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  Die Rolle der Türkei im Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika/NATO/Israel gegen Syrien

Die False Flag-Operation der Türkei gegen Syrien schlägt zurück: Die Bombenattentate in Reyhanli in einem größeren Zusammenhang

Cem Ertür

 

Das Dreieck Syrien-Iran-Türkei: Ein neues Kriegsszenario im Mittleren Osten

„Syrien macht sich Sorgen, dass es von oben von der Türkei und von unten von Israel angegriffen wird. Es befürchtet, zwischen uns wie ein Sandwich erdrückt zu werden.“ [Der israelische Präsident Ezer Weizman (1993-2000), Interview mit Guneri Civaoglu, Israel, 11. Juni 1996]

„Obwohl die Türkei nie an einem Krieg an unserer Seite teilgenommen hat, ist es ein positiver Faktor für Israel, dass Syrien einen Feind an seinen nördlichen Grenzen hat. Syrien wird niemals die Türkei angreifen, aber es kann das Gegenteil nicht ausschliessen.“ [Der ehemalige israelische Verteidigungsminister Uri Or (1995-1996), Interview mit Alain Gresj, Tel Aviv, Oktober 1997]

 

EINLEITUNG

Als die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Alliierten 2011 den verdeckten Krieg gegen Syrien begannen, da erwarteten sie, dass entweder Syriens politisches Establishment innerhalb kurzer Zeit zusammenbrechen werde oder dass sie einen Weg finden würden, einen offenen Krieg zu entflammen. Als Syriens Anführer und Volk sich als äusserst widerstandsfähig erwiesen, wurden zunehmend brutale Massnahmen eingesetzt, um das Land auseinander zu reissen. In jeder Beziehung an der Frontlinie dieses verdeckten Krieges gelegen, war die Türkei auch durchgehend an monumentalen Kriegsverbrechen beteiligt, die gegen das benachbarte Volk von Syrien begangen wurden. 

Der künstliche Frieden der Türkei mit ihren Nachbarn Syrien (seit Dezember 2004) und Iran (seit November 2008) kam zu einem abrupten Stillstand im Mai 2011, als deren zentrale Rolle im verdeckten Krieg der NATO gegen Syrien offenkundig wurde.

Was den künstlichen Konflikt der Türkei mit Israel betrifft, der mit dem Massaker Israels an der Gaza Freiheitsflotte begann, so wurde auch dieser gänzlich offenkundig, als die Türkei Israels eklatante Schritte der militärischen Aggression gegen Syrien im Jahr 2013 offen unterstützte. Das Nachspiel der Bombenattentate unter falscher Flagge im Mai 2013 in Reyhanli nahe der türkisch-syrischen Grenze ist der letzte Beweis für eine tiefe Legitimationskrise der Vereinigten Staaten von Amerika, Britanniens, Israels und der Türkei - der vier Länder, deren Allianz die politische Landschaft des Mittleren Ostens und darüber hinaus seit 1990 dominiert hat.

 

ISRAELISCHE LUFTANGRIFFE GEGEN DAMASKUS

Als die internationalen NATO-Söldner die ersten schweren Niederlagen durch die syrische Armee einstecken mussten, eilte das Militär Israels zu ihrer Rettung herbei und führten zwei Luftangriffe gegen Syrien, von denen jeder ein eklatantes Kriegsverbrechen war.

Nach dem ersten israelischen Luftangriff gegen Damaskus am 30. Januar machte der türkische Aussenminister Ahmet Davutoglu folgende Bemerkungen:

„Warum hat die syrische Armee, die die letzten 22 Monate hindurch die eigene unschuldige Zivilbevölkerung mit Kampfflugzeugen aus der Luft und mit Panzern und Artillerie auf dem Boden angegriffen hat, nicht gegen diese israelische Operation zurückgeschlagen? Warum wirft Assad nicht einmal einen Stein, wenn die israelischen Jets über seinen Palast fliegen und die Würde seines Landes verletzen? Warum unternimmt Assad, der den Befehl gibt, Scud-Raketen gegen Aleppo abzufeuern, nichts gegen Israel? Gibt es einen geheimen Vertrag zwischen Assad und Israel? […] Die Assad-Administration weiss nur, wie man misshandelt. Warum setzt er nicht gegen Israel, das seit seiner Gründung als Feind betrachtet wurde, die gleiche Kraft ein, die er gegen wehrlose Frauen einsetzt?“ 

Am 5. Mai gab die UNO-Menschenrechtsuntersucherin Carla del Ponte die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über Syrien bekannt:

„Entsprechend den Zeugenaussagen, die wir gesammelt haben, haben die Rebellen [in Syrien] chemische Waffen benutzt und Sarin-Gas eingesetzt.“

An diesem Tag führte Israel einen weiteren Luftschlag gegen Damaskus. Auf diese zweite Kriegshandlung Israels gegen Syrien hin ging der Premierminister der Türkei Recep Tayyip Erdogan gegen Syriens Präsident Bashar al-Assad los wegen Kriegsverbrechen, die in Wirklichkeit von den internationalen NATO-Söldnern in Syrien begangen worden waren:

„Die Szenen in [der syrischen Stadt] Baniyas sind so tragisch wie die in Karbala [im Jahr 680 n.Chr.] und die Mörder sind mindestens so verabscheuungswürdig wie Yazid, der die schönen Enkel Hassan und Hussein unseres geliebten Propheten tötete.

Diese Organisationen, die das illegale Regime Syriens unterstützen, diese Länder, die das illegale Regime Syriens stützen, die Vereinten Nationen und der UNsicherheitsrat im besonderen werden nicht imstande sein, sich von dieser Sünde reinzuwaschen. Diejenigen, die dieses Massaker ignorieren, diese unmenschliche Szene im Namen religiöser Solidarität, im Namen [politischer] Umstände oder im Namen internationaler [politischer] Interessen, werden sich nicht von dieser schweren Sünde reinwaschen können. [...]

Ich muss auch das sagen: Israels Luftangriff gegen Damaskus ist sicher auch nicht akzeptierbar. Kein Grund, keine Entschuldigung kann diese Operation rechtfertigen. Derartige Angriffe dienen als Trumpfkarten, als goldene Gelegenheiten dem syrischen Regime. In der Tat benutzt Assad den Angriff Israels, um den Genozid in Baniyas zu vertuschen. Jedenfalls wird nicht einmal diese Operation Israels Assad retten können, der keinen Tropfen Schweiss, gar nicht zu reden von einem Tropfen Blut für die Golanhöhen vergiesst.“

Vier Tage nach dem zweiten Angriff Israels auf Damaskus und der Stellungnahme der UNO über den Einsatz chemischer Waffen durch die Rebellen in Syrien gab Herr Erdogan dem amerikanischen TV-Kanal NBC ein Interview, in dem er sagte, dass im Fall, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in Syrien einmarschieren würden, die Türkei das unterstützen würde. Nachdem aber diese Erklärung praktisch eine de facto-Kriegserklärung an Syrien darstellte, wurde sie umgehend von NBC zensuriert und das Büro des Premierministers gab eine Stellungnahme heraus, die sie in Abrede stellte. Hier Ausschnitte aus der redigierten Version dieses Interviews:

„ERDOGAN: Es ist klar, dass das Regime chemische Waffen und Raketen eingesetzt hat. Sie benutzten ungefähr 200 Raketen, laut unserem Geheimdienst. Die Raketen haben verschiedene Grössen. Und dann gibt es die Tode, die durch diese Raketen verursacht wurden. Und es gibt Verbrennungen, schwere Verbrennungen, und chemische Reaktionen. Und es gibt Patienten, die in unsere Krankenhäuser gebracht werden, die durch diese chemischen Waffen verletzt wurden. Man kann an den Verbrennungen erkennen, wer chemischen Waffen zum Opfer gefallen ist. 

NBC: So hat also Präsident Assad Präsident Obamas rote Linie überschritten?

ERDOGAN: Vor langer Zeit. Ich frage die Vereinten Nationen, den UNsicherheitsrat – tut ihr, was ihr eigentlich tun sollt? Warum gibt es euch überhaupt? Was ist euer Job? Ich meine, gibt es da eine Handlungsgrenze etwa dahingehend, dass sie nichts unternehmen, ehe nicht eine Million Menschen getötet worden sind?

NBC: Werden Sie Präsident Obama ermutigen, direkt in die Situation in Syrien einzugreifen?

ERDOGAN: Wir wollen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika mehr Verantwortung übernehmen und weitere Schritte setzen.

NBC: Was ist Ihrer Ansicht nach die gerechte Strafe für Herrn Assad? Was ist heute Ihre Botschaft an ihn, in diesem Augenblick der Geschichte?

ERDOGAN: Gut, ich sage, er soll Syrien sofort verlassen. Früher oder später wird ihn die Opposition fassen. Und ich hoffe, dass sein Ende nicht das gleiche sein wird wie das Gaddafis.“

In dem Interview sagte Herr Erdogan auch, dass er plant, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Barack Obama die Beweise über den Einsatz von chemischen Waffen in Syrien vorzulegen. Wie auch immer, weder von Herrn Erdogan noch von Herrn Obama wurde in der Woche nach ihrem Treffen am 16. Mai auch nur der leiseste Beweis präsentiert.

Am selben Tag wiederholte der Aussenminister der Türkei Davutoglu das letzte anglo-amerikanische Propagandaargument vor dem Beginn des Überfalls auf den Irak 2003, das sich auf den Massenmord der irakischen Armee an Kurden im Jahr 1988 in Halabja bezog:

„Von jetzt an werden wir diese Tests [auf von chemischen Waffen verursachte Verletzungen] an jeder verletzten Person durchführen, die [aus Syrien] kommt, damit es niemand wagen kann, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen wie das in Halabja, indem er in Syrien [chemische] Waffen benutzt.“

Am selben Tag berichtete Associated Press über die laufenden Vorbereitungen an der Grenze der Türkei mit Syrien:

„Die Türkei hatte ein Team aus acht Experten stationiert, um verletzte Syrer an der Grenze zu untersuchen. Sie bildeten die Mannschaft eines ABC-Einsatzfahrzeugs, das an der Grenzstation Cilvegozu stationiert war.“

Des weiteren wurde am gleichen Tag ein Bericht unter dem Titel „Einrichtung der forensischen Medizin beweist, dass al-Assad chemische Waffen eingesetzt hat“ in der türkischen Zeitung Star veröffentlicht.

„Es steht nun endgültig fest, dass [der syrische Präsident] Al-Assad chemische Waffen gegen sein Volk eingesetzt hat. Das Institut für Öffentliche Gesundheit und die Anstalt für forensische Medizin in Ankara fanden die Substanz ‚Rizin’, die weltweit nur in Iran, China und Russland gefunden wird, in 13 verwundeten Personen, welche aus Syrien kamen. Es wird festgestellt, dass Premierminister Erdogan das Dossier Präsident Obama bei seinem Besuch in den Vereinigten Staaten von Amerika [am 16. Mai] vorlegen wird. Die Angelegenheit kam ans Licht, als 13 verletzte syrische Oppositionelle aus Syrien in das staatliche Krankenhaus in Reyhanli gebracht wurden.“

All das ruft die Kriegspropaganda im Februar 1998 ins Gedächtnis, als die Administration Bill Clinton einen erfolglosen Versuch unternahm, einen Krieg gegen den Irak anzuzetteln. Laut einem AFP-Bericht

„schickten die türkischen Behörden 60.000 Gasmasken in die südöstlichen an den Irak angrenzenden Regionen, um die Zivilbevölkerung vor möglichen chemischen und biologischen Angriffen seitens der irakischen Kräfte zu schützen, so die [türkischen] Tageszeitungen Sabah und Yeni Yuzyil am Freitag. Die von den Zivilschutzleitern gesendeten Masken sind bestimmt für Beamte, die in der Region arbeiten, die an den Irak grenzt [...] Die Südosttürkei grenzt an den Irak und es wird angenommen, dass sich die Region in einer besonders gefährlichen Lage befindet, falls der Irak beschliesst, die chemischen und biologischen Waqffen einzusetzen, die zu besitzen er verdächtigt wird.“

Es sollen auch zwei Anschuldigungen gegen die türkischen Streitkräfte erwähnt werden, chemische Waffen eingesetzt zu haben: 

Im August 2011 gaben fünf Parlamentsabgeordnete der deutschen Partei Die Linke eine Pressekonferenz, um die Bestellung des derzeitigen Chefs der türkischen Armee Necdet Ozel zu verurteilen:

„Als [Nezdet] Ozel oberster Chef der Gendarmerie war, war er nicht nur verantwortlich für Tötungen, Folter und Gewalt in den Kurdengebieten [der Türlei]. 1999 befahl er den Einsatz von chemischen Waffen gegen kurdische Guerillas [nahe dem Dorf Ballikaya in Silopi].“ 

Im Oktober 2011, zwei Monate nach Necdet Ozels Bestellung wurden 37 Kämpfer der PKK im Kazantal in der Provinz Hakkari im Zuge eines Gefechts mit den türkischen Streitkräften getötet. Im darauf folgenden Monat besuchte eine europäische Delegation das Kazantal, um die Anschuldigungen des Gebrauchs von chemischen Waffen während dieser Operation zu untersuchen. 

Wie der oben angeführte Bericht der türkischen Zeitung Star zeigt, war das staatliche Krankenhaus Reyhanli nahe der Grenze zu Syrien in der vordersten Reihe der Chemiewaffen-Propaganda nach dem Vorfall vom 29. April. Zwei Tage nach diesem Pressebericht wurde das selbe Krankenhaus überflutet mit den Opfern einer viel verheerenderen Operation unter falscher Flagge.       

 

OFFIZIELLE REAKTIONEN AUF DIE BOMBENATTENTATE IN REYHANLI

Am 11. Mai berichteten internationale Medienagenturen, dass zwei Autobomben in der türkischen Stadt Reyhanli nahe der syrischen Grenze mindestens 43 Menschen getötet und mindestens 100 verletzt haben. Kurz nach den Bombenattentaten richtete der stellvertretende Premierminister der Türkei Bulent Arinc den Finger auf Syrien:

„Wir denken, dass ihr Mukhabarat [der syrische Geheimdienst] und bewaffnete Organisationen die üblichen Verdächtigen sind für die Planung und Durchführung derart teuflischer Pläne.“

Stunden nach den Bombenattentaten in Reyhanli gab der Generalsekretär der NATO Anders Fogh Rasmussen eine Presseerklärung heraus:

„Ich drücke meine volle Solidarität mit den Menschen und den Behörden unseres Alliierten Türkei aus.”

Am darauffolgenden Tag gab der türkische Innenminister Muammer Guler eine Pressekonferenz:

„Zur Zeit gibt es keinen Beweis, der darauf schliessen lässt, dass al-Qaida beteiligt war.”

Dieser Kommentar ist ziemlich interessant, wenn man bedenkt, dass bis 2012, als die Rolle von al-Qaida im verdeckten Krieg der NATO gegen Syrien voll offenkundig wurde, die politischen Autoritäten der Türkei gleich einmal al-Qaida für jede Gräueltat verantwortlich machten, die in der Türkei oder im Ausland begangen wurde. Am selben Tag beschuldigte auch Premierminister Erdogan Syrien:

„Diese Angriffe lassen die Absichten eines Landes im Feuer erkennen, welches versucht, die Türkei in das selbe Feuer hineinzuziehen. Diese Attacken sind in aller Klarheit gesagt der Versuch des blutigen Baath-Regimes, eine Gelegenheit für seine Kollaborateure zu schaffen. […] Diese Attacken zielen darauf ab, diejenigen zu provozieren, die zusammenleben in Frieden, in heiterer Gelassenheit, in Brüderlichkeit, besonders in Hatay. Am wichtigsten ist, dass diese Attacken gegen die Türkei gerichtet sind, die ihr Terrorproblem gelöst hat, Brüderlichkeit wiederhergestellt hat, den Tränen der Mütter ein Ende bereitet hat. [...]

Sogar wenn die Türkei ruhig bleiben würde, nichts unternehmend angesichts der Tragödie in Syrien, wären diese Fallen dennoch errichtet worden, wäre die Türkei dennoch zum Ziel geworden. Diejenigen, die die Politik der Türkei gegenüber Syrien nach diesen Attacken mit äusserster Schamlosigkeit, ohne jeden gesunden Menschenverstand und aus reinem Opportunismus kritisieren, zeigen ihre Ignoranz und ein Fehlen von politischem Verständnis. Diese Attacken richten sich nicht gegen unsere Politik gegenüber Syrien, sie richten sich gegen unsere Brüderschaft, unsere Stabilität, unser Wachstum.“  

Am Tag darauf sprach Herr Erdogan sogar noch kategorischer:

„Dieser Vorfall hängt ganz gewiss mit dem [syrischen] Regime zusammen. Das [syrische] Regime steht hinter diesem Vorfall. Das liegt auf der Hand.“

Der syrische Informationsminister Omran al-Zoubi reagierte in aller Schärfe auf Herrn Erdogans Anschuldigungen:

„Der wirkliche Terrorist ist die Regierung der Türkei unter der Führung von Recep Tayyip Erdogan. Sie hat die türkische Grenze mit Syrien für die Terroristen geöffnet. Die Türkei wurde zu einem Zentrum des internationale Jihad-Terrorismus. Sie liess diese Terroristen los gegen die Häuser und Felder türkischer Menschen. Sie beherbergte Teroristen aus allen Teilen der Welt. Ohne jede Rücksicht stattete sie diese mit allen Arten von Waffen, Bomben und Sprengkörpern aus, damit sie Menschen in Syrien massakrieren konnten. Der Premierminister der Türkei Recep Tayyip Erdogan und seine Innen- und Aussenminister tragen eine politische und moralische Verantwortung gegenüber allen Völkern der Welt, insbesondere gegenüber dem Volk in Syrien und ihrem eigenen Volk. […]  

Die alleinige Verantwortung für die Bombenanschläge in Reyhanli liegt bei der in der Türkei herrschenden AKP und ihrem Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Diese [Attacken] hätten nicht von Syrien begangen worden sein können. Ungeachtet all der Dinge, die sie dem Volk und der Armee Syriens seit so langer Zeit angetan haben, würden uns weder unser Anstand, noch unsere Ethik und unsere Politik gestatten, etwas in dieser Art zu tun. […]  

Niemand hat das Recht andere zu beschuldigen. Kurz nach den Attacken sagte der Innenminister der Türkei Muammer Guler, dass sie den Verdacht haben, dass diese in Verbindung mit Syrien stehen. Um es deutlich zu sagen: der Grund, warum er mit so schnellen Beschuldigungen ohne jeden Beweis herausrückte ist der, die Beweise zu fabrizieren, die sie im Sinn hatten. Diese Attacken waren direkt von Erdogan und der AKP begangen worden. Sie sind diejenigen, die über ihre Geheimdienst- und Sicherheitskräfte al-Qaida mit Chemikalien versorgten und sie dazu brachten, den ganzen Weg bis Aleppo einzudringen. Sie sind diejenigen, die mit ihren Flugzeugen Terroristen, Waffen und Tod transportierten. Erdogan selbst und seine Partei wollen Syrien vernichten. Was sich in Reyhani zeigte war das Bestreben, Syrien selbst zu zerstören. Wer immer Tod und Massaker will ist derjenige, der dieses Massaker in der Türkei begangen hat. 

Wenn Bomben in der Türkei explodieren, wissen wir, warum diese Bomben gezündet worden sind. Die ganze Welt weiss, warum die Bomben in Syrien explodieren. Aber warum in der Türkei und warum jetzt? Und warum ausgerechnet vor Erdogans Treffen mit Obama? Erdogan möchte die Vereinigten Staaten von Amerika zum Handeln bringen. Und dann wird er sagen: ‚Ich bin ein Mitglied der NATO, Syrien greift mich an’. In der Tat sagte er in seiner letzten Stellungnahme ‚wir sind imstande, Krieg mit Syrien zu führen’. [...] Der türkische Aussenminister Davutoglu sagte gestern, dass die Türkei stark genug ist, um sich selbst zu verteidigen. Gegen wen wird sie sich verteidigen? Wer bildet tatsächlich eine Bedrohung für die Türkei?“

Die Erklärung der libanesischen Widerstandsbewegung Hezbollah war gleichermassen direkt:

„Dieser terroristische Bombenanschlag kam als Teil einer Serie von gleichen Verbrechen, die sich gegen unschuldige Menschen in einigen arabischen und islamischen Ländern richten, die nur von kriminellen Elementen ausgeübt werden können. Er trug auch die Handschrift internationaler Geheimdienste und richten sich auf Destabilisierung und Schaffung von Zwietracht und Unruhen in diesen Ländern.“

Zwei Wochen danach kritisierte der türkische stellvertretende Premierminister Bekir Bozdag Hezbollah für deren politische und militärische Unterstützung Syriens:

„Hezbollah sagt, dass sie zu Assad steht. [...] Von woher bezieht sie ihre Stärke? Nachdem sie sich auf die Seite derer gestellt hat, die den Tod über ihre muslimischen Brüder entfesseln, hat Hezbollah kein Recht, Stärke aus dem Islam und dem Koran zu beziehen. Die Quelle ihrer Stärke wäre in der Tat Satan, der die Moslems gegeneinander aufhetzen will , der will, dass sie sich gegenseitig töten. Hezbollah sollte ihren Namen auf ‚Hezbol-satan’ [Partei des Satan] ändern.

 

ZERSTÖRUNG DER BEWEISE 

Am Tag des Vorfalls, einem Samstag, konnte die Regierung erreichen, dass das Gericht von Reyhanli ein Berichtsverbot betreffend die Verbreitung von Nachrichten über die Bombenattentate in Reyhanli erliess. Laut diesem Verbot durften nur Stellungnahmen von Behörden und Polizeiberichte in den Medien und im Internet verbreitet werden.

„Im Bereich der Untersuchung der Explosionen im Bezirk Reyhanli am 11.05.2013 ist die Verbreitung und das Zeigen von Information betreffend den Ort des Vorfalls, betreffend die Toten und Verletzten des Vorfalls und betreffend den Vorfall selbst in allen Arten von audio-visuellen, gedruckten Medien, Fernsehen und Internet verboten, gemäss Paragraph 153 des Strafgesetzbuchs.“ 

In Wirklichkeit zielte dieses Verbot in erster Linie auf den Informationsfluss im Internet, wenn man davon ausgeht, dass die türkischen Massenmedien seit April 2011 voll bei dem ständigen Propagandakrieg der Regierung gegen Syrien mitmachten. Dennoch erwies sich das Verbot im Bereich des Internets als eher ineffektiv angesichts eines überwältigenden Gefühls der Empörung über die Regierung im ganzen Land.  

Das medizinische Personal in der Provinz Hatay, in der Reyhanli liegt, wurde angewiesen, „die Zahl der Toten auf 50 zu beschränken“. Die lokalen Behörden sagten, sie seien „angewiesen worden, keine Stellungnahmen gegenüber der Presse abzugeben“. Der Journalist Ferdi Ozmen enthüllte die tatsächliche Anzahl der Toten, indem er die Zahl der Toten in sieben Krankenhäusern postete, die insgesamt 177 ausmachte. Er wurde verhaftet wegen Verstosses gegen das Verbot.

Der Parlamentsabgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP) Mevlut Dudu erklärt, wie die Beweise sofort nach dem Vorfall zerstört wurden:

„Die Polizisten verwehrten uns den Zutritt zum Ort der Attacken mit der Begründung, dass sie Beweise sammelten. Wir schafften es trotzdem hineinzukommen und sahen, dass keine Beweise gesammelt wurden. Ganz im Gegenteil, sie zerstörten die Beweise, indem sie schweres Baugerät benutzten.“ 

Es sickerte durch, dass keine der 73 CCTV-Kameras in der Stadt die Bombenattacken aufgezeichnet hat. Infolge eines „Systemfehlers“ waren sie vier Tage vor dem Vorfall ausgefallen. Die meisten dieser CCTV-Kameras waren direkt auf die Bereiche gerichtet, in denen die Bombenattentate stattfanden.

CHP-Parlamentsabgeordneter Aytug Atici enthüllte, dass der elektrische Strom fünf Minuten vor den Bombenattacken abgeschaltet wurde. Tatsächlich war laut der Aktivistin Hamide Yigit das Abschalten des Stroms eine Strategie, die die türkischen Behörden beim Schmuggeln von internationalen NATO-Söldnern nach Syrien benutzten:

„Der elektrische Strom wird abgeschaltet entlang der Route [Harbiye-Yayladagi], und überall einschliesslich der Strassen und Wege wird es völlig dunkel. Inzwischen fahren die Fahrzeuge vorbei, die militärische Munition und bewaffnete Gruppen zur Grenze bringen. Sobald sie vorbei sind, geht der Strom wieder an. Die örtlichen Anwohner, die davon abgehalten werden, diesen Transport zu beobachten, sind deswegen zutiefst beunruhigt.“

Am Tag der Bombenattentate wurden die Militanten, die von Syrien in die Türkei kommen wollten, zum Grenzübergang Cilvegozu umgeleitet statt zu ihrem gewohnten Grenzübergang in Reyhanli.

Ein zur Zeit zensuriertes Video, das kurz nach den Bombenattentaten auf YouTube geposted worden war, wurde von einem Standpunkt aufgenommen, der den Ort der Attacken überblickte. Man sieht, wie arabisch sprechende Militante der „Freien syrischen Armee“ die Explosionen jubelnd aufnehmen, dabei „Allah-u Akbar“ (Gott ist gross) schreien und Ort und Datum der Explosion angeben.

Nur zwei Tage vor den Bombenattentaten in Reyhanli berichtete ABC über einen „geheimen Besuch“ des ehemaligen (Januar-Oktober 2011) Botschafters der Vereinigten Staaten von Amerika in Syrien Robert Ford, der der Chefplaner des verdeckten Kriegs der NATO gegen Syrien ist:  

„Ein Regierungsvertreter der Vereinigten Staaten von Amerika bestätigte Fords Besuch, der an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien stattfand. Er überquerte kurz die Grenze nach Syrien, um dort Oppositionsführer zu treffen, ehe er wieder in die Türkei zurückkehrte.“

In der Tat gibt es eine lange Geschichte von Operationen unter falscher Flagge, die fast jedem Treffen auf höchster Ebene zwischen türkischen Politikern und ihren amerikanischen oder israelischen Kollegen vorausgehen.

Von allen Operationen unter falscher Flagge in der Türkei waren die bei weitem verheerendsten die Bombenanschläge am 15. und 20. November 2003, welche gegen zwei Moscheen, die Zentrale der HSBC-Bank und die britische Botschaft in Istanbul gerichtet waren, durch die 57 Menschen getötet und 700 verletzt wurden. Diese Attacken fielen zusammen mit dem Treffen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika George Bush mit dem britischen Premierminister Tony Blair in London. 

Baki Yigit war einer der fünf Menschen, die 2007 aufgrund ihrer Rolle bei dieser Attacke zu verschärfter lebenslänglicher Haft verurteilt wurden. Er wurde 2010 aus dem Gefängnis entlassen und starb 2012, während er in Aleppo in den Reihen der Freien Syrischen Armee kämpfte.

Zudem halten die ausländischen Geheimdienste CIA, Mossad (Israel), MI6 (Vereinigtes Königreich) und BND (Deutschland) eine sehr prominente Präsenz entlang der türkischen Grenzregion zu Syrien. Die etwa 100 km von der türkisch-syrischen Grenze entfernt gelegene NATO-Luftwaffenbasis Incirlik wird als Kommandozentrale für den verdeckten Krieg gegen Syrien benutzt.

 

PROTESTE GEGEN DIE REGIERUNG ERDOGAN

Unmittelbar nach den Bombenanschlägen brachen spontane Protestaktionen in Reyhanli und in verschiedenen Teilen der Provinz Hatay aus. Erboste Demonstranten riefen „Erdogan tritt zurück!“. Das türkische Militär entsandte eine grosse Anzahl von Luftwaffen- und Bodentruppen zur Verstärkung nach Hatay und Reyhanli, um zu verhindern, dass die spontanen Proteste in Reyhanli und anderen Teilen der Provinz Hatay sich zu einem umfassenden Aufstand entwickelten.

Sogar das staatliche Krankenhaus von Reyhanli war eingeschlossen, wo Bereitschaftspolizei, Polizisten in Zivil und ein gepanzertes Polizeifahrzeug eingesetzt waren.

Aktivistin Hamide Yigit beschreibt die Einstellung der Menschen in der Provinz Hatay, in der Reyhanli liegt, neun Monate vor den Bombenattacken in Reyhanli:

„Die Verlogenheit der Medien bei der ‚Vermarktung’ des Krieges an die Menschen wird von Hatay aus klarer erkannt. Vom ersten Tag an, an dem die Ereignisse in Syrien begannen, haben sie mitbekommen und beobachten, dass die Medien Lügen verbreiten. Die Menschen in Hatay haben Verwandte in jeder Stadt in Syrien, sie sprechen die Sprache [Arabisch], verfolgen das Fernsehen, lesen die Zeitungen, und, wenn das alles nicht der Fall ist, können sie sich über jeden Vorfall telefonisch informieren. Sie sind wütend über die Medien wegen deren Verdrehung der Fakten in diesem Ausmass.  

Die letzten 17 Monate lebten die Menschen in Hatay in Furcht vor der Möglichkeit, dass ein Krieg, für den sie keinen Grund finden können, an ihrer Türschwelle explodieren könnte. Die Wirtschaft Hatays stagniert, seine Einnahmen sind stehen geblieben, seine Einkommen sind geschrumpft. Hatay hat bis zum heutigen Tag in Brüderlichkeit zwischen seinen verschiedenen Bevölkerungsgruppen gelebt. Wie auch immer, die Regierung versucht, das zu stören, indem sie die Gruppen gegeneinander aufstachelt, indem die unterschiedlichen Identitäten (Türken, Araber, Kurden) und religiösen Differenzen (Suniten, Aleviten) betont werden. Die Menschen in Hatay hören ständig Neuigkeiten über Tode und Verletzungen von Verwandten [in Syrien] und leben in ständiger Angst, derartige Neuigkeiten zu hören.

Das Schlimmste ist, dass Hatay als Kommandozentrale benutzt wird für Attacken gegen ihre Brüder und Blutsverwandten in Syrien, und jene beherbergt, die die Kugeln gegen diese abfeuern ... Folgendes ist es, was aus Wut und Sorge auf jeder Strasse und in jedem Haushalt in Hatay gesprochen wird: ‚Wir weigern uns, diese Schande länger zu ertragen. Wir wollen nicht weiter auf diese Katastrophe warten, die rapid näher kommt und jeden Tag ein Stück näher droht. Die Flüchtlingslager sollten sofort aus Hatay verlegt und in einer Weise neu eingerichtet werden, die einer humanitären Funktion entspricht. Der Fluss von Waffen und Terroristen über die Grenze muss eingestellt werden!“ 

2013 erreichten die Spannungen zwischen den Bewohnern der Provinz Hatay und den internationalen NATO-Söldnern einen Höhepunkt. Zahlreiche Unruhen brachen aus zwischen den syrischen Flüchtlingen und türkischen Sicherheitskräften in den Flüchtlingslagern in Hatay und anderen Provinzen im Süden der Türkei. Laut den Statistiken der Regierung sind insgesamt 114.000 syrische Flüchtlinge in der Türkei nach Syrien zurückgekehrt. 

In der Tat übernahm Hatay die Führung bei den Protesten gegen die pro-imperialistische Politik der Türkei gegenüber Syrien. Die besonders massiven und schwungvollen Demonstrationen im letzten September wurden vergolten mit drakonischen Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit in Hatay.

Ferner haben die lokalen Einwohner, egal ob es eine Operation unter falscher Flagge oder ein Unfall der in Syrien kämpfenden Söldnerkräfte der NATO war, nach jedem Vorfall, der sich an der Grenze zu Syrien ereignete und Tote in der Türkei zur Folge hatte, gegen die Regierung demonstriert.

Am Tag der Bombenattentate kam es spontan zu massiven Protesten in ganz Hatay und täglich werden Demonstrationen im ganzen Land abgehalten, um die Verantwortung der Regierung für diese Attacken und deren kriegstreiberische Politik gegen Syrien anzuprangern.

Grosse Protestaktionen der Studenten von mehreren Universitäten in Ankara und Istanbul wurden in einer besonders brutalen Weise von der Bereitschaftspolizei unterdrückt. Über ihren grosszügigen Standard beim Einsatz von Pfeffergas und Wasserkanonen hinaus ging die Bereitschaftspolizei so weit, dass sie einen Universitätscampus mit Plastikgeschossen beschoss.  

An dem Wochenende, an dem die Bombenanschläge stattfanden, begannen die Fans von Besiktas und Fenerbahce während des Singens der Nationalhymne, um die Opfer zu betrauern, vor zwei Fussballspielen in Istanbul zu rufen „Regierung tritt zurück!“ Die Fernsehgesellschaft, die die Spiele übertrug, zensurierte diesen unerwarteten Massenprotest, indem sie den Ton bei der Übertragung abdrehte.

Alle diese Vorfälle von spontanem öffentlichem Dissent zeigen deutlich das auffallende Fehlen einer genuin antiimperialistischen Position in einem weiteren Umfeld der weitgehend kooptierten, fehlgelenkten und aufgespaltenen Oppositionsgruppen in der Türkei.

Eine in Reyhanli sieben Tage nach den Bombenattentaten abgehaltene Demonstration wurde neuerlich zu einer Inszenierung der Polizeibrutalität, bei der eine grosse Menge Pfeffergas vergeschossen wurde.

Zwei Wochen nach den Anschlägen war Reyhanli in einem Zustand militärischer Okkupation während des Besuchs von Premierminister Erdogan, der erst zwei Tage davor angekündigt wurde. 5.000 Soldaten von Sondereinheiten, 5.000 Polizisten, Scharfschützen auf den Dächern, 5 Sikorsky-Helikopter, 20.000 Absperrungen und 50 Tonnen Pfeffergas wurden nach Reyhanli gebracht. 

600 Busse voll mit AKP-Unterstützern aus benachbarten Bezirken und Provinzen, die am weitesten entfernte unter diesen Nigde (400 km), syrische Flüchtlinge, die nicht türkisch sprachen und Arbeiter, die bei Nichtteilnahme von ihren Unternehmen mit Entlassung bedroht worden waren, wurden von den Behörden nach Reyhanli gebracht. Sie wurden vor Herrn Erdogan aufgestellt in einer militärischen Ordnung, die an die Zeit der Militärdiktatur erinnerte. Die ortsansässigen Bewohner durften währenddessen ihre Häuser nicht verlassen.

Zehn Tage vor Herrn Erdogans Besuch begannen Regierungsbeamte einen bedeutenden Geldbetrag an die Bevölkerung von Reyhanli zu verteilen, um deren Schweigen zu erkaufen. Ebenso kündigte Herr Erdogan in seiner 15-minütigen Rede in Reyhanli verschiedene finanzielle Anreize für die Bewohner von Reyhanli an, sowie eine Aufwertung des Status der Provinz Hatay im nächsten Jahr.

 

DIE HALTUNG DER KURDISCHEN OPPOSITION IN DER TÜRKEI

Am Tag nach den Bombenanschlägen in Reyhanli eilte das Vorstandsmitglied der BDP, der einzigen pro-kurdischen Partei im Parlament der Türkei, Herr Selahattin Demirtas, Herrn Erdogan zur Hilfe:

„Die Tatsache, dass die Anschläge in Reyhanli an der syrischen Grenze stattfanden, lässt einen sofort an eine syrische Verbindung bei dieser Angelegenheit denken. [. .] Diese Anschläge könnten gedeutet werden als die Ausweitung von Syriens Bürgerkrieg und innerem Chaos in die Türkei. [...] Standen diese Anschläge in Verbindung mit dem laufenden Lösungsprozess [zwischen der Regierung und der kurdischen Opposition] in der Türkei? Es ist schwer, sich das vorzustellen. Klar ist, dass die politische Atmosphäre, die zur Zeit in der Türkei herrscht, selbst das Ziel war.

Seit dem Tag, an dem der Bürgerkrieg in Syrien begann, haben wir darauf hingewiesen, dass die Position der Regierung, dass deren Aussenpolitik falsch ist. [...] Besonders angesichts der Attacken, die in dieser Zeit gegen die Türkei begangen werden, Attacken, die sich gegen Zivilisten, unsere Bürger richten, sollte unsere Priorität sein, in Einigkeit zu handeln, anstatt der Regierung die Schuld zuzuschieben. [...] Wir werden an der Seite der Regierung stehen bei ihren Bemühungen, vorbeugende Massnahmen gegen diese Attacken zu ergreifen, um eine wachsame, sensitive Haltung gegenüber diesen Angriffen einzunehmen.“ 

Herrn Demirtas Haltung ist umso überraschender, wenn man nur die Anzahl der Operationen unter falscher Flagge in den letzten drei Jahrzehnten bedenkt, welche gegen kurdische Politiker, Aktivisten und Zivilisten in der Türkei gerichtet waren. Ende April, vier Tage, nachdem der militärische Anführer der PKK Murat Karaylian den Rückzug der PKK-Guerillas aus der Türkei gleichzeitig mit einem Waffenstillstandsabkommen bekannt gab, berichtete die Times über den Transfer von über 1.500 Guerillas aus der Türkei in den Norden Syriens, um die kurdischen Gebiete dort zu sichern. In einem Interview, das er elf Tage nach den Bombenangriffen gab, sagte Herr Demirtas sogar noch direkter:

„Drei kurdische Staaten könnten entstehen: ein kurdischer Staat im Iran, ein kurdischer Staat im Irak, ein kurdischer Staat in Syrien. Es ist jetzt gewiss, dass es eine autonome Region in Syrien geben wird wie derzeit im Irak. Wenn die kurdische Einheit in Syrien auch Lattakia einbezieht, wäre ein grosses Problem für die Kurden gelöst. Dann hätten sie Zugang zum Meer und eine völlige Abhängigkeit von der Türkei würde beendet. [...] Die Kurden sind ein Glück für die Türkei. Da gibt es einen kurdischen Puffer [der die Türkei von Syrien und Irak trennt]. Wenn die zentrale Administration im Irak bei ihrer derzeitigen Einstellung bleibt, dann könnte der kurdische Staat im Irak als völlig unabhängige Einheit entstehen.“

Neun Tage nach den Bombenanschlägen besuchte das Vorstandsmitglied der DTK, einer anderen pro-kurdischen Partei in der Türkei, Herr Ahmet Turk die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach drei aufeinanderfolgenden Treffen im Aussenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika sprach Herr Turk mit der Presse:

„Eine Türkei, die sich mit ihren eigenen Kurden gut stellt, die die Herzen und Köpfe ihrer eigenen Kurden gewinnt, wird eine effektivere Rolle im Mittleren Osten spielen, wird imstande sein, aktiv Demokratie in den Mittleren Osten zu bringen.

Wir müssen das Projekt eines Syrien ins Leben rufen, in dem alle Arten von verschiedenen Identitäten frei existieren können, sich selbst zum Ausdruck bringen können. [Die Regierungsvertreter der Vereinigten Staaten von Amerika] haben sehr deutlich gemacht, dass sie diese Angelegenheit gleich sehen wie wir.“

Der „Friedensprozess” mit der kurdischen bewaffneten und politischen Opposition in der Türkei ist in der Tat eine klassische teile-und-herrsche-Strategie, die darauf gerichtet ist, die kurdische Opposition in der Türkei im Vorfeld eines geplanten Einmarsches in Syrien und in den Iran zu beruhigen, während gleichzeitig der Plan der Vereinigten Staaten von Amerika durchgesetzt wird, den besetzten Irak und Syrien in drei getrennte Einheiten aufzuteilen.

 

MILITÄRISCHE VORBEREITUNGEN

Am Tag nach dem Angriff der israelischen Luftwaffe gegen Syrien am 5. Mai begannen die Türkei und Israel, separat militärische Manöver in der Nähe ihrer jeweiligen Grenzen zu Syrien abzuhalten. Die israelischen Übungen fanden statt auf den okkupierten Golanhöhen, während das türkische Pendant ‚Yildirim-2013 Mobilization Exercise’ auf der Incirlik Luftwaffenbasis der NATO abgehalten wurde.

Laut einer Stellungnahme des türkischen Generalstabs war das Ziel des Yildirim-2013-Manövers, die Gefechtsbereitschaft der türkischen Streitkräfte zu testen und die Koordination mit Ministerien der Regierung. Das zehntägige Manöver endete am 15. Mai, am Tag vor dem Treffen von Herr Erdogan mit Herrn Obama in Washington D.C. 

Am selben Tag überschritt eine Einheit bestehend aus hunderten gepanzerten Personentransportern, besetzt mit Militanten der ‚Freien Syrischen Armee’, begleitet von Panzern zu deren Verteidigung, den türkischen Grenzübergang Ceylanpinar nach Syrien. Dieser militärische Einsatz, der als grösster bisher aus dieser Region betrachtet wird, erfolgte zu einem Zeitpunkt, da die bedrängten Militanten in Ras al-Ayn [im nördlichen Syrien] Hilfe brauchten. 

Ebenfalls am gleichen Tag wurde das gegen den Iran gerichtete Marinemanöver IMCMEX 2013 unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika im Persischen Golf gestartet. Obwohl die Liste der teilnehmenden Länder geheimgehalten wurde, befindet sich die Türkei mit grösster Wahrscheinlichkeit unter den 41 Ländern, die an diesem Manöver teilnehmen, das von 6. bis 30. Mai dauert.

Die Türkei wird auch unter den 18 Ländern sein, die sich an dem von den Vereinigten Staaten von Amerika geführten Manöver ‚Eager Lion 2013’ (‚kampfbegieriger Löwe’) beteiligen, das im Juni in Jordanien abgehalten wird.

Seit kurzem, besonders in der Zeit vor Premierminister Erdogans Besuch in den Vereinigten Staaten von Amerika, wurden verstärkt Flüge an der Grenze der Türkei zu Syrien durchgeführt, um Syriens Luftabwehrsysteme aufzuspüren, militärische Informationen zu sammeln und Informationen an bewaffnete Gruppen zu übermitteln,die von der türkischen Regierung unterstützt werden.

Gemäss den Angaben der Regierung hat die Türkei 2012 über 694 Millionen türkische Lira (über $386 Millionen) aus ihrem Ermessensbudget ausgegeben. Dieses Budget finanziert den verdeckten Krieg der Türkei gegen Syrien. 

Es ist wert, in Erinnerung zu behalten, dass die NATO-Luftwaffenbasis Incirlik berüchtigt ist für die Rolle, die sie in den Kriegen gegen den Irak (1991), Jugoslawien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003) und Libyen (2011) und als Lager für das grösste Arsenal von atomaren Massenvernichtungswaffen ausserhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten von Amerika spielt.

 

FAZIT 

Als die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Alliierten 2011 mit dem verdeckten Krieg gegen Syrien begannen, da gingen sie davon aus, dass entweder das syrische politische Establishment innerhalb kurzer Zeit zusammenbrechen oder dass sie einen Weg finden würden, einen offenen Krieg zu entzünden. Als sich Syriens Anführer und Volk als aussergewöhnlich widerstandsfähig erwiesen, wurden zunehmend brutalere Massnahmen eingesetzt, um das Land auseinander zu reissen. In jeder Beziehung an vorderster Front dieses verdeckten Kriegs stehend war die Türkei durch und durch an den monumentalen Kriegsverbrechen beteiligt, die gegen das benachbarte syrische Volk begangen wurden. 

Nachdem sie sehr geschickt die öffentliche Meinung der Welt unter anderem mit der Hilfe eines gigantischen Werbeapparates über zehn Jahre lang manipuliert hat, stecken Herrn Erdogans Regierung wie auch deren wichtigste Alliierten derzeit in einer tiefgehenden Legitimitätskrise sowohl im Inland als auch nach aussen hin. Anstatt Herrn Erdogans Ansehen zu stärken, haben die Bombenanschläge unter falscher Flagge in Reyhanli eine landesweite Reaktion des Volkes gegen seine totale Unterwürfigkeit gegenüber dem westlichen Imperialismus ausgelöst.

 
     
  erschienen am 29. Mai 2013 auf > GlobalResearch > Artikel  
 
siehe dazu im Archiv:
  > Mairead Maguire - Bericht und Appell – Mussalaha del Syria
  > Shamus Cooke - Das Schicksal des Mittleren Ostens hängt in der Waage
  > William Blum - Die Vereinigten Staaten von Amerika und ihr Waffenkamerad Al Qaeda
  > Franklin Lamb - Abstimmung in der UNO-Generalversammlung widerspiegelt Umschwung der öffentlichen Meinung in Syrien
  > Eric Margolis - Eine willkommene Pause im wahnsinnigen Gezerre um Syrien
 
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