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  Heiliger Krieg

Robert C. Koehler

Es brauchte den Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika, um einen Pastor aus Florida im Namen Gottes zu bewegen, seine pyrotechnische Gotteslästerung am 11. September abzusagen. Einige Tage danach ersuchte CNN einige seiner Blogbetreiber, sich zu der Angelegenheit zu äußern ... „jetzt wo die Krise vorbei ist.“

Wir stecken bis zum Hals in zwei Kriegen (bitte um Entschuldigung – eineinhalb) und einer zusammenbrechenden Wirtschaft, um nicht zu reden von der globalen Erwärmung, endemischer Gewalt und der Hurricansaison, aber Terry Jones gruseliger Publicitygag hat den Stellenwert einer nationalen Krise: fast wäre es daneben gegangen! Fast hätten wir die Moslems beleidigt!

Wir sind halt eine einfühlsame Nation.

Und Jones bewegte sich tatsächlich an den Grenzen zum Heiligen Krieg, was die Medien in ihrer Berichterstattung zu einem globalen Phänomen aufzublasen schafften. „Er entzündete einen internationalen Flächenbrand der Entrüstung,“ meldete CNN, obwohl er das nicht allein geschafft hat.  

Ein zentrales Paradoxon unserer Nachrichtenindustrie ist, dass diese an Umfang und Bandbreite zugenommen hat – in ihrer Fähigkeit, Milliarden Menschen zu erreichen – und viel weniger an Tiefgang und einsichtiger Nachrichtenvermittlung. Sie ist so sensationslüstern wie in den Tagen der marktschreierischen Flugblätter, und so konnte ein unbedeutender, waffentragender Pastor und sein obszöner kleiner Plan, ein paar hundert Exemplare des Koran zu verbrennen, in unberechenbarer Weise zur internationalen Sensation und zu einer „nationalen Krise“ werden. 

Die ganze Zeit über machen wir weiter mit unserem „Krieg gegen den Terror,” der es in den letzten neun Jahren geschafft hat, zum sagenhaft teuren Hintergrundlärm zu werden (außer natürlich in Irak, Afghanistan, Pakistan und den anderen Gebieten, in denen er geführt wird, und bei den Soldaten, die darin kämpfen und in deren angsterfüllten oder zerrütteten Familien). Dieser Krieg um Erdöl und imperiale Herrschaft geht weiter in seiner Unerbittlichkeit, nachdem er schon lange über die Lügen hinausgewachsen ist, die ihm zum Durchbruch verholfen haben.

Lustig ist der hohe Anteil von Terry Jones an unserer Mission (ursprünglich war es ein „Kreuzzug,“ erinnern Sie sich?) im Mittleren Osten, all das Himmel und Hölle und die Dämonisierung des Islam. Der Krieg hatte von Anfang an eine düstere, mittelalterliche Note, die sich immer wieder durch das erhebliche (und ernsthaft berichtete) neokonservative Getöse rund um einen „Kampf der Zivilisationen“ zog. Und die Kämpfe hindurch verdrehten hochrangige evangelikale Christen – von Generalleutnant William Boykin, ehemaliger Unterstaatssekretär für Verteidigung bis Oberstleutnant Gary Jensley, Chef der Militärkapläne der Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan – den Krieg zu einem Kampf um Seelen und zu einem Kampf der Gottheiten (unser Gott ist der richtige Gott). 

Vor dem Angriff auf Fallujah im November 2004 sagte ein Oberstleutnant seinen Truppen (laut Bericht eines BBC-Reporters): „Der Feind hat ein Gesicht. Er heißt Satan. Er lebt in Fallujah, und wir werden ihn zerstören.“

Der religiös gefärbte Rassismus unserer militärischen Okkupation wird gut beschrieben von den von ihrem Gewissen geplagten Veteranen des Kriegs gegen den Terror. Mike Totten zum Beispiel, der bei den Winter Soldier-Hearings 2008 in Washington, D.C. sprach, erläuterte, wie die Armee das Wort „Hadschi,“ das einen islamischen religiösen Pilger bezeichnet, auf den Menschentyp im Irak ummünzte. „Der Hadschi steht im Weg. Räumt ihn beiseite,“ war ein üblicher Spruch von Tottens vorgesetztem Sergeant Major. Totten weiter: „Einem Menschen seinen Namen zu verwehren erlaubte uns, uns selbst anders als die Menschen des Irak zu sehen.“

Im Vergleich zu dem allem waren Terry Jones und seine ursprünglichen Grillpartypläne eine Kleinigkeit - ein geplantes Spektakel seiner eigenen und der Ignoranz seiner Pfarrgemeinde. Während die Bücherverbrennung viele Moslems erregt und möglicherweise einige zu gewalttätigen Racheakten aufgestachelt hätte, hätte sie auch die religösen Fanatiker in den höheren Rängen unserer Armee und bei den hartnäckigen Unterstützern des Krieges ermutigt. (Natürlich wurden einige abgekupferte Koranverbrennungen gemeldet, obwohl Jones von seinen Plänen Abstand genommen hatte.)

So wurde Jones zur offiziellen Krise – einer PR-Krise – die öffentlich zurechtgewiesen und, nach Gottes Willen, gestoppt werden musste. Moderne industrielle Kriege, die von einem modernen Imperium geführt werden, haben keine Heiligen Kriege zu sein, sogar wenn der Krieg selbst einem Konzept entspricht, das im fanatischen Milieu von Religion und Nationalismus gedeiht. Gerade wie das PR-Team von George W. Bush seinen kreuzfahrenden Oberkommandierenden einbremsen musste, muss der viel gerissenere Barack Obama auf einem nüchternen Krieg jenseits der Trennlinie zwischen Staat und Kirche bestehen, der nur aus Gründen der nationalen Sicherheit geführt wird.

„In einer Welt der weltweiten Kommunikation können solche Irren wie die Möchtegern-Koran-Verbrenner den Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika gegen den Terror zum Erliegen bringen,“ schrieb Brian Fishman, ein Antiterrorismusforscher der New America Foundation in seinem Beitrag zum „Lektion Gelernt“-Blog von CNN.

Um die verantwortungsbewussten Betreiber des Krieges gegen den Terror von den Irren wie Jones zu unterscheiden, zitierte Fishman General David Petraeus’ Worte an die Truppen in Afghanistan: „Lebt unsere Werte. Steht aufrecht zu den Werten, die wir hoch halten. Das ist es, was uns von unseren Feinden unterscheidet.“ 

Leben wir nach unseren Wertvorstellungen von Guantánamo bis Bagram bis Bagdad bis Fallujah, leben wir nach unseren Werten, indem wir nur die Folter zulassen, die wir in unseren eigenen Gefängnissen betreiben, nur die Gewalt, die wir in unseren eigenen Ghettos haben, nur die Schrecken der Vergiftung, die wir auf unserem eigenen Boden und Wasser betreiben, und nur die Korruption dulden, der wir unseren eigenen Kongress überlassen. 

Lasset uns beten!

 
     
  Erschienen am 16. September 2010 auf HUFFINGTON POST > Artikel  
     
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