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  An der finsteren Seite arbeiten

Robert C. Koehler

Vor zehn Jahren wurden Fotos von der Kreuzigung – und schlimmere – der amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich. Die Medien bezeichnen es noch immer als „den Abu Ghraib-Skandal,“ als ob die unangenehmen Auswirkungen auf das Team Bush den hauptsächlichen Schrecken der Folterfotos ausgemacht hätten.

Niemand spricht vom „Auschwitz-Skandal.” Die Tiefe unserer moralischen Verkommenheit muss erst noch ausgelotet werden.

Zehn Jahre später … der Mann mit dem Sack über dem Kopf, mit ausgestreckten Armen und Elektroden an seinen Fingern besucht wieder das nationale Gewissen. Der Irak liegt in Trümmern. Das Gefängnis selbst wurde Mitte April geschlossen, weil sunnitische Aufständische in der Region eine zu große Bedrohung bilden. Wir zerstörten und verseuchten zwei Länder in rücksichtsloser Verfolgung von Rache und nationalen Interessen.

Zehn Jahre danach soll ein 6.300 Seiten starker Bericht des Geheimdienstausschusses des Senats über das Programm der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend Anhaltung und „verschärfte Vernehmung“ veröffentlicht werden, oder teilweise veröffentlicht werden, irgendwann in naher Zukunft – abhängig von der Freigabe, sprich Zensur seiner Ergebnisse durch das Weiße Haus und sogar die CIA selbst.

McClatchy DC, die Teile des noch immer geheimen Berichts ergattern konnten, berichteten vor kurzem:

„Die Untersuchung fand heraus, dass das Programm sehr wenige Erkenntnisse von Wert ergab und dass die CIA das Weiße Haus Bushs, den Kongress und die Öffentlichkeit über die Wirksamkeit der Verhörtechniken falsch informierte, sagten Mitglieder des Ausschusses.“ 

Anders gesagt, die Schmerzen und Erniedrigung, die wir den Gefangenen zufügten – darunter die Wasserfolter (“waterboarding”), Schlafentzug, extreme Stresspositionen, an die Wand Schleudern und vieles weitere in dieser Art („an der finsteren Seite arbeiten,“ wie Dick Cheney das infam bezeichnete) – ergaben wenig oder gar keine Information, die wir tatsächlich nutzen hätten können. Wir folterten, wir quetschten diese Männer und Frauen aus für nichts.

Während ich mit der Ironie und Empörung all dessen etwas anfangen kann, lässt mich deren Oberflächlichkeit schaudern. Folter ist OK, wenn sie zu guten Ergebnissen führt wie in den Filmen? Heiligt der Zweck die Mittel und ist der einzige „Skandal“ hier die Unzulänglichkeit der Endergebnisse, die unser Folterprogramm ausgespien hat? 

Hier liegt der Hund begraben. Wir sind in dieser Angelegenheit nicht unschuldig. Wir sind ein Land, das auf der Voraussetzung begründet wurde, dass der Zweck die Mittel heiligt. Zehn Jahre, nachdem die eklatante Inhumanität des Programms der „verschärften Vernehmung“ mit der Herausgabe einiger grässlicher Fotos an die Öffentlichkeit gelangte, haben wir als Land noch nicht die Tiefe von deren Offenbarungen begriffen. Wir haben die ganze Zeit über an der finsteren Seite gearbeitet.

Vor einem Jahrzehnt veröffentlichte eine Organisation namens Historians Against the War (Historiker gegen den Krieg) die Publikation „Torture, American Style“ (Folter á la Amerika), die das alles zum Thema machte. Viktimisierung und Entmenschlichung waren immer Werkzeuge des Gewerbes der Staatskunst. Die Abu Ghraib-Fotos stehen nicht für ein Abrücken von der Vergangenheit. In ihnen holt die Technologie endlich unser eigenes ewiges geheimes Selbst ein und enthüllt es nackt und frei. Man kommt ihm nicht aus. 

In ihrer Einleitung zu „Torture, American Style” umreißt Margaret Power die Zonen der Grausamkeit, die die Publikation untersucht. Die Aufzählung ist in keiner Weise erschöpfend, betont sie. Sie enthält folgende: 

A. Das Gefängnissystem der Vereinigten Staaten von Amerika. „Der physische, mentale und sexuelle Missbrauch, der in Abu Ghraib zum Vorschein kommt, gehört zur täglichen Erfahrung von zwei Millionen Menschen, die in amerikanische Gefängnissen gesperrt sind,“ schreibt sie. Zum Beispiel wurde hier in Chicago, wo ich wohne, ein Polizeikommandant 1991 verurteilt, weil unter seiner Führung einige hundert Verdächtige gefoltert worden waren. 

B. Vietnam. In diesem schrecklichen Krieg sperrte die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika „die Vietnamesen, die sie als ‚den Feind’ betrachtete, in Tigerkäfige, unterwarf sie physischen Misshandlungen, enthielt ihnen Nahrung und Wasser vor, und, als wäre das alles nicht schlimm genug, überschüttete sie mit Lauge, um sie zu verätzen und zu entstellen,“ schreibt Power.

C. Lateinamerika. Unsere Mitwirkung in unserem „Hinterhof” die Jahrzehnte hindurch hat die Zusammenarbeit mit und die Ausbildung von Folterern in den Militär- und Polizeikräften in vielen der Länder südlich unserer Grenze eingeschlossen. Die berüchtigte School of the Americas stand lange als ein Symbol für derartige Mitwirkung.

D. Sklaverei. Erinnern Sie sich daran? Das war lange Zeit eine Lebensform in den Vereinigten Staaten von Amerika, und sogar nach ihrem Ende ging die Entmenschlichung und Unterdrückung der Afroamerikaner weiter. Lynchings waren gängig im Süden und inspirierten zum Song „Strange Fruit“ (Eigenartige Früchte), den Billie Holiday zu einem Hit machte, der die Seele nicht schlafen lässt. 

Es gibt natürlich noch viel mehr Finsternis in der amerikanischen Vergangenheit, aber es reicht für jetzt. Zehn Jahre, zehn Jahre. Ich denke wieder an den Mann mit dem schwarzen Sack über dem Kopf, bedeckt mit der schwarzen Decke, der auf unsicheren Beinen auf einer Kiste steht mit ausgestreckten Armen, in der erschreckenden Imitation einer Kreuzigung. Die Pein dieses Mannes ist greifbar. Das ist unser Feind. 

„Einige glauben, dass diejenigen, die foltern, das nur deswegen tun, um Informationen aus dem gefangenen Feind herauszuholen,“ schrieb Power. „Das stimmt nicht ganz, wie die Beispiele von Abu Ghraib, die Tigerkäfige in Vietnam und die Behandlung von Sklaven und Gefangenen in diesem Land so klar zeigen. Folter wird benützt, um das Individuum, das misshandelt wird und Mitglieder seiner oder ihrer Gemeinschaft, die sich um das Folteropfer kümmern und sich mit ihm verbunden fühlen, zu erniedrigen, zu demütigen und zu zerstören. Folter ist eine Waffe, die von denen an der Macht benützt wird, um sich selbst an der Macht zu halten. 

Vor zehn Jahren konnten wir endlich einen klaren Blick auf uns selbst werfen. Das ist der Beginn der Erlösung.

 
     
  Archiv > Artikel von Robert C. Koehler auf antikrieg.com  
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