HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
     
  Israels Boykottgesetz – ein historischer Grenzstein

Neve Gordon

Politische Veränderung geht langsam. Man geht nicht in einer Demokratie schlafen und wacht unter einem faschistischen Regime auf. Die Bürger von Ägypten und Tunesien können die Tatsache bezeugen, dass das auch für das Gegenteil gilt: Diktatur wird über Nacht nicht zu Demokratie.

Jeder politische Wechsel dieser Größenordnung ist das Ergebnis von sehr viel harter Arbeit und und erfolgt immer schrittweise, was darauf hindeutet, dass es in Wirklichkeit nicht ein einzelnes historisches Ereignis ist, von dem man behaupten kann, dass gerade dieses ausschlaggebend für die Änderung ist.

Es gibt aber signifikante Ereignisse, die als historische Meilensteine dienen.

An die Selbsttötung Mohamed Bouazizis, der sich selbst mit Benzin übergoss und anzündete, nachdem die Polizei seine Waren beschlagnahmte, weil er nicht die nötigen Papiere hatte, wird man sich erinnern als den Funken, der die tunesische Revolution entzündete, und vielleicht sogar die regionalen sozialen Erhebungen, die jetzt als arabisches Erwachen bezeichnet werden. Die gewaltigen Versammlungen auf dem Tahrir-Platz wird man wahrscheinlich einmal als den Strohhalm betrachten, der den Rücken des Kamels gebrochen und einen langsamen Prozess der ägyptischen Demokratisierung in Gang gesetzt hat.   

In Israel könnte es leicht sein, dass man sich an das Boykott-Gesetz, das die Knesset mit 47 zu 38 Stimmen beschlossen hat, auch als historischen Grenzstein erinnern wird.

Ironischerweise ist das Gesetz selbst wahrscheinlich belanglos. Es legt fest, das jede Person, die Material bereitstellt, verbreitet oder veröffentlicht, das dazu dienen könnte, einen Boykott gegen Israel oder die jüdischen Siedlungen in der okkupierten West Bank und Ostjerusalem zu initiieren, eine strafbare Handlung begeht. Falls sie eines derartigen Vergehens für „schuldig“ befunden wird, kann dieser Person auferlegt werden, wirtschaftlich von dem Boykott betroffene Parteien zu entschädigen, darunter mit Schadenersatzzahlungen in der Höhe von 30.000 israelischen Schekel ($8.700), ohne dass die Kläger einen Schaden nachweisen müssen. 

Ziel dieses Gesetzes ist es, Israels Siedlungsprojekt und andere politische Aktivitäten, die internationalen Menschrechtsbestimmungen widersprechen, gegen gewaltfreie Aktivitäten zu verteidigen, die darauf abzielen, diese Politik zu beenden.

Der Rechtsberater der Knesset Eyal Yinon sagte, dass das Gesetz „gegen den Kern von Israels Freiheit der politischen Meinungsäußerung verstößt“ und dass es für ihn schwierig wäre, das Gesetz vor dem Obersten Gerichtshof zu verteidigen, da es dem israelischen Grundgesetz der „menschlichen Würde und Freiheit“ widerspricht. Ausgehend von Yinons Stellungnahme und der Tatsache, dass israelische Menschenrechtsorganisationen bereits eine Petition an den Obersten Gerichtshof eingereicht haben mit der Begründung, dass das Gesetz antidemokratisch ist, besteht eine gute Chance, dass die Geltungsdauer des Boykottgesetzes extrem kurz sein wird.

Und doch sollte dieses Gesetz als Wendepunkt betrachtet werden. Nicht wegen dem, was es macht, sondern wegen dem, was es verkörpert.

Nach stundenlanger Debatte in der israelischen Knesset war die Entscheidung klar. Auf der einen Seite stand Israels Siedlungsprojekt und gesetzwidrige Politik, auf der anderen Seite stand die Redefreiheit, ein Grundpfeiler der Demokratie. Die Tatsache, dass die Mehrheit der israelischen Gesetzgeber sich entschieden, für das Gesetz zu stimmen, zeigt ganz deutlich, dass sie bereit sind, die israelische Demokratie aufzugeben, um die West Bank und Ostjerusalem zu behalten. 

Der Angriff auf die Demokratie erfolgte schrittweise. Das Boykottgesetz war nur ein markanter Moment, vorausgegangen sind Nakba and Acceptance Committee-Gesetze (Verbot des öffentlichen Gedenkens der israelischen Okkupation und Zulassungsbestimmungen für Araber, die in jüdischen Siedlungen wohnen wollen, d.Ü.), folgen wird wahrscheinlich eine Liste von Gesetzen, die die Zerstörung der israelischen Menschenrechtsorganisationen zum Inhalt haben. Über diese Gesetze wird in den kommenden Monaten abgestimmt werden, wobei es angesichts der Zusammensetzung der israelischen Knesset extrem wahrscheinlich ist, dass alle beschlossen werden.

Die israelischen Gesetzgeber realisieren allerdings, dass die Zerstörung der Menschenrechtsgruppen nicht ausreichen wird, um jeden inneren Widerstand zu brechen. Ihr Ziel ist letztlich der Oberste Gerichtshof, die einzige Institution, die noch immer über die Macht und die Autorität verfügt, um demokratische Strukturen verteidigen zu können. 

Es sieht so aus, als wäre es ihre Strategie zu warten, bis der Gerichtshof die neuen Gesetze aufhebt, und dann die öffentliche Bestürzung über die Entscheidungen des Gerichtshofs zu benützen, um die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs mit Gesetzen einzuschränken und es dadurch für die Richter unmöglich zu machen, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben. Wenn erst die Autorität des Obersten Gerichtshofs schwer beeinträchtigt ist, wird der Weg für die rechtsgerichteten Abgeordneten der Knesset offen stehen, zu tun, was sie wollen. Der Prozess, der in den Untergang der israelischen Demokratie führt, mag langsam verlaufen, aber die Richtung, in die das Land sich bewegt, ist eindeutig klar.

     
  erschienen am 15. Juli 2011 auf > www.antiwar.com > Artikel  
  siehe dazu auch > Ran HaCohen - Was man sagen kann und was nicht  
     
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt