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Afghanistans unschuldige Opfer

Die Drohnenüberfälle der Vereinigten Staaten von Amerika hinterlassen eine Spur von verwüsteten Familien und Gemeinwesen

Mary Meehan

Früher habe ich geglaubt, Vizepräsident Joseph Biden sei ein netter Typ. Guter alter Joe. Erdverbunden, netter Sinn für Humor, großartiger Familienmensch. Letztes Jahr las ich dann Bob Woodwards Buch über „Obamas Kriege.“ Seine Beschreibung von Herrn Bidens Treffen mit Afghanistans Präsident Hamid Karzai war ein Hammer. Herr Biden war grob und arrogant und demütigte den afghanischen Führer vor dessen eigenen Ministern.

Er beschwerte sich auch über den öffentlichen Protest Herrn Karzais gegen die zivilen Opfer amerikanischer Bombardierungen in seinem Land. Laut Herrn Woodward „wurde Karzais Ton schärfer. Zivile Opfer waren eine öffentliche Angelegenheit. Die Amerikaner schienen zu glauben, der Tod von sagen wir 30 afghanischen Dorfbewohnern sei bedeutungslos.“ Herr Biden meinte endlich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika „das besser machen können und werden.“ Dann drohte er: „Aber wenn ihr uns nicht haben wollt, ziehen wir gerne ab. Ihr braucht es uns nur zu sagen.“

Herr Karzai protestiert noch immer über die Bombardierung von Zivilisten. Herr Biden und sein Boss Präsident Barack Obama würden das auch tun – und noch viel mehr – wenn eine verbündete Nation amerikanische Häuser im Zuge von „gezielten Tötungen“ bombardieren würde.

Viel von der amerikanischen Überwachung und Bombardierung wird mit unbemannten Flugzeugen durchgeführt, auch Drohnen genannt. Die eingehende Beschäftigung mit neuen Berichten legt nahe, dass die Treffsicherheit der Drohnen weit übertrieben worden ist. Die Hellfire („Höllenfeuer“)-Raketen, die sie in zivile Gebäude jagen, sind hingegen wohl benannt – sie machen aus jedem Haus, in das sie einschlagen, eine Hölle auf Erden. Einige Familienmitglieder werden in Stücke gerissen, andere dermaßen schwer verwundet, dass sie ihr Leben lang darunter leiden werden. Einige erwachsene Überlebende können nach der Genesung nicht arbeiten. Auf diese Weise wird eines der ärmsten Länder der Welt noch ärmer. 

Im Dezember 2001 beschrieb ein Reporter der Washington Post Kinder, die durch die frühe und irrtümliche Bombardierung eines Gebiets nahe Tora Bora durch die Vereinigten Staaten von Amerika schwer verletzt wurden. Unter den Opfern war Noor Mohammed, 10 Jahre alt, der „beide Augen und beide Arme verlor.“ Ein acht Jahre alter Bub mit Kopfverletzungen lag im Koma und hatte eine sehr schlechte Prognose. Zwillinge im Kleinkindalter, beide verletzt, wussten noch nicht, dass ihr Vater getötet worden war. Das Krankenhaus, in dem die Kinder behandelt wurden, hatte 71 Bombenopfer verschiedener Altersstufen aufgenommen. Etwa die Hälfte wurde tot oder sterbend eingeliefert. (Es gab viele ähnliche Fälle von Bombardierungen durch die Vereinigten Staaten von Amerika in Irak und Pakistan.) 

Fast zehn Jahre später hat sich wenig geändert. Im Februar 2010 feuerte eine Helikopterbesatzung aufgrund eines höchst ungenauen Berichts, der von Drohnen-Bedienungspersonal in den Vereinigten Staaten von Amerika gekommen war, Geschosse und Raketen auf einen offenen Kleintransporter und zwei Geländewagen im südlichen Afghanistan. Der Angriff tötete 23 Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – und verwundete 12 weitere. Laut New York Times ergab eine Untersuchung, dass Drohnenoperatoren, die in einer Luftwaffenbasis in Nevada saßen, „den Konvoi 3 ½ Stunden lang verfolgten, aber nichts von den Frauen bemerkt haben, die mitgefahren sind.“ Geheimdienstanalysten der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Videoaufnahmen der Drohne mitverfolgten, hatten zwei Warnungen gesendet, „dass Kinder sichtbar waren.“ General Stanley A. McChrystal, damals Befehlshaber der Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan, maßregelte vier Offiziere wegen des Vorfalls und verlangte von den Luftwaffenführern, eine Untersuchung gegen die Drohnenoperatoren in die Wege zu leiten. Diese hatten berichtet, „nur Männer im Militäralter im Fahrzeug gesehen zu haben.“ Das führt zu einer weiteren Frage, einer, die die New York Times nicht angesprochen hat: werden alle afghanischen Männer im Militäralter als legitime Ziele für Attacken der Vereinigten Staaten von Amerika betrachtet?

Kampfflugzeuge der Vereinigten Staaten von Amerika, Drohnen und Kampfhubschrauber haben Afghanen in Häusern und auf Hochzeitsfeiern getötet. Sie haben Zivilisten getötet, die versuchten, aus gefährlichen Gebieten zu flüchten, Männer, die Altmetall sammelten, um es zu verkaufen, und Buben, die Brennholz für ihre Familien sammelten. In der Provinz Nangarhar bombardierte ein Flugzeug der Vereinigten Staaten von Amerika 2008 dreimal einen Hochzeitszug und tötete die Braut und 46 weitere Menschen. Hajj Khan, ein älterer Mann, der überlebte, hatte die Hand seines Enkels gehalten, als sie zum Dorf des Bräutigams gingen. Laut der britischen Zeitung The Guardian warf ein Bombentreffer Herrn Khan zu Boden. Als er die Augen öffnete, sagte er, „hielt ich noch immer die Hand meines Enkels, aber der Rest von ihm war nicht mehr da. Ich sah mich um und sah überall zerfetzte Körperteile.“ 

Wenn die Überwachung durch Drohnen so akkurat wäre wie behauptet, würde sie die zahlreiche Anwesenheit von Frauen und Kindern bei Hochzeiten erfassen. Ein anderes Problem liegt darin, dass Operatoren von Computern in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Drohnen in Afghanistan steuern, annehmen können, dass Männer, die Altmetall sammeln, oder Buben, die Brennholz zusammensuchen, in Wirklichkeit Talibankämpfer sind, die Straßenbomben legen. Aber sie haben kein Recht, das anzunehmen. Sie haben auch kein Recht, ein Haus zu bombardieren – in dem sich wahrscheinlich Frauen, Kinder und alte Menschen befinden – weil sie vermuten, dass sich ein oder mehrere Widerstandskämpfer darin befinden. Derartige Bombardierungen entsprechen sehr den terroristischen Taktiken, gegen die zu sein wir behaupten.

Die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Alliierten töten unschuldige Zivilisten auch in anderen Ländern. Laut einem Bericht von Associated Press in der Seattle Times fiel das Kleinkind Sirajuddin al-Sweisi einem NATO-Bombenüberfall in Libyen zum Opfer. „Wir brachten ihn ins Krankenhaus, wo sie seine Brandwunden und einige gebrochene Knochen behandelten, aber am Abend war er tot,“ sagte sein Onkel im vergangenen März.

Vizepräsident Biden war ein grandioser Vater und Großvater. Auch Präsident Barack Obama ist seiner Familie sehr verbunden; das Lächeln seiner Kinder, so sagte er einmal, „erfüllt mein Herz und erleuchtet meinen Tag.“ Ich frage mich: können diese mächtigen Männer ihre Begeisterung fürs Bombardieren einmal eine Zeit lang zügeln? Lang genug, um darüber nachzudenken, was sie damit den Familien anderer Menschen antun?

 
     
  erschienen am 4. August in der > BALTIMORE SUN > Artikel  
     
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