HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
     
  Ein Brief an ‘The New York Times’

Der kürzliche Leitartikel dieses Blatts über die Ukraine und Vladimir Putin war einseitig und ideologisch

Stephen F. Cohen 

 

Am 20. November veröffentlichte The New York Times in einem Leitartikel eine dringende Aufforderung – oder vielleicht Warnung – an die Ukraine, sich gegen „Moskaus Mobbing“ zu wehren und ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Der Leitartikel lag auf der Linie so gut wie der gesamten Berichterstattung aller Medien in den Vereinigten Staaten von Amerika über die „strategische Entscheidung“ und „zivilisatorische Wahl“ der Ukraine – ihre letzte Chance für Demokratie und wirtschaftliche Prosperität und die Hoffnung des Westens, Putins Versuch aufzuhalten, „die Region zu resowjetisieren“, wie die damalige Außenministerin Hillary Clinton seine Eurasische Zollunion missinterpretierte. Das alles ist ein weiteres Beispiel für die im Allgemeinen einseitige und ideologische Berichterstattung der Medien der Vereinigten Staaten von Amerika über post-sowjetische Entwicklungen in Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken seit 1992. Es überrascht nicht, dass die Kommentatoren in den Medien der Vereinigten Staaten von Amerika, ohne tatsächliche Analyse und dumm dastehend nur toben konnten über Putins „Mobbing“, als die ukrainische Führung ihre Entscheidung betreffend die Unterzeichnung des Abkommens mit der Europäischen Union bekanntgab.

The New York Times lehnte es ab, meinen Leserbrief zu drucken, der den Mangel an objektiver Analyse in dem Leitartikel erörterte. Er ist hier zu finden:

 

An die Herausgeber:

Laut einem Leitartikel der New York Times „sollte der Kalte Krieg vorbei sein,” jedoch „scheinbar nicht für Herrn Putin,“ der versucht, die ehemaligen sowjetischen Republiken, besonders die Ukraine davon abzuhalten, verpflichtende wirtschaftliche Abkommen mit der Europäischen Union abzuschließen. Das ist die einäugige Sichtweise des Medienestablishments der Vereinigten Staaten von Amerika, das uns als Analyse angedreht wird, wenn es um Putin geht und um die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland:  

Washington und seine europäischen Alliierten beendeten den Kalten Krieg vor nahezu 22 Jahren, aber Putin führt ihn noch immer.

Aber haben die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa wirklich nichts getan, um Putins Reaktionen zu provozieren? Wer hat denn zum Beispiel die westliche Militärorganisation des Kalten Krieges NATO bis zur russischen Grenze ausgeweitet und begehrt noch immer die Ukraine und Georgien als Mitglieder, hat drei von Russlands internationalen Partnern (Jugoslawien, den Irak und Libyen) bombardiert oder überfallen und bedroht jetzt einen vierten (Iran), und umstellt derzeit Russland mit Raketenabwehrsystemen? Und da wäre noch der altehrwürdige Kalte Krieg-Doppelstandard des Leitartikels: „Europas Einsatz von Handelsübermacht ... ist konstruktiv und vernünftig“; aber wenn Putin zu ähnlichen Methoden greift – finanzielle Darlehen, günstige Energielieferungen, Zugang zu Märkten – um die Ukraine zu überreden, stattdessen seiner neuen eurasischen Zollunion beizutreten, dann sind das „Versuche, sie hineinzuknüppeln.“

Ganz offensichtlich will die New York Times nicht sehen, was der Kreml sieht: den zwei Jahrzehnte langen Marsch des Westens unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika in Richtung Russland – politisch, militärisch, wirtschaftlich – mit der Ukraine als dem allergrößten Preis, wie die amerikanischen und europäischen Betreiber gerne zugeben. Darüber hinaus würde unabhängige Analyse die Frage stellen, ob ein Zusammengehen der Ukraine mit Europa wirklich in deren bestem Interesse ist. Die Ukraine ist nicht „wirtschaftlich robust,“ sondern nahezu pleite. Wird das krisengebeutelte Europa sie mit –zig Milliarden Dollars freikaufen? Werden ukrainische Güter auf westlichen Märkten florieren? Wird Europa seine Arme für ukrainische Arbeiter öffnen?

Kein Wort von all dem oder davon, worum es wirklich geht: um die laufende Kampagne des Westens, die Grenzlinie des neuen Kalten Krieges weiter nach Osten zu treiben, in das Herz der slawischen Zivilisation. Nichts könnte destabilisierender oder schädlicher sein für die wirkliche Sicherheit von Europa oder Amerika.

 
     
  erschienen am 2. Dezember 2013 in > The Nation > Artikel  
 
siehe dazu im Archiv:
  > Daniel McAdams - Die Ukraine weist den Brüsseler Club zurück, entscheidet sich für Handel statt für leere Versprechungen
  > Sean Gervasi - Warum ist die NATO in Jugoslawien?
  > Eric Walberg - Russisch-ukrainischer Konflikt um Gas beschert Europa einen Winter des Missbehagens
  > Eric Garris / Antiwar.Blog - Ron Paul über ‘Demokratie in Belarus’
  > Philip Giraldi - Offensichtlich sind wir alle Weißrussen
 
  Im ARCHIV finden Sie immer interessante Artikel!  
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt