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  Israelische Soldatinnen brechen das Schweigen

Ira Chernus

Wie ist es, wenn man als Frau in der israelischen Okkupationsmacht in der WestBank dient? Macht eine Frau als Okkupant andere Erfahrungen als ein Mann? Allerdings, sagen einige Frauen, die gerade ihr Schweigen gebrochen haben und einen Einblick in die grauenvolle Realität der Okkupation gaben.

„Eine weibliche Kampfsoldatin muss mehr beweisen,” erklärt eine. „Eine Soldatin, die andere zusammenschlägt, ist eine ernstzunehmende Kämpferin ... Als ich hier ankam, gab es eine andere Frau, die vor mir da war ... Jeder sagte, wie beeindruckend sie ist, weil sie Araber ohne Probleme demütigt. Das war der Indikator. Du musst sie sehen, wie sie demütigt, wie sie sie ohrfeigt, wow, sie hat diesen Kerl richtig abgewatscht.“ 

Diese „beeindruckende“ Frau ist keine seltene Ausnahme. „Wir fanden heraus, dass die Mädchen versuchen, noch gewalttätiger und brutaler als die Burschen zu sein, nur um von diesen akzeptiert zu werden,“ sagt Dana Golan, Direktorin von Breaking the Silence (‚Das Schweigen Brechen'), der israelischen Organisation, die gerade einen Bericht mit den Aussagen von rund 50 israelischen Frauen herausbrachte, die in der Okkupation eingesetzt gewesen waren.

Der Bericht „zeigt auf, wie tief verwurzelt die Gewalt in der täglichen Routine war,” laut einem Artikel in Yediot Aharonot, einer der in Israel am weitesten verbreiteten Zeitungen, voller verstörender Aussagen von den Frauen. Eine, die am Grenzübergang Erez zwischen Israel und Gaza gedient hatte berichtete, dass „es da eine Prozedur gab, vor man einen Palästinenser zurück in den Streifen entlassen hat – man holt ihn ins Zelt hinein und schlägt ihn ... gemeinsam mit den Vorgesetzten.“

Für Israelis, die sich bemühen auf dem Laufenden zu sein, ist eine weitere Enthüllung von routinemäßiger Gewalttätigkeit, geduldet und manchmal sogar von Offizieren angeführt, keine besondere Neuigkeit. Breaking the Silence bringt seit 2004 derartige Berichte von Augenzeugen an die israelische Öffentlichkeit. Neu ist der erste Einblick in die charakteristischen Erfahrungen von Frauen:

„Die Soldatinnen erwähnen immer wieder die besonderen Schwierigkeiten, die sie als Frauen hatten, die beweisen mussten, dass sie ‚Kämpferinnen’ waren inmitten der aufstachelnden männlichen Soldaten auf der einen Seite, und den Palästinensern, die sich schwer tun mit Frauen in Uniform, auf der anderen Seite.“

Eine Frau erinnerte sich an einen Zwischenfall vor einigen Jahren, als ein palästinensischer Mann sie anlachte, weil sie (wie sie meinte) eine Frau in Uniform war. Sie musste „ihren Selbstrespekt retten,“ sagt sie. Sie ging also nahe an den Mann heran, „als wollte ich ihn küssen. Ich sagte zu ihm ‚komm, komm her, wovor fürchtest du dich? Komm zu mir!’ Und ich trat ihn in die Eier. Ich sagte zu ihm ‚warum lachst du nicht?’ Er stand unter Schock, und dann begriff er ... nicht zu lachen.“

„Es sollte zu keiner derartigen Situation kommen,” sagt die Frau jetzt. „Dass System ist total voller Fehler. Die ganze Verwaltung, die Art und Weise, wie die Dinge betrieben werden, es ist nicht recht.“

Auch palästinensische Frauen haben ausgeprägte Erfahrungen. „Gab es Misshandlungen von Frauen?“, fragte ein Interviewer. „Ja,“ antwortete eine Soldatin. „Ohrfeigen und dergleichen. Hauptsächlich Ohrfeigen … Es waren hauptsächlich die Soldatinnen, die Leute geschlagen haben ... Aber auch Männer, die hatten kein Problem damit, eine Frau abzuwatschen. Wenn sie schrie, sagten sie ‚Halt den Mund’ und gaben ihr eine weitere Ohrfeige. Ein Alltag voller Gewalt. Es gab auch die, die nicht mitgemacht haben, aber jeder wusste, dass es geschah.“ 

Wie der Breaking the Silence-Bericht aufzeigt, übersteigt die Brutalität manchmal jegliches Verständnis: ein fünfjähriges Kind geschlagen; ein Neunjähriger, der „keine Gefahr darstellte“ totgeschossen; ein anderes Kind, dem absichtlich beide Arme und beide Beine gebrochen wurden. Der Artikel in Yediot Aharanoth zeigt eine Reihe solch erschreckender Vorkommnisse auf. Wenn der volle Bericht auf der Breaking the Silence-Website zu finden ist, werden sich darin sicher mehr dermaßen herzzerreißende Geschichten finden. 

Jeder Soldat, männlich oder weiblich, ist natürlich verantwortlich für ihre eigenen Taten. Dieser Bericht erhebt allerdings beunruhigende Fragen über eine Gesellschaft, die von ihnen verlangt, in der Armee zu dienen, und sie dann in einen dermaßen brutalisierenden Einsatz schickt, der die Täter wie auch ihre Opfer entmenschlicht.

Am beunruhigendsten ist vielleicht ihre allgemeine Erklärung für die Gewalt, die sie ausüben: Die tägliche Routine des Soldaten in den okkupierten Gebieten „ist langweilig, so sorgten wir für ein bisschen Unterhaltung. Wir gingen ans Funkgerät und sagten, sie werfen Steine gegen uns, worauf jemand verhaftet wurde, und sie begannen, ihn zu vernehmen ... da gab´s eine Polizistin, ihr war langweilig, so sagte sie, sie hätten ihr Steine nachgeworfen. Sie fragten, wer es gewesen ist. ‚Ich weiß es nicht, zwei in grauen Hemden, ich konnte sie nicht sehen.’ Sie fangen zwei Kerle mit grauen Hemden ... schlagen sie. Sind sie es? ‚Nein, ich glaube nicht.’ Okay, ein ganzer Zwischenfall, Leute werden verdroschen. Nichts passierte an diesem Tag.“

Eine andere Frau, die das übliche Ritual beschrieb, Palästinenser an Kontrollstellen zu demütigen und zu schlagen, stimmte zu: „Es konnte stundenlang so gehen, je nachdem, wie langweilig ihnen war. Eine Schicht dauert acht Stunden, die Zeit muss irgendwie verbracht werden.“

Die Langeweile ist keine geschlechtsspezifische Erfahrung. Ich hörte genau das Gleiche letztes Jahr von einem jungen israelischen Mann, der jetzt aktiv am Kampf gegen die Okkupation teilnimmt. Als er im zarten Alter von 18 an einem Kontrollpunkt eingesetzt wurde, begann er jeden Tag mit dem Vorsatz, die Palästinenser menschlich zu behandeln, erzählte er. Aber als die Stunden dahinschlichen – als die Langeweile, die manchmal unausweichlichen Konflikte, und oft die drückende Hitze zunahmen – wurde er immer gereizter, gewalttätiger, und kam in Versuchung, seine Macht zu missbrauchen.

Langeweile und der damit verbundene Ärger kann leicht junge Menschen, viele von diesen noch immer Teenager, dazu verleiten, sinnlose Gewalt auszuüben. Wir können das im zivilen Leben in fast allen Ländern beobachten, viel zu oft. Aber wenn wir das sehen, bezeichnen wir es als antisozial und dysfunktional, als Problem, das von der Gesellschaft behandelt werden muss. Wir gehen davon aus, dass Gesellschaft im Allgemeinen eine andere Norm hat, einen konstruktiveren Weg, mit Langeweile umzugehen, der die Jugend gelehrt werden sollte, wenn sie sich falsch verhält.

Vielleicht ist antisoziale Gewalt, wo immer sie geschieht, immer ein Symptom für das Nichtfunktionieren einer Gesellschaft. Aber in diesem Fall ist die Verbindung zwischen Individuum und Gesellschaft besonders augenscheinlich und deutlich. Die antisoziale Jugend Israels trägt die Uniform ihres Landes, handelt (manchmal unter Befehl) im Namen der „nationalen Sicherheit,“ wird oft gelobt für ihr gewalttätiges Verhalten und praktisch nie diszipliniert, ganz egal, wie weit sie geht.

Sie sind aufgewachsen in einer jüdischen Gesellschaft, die dazu tendiert, Palästinenser (nicht immer, aber viel zu oft) als von Natur aus gefährlich, schlimm, minderwertig zu behandeln, wobei diese verdienen, welches Leid auch immer über sie kommt. Es überrascht kaum, dass so viele von ihnen so leicht die moralische Linie in den Bereich der Unmenschlichkeit überschreiten. 

Dennoch sind sie auch in einer Gesellschaft aufgewachsen, die sie grundlegende moralische Standards lehrt, die auf alle Menschen zutreffen sollten. Die meisten der in dem Bericht interviewten Frauen sagen, dass das, was sie gesehen und manchmal getan haben, falsch war. Aber sehr wenige brachten Beschwerden dagegen ein, da sie die Konsequenzen fürchteten, wenn sie den Mund aufmachten. „Ich muss einen Schalter in meinen Kopf einbauen und weiternin die Araber hassen und die Juden rechtfertigen,“ erklärte eine.

Diese Frauen, wie ihre männlichen Kollegen, müssen jetzt mit den Folgen der Teilnahme an einer brutalen Okkupation leben, von der viele erkennen, dass sie ein furchtbarer moralischer wie auch politischer Fehler ist. Die jüdische israelische Gesellschaft muss mit den Folgen dessen leben, dass sie ihre jungen Menschen in eine dermaßen quälende Situation bringt, in der moralische Gegensätze das Alltagsleben prägen. Am schlimmsten ist, dass die palästinensische Gesellschaft weiterhin den Preis für Israels Unvermögen bezahlen muss, seine Realität in Einklang mit seinen erklärten Grundsätzen zu bringen.

 
     
  Erschienen am 1. Februar 2010 auf > CommonDreams.org > http://www.commondreams.org/view/2010/02/01-3  
  Breaking the Silence - Website  
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