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Tripoli an der Schwelle

Franklin Lamb

Es ist wahr, dass einige ausländische Beobachter, und ganz sicher dieser, die sich die letzten beinahe acht Wochen über in Tripoli aufgehalten haben, gelegentliche Vorhersagen in den Medien nicht sehr ernst genommen haben, dass Tripoli bald von „NATO-Rebellen“ überfallen werden könnte, und sicher nicht von NATO-Landstreitkräften, die ihre Stiefel auf das Territorium setzen.

Die Gründe dafür liegen unter anderem in Beobachtungen, dass die libysche Bevölkerung zunehmend ihre Wut ausdrückt über Mitglieder ihrer Familien und Stämme, die mit NATO-Angriffen umgebracht werden, von denen behauptet wird, dass sie „Zivilisten schützen.”

Viele hier sagen, dass Zehntausende bereit sind, Eindringlinge zurückzuschlagen, die versuchen, Tripoli zu betreten. Die Zustimmung für Colonel Gaddafi scheint sogar westliche Umfragen wiederzugeben wie diejenige, auf die sich vor kurzem der Guardian im Vereinigten Königreich berief und nach der sich die Popularität des libyschen Anführers Colonel Gaddafi im Lauf des gegenwärtigen Konflikts etwa verdoppelt hat. Die Rasmussen-Umfrage am heutigen Morgen besagt, dass die Zustimmung zur Einmischung der Vereinigten Staaten von Amerika und ihren NATO-HiWis in der amerikanischen Bevölkerung auf 20% gesunken ist, unter anderem aufgrund der Tötung von Zivilisten durch die NATO. In einigen anderen NATO-Ländern ist sie noch niedriger.  

Bis vor kurzem verlief das Alltagsleben ziemlich normal, abgesehen von einem Mangel an Benzin für Fahrzeuge und einigen Luxusspeisen, aber auch einigen wichtigen Bedarfsartikeln wie Babymilch, einigen Medikamenten und einem verlässlichen Telefondienst. Frühere Haufen von Hausmüll, die sich an einigen Straßenecken von Tripoli zu Beginn des Monats März anzuhäufen begannen, nachdem bis zu 400.000 ausländische Arbeiter nach Tunesien im Westen und nach Ägypten im Osten geflüchtet waren, wurden vor ein paar Wochen beseitigt, nachdem die Stadtverwaltung von Tripoli ihr so plötzlich und empfindlich geschrumpftes Personal reorganisiert hatte.   

Abgesehen von den seit kurzem zunehmenden NATO-Bombenangriffen war Tripoli ein ziemlich angenehmer Aufenthaltsort. 

Am 17. August änderte sich die Lage abrupt und niemand kann mit Sicherheit sagen, in welche Richtung das Alltagsleben sich entwickeln wird. Beginnend kurz vor Mittag war ein großer Teil, wenn nicht ganz Tripoli ohne elektrischen Strom. In meinem Hotel, einem von den nur zwei in Tripoli, in denen in diesen Tagen wenn auch nur sporadisch Zugang zum Internet besteht (obwohl in Teilen von Tripoli plötzliche Ausfälle wie im Süden von Beirut im Libanon vorkommen, die Stunden oder Tage lang dauern können), fielen die Dienste abrupt für das gesamte Personal und die Gäste aus. Zu Beginn steckten einige Gäste in den Aufzügen fest und einige schienen in Panik zu geraten. Unsere Hotelzimmer, die aus Sicherheitsgründen Fenster haben, die sich nicht öffnen lassen, begannen schnell heiß zu werden, die Batterien des Laptop wurden schnell leer, das schwache Internet fiel aus, und dieser Beobachter wie andere auch waren mit der Aussicht konfrontiert, 18 Stockwerke hinunter und hinauf zu steigen, um Verabredungen im Empfangsbereich im Erdgeschoss einzuhalten. Zwei meiner libyschen Freunde, die in einem der Hotelrestaurants arbeiten, riefen mich in meinem Zimmer an und fragten, ob sie mir ein Mittagessen bringen sollten. Sehr angetan von ihrer rücksichtsvollen Einstellung, die typisch für Libyer zu sein scheint, erinnerte ich sie daran, dass ich wegen des Ramadan faste und keinesfalls ihr freundliches Angebot annehmen würde. Bald darauf lief der Notgenerator des Hotels an und der Aufzug begann wieder zu arbeiten, aber sonst stand in dem Hotel kein Strom zur Verfügung.  

Am nahe gelegenen Grünen Platz begannen sich die Massen um 2 Uhr nachmittags zu versammeln und gegen die „NATO-Rebellen” zu demonstrieren. Man sagte mir, dass tausende libysche Bürger bereit sind, sich an den Stadtrand zu begeben, Kontrollstellen einzurichten und Armeeeinheiten dabei zu unterstützen, alle Versuche einzudringen zu unterbinden, von Al Zawieh im Westen, von Gheryan und einigen Dörfern im Süden oder von Brega und näher gelegenen Orten im Osten.

Die Preise in der örtlichen „Medina” (ein mehrere Blöcke umfassender Straßenmarkt, in dem eine Reihe von Gütern und Gemüse verkauft werden) in der Nachbarschaft meines Hotels waren wieder gestiegen, wie mir zwei Schwestern berichteten, die mit ihrer Mutter jeden Vormittag dorthin gehen, um die Zutaten für die Zubereitung des täglichen „Iftar“-Mahls einzukaufen, mit dem das Fasten im Ramadan bei Sonnenuntergang gebrochen wird. Die letzten sechs Monate hindurch blieben die Preise für Grundnahrungsmittel weitgehend gleich, nachdem die Regierung die Händler gewarnt hatte, nicht einmal im Traum an Preiszockerei zu denken.

Einige Menschen verlassen Tripoli, aber es ist schwer einzuschätzen, wieviele. Die meisten Menschen, die ich fragte, sagen, dass sie bleiben werden und dass sie nicht glauben, dass die „NATO-Rebellen“ in diese gut bewaffnete und offensichtlich gut organisierte Stadt mit immer noch rund 1.5 Millionen Einwohnern eindringen können.

Eine verzögerte Untersuchungsdelegation der UNO unter der Führung einer eindrucksvollen palästinensischen Frau aus Nazareth im okkupierten Palästina namens „Juliette“ war endlich mit dem Flugzeug angekommen, nachdem die UNO gefordert hatte, die NATO müsse gestatten, dass ihr Flugzeug am Lufthafen von Tripoli landen darf. Das UNO-Team, das in unserem Hotel wohnt, war von der Hauptstraße zwischen Tripoli und Tunesien abgesperrt worden. Am Morgen des 18. August sind Menschen in Tripoli gefangen und können nicht nach Tunesien fahren, es kommt auch niemand aus Tunesien.

Libysche Studenten an der Al Fatah-Universität in Tripoli wie auch einige Regierungsbeamte sagten diesem Beobachter, dass sie geschworen haben, sich zu verschanzen und eine „Stalingrad-Verteidigung” von Tripoli gegen die vordringenden „NAZO-Rebellen“ zu führen. Die Wohnviertel sind sicher schwer bewaffnet.

Einige, darunter dieser Beobachter, bringen es nicht übers Herz, diese lieben Studenten daran zu erinnern, dass in Stalingrad die russischen Bürger bis zum Eintreffen der Roten Armee ausgehalten haben, welche dann letztendlich in der Tat viele von ihnen gerettet hat. Man hat nicht den Eindruck, dass eine Rote Armee unterwegs ist, um die drohende Belagerung von Tripoli aufzubrechen. Aber vielleicht brauchen die Verteidiger von Tripoli keine Rote Armee, um eine Belagerung von Tripoli aufzuheben.  

Diese Woche ließ mir ein libyscher Jusstudent, der Wochen lang geholfen hatte, einen Kontrollpunkt eines Wohnviertelverteidigungskomitees an der Straße zum Flughafen zu bemannen, folgende Notiz zukommen:  

Franklin du fragtest mich, wie wir unsere Hauptstadt Tripoli verteidigen werden, wenn die NATO mit Bomben einen Weg freimacht, auf dem ihre „Rebellen“ herkommen und in unsere Wohnviertel einzudringen versuchen. Wir führen oft untereinander nächtliche Diskussionen darüber. Das ist es, was wir zu sagen haben, um deine Frage zu beantworten: 

Es ist keine private Information, dass unsere Verteidigung von jedem Gebäude, auf jeder Hauptstraße, auf jedem Platz oder Kreisverkehr stattfinden wird. Wir können und werden jeden Meter, den die NATO-Kräfte einzunehmen versuchen, so lange wie möglich halten. Jedes Wohnhaus, Fabriksgebäude, Kaufhaus, jede Straßenecke, Kreuzung, jedes Wohn- oder Bürogebäude steht bereit und ist ausgestattet mit Gewehren verschiedener Typen, RPGs und Mörsern. Scharfschützen und speziell ausgebildete kleine 5-6 Mann-Einheiten stehen bereit. Unsere Verteidigung wird ein Kampf von Haus zu Haus sein. Von jedem Stockwerk und aus den Öffnungen werden wir die NATO-Rebellen bekämpfen. Wir werden auch von der Kanalisation und von allen Kellern aus kämpfen. Wenn die NAZO durch die Eingangstür eindringt, werden wir sie in jedem Raum des Hauses bekämpfen und von den Trümmerhaufen aus, die ihre Bomben schaffen, die sie auf uns werfen. 

Lieber Freund Lamb. Die Libyer sind ein gutes und stolzes Volk. Du und ich haben über Omar Muktar gesprochen und unseren Sieg über die Italiener, der uns über ein Drittel unserer Angehörigen gekostet hat, die im Kampf gefallen sind. Weißt du, mein Freund, welches arabische oder muslimische Land in den Jahrhunderten der Kolonialisierung durch das Ottomanische Reich das einzige war, das dagegen rebelliert hat? Es war Libyen. Nur Libyen, unter der Führung seiner Stämme. Wir haben uns erhoben gegen die Türken und zwei 20 Jahre dauernde Kriege gegen sie gekämpft. Glauben die NATO und Obama, dass sie uns besiegen können?

Dein Freund Mohammad.

 
     
  erschienen am 19. August 2011 auf > www.foreignpolicyjournal.com > Artikel  
  Warum die NATO in Libyen so erbarmungslos zuschlägt, erfahren Sie in Jean-Paul Pougalas - Die Lügen hinter dem Krieg des Westens gegen Libyen und Paul Craig Roberts - Der neue Kolonialismus.  
  Wie die Kriegsverbrecher der NATO nicht nur ihr Schmarotzersystem mit Zähnen und Klauen verteidigen, sondern das Land vergiften, das ihnen nicht gehört, erfahren Sie von Thomas C. Mountain - Die NATO vergiftet Libyen mit abgereichertem Uran und David Wilson - Abgereichertes Uran: Eine merkwürdige Methode, um libysche Zivilisten zu schützen.  
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