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  Nicht nur Zement

Die Hilfsflotte dient wir ihre Vorgänger und ihre Nachfolger dem israelischen Ziel, den Prozess der Abtrennung des Gazastreifens von der West Bank zu vollenden.

Amira Hass

Der Erfolg der gescheiterten Hilfsflotte nach Gaza – erreicht in erster Linie, muss gesagt werden, durch ihre Toten – besteht darin, dass die Forderung, Israel müsse seine Politik der Belagerung beenden, von allen Seiten zu hören ist. Die Regierung Israels wollte das desperate Flehen von John Ging, dem Leiter der UNRWA (UNO-Hilfsorganisation) in Gaza, nicht hören. Jetzt muss sie auf den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan hören. Aber ohne es zu wissen, dient diese Flotte,wie ihre Vorgänger und Nachfolger dem Ziel Israels, den Prozess der Trennung des Gazastreifens von der West Bank zu vollenden. Dieser Prozess, und das wird hier zum millionsten Mal gesagt, begann 1991, und nicht nachdem die Hamas an die Regierung gekommen ist. Sein Ziel war es, die Zwei-Staaten-Lösung zunichte zu machen, unter der die Welt damals ganz Gaza und die West Bank und die Verbindung zwischen den beiden verstand. 

Seit man vor etwa zwei Jahren begann, mit Schiffen nach Gaza zu fahren, gab keiner der Initiatoren vor, den Bedarf an diesem oder jenem Produkt zu decken. Israel versucht mit Wundern und Zeichen zu beweisen, dass es in Gaza keinen Hunger gibt. Die Initiatoren denken offenbar an eine andere Art von Hunger: einen sehr menschlichen Hunger nach einer direkten Verbindung zur Welt, nach Bewegungsfreiheit für die Menschen, nicht nur für Güter. Der Seeweg wurde später auf Durchbruchsstellen zum Gazastreifen via Rafah auf das Land verlegt, zum Missbehagen Ägyptens und zur Freude Israels. 

Israel trieb die Abschottung in groteske und engstirnige Ausmaße und erregte Aufmerksamkeit mit seinem Verbot von Maccaroni und der Genehmigung von Zimt, der Berechnung von Kalorien und dem Zurückhalten von Zement sogar für eine Kläranlage. Israel weitete die Blockade dermaßen aus, dass es die Bewohner Gazas daran hinderte zu arbeiten, etwas zu schaffen, herzustellen und ein Einkommen zu erzielen, mit dem erklärten Ziel, die Hamas auf die Knie zu zwingen. Aber es erreichte das Gegenteil. Die Herrschaft der Hamas wurde nur stärker und zeigte ihren Einfallsreichtum, ihre Fähigkeit, interne Opposition zu unterdrücken und Unterstützung von Seiten internationaler Aktivisten zu gewinnen, die ideologisch mit ihren Methoden und Überzeugungen nichts am Hut haben. Die Belagerung stärkte die Hamas in einem solchen Ausmaß, dass palästinensische Verschwörungstheoretiker überzeugt sind, dass das die Absicht Israels von Anfang an war.

Die meisten Israelis, die es aufgegeben haben, wirkliche Informationen zu bekommen, können nur schwer begreifen, dass einige Menschen in der Welt schockiert sind über die Existenz eines riesigen Gefängnisses, dessen Betreiber der jüdische Staat ist. Aber diese Schockierten sind Partner geworden in einer Kampagne, die Druck auf Ägypten ausübt – unterstützt, wenn nicht initiiert von der Hamas – den Grenzübergang Rafah zu öffnen, als wäre Ägypten und nicht Israel der Okkupant.

Und was nützt dem Ziel, Gaza von der West Bank zu trennen besser, als den gesperrten Grenzübergang Erez zwischen Gaza und Israel zu vergessen und sich auf Rafah und Zement zu stürzen? Unabsichtlich haben die Ankämpfer gegen die See- und Medienblockade die Aufmerksamkeit auf Aspekte gelenkt, die den wirklichen Grund für Israels Abschottung von Gaza in den Hintergrund rücken. Dieser Grund besteht darin, den Bewohnern Gazas das Recht abzusprechen und den Willen zu nehmen, ein aktiver, ständiger und natürlicher Teil der palästinensischen Gesellschaft zu sein.   

Lange bevor Israel die Lieferung von Zement in den Gazastreifen verboten hat, verbot es, dass Bewohner Gazas in der West Bank studieren durften. Während es noch immer gestattet ist, dass Guaven von Khan Yunis nach Jordanien exportiert werden, durften Bewohner Gazas die West Bank nicht einmal über die Allenby-Brücke betreten oder Verwandte und Freunde besuchen. Schritt für Schritt entwickelte Israel drakonische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Palästinenser, bis es schließlich jeden Einwohner Gazas in der West Bank jetzt und besonders in der Zukunft zum illegalen Fremden und Eindringling erklärte. Das sind die grundsätzlichen Einschränkungen, die aufgehoben werden müssen. Das sind die Einschränkungen, von deren Existenz Erdogan und Präsident Obama erfahren müssen und deren Abschaffung gefordert werden muss.  

 
     
  Erschienen am 9. Juni 2010 in > Ha´aretz > http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/not-by-cement-alone-1.295036  
     
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