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  Ceci n’est pas une guerre

Chase Madar

Wenn jemand die Menschenrechte in den Mittelpunkt der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika hätte bringen können, dann wäre das Harold Hongju Koh gewesen. Als Dekan der Juridischen Fakultät von Yale und prominenter Kritiker der Gesetzlosigkeit unter Bush-Cheney wurde seine Reputation höchstens durch einen Chor von verrückten Anwürfen strapaziert, das Recht der Schariah in die Rechtssprechung der Vereinigten Staaten von Amerika einschmuggeln zu wollen. Das war der richtige Mann, um den Schaden zu beheben, den die vorhergehende Administration dem moralischen Prestige Amerikas zugefügt hatte; als Rechtsberater des Außenministeriums werde Koh Anstand und Güte der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika wiederherstellen.  

Stattdessen war er eifrig bemüht, die Sicherheitspolitik der Ära Bush zu rechtfertigen. Die Administration Obama scheiterte bei der Schließung der Militärgerichte in Guantánamo, wo sie einen Kindersoldaten wegen neu erfundener „Kriegsverbrechen“ angeklagt und verurteilt hat; sie hat die unbefristete Anhaltung perpetuiert und einen gesetzlichen Übergriff gegen WikiLeaks unternommen. Vielleicht am bezeichnendsten ist, dass sie die Drohnenüberfälle in Afghanistan, Pakistan, Jemen und Somalia radikal intensiviert hat. (Im Wahlkampf verurteilte John McCain die Ausweitung des Afghanistankrieges nach Pakistan als waghalsig und vermessen.) Pflichtgemäß produzierte Koh die Rechtsgutachten für die Drohnenüberfälle und lieferte so das erforderliche rechtliche Beiwerk zu einer nationalen Sicherheits„strategie“ der uneingeschränkten globalen Bekämpfung des Widerstandes. Nichts davon hat besondere Kritik erregt außerhalb der Randgruppen der Antikriegs-Linken und der libertären Rechten, und Kohs Rechtfertigungen wurden weitgehend ignoriert von Fachleuten, die seinerzeit schockiert waren über ähnliche Bush-Cheney-Verordnungen.   

Kohs letztes Rechtsgutachten war dann aber doch ein zu starkes Stück sogar für seine ehemaligen Kollegen. Das Kriegsermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1973 verpflichtet Präsidenten, die Zustimmung des Kongresses für militärische Aktivitäten einzuholen, die länger als 60 Tage andauern. Wird diese Zustimmung nicht erteilt, dann hat die Regierung weitere 30 Tage Zeit, um die Kampfhandlungen zu beenden. Als der Angriffskrieg der NATO gegen Libyen über die 90-Tage-Frist hinweg hinkte, argumentierte Koh ganz kreativ, dass es da zu keinen „Kampfhandlungen“ gekommen ist, weil keine amerikanischen Stiefel auf dem Boden sind – nur unbemannte Drohnen, überfliegende Kampfflugzeuge und Raketengeschosse vor der Küste. Macht nichts, dass die im Konflikt eingesetzten amerikanischen Soldaten eine eigene „Gefahrenzulage“ bekommen: richtig betrachtet, sagt Koh, ist dieser Krieg kein Krieg.   

Obama gab Kohs Argumentation gegenüber den Gutachten anderer Rechtsexperten der Regierung den Vorzug, verärgerte damit den Kongress (das Repräsentantenhaus stimmte heute mit großer Mehrheit gegen die weitere Genehmigung des Krieges gegen Libyen) und löste eine Salve verärgerter Kommentare seitens der früher eher verschlafenen Zunft der Rechtsprofessoren aus. Kohs Kasuistik ist um so erschreckender, da er, ehe er in den Dienst der Administration Obama trat, die Überschreitung der Machtbefugnis durch den Präsidenten im Bereich Kriegsführung scharf kritisiert hatte.  

Es wäre aber ein Fehler, Kohs kürzliche Äußerungen als Abweichung von früher vertretenen politischen Positionen zu sehen. Er hat seine Bewunderung für den vor kurzem verstorbenen Walt Rostow ausgedrückt, einen Freund der Familie, führenden Wirtschaftswissenschaftler für Entwicklungsfragen, und, als nationaler Sicherheitsberater unter Kennedy und Johnson, einflussreicher Befürworter der Flächenbombardierung Nordvietnams. Koh war gegen den Irakkrieg nicht wegen dessen politischer Verrücktheit oder den massiven Opfern in der Zivilbevölkerung, sondern weil er nicht legal war. Hätten die Vereinigten Staaten von Amerika eine UN-Sicherheitsratsresolution zusammenschwindeln können, um den Einmarsch zu autorisieren, wäre die Kartastrophe wenigstens durch ihre Rechtmäßigkeit ausgeglichen, so die Logik. In Kohs Denksystem sticht besonders hervor ein auffallender Respekt für das Gesetz: man muss sich immer große Mühe geben, eine legale Begründung herzustellen, die einer oberflächlichen Betrachtung standhalten kann. Diese Sensibilität erweist sich als fabelhaft flexibel, wenn sie in den Dienst der Macht des Staates gestellt wird. „Nicht mehr einfach das Gesetz ignorieren, wenn es einem nicht passt,“ sagte Obama gerne im Wahlkampf. Genau: setz dich nicht über das Gesetz hinweg wie Bush, verdreh es gewissenhaft, während du ein Theater um die Menschenrechte machst und hoffst, dass niemand draufkommt.   

Kohs Geschmeidigkeit ist weniger eine Verdrehung des Menschenrechtsgesetzes als eine lebendige Illustration der Grenzen dieser Doktrin. Das Menschenrechtsgesetz leitet einen großen Teil seiner Legitimität davon ab, dass es militant unpolitisch ist, und in seinem Wirkungsbereich kann und erreicht es viel Gutes. Wenn es allerdings zu weitreichenderen politischen Fragen kommt, besonders ob man Krieg führen darf oder nicht, bietet die Doktrin wenig Anleitung. Sie hat die Menschenrechtsgranden nicht davon abgehalten, ihre Disziplin dafür zu nutzen, die interventionistische „Verantwortung zu schützen“ abzustützen, den derzeitigen diplomatischen Modetrend. Die Führung von Human Rights Watch zum Beispiel unterstützte den Krieg gegen Libyen von Herzen und forderte, dass die gleiche Art von „vereinter und entschlossener Vorgangsweise“ gegen Elfenbeinküste unternommen werden muss. Der mystische Glaube an einen sauberen Krieg, der strikt das Menschenrechtsgesetz einhält und sich an alle Einschränkungen des Kriegsrechts hält, ist ein Glaube, dessen humanitäre Anhänger immer wieder grausam überrascht werden von der unvermeidlichen Schlächterei, zu der es unweigerlich kommt. Das Internationale Recht ist wichtig, aber es sollte niemals die Diskussion über Interessen, Politik, Ethos und – vor allem – Konsequenzen verdrängen.  

 
  Veröffentlicht am 24. Juni 2011 auf > London Review of Books > Artikel  
     
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