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  1914 - Déjà vu im Südchinesischen Meer

Eric S. Margolis

In meinem Arbeitszimmer hängt ein nettes kleines Bild von Deutschlands erstem Kaiser Wilhelm I.

Es wurde gemalt kurz nach dem französisch-preußischen Krieg 1870-71 und der Schaffung eines geeinten Deutschlands mit Wilhelm als Kaiser – dank dem großen deutschen Staatsmann Prinz Bismarck. 

Die rasch wachsende wirtschaftliche und militärische Macht des geeinten Deutschland wurde vom Britischen Empire, das damals ein Viertel des Erdballs beherrschte, als ernste Bedrohung betrachtet.

Bismarck schaffte es, Deutschlands Feinde klug zu spalten oder abzulenken. Der junge Kaiser Wilhelm II. jedoch entließ den dominierenden Bismarck und stürzte sein Land bald in eine Konfrontation mit dem imperialen Britannien über Marinestärke, Kolonien und Handel. Britannien beschloss, den Rivalen Deutschland zu zerbrechen. Die Lunte für den Ersten Weltkrieg war entzündet. 

Wir beobachten heute, wie die ersten Schritte einer ähnlichen Konfrontation zwischen großen Mächten in Südasien Gestalt annehmen.

Ein normalerweise vorsichtiges China hat aggressiv Ansprüche auf Meeresgebiete im rohstoffreichen Südchinesischen Meer geltend gemacht, eine Region, die von Indonesien, Vietnam, Brunei, den Philippinen, Malaysia, Taiwan und China eingegrenzt wird.

Auch Japan, Indien, Südkorea und die Vereinigten Staaten von Amerika behaupten strategische Interessen in dem heiß umstrittenen Meer, von dem angenommen wird, dass dort 100 Milliarden Barrel Erdöl und 700 Billionen Kubikmeter Erdgas liegen. China ist sich wiederholt mit Vietnam und den Philippinen wegen Inseln und Felsen im Südchinesischen Meer in die Haare geraten. Die Spannung ist hoch.

2010 unterstützten die Vereinigten Staaten von Amerika kräftig die Ansprüche auf maritime Ressourcen seitens der kleineren asiatischen Staaten, indem sie China warnten und wieder das Recht der Flotte der Vereinigten Staaten von Amerika geltend machten, überall zu patrouillieren. 

In der vergangenen Woche legte Washington die Latte in diesem Machtkampf höher und kündigte an, es werde ständig 2.500 Marinesoldaten im entlegenen australischen Hafen Darwin stationieren.

Ein Marineregiment kann in einer dermaßen riesigen Region nicht viel ausrichten, aber Washingtons symbolischer Truppeneinsatz ist ein weiteres kräftiges Signal an China, sich aus dem Südchinesischen Meer herauszuhalten. China und das benachbarte Indonesien reagierten mit Beunruhigung.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zunehmend beunruhigt über die militärische Modernisierung Chinas und dessen wachsende Marinekapazitäten. Washington hat an einer neuen inoffiziellen Militärallianz mit Indien gearbeitet und Delhi bei der Entwicklung seiner Atomwaffen geholfen, ein Pakt, der eindeutig gegen China gerichtet ist. 

Kräfte der Vereinigten Staaten von Amerika bilden jetzt die Mongolei aus. China könnte eine neue Vierte Flotte im Südchinesischen Meer einsetzen. Washington äußert sich besorgt über Chinas neuen Flugzeugträger, Antischiffsraketen und Unterseeboote. Die Vereinigten Staaten von Amerika könnten Waffen an Vietnam verkaufen. Die Vereinigten Staaten von Amerika modernisieren die bewaffneten Kräfte von Japan und Taiwan.

Diese Züge geben Chinas wachsenden Befürchtungen Nahrung, von einem Netzwerk von amerikanischen Alliierten eingekreist zu werden. Sie rufen in Besorgnis erregender Weise auch das Wettrüsten zwischen Britannien und Deutschland in der Ära der Schlachtschiffe ins Gedächtnis, das eine Schlüsselrolle bei der Auslösung des Ersten Weltkriegs spielte.

Als Historiker bin ich zutiefst besorgt. In Chinas und Indiens Jugend brodelt hirnloser Nationalismus, verursacht durch zu viel Testosteron und Propaganda. Vor einer Dekade habe ich ein Buch geschrieben, das von einem zukünftigen Krieg zwischen China und Indien über den Himalaya und Burma handelte.

Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Erben des britischen Imperiums, kämpfen mit der Finanzierung ihrer riesigen Einflusssphäre. Die Republikanische Partei steckt im Griff extremer Elemente und eines primitiven Nationalismus.

Der Pazifische Ozean war seit 1944 ein amerikanischer See. Washingtons größte außenpolitische Herausforderung besteht darin, den Frieden mit China zu erhalten, während es seine herrschende Rolle über die asiatische Pazifikküste schrittweise vermindert und China erlaubt, seine unvermeidliche Einflussspäre in der Region zu behaupten.

Die bankrotten Vereinigten Staaten von Amerika können nicht hoffen, langfristig mit dem reichen China um die Spitzenposition in Südasien konkurrieren zu können. Die Geschichte zeigt jedoch, dass der Umgang mit dem Entstehen einer neuen Supermacht eine gefährliche, heikle Angelegenheit ist.

Kluge Diplomatie, nicht mehr Marinesoldaten, lautet die Antwort. Das überdehnte amerikanische Reich muss sich der strategischen Realität stellen oder es riskiert, den Weg des sowjetischen Imperiums zu gehen.

Der Haufen allerdings, der in Washington für die Weltherrschaft steht, wird sich den Fakten nicht stellen. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die für 50% der weltweiten Militärausgaben stehen, senden derzeit Soldaten nach Ostafrika, in den Kongo, nach Westafrika, und jetzt nach Australien. 

Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika ist militarisiert worden, das Außenministerium wurde zur Seite geschoben. Das Pentagon sieht, dass al-Qaida überall steckt.

Die Vereinigten Staaten von Amerika brauchen die brilliante Diplomatie eines Bismarck, nicht mehr unbezahlbare Militärbasen oder militärische Ausrüstung.

Ein Zusammenstoß zwischen China und den Vereinigten Staaten von Amerika im Pazifik ist nicht unvermeidlich. Die Ereignisse in der vergangenen Woche allerdings machten einen wahrscheinlicher.

 
     
  erschienen am 19. November 2011 auf > www.ericmargolis.com  
 
siehe dazu im ARCHIV:
   
  Eric Margolis - China und die Vereinigten Staaten von Amerika: Kooperation oder Konfrontation?
  Paul Craig Roberts - Wird Washington Krieg zwischen China und Indien schüren?
  Eric Margolis - Chinas wachsende Präsenz zur See
  John V. Walsh - Der beunruhigte Adler kreist um den Drachen
   
 
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
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