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  Afghanistan: noch 30 Jahre länger?

Jeff Sparrow

„Wie hoch kann der Preis sein, den wir in Afghanistan zahlen wollen?,“ fragten Rory Callinan und Hashim Shukoor in The Australian am Wochenende nach dem Tod von zwei Soldaten der australischen Armee.

Eine gute Frage.

Ziemlich sang- und klanglos wurde letzte Woche der Krieg gegen Afghanistan zum längsten Krieg in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. In Australien sagt John Falkner, australische Truppen würden mindesten drei weitere Jahre lang im Einsatz sein, eine Vorhersage, die der amerikanische strategische Analyst Daniel Ellsberg postwendend als heillos optimistisch zurückwies. „Der Krieg wird in drei oder fünf Jahren nicht mehr vorbei sein, als er es jetzt ist … wenn sich die Australier verpflichtet fühlen, diese Strategie zu unterstützen, können sie mit 10, 20 und 30 Jahren Beteiligung rechnen,“ sagte er.

Dreißig Jahre: das ist ein ganzer Haufen Krieg. Und was soll dabei herauskommen?

Vergangene Woche sagte der neue britische Premierminister David Cameron seinen Truppen: „Das ist kein Krieg, den wir freiwillig führen, es ist ein notwendiger Krieg. [...] Wenn wir morgen abziehen, könnten diese [terroristischen] Ausbildungslager morgen zurückkehren, weil die Afghanen nicht in der Lage sind, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Sobald sie dazu in der Lage sind, können wir nachhause gehen.“

Diese Linie wird auch hierzulande (in Australien, d.Ü.) vertreten – tatsächlich erwecken aber nur wenige der Kriegsbefürworter auch nur den Anschein, das zu glauben.

Nehmen wir zum Beispiel Clive Williams auf der Website der ABC (in einem Artikel, der den Einsatz in Afghanistan befürwortet, bitte das zu beachten, nicht diesen anprangert): „Australiens erklärter Grund für den Einsatz in Afghanistan ist die Bekämpfung des Terrorismus. Der wirkliche Grund ist die Aufrechterhaltung des engen Bündnisses mit den Vereinigten Staaten von Amerika. In der Tat führt unsere militärische Präsenz eher zu terroristischen Handlungen in Australien, als dass sie solchen vorbeugt.“

In anderen Worten, die öffentliche Begründung für den Einsatz – die Cameron-Theorie über terroristische Ausbildungslager – soll dazu dienen, die Trottel (das sind Sie, verehrte Leser) an der Nase zu führen. Solche Experten wie Williams wissen jedenfalls, dass Australien in Wirklichkeit dort ist, um, wie er zustimmend bemerkt, „Pluspunkte bei den Vereinigten Staaten von Amerika zu sammeln.“

Vor ein paar Tagen brachte Michelle Grattan das gleiche Argument: „Australien wird so lange in Afghanistan bleiben, wie die Amerikaner uns dort haben wollen, das bedeutet, so lange die Vereinigten Staaten von Amerika dort sind. Das ist eine der Verpflichtungen gegenüber der Allianz. Wir machen das, obwohl die Aussichten auf einen ‚Sieg’ wahrscheinlich düster sind.“

Also noch einmal. Den jungen Männern, die für Australien töten und sterben, wurde gesagt, dass sie gegen den Terrorismus kämpfen. Unsere Fachleute wissen, dass das nicht stimmt, dass die Öffentlichkeit und die Soldaten von Anfang an belogen worden sind, und dass die „wahrscheinlich aussichtslose“ Mission in Wirklichkeit der Preis für eine strategische Versicherungspolitik ist.

Und dabei bleiben sie ganz cool.

Die Frage nach dem Preis, den wir zu zahlen bereit sind, hängt daher weitestgehend davon ab, wen wir als „wir“ betrachten. Die Leute, die diese Diskussionen beherrschen, wissen, dass sie überhaupt keinen Preis auch für 30 Jahre Krieg bezahlen werden – und sind daher bereit, bis zum letzten Tropfen des Blutes anderer zu kämpfen.

Das liegt nicht nur daran, dass diese Experten wissen, dass sie selbst nie persönlich auf einer Strasse bei Kabul landen werden, um dort nach versteckten Bomben herumzustochern. Für diejenigen, die über Fragen der nationalen Sicherheit schreiben, gibt es auch keine negativen Folgen, wenn sie sich irren – das heißt so lange, als man sich von einem enthusiastischen pro Kriegs-Standpunkt aus irrt.

Erinnern Sie sich, wenn Sie wollen, wie die Invasion ursprünglich gerechtfertigt wurde. 2001 ließen die Experten nichts von ihren Erkenntnissen darüber hören, dass der Krieg wahrscheinlich nicht zu gewinnen war. Auch erklärten sie nicht, warum er eher zu terroristischen Aktionen führen würde, als diese zu verhindern.

Statt dessen quasselten sie pflichtbewusst mit ihren amerikanischen Vorbetern über Wiederherstellung der Demokratie, Ende des Drogenhandels, Befreiung der Frauen usw. usf. Und wo stehen wir jetzt? Es gibt eine menschliche Verkörperung des Bereichs zwischen Vorhersagen und Ergebnissen in Afghanistan, sein Name ist Hamid Karzai. Dieser sanfte „afghanische Demokrat“, für dessen Regime wir gekämpft haben, ist der gleiche Karzai, der sich mit Warlords und Drogenbanden zusammentut, der die letzte Wahl gefälscht hat, der sagt, er könne sich mit den Taliban verbünden, und der behauptet, die Vereinigten Staaten von Amerika hätten seine Friedenskonferenz mit Raketen beschossen. 

Wo sind denn die Mea Culpas all dieser Experten, deren ernsthafte Vorhersagen über Afghanistan so furchtbar, furchtbar daneben gegangen sind?

Die Bemerkung, die Tony Judt vor einigen Jahren in der London Review of Books (Londoner Literaturzeitschrift, d.Ü.) über den Irak machte, trifft jetzt gleichermaßen auf Afghanistan zu. „Die einzigen Leute, die qualifiziert sind, in dieser Angelegenheit zu sprechen,” erklärte er, „scheinen die zu sein, die ursprünglich daneben gestanden sind. Derartige Sorglosigkeit trotz – in Wirklichkeit aufgrund – Ihrer ehemaligen falschen Einschätzungen ruft eine Bemerkung des französischen Exstalinisten Pierre Courtade an Edgar Morin, einen kommunistischen Dissidenten, der durch die Ereignisse gerechtfertigt wurde: „Sie und Ihresgleichen täuschten sich, recht zu haben; wir hatten recht, uns zu täuschen.“

In der Huffington Post argumentiert Sahil Kapur ähnlich. Das größte Hindernis, so sagt er, für eine genuine Diskussion des Themas Afghanistan ist, dass „der Krieg zu einem Bestandteil des Lebens im Amerika nach dem 9/11 geworden ist – ein unverrückbarer Teil des Washingtoner Establishments, der kaum in Frage gestellt werden kann, ohne dass derjenige, der nicht ausreichend nachweisen kann, dass er für den Krieg ist, als unseriös und naiv hingestellt wird.“ 

Hier ist es auch so, wenn auch nicht so extrem. Wenn es um das Thema Krieg geht, wird der übliche journalistische Ton zu einem zynischen Harter-Kerl-Getue, Winston Churchill und Mickey Spillane in einem. Wir alle wissen, dass wir die Allianz mit den Vereinigten Staaten von Amerika brauchen – und wenn das heißt, dass wir ein paar unserer jungen Männer opfern (und zehntausende von namenlosen Fremden) in einem aussichtslosen Krieg, der uns weniger sicher gegenüber dem Terrorismus machen wird, dann gut, machen wir´s halt.

Und dann gibt es noch die neuesten Nachrichten, dass Afghanistan anscheinend auf einem Berg von Rohstoffen sitzt. Wenn sich das als richtig herausstellt, erscheint Ellsbergs Einschätzung eines 30 Jahre dauernden Einsatzes plötzlich als sehr optimistisch.

Wie sagte Grattan? „Australien wird so lange in Afghanistan bleiben, wie die Amerikaner uns dort haben wollen, das bedeutet, so lange die Vereinigten Staaten von Amerika dort sind.“ Na dann – wenn Afghanistan dabei ist, das „Saudiarabien des Lithiums“ zu werden, erwarten Sie nicht, dass die Amerikaner bald woanders hingehen werden.

 
     
  Erschienen am 15. Juni 2010 in > CRIKEY (Australien) > http://www.crikey.com.au/2010/06/15/afghanistan-another-30-years-puts-us-in-for-the-very-long-haul/  
     
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