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  P.J. O’Rourkes Fortschritt 

David R. Henderson

In den 1990er Jahren war ich ein Fan des Wirtschaftshumoristen P.J. O´Rourke. Eines seiner besten Bücher ist Eat the Rich, das ich in einer Buchbesprechung in Fortune beschrieben habe als „Adam Smiths Wealth of Nations (Der Wohlstand der Nationen) mit einer Pointe auf jeder Seite.“ Wenn Sie etwa glauben, dass O´Rourkes Verständnis von Wealth of Nations oberflächlich ist, lesen Sie sein Buch On The Wealth of Nations (Über den Wohlstand der Nationen). In diesem Buch legt O´Rourke eine Feinsinnigkeit an den Tag, die ich ihm nicht zugetraut hätte.   

Ich wurde zum Nicht-Fan, als wir beide, er und ich, auf einer Veranstaltung des Cato-Instituts in San Francisco etwa einen Monat nach 9/11 sprachen. Da mein Buch The Joy of Freedom: An Economist´s Odyssey (Das Glück der Freiheit: die Odyssee eines Wirtschaftswissenschaftlers) im September 2001 erschienen war, wurde ich gebeten, die Eröffnungsansprache zu der eintägigen Veranstaltung des Cato-Instituts zu halten. O´Rourke, dessen Buch The CEO of the Sofa (Der Geschäftsführer des Sofas) früher in diesem Jahr herausgekommen war, hielt seine Rede vor dem Mittagessen. Ich sprach nur über Angelegenheiten der heimischen Politik, da mein Buch davon handelte. Soweit ich mich erinnere, sprach O´Rourke überhaupt nicht über sein Buch, sondern nur über 9/11 und warum man Krieg gegen Afghanistan führen müsse. Ich werde niemals eine seiner Äußerungen vergessen: Er sagte, er wolle, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in diesem Krieg „Sand in Glas verwandeln.“ Mit anderen Worten, er wollte Afghanistan zerstören, mit den Millionen Menschen, die dort lebten. Als ein langhaariger Freidenker an meinem Tisch eine recht kritische Frage hinsichtlich seiner Ansichten zur Außenpolitik stellte, antwortete O´Rourke: „Ich sehe, dass ein Freidenker es irgendwie geschafft hat, sich hier einzuschleichen.“ Obwohl er zu verstehen schien, dass sein Ruf nach blindwütiger Rache an unschuldigen Afghanen mit Gedankenfreiheit nicht viel zu tun hatte, schien ihm das nichts auszumachen. Ich bin normalerweise nicht auf den Mund gefallen, aber ich war dermaßen fassungslos über O´Rourkes hässliche Rede, dass ich kaum zum Nachdenken kam, was ich sagen sollte. Später an diesem Tag, zum ersten Mal in meinem Leben, spendete ich Geld für Antiwar.com.

Aber es gibt gute Nachrichten. P.J. O´Rourke hat seine Meinung geändert. In einem Artikel für den Weekly Standard, die führende Zeitschrift der neokonservativen pro-Kriegs-Fraktion in Amerika, berichtet O´Rourke über seine vor kurzem erfolgte Reise nach Afghanistan. Ich fordere jeden heraus, diesen Artikel zu lesen und zur Ansicht zu kommen, es sei eine gute Idee für die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, in Afghanistan zu bleiben. Sicher, er versucht ein paarmal, die Anwesenheit der Vereinigten Staaten von Amerika zu rechtfertigen. Im Großen und Ganzen besagt dieser Artikel, dass die Situation in Afghanistan katastrophal ist, wobei die Regierungen verschiedener Länder, nicht nur die Taliban, Teil des Problems sind.  

Beginnen wir mit dem, was vielleicht am erfreulichsten an O´Rourkes Fortschritt ist – nicht seine Meinung über den Krieg, sondern seine Meinung über die Afghanen. Hier ist ein Ausschnitt vom Anfang des Artikels:

„Hier leben die Armen, mit Glasscheiben, um den Wintersturm draußen zu halten, aber nicht viel mehr. Am Abend kann man sehen, wie weit die elektrischen Leitungen den Berg hinauf gehen – nicht sehr weit. Die Wasserleitungen gehen gar nicht hinauf, und die Einwohner – Frauen und Kinder, da bin ich mir sicher – müssen von ganz unten mit ihrem Wasser hinauf steigen.“ 

Das ist eine einfache Beschreibung, aber der Ton ist der von einem, dem an seinen Mitmenschen gelegen ist, die dort wohnen. Diese Person unterscheidet sich sehr von derjenigen, die noch vor neun Jahren „Sand in Glas verwandeln“ wollte.

An einer Stelle berichtet O´Rourke von einem Gespräch, das er mit einem Mitglied des afghanischen Parlaments hatte. Nachdem O´Rourke geäußert hatte, dass der „wirkliche Kampf der Zivilisationen sich zwischen Leuten abspielt, die an Gott glauben, und solchen, die nicht an ihn glauben,“ sagte der Abgeordnete ablehnend: „Chinesen, Moslems, Juden, Europäer – sie arbeiten täglich auf den internationalen Finanzmärkten zusammen.“ Ich bin mir sicher, dass das O´Rourkes Aufmerksamkeit erregte, denn eines seiner Lieblingsthemen, und in der Tat ein Lieblingsthema von Wirtschaftswissenschaftlern seit Frédéric Bastiat, dem Wirtschaftsjournalisten des frühen 19. Jahrhunderts, ist dass ökonomische Freiheit Harmonie schafft und die Toleranz fördert. O´Rourke bekam Nachhilfeunterricht in einer Sache, an die er selbst geglaubt und von der er möglicherweise angenommen hatte, sie würde auf die Menschen in Afghanistan nicht zutreffen.

Eines der Themen in meinen Schriften über Wirtschaft und Außenpolitik ist Friedrich Hayeks Konzept des „bodenständigen Wissens.“ Hayek hat diesen Begriff nicht benutzt, aber die Wirtschaftswissenschaftler, die heute seine Erkentnisse diskutieren, tun das. Hayek ging davon aus, dass die Menschen, damit eine Wirtschaft gut funktionieren kann, frei kaufen, verkaufen und produzieren können müssen auf der Grundlage ihres Wissens, und dass kein zentraler Planer über dieses Wissen verfügen kann. Wie ich ausgeführt habe, trifft dieses Konzept auch auf Regierungen zu, die in fernen Ländern Krieg führen und herausfinden wollen, wer ein Feind ist und wer nicht. Der Bürokrat in der Zentralregierung, egal ob er in Washington oder in Nellis Air Force Base in Nevada am Steuerungsgerät einer Drohne sitzt, wird üblicherweise nicht über das erforderliche bodenständige Wissen verfügen, das erforderlich ist.  

O´Rourke macht das jedenfalls klar, indem er einen afghanischen Journalisten zitiert, der „auf den typischeren der zwei“ Mullahs hinwies, die O´Rourke interviewte.   

„‚Er ist ein Drohnenproblem,’ sagte der Journalist. ‚Sie sehen sein Gewand und den Turban von oben und sie denken „Taliban!“ Und er ist auch wie ein Taliban, aber einer von den Guten.’“    

Aber es ist noch schlimmer, und O´Rourke nimmt diese Tatsache ausdrücklich zur Kenntnis. Er schreibt:

„Ein Journalist von Radio Azadi [der von den Vereinigten Staaten von Amerika bezahlte Radiosender in Afghanistan] sagte: ‚Die Afghanen waren im Prinzip froh, dass die Amerikaner Frieden und Demokratie brachten. Als aber rivalisierende Stämme begannen, die Vereinigten Staaten von Amerika zu benutzen, um sich gegenseitig eins auszuwischen, änderte sich die Einstellung des afghanischen Volkes.’ 

„Die Afghanen denken, dass sich die Amerikaner mit den falschen Leuten zusammengetan haben. Nicht dass die Afghanen denken, dass sich die Amerikaner systematisch, strategisch oder aus Kalkül mit den falschen Leuten zusammengetan haben. Wir kamen einfach in ein Gebiet, von dem wir nicht viel wussten, in dem es viele Seiten gibt, auf denen man stehen kann, und wir begannen mit dieser und jener und der anderen Seite. Es ging kein Weg daran vorbei, dass wir manchmal auf der falschen Seite standen.“

Wieder Hayeks Informationsproblem. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika weiß einfach nicht genug, um sich auf die „richtige“ Seite zu stellen, geht man einmal davon aus, dass es da überhaupt eine richtige Seite gibt. O´Rourke fährt fort:

„Wir sind Außenseiter in Afghanistan, und das ist der Standpunkt, von dem aus wir die Taliban erklären. Stellen Sie sich vor, dass Amerika ein Land ist mit allen Arten von unlösbaren Schwierigkeiten. Oder stellen Sie sich das nicht vor – Amerika ist ein Land mit allen Arten von unlösbaren Schwierigkeiten. Unsere Regierung ist außer Kontrolle geraten, mischt sich mutwillig in jeden Aspekt unseres privaten Lebens ein und verschleudert rücksichtslos unser nationales Eigentum in einer Zeit, in der Amerikaner große wirtschaftliche Not leiden. Mittlerweile werden bösartige Kämpfe ausgetragen um die Kontrolle von Amerikas Kultur und Lebensstandard. (Ich habe die Nachrichten von Fox verfolgt.)

„Was nun, wenn eine freundliche, wohlmeinende, aber sehr fremde Macht, mit unverständlichem Kauderwelsch und verabscheuungswürdigen Gewändern, an unseren Gestaden eintrifft, um die Dinge in Ordnung zu bringen? Wenn das zum Beispiel Hochland-Schotten wären? Die herummarschieren mit ihren Röcken und Beuteln und hässlichen Überwürfen, ihre hässliche Dudelsackmusik spielen, unseren Kindern Schafsinnereien verabreichen und unsere Gefühle verletzen, weil sie unter ihren Kilts keine Unterhosen tragen. Vielleicht setzten sie die Steuern herab, verminderten das Budgetdefizit, schafften das Department für Gesundheit und Wohlfahrt ab und das Umweltamt, gäben den Menschen Arbeit in ihren Tartanfabriken und veranstalteten eine Menschenjagd auf Harry Reid und die Berkeley Universität. Trotzdem würden wir sie nicht mögen.   

„Der paschtunische Stammesführer sagte: ‚Ich sage meinen Stammesleuten, sie sollen die Taliban nicht unterstützen, aber die hören gar nicht zu. Sie betrachten die Taliban als diejenigen, die die Eindringlinge bekämpfen. 

„Der Journalist von Radio Azadi sagte: ‚Wenn die Menschen fühlten, dass sie entehrt wurden, verlangten sie nach Rache. Die Taliban gaben ihnen Rache.’

„Um volles Verständnis für die Entehrung zu bekommen, die ein Afghane fühlen könnte, müssen fremde Regierungen, UNO und NGO-Hilfsorganisationen mit einbezogen werden. Myriaden davon arbeiten in Afghanistan, besetzt mit Leuten aus allen Teilen der Erde. Es ist also nicht nur so, dass Formationen von Hochlandschotten mit haarigen Knien die Straßen auf und ab marschieren. Die meisten ganz normalen Funktionen deiner Gesellschaft sind von merkwürdigen Fremden übernommen worden. Wenn du eine Grippeimpfung brauchst oder eine Hundelizenz oder eine Erlaubnis zum Verbrennen von Laub, hast du es mit Bulgaren und Bolivianern und Nigerianern und Leuten von den Fidschiinseln zu tun.“

O´Rourke hat es kapiert. Was kommt als nächstes? Wird O´Rourke zu dem Schluss kommen, wie Ron Paul 2007 in einer Diskussion der republikanischen Präsidentschaftskandidaten: „Sie [die Terroristen] sind hier, weil wir [die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika] dort sind.“

Wir haben es also wirklich mit drei Siegen zu tun. Erstens, P.J. O´Rourke fährt nach Afghanistan und kommt zurück und sagt die Wahrheit. Zweitens, er versteht, dass, milde ausgedrückt, die Sache für den weiteren Verbleib der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan auf schwachen Beinen steht. Drittens, seine Kritik wird in einer der bedeutenden Pro-Kriegs-Publikationen im Land veröffentlicht. 

Ich gehöre zu den Leuten, die das Glas als halb voll betrachten und nicht als halb leer. Oder in diesem Fall als 20% voll und nicht als 80% leer. Es war ein kleiner Fortschritt, der Konservative dazu gebracht hat, einige der Probleme des Krieges gegen Afghanistan zu erkennen. Zuerst hatten  wir den Vorsitzenden des Republican National Committee Michael Steele, der den republikanischen Kandidaten den Rat gab, sich vom Krieg loszusagen, obwohl er zurücksteckte, nachdem Bill Kristol ihn öffentlich scholt und zum Rücktritt aufforderte. Zum Zweiten verteidigte die konservative Expertin Ann Coulter die Äußerung Steeles, wenn sie seither auch nicht mehr viel dazu verlauten ließ. Und jetzt schreibt P.J. O´Rourke einen Artikel im Weekly Standard, in dem er feststellt, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan Mist baut und ausdrücklich zum Schluss kommt, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sich zurückziehen sollte. 

George Orwell schrieb einst: „Zu sehen, was sich vor seiner eigenen Nase abspielt, erfordert eine ständige Anstrengung.“ Wer wird der nächste Konservative sein, der draufkommt, was sich vor seiner oder ihrer Nase abspielt?

 
     
  Erschienen am 30. August 2010 auf > http://www.antiwar.com > http://original.antiwar.com/henderson/2010/08/29/p-j-orourkes-progress/  
     
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