrikan Katrina. Blackwater vor Trinkwasser.

10.

Frühere Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika haben viel schneller Truppen auf diese Insel gebracht. Haiti bildet die rechte Hälfte der Insel Hispaniola. Es wird behandelt wie der rechte Hoden der Hölle. Die Dominikanische Republik ist die linke. Als die Dominikaner 1965 die Rückkehr ihres gewählten Präsidenten Juan Bosch forderten, der von einer Junta abgesetzt worden war, reagierte Lyndon Johnson sofort auf diese Krise und ließ 45.000 Marinesoldaten der Vereinigten Staaten von Amerika landen, um die Rückkehr des gewählten Präsidenten zu verhindern.

11.

Wie konnte Haiti in diesen Zustand geraten, wirtschaftlich geschwächt, mit einer Infrastruktur, von Krankenhäusern bis zur Wasserversorgung, die ruiniert oder nicht existent ist – es gibt zwei Feuerwehrstationen im gesamten Land – mit einer dermaßen brüchigen Infrastruktur, dass das Land nur mehr darauf wartete, von der „Natur“ fertig gemacht zu werden? 

Mutter Natur ist nicht Schuld an all diesem Sterben und all dieser Zerstörung. Diese Schande geht an Papa Doc und Baby Doc, die Diktatur der Duvaliers, die die Nation 28 Jahre lang ausplünderten. Papa und sein Baby steckten geschätzte 80% aller Entwicklungshilfe in ihre eigenen Taschen – in Komplizenschaft mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, die froh war, die Duvaliers und ihre Voodoo-Miliz Tonton Macoutes als Verbündete im Kalten Krieg auf ihrer Seite zu haben. (Der Krieg wurde leicht gewonnen: die Mordkommandos der Duvaliers töteten an die 60.000 Gegner des Regimes.)

12.

Was Papa und Baby nicht zugrunde gerichtet haben, machte der IMF mit seinen „Spar“-Plänen fertig. Ein Sparplan ist eine Form des Voodoo, betrieben von Wirtschaftswissenschaftern, die von dem Irrglauben zombifiziert sind, dass die Einschränkung der öffentlichen Dienste einem Land irgendwie helfen wird, sich gut zu entwickeln.

13.

1991, fünf Jahre nach der Flucht des mörderischen Babys, wählten die Haitianer einen Priester, Jean-Bertrand Aristide, der sich gegen die Spardiktate des IMF stellte. Innerhalb von Monaten setzte ihn das Militär unter dem Applaus von Papa George H.W. Bush ab.

Die Geschichte wiederholt sich, zuerst als Tragödie, dann als Farce. Die Farce war George W. Bush. Nachdem der Priester Aristide 2004 als Präsident wiedergewählt wurde, wurde er entführt und wieder außer Landes gebracht, unter dem Applaus von Baby Bush.

14.

Haiti war einst ein reiches Land, das reichste in der Hemisphäre, mehr wert, wie Voltaire im 18. Jahrhundert schrieb, als diese felsige kalte Kolonie namens Neu England. Haitis Schatz war schwarzes Gold: Sklaven. Aber dann rebellierten die Sklaven – und haben dafür bis heute bezahlt.

Von 1825 bis 1947 zwang Frankreich Haiti, einen jährlichen Betrag als Entschädigung für die Profite zu bezahlen, die die französischen Sklavenhalter durch den erfolgreichen Aufstand ihrer Sklaven verloren hatten. Die Grande Nation Frankreich hielt es für einfacher, statt der einzelnen Menschen in Haiti das ganze Land zu versklaven. 

15.

Minister Gates teilt uns mit: „Es gibt einige bestimmte Tatsachen im Leben, die bestimmen, wie schnell du einige dieser Dinge erledigen kannst.“ Das Spitalsschiff der Marine wird auch hinkommen, in einer Woche oder so. Bravo, gut gemacht!

16.

Eine Nachricht, die ich gerade von meiner Freundin bekommen habe. Ihre Schwester wurde gefunden – tot, und ihre andere Schwester musste sie begraben. Ihr Vater benötigt dringend seine Medikamente. Auch das ist eine Tatsache im Leben, Herr Präsident.

* Gerade hereingekommen:

Unserer Bitte, Medikamente an den Vater eines Freundes in Haiti zu senden, wurde vom Herausgeber von Democracy Now! Sharif Abdel-Kouddous entsprochen, der die Zustellung in Port-au-Prince übernehmen wird. Offensichtlich benötigt Democracy Now! Im Gegensatz zur Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika keine bewaffneten „Sicherheitskräfte“, um Leben zu retten.

 
     
  erschienen am 13. Januar 2010 in > Foreign Policy Journal und > http://www.gregpalast.com/ > http://www.gregpalast.com/the-right-testicle-of-hell-history-of-a-haitian-holocaust/  
     
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