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  Die anderen gefangenen Nationen

Llewellyn H. Rockwell, Jr.

Wir leben in einem orwell´schen Roman, es wird also nicht erwartet, dass sich jemand an Präsident Ronald Reagans Krieg 1986 gegen Libyen erinnert. Beide – Reagan und sein Vizepräsident Bush – waren täglich im Fernsehen, um Libyen als Terrorstaat anzuprangern, unter der Herrschaft des bösen Diktators Colonel Muammar Gaddafi. Die Bombardierung durch die Vereinigten Staaten von Amerika erfolgte angeblich in Vergeltung für die Lybien zur Last gelegte Beteiligung an einer Attacke gegen eine deutsche Disco im Jahr davor. 

Gaddafi war sicher der Hitler jener Zeit. In dem Angriff wurde Gaddafis 15 Monate alte Adoptivtochter Hannah getötet und seine beiden Söhne wurden verwundet. Wem machte das etwas aus? Kaum jemandem, da die Dämonisierung intensiv und unerbittlich war. Auf T-Shirts im ganzen Land war zu lesen „F@#$ Gaddafi“ und wir erfuhren alles über seinen Wahnsinn und die bösartige Gewaltherrrschaft, die er über sein eigenes Volk ausübte.

Dann, nach einiger Zeit und wie immer, wurde die Kampagne immer ruhiger und letztlich vergaß jeder den neuen Hitler und sein Land, wie halt die Amerikaner jedes andere Land vergessen, mit dem sie sich nicht gerade im Krieg befinden.

Die Jahrzehnte vergingen. Das nächste Mal hörten wir von Gaddafi 2003. Gemeinsam mit Tony Blair lobte Präsident Bush Libyen, weil es dem Abbau eines Waffenprogramms zustimmte. Es sah so aus, als hätte Gaddafi sich von Hitler zu einem ritterlichen Freund im Kampf gegen den Terror gewandelt. Und dabei blieb es. Der Colonel bliebt unbehelligt an der Macht und erfreute sich einer warmen Beziehung mit seinen neuen Freunden in Washington und London.

Es ist also ziemlich schockierend zu erfahren, dass Libyen von einem Diktator auf Lebenszeit regiert wird, der wie Mubarak und seine von den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützten Diktatorenkollegen von Nordafrika bis zu den Golfstaaten willens ist, hunderte und tausende hinzumetzeln, nur um seine Herrschaft aufrecht zu erhalten.

Die Gewalt gegen die Antiregierungs-Demonstranten war entsetzlich. Das libysche Militär tötete hunderte Menschen, indem es nicht nur auf friedliche Demonstranten feuerte, sondern auch auf Menschen, die an den Begräbnisfeierlichkeiten zu Ehren der Getöteten teilnahmen. Rund 800 wurden verwundet und das Blut fließt noch immer. Dann fuhr der Colonel mit den großen Geschützen auf und brachte die moderne Welt zum Stillstand, indem er das Internet und alle Kommunikation im Inland und mit dem Ausland blockierte. Die Demonstranten behaupten, dass kein Weg zurück führt, dass dieser Mann, der das Land seit 1969 beherrscht hat, gehen muss. Uns sicher ist, dass er gehen muss und gehen wird.

Wenn wir zurückblicken auf die Aktion Reagans 1986, können wir sehen, dass das eine Art von Präzedenzfall setzte für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Kalten Krieg. Es war kein richtiger Krieg. Es war eine Bombardierung, die vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika unternommen wurde. Es war die Benutzung des Militärs und internationaler Gewalt im Dienst einer politischen Priorität, die von der Regierung festgelegt worden war. 

Es war auch nicht zwangsläufig ideologisch. Es wurde durchgeführt in der angeblichen Absicht, irgendwie Gerechtigkeit walten zu lassen hinsichtlich begangener Verbrechen, sowie  zukünftigen Verbrechen des gleichen Staates vorzubeugen. Es war die gleiche Ansicht, die nur wenige Jahre später gegen den Irak zum Einsatz kam und die jetzt die Grundlage der gesamten außenpolitischen Theorie des Kriegs gegen den Terror bildet. Im Rückblick liegt es jetzt auf der Hand, dass sie im Fall Libyen nicht funktionierte, da das Monster, das damals am Ruder war noch immer am Ruder ist, Terror gegen sein eigenes Volk einsetzt zur Unterstützung seiner eigenen Herrschaft mit eiserner Faust.  

In der Tat ist das Ergebnis oft das Gegenteil des Erwarteten. Ein Bombardement oder andere Art des Angriffs durch die Vereinigten Staaten von Amerika gegen ein Land kann das Volk hinter der Führung vereinigen, wie etwa seit Jahrzehnten in Kuba. Das gleiche passierte in den 1990ern im Irak, als von den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützte Sanktionen dazu führten, dass die Regierung gestärkt und das Land geeint wurde. 

Die Proteste, die durch die arabische Welt fegen, zeigen einen anderen Weg. Die Bürger dieser Länder nehmen ihr Schicksal in ihre eigenen Hände, wie es eigentlich sein sollte, und warten nicht auf andere, damit diese sie befreien. Es ist sehr leicht möglich, dass die libyschen Bürger letztendlich den Diktator stürzen werden, den Reagan nicht gestürzt hat, und den seine Nachfolger zuletzt unterstützt haben.

Einer der großen Schocks, die dieses Jahr den Amerikanern beschert wurden, ist die Entdeckung, vielleicht zum ersten Mal, dass die Vereinigten Staaten von Amerika lange ihren eigenen Block von Satellitendiktaturen in vielen Teilen der Erde unterhalten haben. So wie die Sowjetunion ihre „gefangenen Nationen“ hatte, so verfügen auch die Vereinigten Staaten von Amerika über ihre eigene Sammlung wackerer Verbündeter, die so bösartig und repressiv gegen ihre eigenen Völker sind wie die kommunistischen Diktatoren früher.

Die Amerikaner entdeckten das erst vor kurzem im Zuge der gewaltigen Protestwelle in der gesamten arabischen Welt. Libyen ist ein Beispiel. Aber da gibt es noch Ägypten und Tunesien, weiters Bahrain, Jemen, Jordanien, Marokko, Djibouti und andere Staaten, vielleicht auch Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. In jedem Fall ist eine Regierung, die von den Vereinigten Staaten von Amerika bezahlt und kontrolliert wird, mit einer Bevölkerung konfrontiert, die genug hat von den Verletzungen der Menschenrechte, der Unterdrückung, der wirtschaftlichen Rückständigkeit, der Ungerechtigkeit und den Angriffen auf Meinungsfreiheit und Reisefreiheit.

In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es eine Tendenz, die gesamte Revolution einer Art Antiamerikanismus oder muslimischem Fundamentalismus zuzuschreiben, obwohl es dafür herzlich wenige Beweise gibt. Wenn man die Ansprachen verfolgt und die jungen Leute reden hört, dann hört man die Ideen von 1776. Es ist die Sprache der universellen Menschenrechte – ganz und gar das amerikanische Glaubensbekenntnis.

Die bittere Ironie für die meisten Amerikaner ist die Entdeckung, dass unsere eigene Regierung so lange einer Reihe von Klientenstaaten vorstand, die so grausam und so geschlossen sind, dass die Menschen keine andere Wahl haben, als massenhaft auf die Straße zu gehen und Leib und Leben zu riskieren, um den Pharaoh loszuwerden.

Es ist eine Tatsache: diese Völker hassen die Tyrannen. Es ist auch eine Tatsache, dass es „unsere“ Tyrannen sind. Deren bloße Existenz bringt die totale Scheinheiligkeit der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika ans Licht. 

Gott segne diese Demonstranten. Diese verlieren ihre Ketten. Sie verändern die arabische Welt – und die ganze Welt – indem sie die Diktatoren destabilisieren und stürzen. Sie machen das nicht nur ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie machen das ungeachtet der Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika für die Diktatoren, die sie bekämpfen. Insgesamt können diese Revolutionen mehr bedeuten als den Sturz von Despoten; sie können zum Sturz der despotischen Politik und des Imperiums führen, das in Washington, DC., seinen Sitz hat.

Gehen Sie mit mir auf die Straße?

 
     
  erschienen am 21. Februar 2011 auf > LewRockwell.com > Artikel  
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