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  Die koreanische Frage: gibt es einen Ausweg?

Wer hat den letzten Zwischenfall provoziert?

Justin Raimondo

Die ersten Berichte waren eindeutig: diese verrückten Nordkoreaner haben wieder einmal den seit langem bestehenden Waffenstillstand gebrochen und den Süden angegriffen, dieses Mal bei der Insel Yeonpyeong, indem sie zivile Wohnbereiche beschossen und zwei südkoreanische Marinesoldaten töteten. Ein paar Stunden später kam allerdings eine nuanciertere Geschichte heraus: es scheint, dass die Südkoreaner in der Nähe der umstrittenen Insel, die Nordkorea als sein Territorium beansprucht, militärische „Übungen“ durchgeführt haben und südkoreanische Schiffe das Feuer eröffnet haben, allerdings nicht in die Richtung des nordkoreanischen Festlandes, wie sie behaupten. Ihren Gepflogenheiten entsprechend reagierten die Nordkoreaner um ein paar Nummern schärfer und eröffneten das Feuer auf Yeonpyeong.  

Die Schlagzeilen in den westlichen Medien ließen sich durch derlei Kleinigkeiten nicht aufhalten: „Die Welt verurteilt tödliche nordkoreanische Artillerieattacke,“ plärrte CNN, während das Wall Street Journal erklärte: „US-Botschafter: Nordkorea fing mit dem Artilleriegefecht mit Südkorea an,“ und ABC News berichtete brav über Präsident Obamas „Empörung“ über den Angriff.

  • Die heikle Natur der nordkoreanischen Nachfolge, die Kim Jong-ils Sohn Jim Jong Un als absoluten Herrscher des Einsiedlerreiches vorgesehen hat. 
  • Nordkoreas „Verzweiflung” und die Natur des Regimes als die eines unverbesserlichen „Aggressors“ laut Huffington Post. 
  • Der Einfluss nicht genannter „militärischer Hardliner“, die darauf aus sind, ihre eigene Machtposition zu erhalten und Nordkoreas „zuerst das Militär“-Politik weiterhin betreiben wollen.

Da liegt eine einfachere Erklärung viel näher: die militärischen Übungen unter dem Decknamen „Hoguk“, an denen alle vier Teilbereiche der südkoreanischen Streitkräfte mit etwa 70.000 Soldaten teilnahmen, simulierten einen Angriff auf Nordkorea mit der Absicht, die Nordkoreaner zu provozieren, die dann auch so reagierten, wie erwartet werden konnte. Auch Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika sollten ursprünglich an den Übungen teilnehmen, aber offenbar überlegten es sich die Amerikaner und bliesen ihre Teilnahme im letzten Abdruck ab – vielleicht wussten sie, dass eine Provokation im Busch war. (So nebenbei waren diese Manöver für die Südkoreaner von Anfang an mit negativen Nachrichten verbunden, da in einer Serie von Unfällen bereits sechs Soldaten ums Leben kamen, nicht eingeschlossen die beiden Marinesoldaten, die in Yeonpyeong getötet wurden.)   

Mit einfachen Erklärungen können die westlichen Analysten und ihre südkoreanischen Nachbeter nicht viel anfangen: pflichtgemäß brachte die New York Times eine Zusammenfassung der westlichen einhelligen Auffassungen mit der angemessenen Überschrift „Aus dem Norden ein Schema der Aggression“, die die üblichen Nachfolgeängste und „Ungewissheiten“ in der nordkoreanischen Führung als Motivation für die Attacke hinstellt und eine ganze Reihe von Zwischenfällen auflistet, die als ähnliche „Provokationen“ hingestellt werden. Spitzenreiter ist die Versenkung der Cheonan, eines südkoreanischen Kriegsschiffs, an der sowohl die lokalen Behörden als auch die Vereinigten Staaten von Amerika den Nordkoreanern die Schuld geben. Nichtsdestoweniger gibt es einen anhaltenden Disput über den Untergang der Cheonan in Südkorea, wie die Los Angeles Times berichtet: 

„‚Ich konnte nicht das leiseste Anzeichen einer Explosion finden,’ sagte Shin Sang-chul, ein ehemaliger Schiffbaumanager, mittlerweile investigativer Journalist. ‚Die Seeleute sind ertrunken. Ihre Körper waren sauber. Wir fanden nicht einmal tote Fische im Meer.’

„Shin, der von der oppositionellen Demokratischen Partei in den Untersuchungsausschuss entsendet worden war, besichtigte das beschädigte Schiff gemeinsam mit anderen Experten am 30. April. Kurz danach wurde er aus dem Ausschuss abberufen, sagt er, weil er eine entgegengesetzte Meinung geäußert hatte: dass die Cheonan im seichten Gewässer vor der koreanischen Halbinsel auf Grund gelaufen war und dann ihren Rumpf beschädigte, als sie versuchte, von einem Riff loszukommen.

„‚Es war das Gegenstück zu einem einfachen Verkehrsunfall auf dem Meer,’ sagte Shin.

„Das Verteidigungsministerium gab in einer Erklärung bekannt, dass Shin abberufen wurde aufgrund ‚eingeschränkter Fachkenntnis, einem Mangel an Objektivität und wissenschaftlicher Logik’ und dass er ‚absichtlich öffentliches Misstrauen“ in die Untersuchung geweckt habe.“

Anfängliche Berichte seitens der Südkoreaner betonten „keinen Hinweis auf nordkoreanische Beteiligung,“ wechselten aber später ihren Ton. Während die offizielle Kommission der Vereinigten Staaten von Amerika und Südkoreas zur Beschuldigung kam, Nordkorea habe einen Torpedo von einem nicht entdeckten U-Boot abgefeuert – das allein schon eine unwahrscheinliche Geschichte – widersprachen einige unabhängige Untersuchungen durch Wissenschaftler der Vereinigten Staaten von Amerika dem offiziellen Bericht. Aber natürlich hörten wir nicht viel über diese unabhängigen Untersuchungen in den lahmarschigen Medien.

Wir hören auch nicht viel über die historische Bedeutung der Insel Yeonpyeong, die Schauplatz von zwei früheren Konfrontationen zwischen dem Norden und dem Süden war, eine 1999 und die zweite 2002. Dieses Gebiet war ein Zankapfel zwischen den beiden Seiten, da das Waffenstillstandsabkommen, in dem die Demarkationslinie auf dem Land festgehalten ist, den Bereich des Meeres nicht umfasst: der Befehlshaber der Vereinigten Staaten von Amerika zog einfach einseitig eine Linie, die die Nordkoreaner später zurückwiesen.

Wenn also die Südkoreaner in dieser explosiven Region militärische Übungen abhalten, gar nicht zu reden vom Abfeuern von Geschossen, ist das nichts anderes als eine nackte Provokation von der Art, die der Westen routinemäßig Pyongyang zuschreibt. In Zusammenhang mit Nordkoreas vor kurzem erfolgter Erklärung, dass es seine nukleare Kapazität erweitert, waren die südkoreanischen Militärmanöver darauf gerichtet, eine gewaltsame Reaktion hervorzurufen – und haben dieses Ziel auch erreicht.

Die südkoreanische Provokation kommt kaum überraschend, da die Administration des rechtsgerichteten Präsidenten Lee Myung-Bak versucht hat, die beiden früheren Konflikte über die Insel – die davor als Niederlagen für die Südkoreaner betrachtet worden waren – als „Siege“ hinzustellen, die landesweit gefeiert werden sollten. Derlei ist für ihn eine willkommene Ablenkung. Die Präsidentschaft Myung-Baks war getrübt durch massive Proteste, Beschuldigungen wegen Korruption und den Verdacht, dass er seinen Vorgänger in den Selbstmord getrieben habe. Er wurde als „koreanischer Reagan“ bezeichnet, in Wirklichkeit waren seine wirtschaftlichen Vorschläge aber statistische Schaumschlägereien: massive öffentliche Beschäftigungsprogramme, die mit großen Subventionen der Regierung finanziert werden, bei denen „Partner“-Firmen die Gewinne einstreifen und die Steuerzahler die Kosten bezahlen. 

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Lee eine harte Linie gegenüber dem Norden eingeschlagen: alle Hilfen für den Norden wurden nach dem Untergang der Cheonan eingestellt und die aufkeimenden finanziellen Verbindungen zwischen den beiden Koreas abgebrochen. Wir sind weit gekommen seit den Tagen, in denen die Wiedervereinigung Koreas als reale Möglichkeit erschienen ist.

Es scheint eher hundert als zehn Jahre her zu sein, dass die beiden Koreas am Rande einer historischen Aussöhnung standen. Die Führer einer geteilten Nation trafen sich zum ersten Mal nach einem halben Jahrhundert, und viele Analysten waren überzeugt, dass der kommunistische Führer Kim Jong-il entschieden hatte, dass Nordkorea auf eine „sanfte Landung“ hin arbeiten müsse, um einem totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu entgehen. Eine Zeit lang schien es, als hätte die „Sonnenscheinpolitik“ des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung Erfolg bei der Verhinderung eines katastrophalen Zusammenbruchs des kommunistischen Regimes, einer Flut von Flüchtlingen oder sogar des Ausbruchs eines Krieges. Die Vereinigten Staaten von Amerika schoben diesem hoffnungsvollen Szenario einen Riegel vor. Das bremste die Südkoreaner allerdings nicht: gegen den Widerstand der Vereinigten Staaten von Amerika setzte der Nachfolger Dae-jungs die Sonnenscheinpolitik mit noch mehr Energie fort, indem er nach Nordkorea reiste und die physische Grenze überschritt – aber es sollte nicht sein. Der liberale Einfluss auf die Politik Südkoreas endete 2008 mit der Wahl von Präsident Lee Myung Bak, dessen erste Amtshandlung in der Schließung der Regierungsabteilung bestand, die eingerichtet worden war, um die nationale Vereinigung zu fördern.

Das größte Hindernis für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel war weder Nordkoreas Unnachgiebigkeit noch Südkoreas Feindseligkeit, sondern die Einmischung der Supermächte – Chinas und der Vereinigten Staaten von Amerika. China wurde die Rolle von Nordkoreas Gouvernante übertragen, die ihren Schützling zur Zufriedenheit der westlichen Mächte im Zaum hält. Peking hat keinerlei Interesse an einem wiedervereinigten Korea, das seine eigenen regionalen Interessen und Machtansprüche bedrohen würde. Die Vereinigten Staaten von Amerika ihrerseits waren durchgehend gegen die „Sonnenscheinpolitik“ und standen dieser bei jeder Bewegung im Weg, indem sie darauf bestanden, das Land mit tausenden Soldaten zu besetzen, die allgemein unerwünscht sind. Unsere Intervention in Korea ist ein Relikt des Kalten Krieges, das wir anscheinend nicht aufgeben wollen. 

Es gibt nur eine Lösung für die Frage Korea: den totalen Abzug der Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika, die in jedem Fall als Geiseln gehalten werden angesichts der Aussicht auf einen nordkoreanischen nuklearen Angriff. Wollen wir wirklich rund 20.000 amerikanische Soldaten auf dem Altar unserer Rechtsansprüche aus dem Kalten Krieg opfern? 

Ohne die Einmischung der Vereinigten Staaten von Amerika hätten die beiden Koreas sich schon lange vereinigt: wir haben eine unhaltbare Situation geschaffen, die unserer Kontrolle jeden Moment zu entgleiten droht. Was es braucht ist die Wiederaufnahme der „Sonnenscheinpolitik“, ein ausgehandeltes Ende des Koreakrieges – nein, wir haben nie ein Friedensabkommen unterzeichnet! – und den Abzug der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika. Dann, und nur dann wird der Frieden auf der koreanischen Halbinsel blühen.

 
     
  Erschienen am 24. November 2010 auf > http://www.antiwar.com > Artikel  
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