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  Ein seltener Verlust, der uns aufgefallen ist

Tony Norman

Neben Dummheit und Arroganz kennzeichnet ein Mangel an Einfühlsamkeit jeden modernen Krieg. Afghanistan und Irak sind die Vorzeigefälle von sinnlosen auf Angstmacherei beruhenden Kriegen in dieser Zeit. Zufällig sind es gerade wir, die sie führen.

In der vergangenen Woche schossen die Taliban einen Chinook-Helikopter ab, als er nach einer Schießerei im Süden Afghanistans die Provinz Helmand verlassen wollte. Dreißig Amerikaner und acht Afghanen wurden getötet in dem Zwischenfall, von dem die Untersuchungsbeamten vermuten, dass es sich um einen Angriff auf den langsam fliegenden Helikopter mit einer von der Schulter abgefeuerten Rakete handelte. Es war der teuerste Tag für das amerikanische Militär seit Beginn des Krieges gegen Afghanistan. Betroffen war ein Trupp amerikanischer Elitekämpfer, aber das macht die Angelegenheit um nichts tragischer, als hätte es ein afghanisches Dorf erwischt, das durch einen Raketenangriff von einer Predator-Drohne dezimiert wurde, weil die militärische Aufklärung eine Hochzeitsfeier irrtümlich für eine Fete von al-Qaeda gehalten hat. 

Gemessen auf der Skala des tödlichen, absurden Wahnwitzes kamen die Tode zumindest dem Elend nahe, mit dem Afghanistan von NATO-Kräften im Namen der Freiheit Tag für Tag heimgesucht wird. Der Talibankämpfer, der diesen Helikopter herunterholte, ist für seine Kameraden nicht weniger ein Held, als die SEALs, die Osama bin Laden geschnappt haben, für uns Helden sind. Die Ironie des Krieges besteht darin, dass er desto mehr „Helden“ auf beiden Seiten produziert, je primitiver er ist.

Das schlechte Gewissen des Käufers

Im kalten Kalkül des Krieges ist eine derartige moralische Gleichstellung einfach. Es ist verständlich, dass es uns in den Magen fährt, wenn so viele amerikanische Leben verloren gehen. Wir vergessen, dass die Menschen, die wir umzubringen versuchen, sich selbst und ihre Lebensweise in ihrem Land verteidigen.

Die „Berechtigung” unserer Sache interessiert die jungen Talibankämpfer nicht, die zur Zeit des 9/11 noch Kinder waren. Alles, was sie in ihrem bisherigen Leben mitbekommen haben, sind amerikanische Okkupation und Tod.

Wir verlieren diesen Krieg, weil die Taliban im Gegensatz zu uns kein Interesse daran haben, Geschichte zu machen. Sie wissen, dass die Geschichte auf ihrer Seite steht, es kümmert sie also nicht, was andere in ihren Büchern über sie schreiben.

Inzwischen erfinden unsere Führer neue Begründungen, um zu erklären, warum wir noch immer in Afghanistan sind. Jeder Tag, den wir länger dort sind, ist ein Zeugnis für kurzfristiges Denken an unsere nationale Ehre. Endlich beginnen immer mehr Amerikaner, sich gegen den Krieg zu stellen, aber nicht, weil er unmoralisch ist. Sie sind entsetzt darüber, dass Afghanistan Billionen Dollars aus unserer Wirtschaft abzieht.   

Diese Art von Entrüstung hat mehr gemeinsam mit dem schlechten Gewissen des Käufers, der einen Spritsäufer in der Einfahrt stehen hat, als mit einem genuinen Ausbruch von moralischer Empörung über die menschlichen Kosten auf beiden Seiten.

Der „gute Krieg“

Afghanistan ist ein besonders trauriger Fall, weil sich unsere zivilen Führer auf Militärführer verlassen, die keine Ahnung haben, wie sie diesen Krieg gewinnen sollen. Sie reden davon, eine Vierte-Welt-Armee auszubilden, die gegen ein tausende Jahre altes Stammessystem kämpfen soll. Das ist unmöglich, dennoch bestehen wir – die quixotischste Supermacht der Welt – darauf, dass der Aufbau einer afghanischen Verteidigungsarmee nach unseren Vorstellungen ein gangbarer Weg ist.

Wir wissen instinktiv, dass die meisten Kriege teuer und dumm sind. Wir wissen auch, dass es bei ungefähr 99,99% der Kriege weder um irgendetwas nützliches noch moralisches gegangen ist.

Einen „guten Krieg” gibt es nur einmal in tausend Jahren oder so. Sogar diejenigen, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben – und Zeit hatten, Jahrzehnte lang darüber nachzudenken – zögern, diesen als einen „guten Krieg“ zu bezeichnen. Sie wissen genug über das Töten von Feinden, um nicht in die Romantisierung zu verfallen, wie es mit ihren Kindern und Enkeln im Laufe der Jahre geschehen ist. Krieg in einem solchen Ausmaß ist nichts anderes als ein Leichenhaus.   

Noch immer hat Amerika keinen Sinn für nationale Zielsetzung, wenn es um Krieg geht, schon die ganze Zeit über, seit die Japaner und die Deutschen ihre imperialen Gelüste vor 66 Jahren aufgegeben haben.

Lasst uns in Ruhe damit

Weil in unseren Kriegen jetzt in erster Linie die Kinder der Arbeiterklasse kämpfen, wird von der Gesellschaft nicht erwartet, dass sie für die Sache irgendwelche Opfer bringt. Wir verlangen gerade noch, dass die Regierung eine Begründung für das Töten in unserem Namen vorlegt.

Die Tatsache, dass die meisten Amerikaner Afghanistan nicht auf einer Landkarte finden können, zeigt am besten, dass es keinen besonderen Stellenwert in unseren nationalen Vorstellungen einnimmt.

Alles, was die meisten Amerikaner verlangen, ist, dass die Regierung die verdammten Kriege gewinnt, die sie führen zu müssen meint, und uns in Ruhe lässt mit einer Wehrpflicht oder höheren Steuern, um sie zu finanzieren. Wir wollen auch keine Vorträge über die Kultur der Völker hören, die wir umzubringen versuchen. Und verschont uns mit Bildern von zurückkehrenden Särgen und Begräbnissen auf unseren Bildschirmen und Titelseiten.

Wenn wir im Krieg sind, sind wir nicht in der richtigen Stimmung für Einfühlsamkeit – nicht einmal wenn es um amerikanische Soldaten geht.

 
     
  erschienen am 10. August auf > The Inquirer (Philadelphia) > Artikel  
   
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