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  Nach dem Sturz Mubaraks geht die Revolution weiter

Ali Abunimah

Nachdem gestern Abend bekannt gegeben wurde, dass Hosni Mubarak die erste Forderung der Revolution erfüllt und sein Amt zurückgelegt hatte, machte ich mich auf zu der ägyptischen Botschaft in Amman. Die Freude auf den Straßen war etwas, was ich noch nie erlebt hatte.

Aus aller Richtungen kamen Menschen, kamen aus Autos, die im totalen Stau auf der Zahran-Straße steckten in die Seitenstraße, in der die Botschaft liegt. Es waren Junge und Alte und Familien mit Kindern. Ägyptische Arbeiter – das uneingestandene Rückgrat eines großen Teils der jordanischen Wirtschaft – sangen, trugen sich gegenseitig auf ihren Schultern und trommelten. Ägyptische Fahnen wehten und Transparente wurden hochgehalten.

Die Gesänge waren so unterschiedlich und lebendig wie die Menge, die auf Tausende anwuchs: „Lang lebe Ägypten!,“ „Das Volk hat das Regime gestürzt!,“ „Wer ist der Nächste?,“ „Morgen Abbas!“ Einige Leute warfen Süßigkeiten in die Menge, während die Raketen eines Feuerwerks in den Himmel stiegen. Viele machten Fotoaufnahmen, um einen Augenblick des Sieges festzuhalten, von dem sie fühlten, dass er vom ägyptischen Volk für uns alle errungen worden ist. 

Nach Tunesien war ein weiterer großer Stützpfeiler der Unterdrückung niedergerissen worden, um den hohen Preis von Hunderten, die ihr Leben gaben, und von vielen Millionen, die sahen, dass ihr Leben so viele Jahre lang zerstört worden war. Es war eine Nacht der Freude, und die Feiern gehen auch heute weiter.

Nachdem die Feiern vorbei sind, muss auch die Revolution weiter gehen, denn sie wird nicht beendet sein, bis das ägyptische Volk sein Land so aufgebaut hat, wie es dieses haben will.

Die Stimmung in den Straßen von Amman ließ jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass die ägyptische Revolution eine gründliche Wirkung auf die gesamte Region haben wird. Araber allerorten sehen sich jetzt als Tunesier oder Ägypter. Und jeder arabische Herrscher sieht sich selbst als Ben Ali oder Mubarak.

Die Revolution hat ein Gefühl für ein gemeinsames Schicksal der arabischen Welt wieder zum Leben erweckt, das naiv erschien, wenn unsere Mütter und Väter uns von ihrer Jugend erzählten, und das die arabischen Führer sicher abzutöten versucht hatten. Die arabischen Diktatoren, die innerlich so tot sind wie Mubarak sich in seinen schrecklichen Fernsehansprachen erwiesen hatte, dachten, dass auch der Geist ihrer Völker tot wäre. Die Revolutionen haben ein Gefühl für grenzenlose Möglichkeiten wiederhergestellt, und eine Sehnsucht, dass die Änderung sich von Land zu Land ausbreiten sollte. 

Was immer als Nächstes geschieht, die ägyptische Revolution wird grundlegende Auswirkungen auf das Machtverhältnis in der Region haben. Zweifelsohne sind die Vereinigten Staaten von Amerika, Israel und ihre Alliierten bereits geschwächt. Zuerst verloren sie Tunesien und erlitten einen empfindlichen Rückschlag mit dem Zusammenbruch der von den Vereinigten Staaten von Amerika gestützten Regierung des Libanon unter Saad Hariri, und jetzt Mubarak und Omar Suleiman, die engsten und eifrigsten Kollaborateure mit Israel, ausgenommen vielleicht Mahmoud Abbas und seine Kumpane in Ramallah. 

In vielen Köpfen – besonders in israelischen und amerikanischen – erhebt sich die Frage, ob eine neue demokratische ägyptische Regierung den Friedensvertrag von 1979 mit Israel auflösen wird. Das liegt natürlich am ägyptischen Volk, wiewohl die militärische Übergangsregierung in ihrer vierten Verlautbarung bestätigte, dass Ägypten „alle internationalen und regionalen Verträge“ einhalten werde. 

Aber dieser Vertrag ist nicht wirklich das Thema. Sogar wenn ein demokratisches Ägypten das Abkommen einhält, verlangte dieses Abkommen nie von Ägypten, sich an den israelischen und amerikanischen Komplotten gegen andere Araber zu beteiligen. Es verlangte nie von Ägypten, Grundpfeiler in einer amerikanisch angeführten Allianz mit Israel und Saudiarabien gegen einen angeblich expansionistischen Iran zu werden. Es verlangte nie von Ägypten, die widerwärtige „Sunniten gegen Schiiten“-Rhetorik aufzugreifen und zu verbreiten, die bewusst eingesetzt wurde, um die Grundlage für Konflikte zu liefern. Es verlangte nie von Ägypten, sich an der grausamen Belagerung Gazas durch Israel zu beteiligen oder eng mit dessen Geheimdiensten gegen die Palästinenser zusammen zu arbeiten. Es verlangte nie von Ägypten, ein Folterzentrum für die Vereinigten Staaten von Amerika in deren sogenanntem „Krieg gegen den Terror“ zu werden. Das Abkommen verlangte nie von Ägypten, Migranten aus anderen Teilen Afrikas auf dem Sinai tot zu schießen, nur um den Israelis den Anblick schwarzer Menschen in Tel Aviv zu ersparen. Kein Abkommen verpflichtete oder verpflichtet Ägypten, diese und viele noch schändlichere politischen Handlungen weiter zu betreiben, die Hosni Mubarak und seinem Regime den Hass von Millionen Arabern und anderen weit über Ägyptens Grenzen hinaus eingetragen haben.  

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Hegemonie über Ägypten nicht einfach aufgeben, und alles tun werden, wozu sie in der Lage sind, um jegliche Bewegung Ägyptens in Richtung einer unabhängigen regionalen Politik zu vereiteln, wobei sie ihre tiefgehenden Verbindungen und gewaltigen Hifsgelder an das ägyptische Militär ausnutzen werden, das jetzt das Land beherrscht. Die Absichten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Region bleiben die hauptsächliche Bedrohung des Erfolgs der ägyptischen Revolution von außen.

Wie immer auch die Politik Ägyptens weitergehen wird, haben sich die Kalkulationen für die verbleibenden Mitglieder der so genannten „Allianz der Gemäßigten,“ besonders Saudiarabien – welches angeblich angeboten hat, Mubarak finanziell zu stützen, falls die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Hilfe zurückziehen sollten – Jordanien und die Palästinenserbehörde. 

Viele Jahre lang setzten diese Regimes, wie Ägypten, in puncto Sicherheit und Überleben auf eine praktisch bedingungslose Allianz mit den Vereinigten Staaten von Amerika: sie warfen alle heiligen, eigenständigen und grundsatztreuen Positionen über Bord und übernahmen Amerikas hegemoniale Absichten als ihre eigenen, im Austausch für Hilfeleistung, und was sie erhofften, war eine Garantie, dass ihnen die Vereinigten Staaten von Amerika zu Hilfe kommen würden, falls sie einmal in Schwierigkeiten gerieten. 

Was die Revolutionen allen arabischen Regimes deutlich machen ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sie letztendlich nicht retten können. Kein Ausmaß von „Sicherheitsassistenz“ (Ausbildung, Tränengas, Waffen), Finanzhilfe oder geheimdienstlicher Zusammenarbeit seitens der Vereinigten Staaten von Amerika oder Frankreichs kann etwas gegen eine Bevölkerung ausrichten, die entschieden hat, dass sie genug hat. Der Bewegungsraum dieser Regimes ist enger geworden, auch wenn nicht überall Aufstände von der Art ins Haus stehen, die es in Ägypten und Tunesien gab. 

Nach den Revolutionen sind die Erwartungen der Menschen gestiegen und ihre Toleranz für die alten Vorgangsweisen ist geschwunden. Ob die Dinge so weiter gehen werden wie seit einigen Wochen, einige Monate oder sogar ein paar weitere Jahre in diesem oder jenem Land, der Druck und die Forderungen nach Änderung werden unwiderstehlich sein. Die bleibenden arabischen Regimes müssen jetzt nicht fragen, ob es zu einer Änderung kommen wird, sondern wie. 

Werden Regimes, die sich so lange gestützt haben auf Unterdrückung, Furcht und die Fügsamkeit ihrer Völker, auf die Revolution warten, oder werden sie ungerechtfertigte Macht aufgeben und eine wirkliche Demokratisierung freiwillig, rasch und ehrlich durchführen? Dazu wird es nicht nur einer dramatischen Änderung der innenpolitischen Vorgänge bedürfen, sondern auch eines eingehenden Überdenkens externer Bündnisse und Verpflichtungen, die in erster Linie Israel, den Vereinigten Staaten von Amerika und den Regimes auf Kosten ihrer eigenen Völker gedient haben.

Jordanien ist jetzt ein vordringlicher Fall, in dem ein derartiges Überdenken dringend angebracht ist. Ungeachtet dessen, ob die neu bestellte Regierung in der Lage sein wird oder nicht (ich glaube fast sicher nicht), die Erwartungen der Öffentlichkeit nach Demokratisierung, Bekämpfung der Korruption und einem Ende der ärgsten neoliberalen politischen Machenschaften, die so viele der Ressourcen und Unternehmen des Landes in niemandem Rechenschaft schuldige private Hände verschoben haben, muss auch die Außenpolitik des Landes einer vollen Neubewertung unterzogen werden.

Das inkludiert die übermäßige Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten von Amerika, die Beziehungen zu Israel, die Teilnahme an dem vorgetäuschten „Friedensprozess,“ die Ausbildung der Sicherheitskräfte, die Mahmoud Abbas in der West Bank gegen andere Palästinenser einsetzt, sowie die äußerst unpopuläre Beteiligung an dem Krieg der NATO gegen Afghanistan und der Okkupation des Landes. Bis jetzt wurden alle Entscheidungen über diese Angelegenheiten ohne die leiseste Rücksicht auf die öffentliche Meinung getroffen.

In der West Bank steckt die Palästinenserbehörde (PA) von Mahmoud Abbas in einer ärgeren Klemme als je zuvor. Ihr Legitimitätsverlust geht so weit – besonders nach den Enthüllungen der Palestine Papers – dass sie nur existieren kann unter dem Schutz der israelischen Okkupation, mit der Ausbildung ihrer repressiven Sicherheitskräfte durch die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union, und mit Hilfe der massiven Finanzmittel der Europäischen Union, um die Gehälter ihrer aufgeblähten Bürokratie bezahlen zu können.   

Die Führer der PA sind so tot gegenüber der gerechten Sache und den Hoffnungen auf die Befreiung des palästinensischen Volkes, für die so viel geopfert worden ist, wie Mubarak gegenüber den Rechten und Hoffnungen des ägyptischen Volkes. Kein Wunder, dass die PA sich mehr und mehr auf rücksichtsloses Vorgehen und polizeistaatliche Taktiken verlässt, die so an Mubarak und Ben Ali erinnern.

Die Revolutionen im arabischen Raum haben unsere Horizonte erweitert. Mehr Menschen können jetzt sehen, dass die Befreiung Palästinas vom zionistischen Kolonialismus und von der von den Vereinigten Staaten von Amerika und von der Europäischen Union finanzierten Unterdrückung, um es zu einem sicheren und menschlichen Ort für alle zu machen, die dort leben, um in Gleichberechtigung zu existieren, nicht nur eine utopische Forderung ist, sondern dass es in unseren Händen liegt, ob wir dafür kämpfen und zu unseren Grundsätzen stehen. Wie die Macht des Volkes, gegen die die Polizeistaaten Tunesien und Ägypten letztendlich machtlos waren, haben auch die Palästinenser und ihre Verbündeten (besonders diejenigen, die die BDS – Boykott, Deinvestition, Sanktionen – Bewegung unterstützen > s. Artikel dazu) die Macht, die Realität innerhalb der kommenden paar Jahre zu ändern. 

In welcher Form auch immer die Revolution weiter geht, die Völker sagen ihren Regierenden: unsere Länder, unsere Zukunft gehören nicht mehr euch. Sie gehören uns.

 
     
  erschienen am 14. Februar 2011 auf > THE ELECTRONIC INTIFADA > Artikel  
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