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  In Ägypten geht ‘Stabilität’ über Demokratie 

Charles Davis und Medea Benjamin 

 

Konfrontiert mit öffentlichem Protest verstärkten die nicht gewählten Beherrscher des Landes die Repression, indem sie friedliche Aktivisten einsperrten und Dutzende von Zivilisten töteten, die sich erdreistet hatten, ihre Rechte zu beanspruchen. Diejenigen, die die Staatssicherheitskräfte nicht töteten, weil sie Demokratie forderten, wurden mit Tränengas gequält und vor die pervertierte Rechtssprechung eines Militärgerichts gezerrt, sogar als die herrschende Clique der Welt demokratische Reformen versprach. Für irgendwann.

Geschähe das in Syrien oder Iran, wäre die Rhetorik aus Washington streng, ja sogar aggressiv. Aber nachdem es sich bei der gegenständlichen herrschenden Clique um die Militärjunta in Ägypten handelt, fallen die Lektionen moderat aus – und gehen Hand in Hand mit einer Zahlung. Wie Außenministerin Hillary Clinton gerade bekanntgab, verzichtet die Administration Obama auf eine rechtliche Voraussetzung, die die Militärhilfe an Ägypten davon abhängig machte, dass seine Beherrscher „eine Politik einführen, die die Freiheit der Meinungsäußerung, Versammlungs- und Religionsfreiheit und den Rechtsstaat schützt.“ Das ermöglicht es der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, aus Steuergeldern an die Beherrscher Ägyptens $1,5 Milliarden zu überweisen, von denen über 85% ausdrücklich für die bewaffneten Kräfte reserviert sind.

Wenn jemand nur darauf hört, was Politiker sagen, und ignoriert, was sie tun, dann wird das schon eine Überraschung sein. Immerhin hat Präsident Obama sich wohlwollend zum Arabischen Frühling geäußert. Er hielt eine Rede in Kairo voller erhabener Worte über die legitimen demokratischen Sehnsüchte der Menschen in der Region. Warum sollte also seine Regierung ein Regime, das prodemokratische Kräfte niederschlägt, so großzügig mit Geld für Waffen überhäufen?

Einfach: für Amerikas Waffenhersteller steht viel Geld auf dem Spiel. Laut „Vertretern von Regierung und Kongress,“ die mit der Washington Post sprachen, handelt es sich bei einigen der größten Lobbyisten für das Überweisen unserer Steuerdollars nach Ägypten um militärische Kontrahenten – darunter BAE Systems, General Dynamics, General Electric, Raytheon und Lockheed Martin – die „scharf darauf sind, lukrative Verträge mit der jährlichen Zuwendung zu verbinden.“ Diese Konzerne sorgten dafür, dass Hosni Mubaraks Militär gut ausgestattet war mit Kampfflugzeugen, Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, Apache Helikoptern, Luftabwehrraketen und Flugzeugen zur Überwachung aus der Luft. Für sie ist Militärherrschaft einfach gutes Geschäft.

Mittlerweile marschiert das Pentagon im Gleichschritt mit seinen Kontrahenten und „will nicht seine Verbindungen mit dem ägyptischen Militär aufs Spiel setzen,” so die Washington Post. Für den militärisch-industriellen Komplex ist also gesorgt. Und es macht auch nichts aus für die Angelegenheit Munition-für-Ägypten, dass besagtes Militär versprochen hat, auf die öffentliche Meinung zu pfeifen und weiterhin enge Beziehungen mit Israel zu unterhalten.

Mit den Einflüsterungen der Generäle und von General Electric im Ohr wird also Obama – nicht unbedingt der Typ, der sich dem militärisch-industriellen Konsens entgegenstellt – über eine Milliarde Dollars schicken, um ein Regime zu unterstützen, das hunderte von Menschen in dem einen Jahr getötet hat, nachdem der ehemalige Diktator Hosni Mubarak zum Rücktritt gezwungen worden war.

„Angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Ägypten kann das Außenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika nicht mit gutem Gewissen bestätigen, dass die ägyptische Regierung die Menschenrechte schützt,“ schrieb Amnesty International in einem Brief an Außenministerin Hillary Clinton. Ägyptens Militärherrscher haben sich, während sie den Übergang zu einer zivilen Kontrolle versprachen, „in eine Welle der Repression eingelassen, die das Versprechen der Erhebung gebrochen hat, welche im Januar 2011 begann für eine neue Zukunft des Landes,“ so die Gruppe. Es gab Tötungen von „zahlreichen Zivilpersonen“ neben der Verfolgung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und deren ägyptischen und amerikanischen Angestellten wegen des Verbrechens der Unruhestiftung durch aufrührerische Forderungen nach ziviler Herrschaft.

Clintons Antwort: Was auch immer. Am Freitag bestätigte die Sprecherin des Außenministeriums Victoria Nuland, dass Clinton die Überweisung der Hilfe mit der Begründung der „regionalen Stabilität“ bewilligt hatte und die kleinlichen Bedenken betreffend Demokratie und systematische Menschenrechtsverletzungen einfach ignorierte.

„Ministerin Clinton hat dem Kongress bestätigt, dass Ägypten seinen Verpflichtungen im Rahmen des Friedensabkommens mit Israel nachkommt,” sagte Nuland in einer Erklärung. „Die Ministerin hat auch die rechtlichen Bedingungen betreffend Ägyptens Übergang zur Demokratie aufgehoben, auf der Grundlage von Amerikas nationalen Sicherheitsinteressen, wodurch der weitere Fluß von Geldern für das ägyptische Militär ermöglicht wurde.“ Wenn es hart auf hart kommt, gehen die Forderungen des Militarismus immer über die Sehnsucht nach Demokratie.

Das ist die Botschaft sogar der liberalsten Demokraten: Demokratie ist groß und alles, aber sie spielt die zweite Geige gegenüber Stabilität und Erhaltung des Status Quo.

„Den Interessen Ägyptens und der benachbarten Region wie auch der Vereinigten Staaten von Amerika ist gut gedient durch ein starkes und stabiles Ägypten,“ sagte Nancy Pelosy, Anführerin der (demokratischen) Minderheit im Repräsentantenhaus kürzlich auf einer Reise in die Region. „Soweit diese (militärische) Hilfestellung diese Stabilität fördert, werden wir sicher dabei sein.“

Das klingt, als hätte Pelosi auf ihrer Reise nicht mit vielen Ägyptern gesprochen, denn diese hätte ihr wohl gesagt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika, wenn sie $1,5 Milliarden herumliegen hätten, diese besser verwenden würden, um die ägyptische Wirtschaft zu fördern und nicht das Militär. Dieses Ansinnen passte allerdings nicht gut zu den Vorstellungen der Waffenhersteller der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Wahlkampagnen von Pelosi und ihren Kollegen mitfinanzieren. Außerdem funktioniert Auslandshilfe ganz anders.

Senator Patrick Leahy aus Vermont ist einer der wenigen einflussreicheren Demokraten, die die Administration Obama aufgefordert haben, die Finanzierung der Tyrannei in Ägypten einzustellen, etwas das sonst – eigenartig genug – den konservativen Republikanern überlassen wurde. In einem Brief an Außenministerin Clinton fordern Senator Rand Paul aus Tennessee und Abgeordnete Michele Bachmann aus Minnesota das Einfrieren der Hilfe, indem sie sagten, dass deren Auszahlung jetzt „die falsche Botschaft an die ägyptische Regierung senden würde, dass die Steuerzahler der Vereinigten Staaten von Amerika das ägyptische Militär subventionieren, während dieses fortfährt mit der Niederschlagung der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverletzungen begeht.“

Das ist ein Argument, das sowohl geldorientierte Konservative als auch liberale Philantropen theoretisch begreifen können sollten. Als aber Paul im Senat einen Abänderungsantrag stellte, war es die kalifornische Demokratin Barbara Boxer, die diesen blockierte, sodass darüber nicht abgestimmt werden konnte. „Wir müssen klug und strategisch vorgehen, wenn uns Leute in einem anderen Land in die Quere kommen,“ belehrte sie den Senat, was auch perfekt Sinn macht: wenn man es mit einem repressiven Regime zu tun hat, ist es am besten, cool zu bleiben und dessen Unterdrückungswerkzeuge zu finanzieren.

In einem neuen Bericht über Ägypten nach Mubarak bemerkte der Forschungsdienst des Kongresses der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika eine „Spannung,“ die seit langem in Amerikas Beziehungen mit Ägypten besteht „und von der angenommen wird, dass sie unvermindert und vielleicht sogar verstärkt als ein Ergebnis der Revolution weiter bestehen wird“: die „Verfolgung nationaler Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten von Amerika“ einerseits und „die Förderung amerikanischer Werte und allgemeiner Menschenrechte“ andererseits.

Hier haben wir´s also: ein Verbrecher ist um nichts weniger ein Verbrecher, weil er eine Menge darüber redet, dass er ein Heiliger ist. Die wirklichen Werte zeigen sich in den Taten, nicht in den Worten. Und im Fall der Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika mit Ägypten, unter Obama gerade so wie unter George W. Bush, standen diese Taten eindeutig im Dienst von Diktatur und repressiver – aber pro-amerikanischer – Herrschaft. Leider verursacht das keine Spannung mit unseren Werten: es zeigt auf, welcher Natur diese wirklich sind.

 
     
  erschienen am 24. März 2012 auf > www.antiwar.com > Artikel  
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