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  Terrorismus

Philip Giraldi  

Nach dem 9/11 wurde so gut wie alles, was die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika machte, kritiklos von der Öffentlichkeit akzeptiert. Schnell wurde der Patriot Act beschlossen, der die Freiheiten einschränkte, die die Amerikaner seit über 200 Jahren genossen hatten, ohne nennenswerten Widerstand im Kongress und in den Medien. George W. Bush erklärte der Welt den Krieg, indem er seine Sicherheitsdoktrin dahingehend definierte, dass die Vereinigten Staaten von Amerika das Recht hatten, überall und jederzeit gegen jedes Land präventiv einzuschreiten, das vom Weißen Haus als Bedrohung angesehen wurde. Bush erklärte auch seinen weltweiten Krieg gegen den Terror, wodurch er seine Regierung verpflichtete, militärisch und mit Geheimdiensten zu intervenieren, wo immer seiner Definition entsprechende Terroristen zu finden waren. Es war ein Handel mit dem Teufel, der die Menschen in Amerika in Sicherheit wiegte, dass die Regierung etwas unternahm, um ihre Sicherheit zu verbessern, während viele ihrer grundlegenden Rechte eingeschränkt und die internationale Ordnung auf den Kopf gestellt wurde, nach der bis dato kriegerische Handlungen als die schwersten Verbrechen gegolten hatten.    

Von Anfang an riefen einige Stimmen sogar im Kongress und in den Massenmedien zur Besonnenheit, aber diese wurden übertönt von denen, die nach Rache riefen. Aus der Rache wurde bald eine Reihe von unklugen politischen Maßnahmen, die zu der desaströsen Invasion in den Irak führten. Aus der jetzigen Perspektive kann man zurückblickend sehen, dass es Angst war, die die Nation zu jener Zeit trieb. Die Angst machte die Entwicklung möglich, die Amerika einen dunklen Weg hinunter trieb, und sie wurde genährt durch die nicht greifbare Drohung mit dem Terrorismus, der immer wieder von denen in der Regierung beschworen wurde. 

Leider hat sich wenig seit dem 9/11 geändert und es wäre leicht, in Barack Obamas Amerika die Augen zu schließen und sich vorzustellen, es sei 2001 und George Bush noch immer Präsident. Amerikanische Soldaten haben sich im Irak eingerichtet, werden in Afghanistan aufgestockt und stehen bereit, in Gebieten wie Jemen und Somalia zu intervenieren. Hellfire-Raketen von ferngesteuerten Drohnen hageln auf pakistanische Stammesleute neuerdings öfter nieder als unter George W. Bush. Das Gefängnis Guantánamo ist noch immer in Betrieb und das Gefängnis Bagram verspricht das neue Abu Ghraib zu werden. Und immer noch wird die Angst geschürt, um diese Entwicklung weiter zu treiben, pathetische Worte aus dem Weißen Haus, die die Menschen in Amerika vor der fortgesetzten weltweiten Bedrohung durch Terroristen warnen. 

Von Anfang an waren viele Amerikaner skeptisch hinsichtlich George Bushs weltweitem Krieg gegen den Terror, den sie als Sprücheklopferei erkannten, Sicherheitspolitik per Aufkleber. Terror ist weder ein Land noch eine Gruppe. Er ist eine Taktik. Er existiert, seit die ersten Menschen Steine benutzten, um sich gegenseitig zu erschlagen, aber in seiner modernen Form wurde er entwickelt in Palästina in den 1940ern, als Haganah und Stern Gang gegen zivile Ziele wie das König David Hotel losschlugen, um die Briten zu vertreiben. In der Folge wurde er auch von jungen Staat Israel gegen palästinensische Araber benutzt, um diese zu zwingen, ihre Häuser zu verlassen. Terrorismus besteht im Angriff auf zivile Ziele mit dem Ziel, die örtliche Bevölkerung zu demoralisieren und ihre Widerstandskraft zu schwächen.

Ein Terrorist muss also jemand sein, der Terror benutzt, stimmt´s? Nach einigen Definitionen schon, aber nicht auf jeden Fall, und das Wort Terrorist gibt letztlich nicht mehr Aufschluss als Hinweise auf den Terror. Es führt eher zum Ziel, wenn man die Gruppen nimmt, die Terror als politische Gruppierungen anwenden, als Taktik zur Unterstützung eines fast immer größeren Anliegens. Von dieser Realität ausgehend hat sich das Klischee entwickelt, dass der Terrorist von heute zum Staatsmann von morgen werden kann, wenn sich der politische Wind dreht. Das kann man gut am Beispiel einiger Gruppen sehen, die derzeit oder zu einer anderen Zeit von der Weltgemeinschaft als „terroristisch“ betrachtet werden, zum Beispiel Hezbollah. Hezbollah wurde bekannt, weil sie sich der israelischen Okkupation des südlichen Libanon widersetzte. Sie benutzte die Taktik des Terrors, um israelische Zivilisten im Norden des Landes anzugreifen, aber ihr oberstes Ziel war es, die israelischen Besatzer zu vertreiben. Das schaffte sie im Jahr 2006 mit konventioneller militärischer Taktik, nicht Terror, während sie ihre Reputation aufpolierte, indem sie Güter und Dienste für viele arme Menschen in den Gebieten zur Verfügung stellte, die unter ihrem Einfluss standen. Sie wurde zu einem Regierungspartner im Libanon und wandelte sich zu einer weitgehend konventionellen politischen Partei. Sie ist noch immer in Auseinandersetzungen mit Israel an der Grenze zwischen den beiden Ländern verwickelt, aber ihre Fähigkeit, den Rest der Welt und insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika zu bedrohen, ist Null. 

Und dann war da der Viet Cong in Vietnam. Haben die Terror benutzt? Sicher. Aber sie taten das, um die politische Kontrolle über einen großen Teil des Landes zu errichten und auch in den Städten Angst zu verbreiten. Als sie sich stark genug fühlten, ließen sie sich in Gefechte mit U.S.-Truppen und mit der südvietnamesischen Armee ein. In allererster Linie aber waren sie eine politische Gruppe mit einem politischen Ziel, nämlich das von den Vereinigten Staaten von Amerika abhängige vietnamesische Marionettenregime zu ersetzen. Hat der Viet Cong je die Vereinigten Staaten von Amerika durch seine Fähigkeit bedroht, die Taktik des Terrors einzusetzen? Nicht im geringsten.

Zu guter Letzt haben wir das Beispiel der Taliban. Die Taliban werden von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika als terroristische Organisation geführt und haben in der Tat Zivilisten getötet, um die Kontrolle über Teile Afghanistans zu erreichen. Aber sie bekämpfen auch die Kräfte der Vereinigten Staaten von Amerika und der NATO in einer konventionellen Weise, haben sich bemüht, die Warlords zu besiegen und korrupte Regierungsbeamte aufzustöbern und haben gleiches Recht für alle Menschen in Afghanistan unter der islamischen Scharia versprochen. In vielen Gebieten sind sie viel beliebter als die Regierung von Präsident Hamid Karzai. Als sie in Afghanistan an der Macht waren, führten sie eine strikte religiöse Herrschaft ein, eliminierten aber auch Drogenproduktion und den Einfluss der Warlords. Sie als terroristische Gruppierung zu bezeichnen und darauf hinzuweisen, man wolle nichts damit zu tun haben, als ihre Anhänger einzusperren oder zu töten, weist darauf hin, dass man irgendwie daneben steht. Die Gruppe ist im Wesentlichen politisch und betrachtet sich selbst als potenzielle Regierungspartei, die Terrorismus nur als Taktik benutzt, wenn sie das als nötig findet.  

Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hält sich im Wesentlichen an ein israelisches Paradigma bei ihrer Weigerung, mit politischen Gegnern zu verhandeln, die Terror anwenden. Ihre Abweisung von Gruppen wie zum Beispiel die Taliban als Terroristen hat zur Folge, dass Gelegenheiten, mit diesen auf der Grundlage ihrer wirklichen Interessen ins Gespräch zu kommen, nicht genützt werden. Auch führt das zu bequemen politischen Kurzschlüssen und erweckt den Eindruck, dass es keinen Sinn hat, über die Möglichkeit nachzudenken, dass die betroffenen Gruppen entweder berechtigte Beschwerden oder positive Motive haben. So wird die ganze Argumentation in eine Richtung gelenkt, um nicht erwünschte Schlussfolgerungen zu vermeiden. Es wird häufig gesagt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan kämpfen, weil es besser ist, „diese“ dort als hier zu bekämpfen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Taliban haben keinerlei Interesse an den Vereinigten Staaten von Amerika, ausgenommen dass diese ihr Land Afghanistan besetzen. Ron Paul sagt, ganz korrekt, dass im Fall eines terroristischen Zwischenfalls diese nur hier sind, weil wir dort sind. Wenn wir von „dort“ abziehen, werden „diese“ nicht hierher kommen, weil sie keinen Grund dazu haben.  

Das Problem liegt also darin, dass die Sprache, die wir benutzen, unser Denken über eine Angelegenheit beeinflusst. Wenn man erst einmal abgeht von den Reizwörtern Terror und Terrorist, die daraufhin gerichtet sind, Angst und Unsicherheit hervorzurufen, wird es möglich, sich mit einer Realität zu beschäftigen, die ganz anders ist. Die Gruppierungen, die Weißes Haus und Außenministerium als terroristisch bezeichnen, sind in Wirklichkeit politische Organisationen, die Änderungen anstreben, die die Erringung der Macht durch sie selbst begünstigen. Solche Gruppen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Die meisten wollen, dass die U.S.-Streitkräfte ihre Länder verlassen, viele wollen, dass Washington aufhört, korrupte und autokratische arabische Regierungen zu unterstützen, und fast alle wollen, dass die von den Vereinigten Staaten von Amerika tolerierte Demütigung der Palästinenser durch Israel aufhört. Und es wird auch möglich, die verschiedenen Gruppierungen als unterschiedliche Angelegenheiten zu sehen, die unterschiedlich zu behandeln sind, nicht als Teil einer nicht existierenden weltweiten Verschwörung.  

Die Wahrheit ist, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika am liebsten einen Feind hat, der einfach erklärt werden kann, möglichst schwarz-weiß. Sie will Angst bei den Menschen in Amerika hervorrufen, indem sie den Terrorismus als eine Art Monolith präsentiert, während dieser in Wirklichkeit wenig mehr ist als ein Flickwerk diverser politischer Gruppierungen, die verschiedene Motivationen und Ziele haben. Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist dass sie manchmal Terror als Taktik benutzen. Die Terror-Taktik selbst wird zunehmend unattraktiv. Der einzige Grund, dass die Anzahl der Gruppen, die Terror anwenden, anscheinend zunimmt liegt darin, dass die Zahl der Länder, die die Vereinigten Staaten von Amerika besetzen oder angreifen, zunimmt, wobei allerdings die Zahlen wenig beeindruckend sind. Es sind sicher weniger als ein paar tausend Anhänger von Gruppen, die weltweit Terror benutzen. Junge muslimische Männer sind zunehmend abgeneigt, sich in die Auseinandersetzung ziehen zu lassen und es gibt Anzeichen dafür, dass die Faszination des Jihad als religiöse Pflicht nachgelassen hat. Und diejenigen, die Terror benutzen, werden immer unbedeutender und amateurhafter, wie sich am Beispiel des nigerianischen Unterhosenbombers gezeigt hat, einem Anschlag, der selbst unter den glücklichsten Umständen kaum erfolgreich sein hätte können. Hätte es keine Irrtümer beim Sicherheitsablauf und Austausch von Informationen gegeben, wäre Umar Farouk Abdulmutallab verhaftet worden, ehe er in Amsterdam an Bord des Flugzeugs gegangen wäre.  

Die Amerikaner sollten nicht länger über Terrorismus reden oder diesen fürchten, da er weitgehend eine leere Drohung ist. Eher wird man von einem Haifisch gefressen als in einem terroristischen Angriff getötet. Die Effektivität der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bei der Aufrechterhaltung der Angst durch ihre Bekämpfung des Terrors garantiert ständigen Krieg, führt zu einer übermächtigen Regierung und macht die amerikanischen Politiker blind. Es gibt viele Gruppen auf der Welt, die nach der Macht streben. Einige sind skrupellos in der Wahl der Mittel, mit denen sie die Kontrolle erreichen wollen, einschließlich ihrer Bereitschaft, Terror anzuwenden. Aber die meisten kümmern sich kaum um Washington, so lange die Vereinigten Staaten von Amerika sie in Ruhe lassen. Sie alle in Ruhe zu lassen wird wohl die beste Außen- und Sicherheitspolitik sein, die die Vereinigten Staaten von Amerika betreiben können.

 
     
  Erschienen am 21. Januar 2010 auf > http://www.antiwar.com > http://original.antiwar.com/giraldi/2010/01/20/the-terrorism-conundrum/  
     
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