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An der Seite der terroristischen Supermacht gibt es keine Politik des Friedens

 
     
  Konstanten westlicher Weltpolitik

German Foreign Policy

 

DAMASKUS/MOSKAU/WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) - Mit heftigen Vorwürfen reagiert Berlin auf die russischen Luftangriffe in Syrien. Viele der Angriffe hätten nicht dem "Islamischen Staat" (IS), sondern "der syrischen Opposition und Zivilisten" gegolten, behauptet die Bundesregierung in einer Erklärung, die sie gemeinsam mit den Regierungen mehrerer verbündeter Staaten veröffentlicht hat, darunter die Türkei und Saudi-Arabien. Die Luftschläge müssten "sofort eingestellt" werden. Tatsächlich haben russische Kampfflieger neben dem IS auch Stellungen anderer jihadistischer Milizen bombardiert - sowie Stellungen vom Westen hochgerüsteter Kämpfer, die sich an Offensiven der Al Nusra-Front beteiligen. Al Nusra ist der syrische Ableger von Al Qaida, derjenigen Organisation, die nach dem 11. September 2001 das Hauptziel des westlichen "Anti-Terror-Kriegs" war. Die russischen Luftangriffe markieren zum einen den deutlich steigenden Einfluss Moskaus in Nah- und Mittelost, zum anderen das allgemeine Erstarken nicht-westlicher Mächte in der Weltpolitik. Sie sind ein weiterer Schlag gegen die globale westliche Hegemonie.

 

"In tiefer Sorge"

Die russischen Luftangriffe in Syrien rufen heftige Reaktionen in Berlin und in den Hauptstädten der anderen westlichen Mächte hervor. Man sei in "tiefer Sorge" über die Luftschläge auf Ziele in den Regionen Hama, Homs und Idlib, hieß es am Freitag in einer gemeinsamen Stellungnahme der Regierungen der Vereinigten Staaten, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, der Türkei, Qatars und Saudi-Arabiens. Viele der Angriffe hätten nicht wie angekündigt dem "Islamischen Staat" (IS), sondern "der syrischen Opposition und Zivilisten" gegolten, behaupteten die sieben westlichen bzw. islamistischen Regierungen; sie müssten deswegen "sofort eingestellt" werden.[1] Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte Moskau bereits am Tag zuvor vor einem "Alleingang" in Syrien gewarnt.[2]

 

Wieder im Spiel

Die russischen Luftangriffe in Syrien werden von den westlichen Staaten aus mehreren Gründen als überaus nachteilig eingestuft. Zum einen markieren sie den deutlich gestiegenen Einfluss Moskaus im ökonomisch wie strategisch hochbedeutenden Nahen und Mittleren Osten. Hatte Russland seit 1991 kontinuierlich an Einfluss in der Region verloren, so war es ihm in den vergangenen Monaten gelungen, seine Stellung wieder zu stärken - zum Beispiel durch eine intensivere Zusammenarbeit mit Ägypten und durch umfangreiche Verhandlungstätigkeiten in Syrien (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Zuletzt konnte Moskau in Bagdad ein "Informationszentrum" errichten, in dem es geheimdienstlichen Austausch mit dem Irak, Iran und Syrien über den IS pflegt.[4] Habe Moskau seit dem Ende der Sowjetunion stets mit ansehen müssen, wie es "an Einfluss" verloren habe - etwa "mit dem Fall von Saddam und Gaddafi" -, so mache es nun Fortschritte bei seinem Bemühen, "sich wieder als Vermittler im Nahen Osten ins Spiel zu bringen", urteilt Jeffrey Mankoff, Russland-Experte am Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS).[5] "Im Grunde stellen die Russen die Auffassung in Frage, dass die USA die Schlüsselmacht der Region sind, die die regionale Balance formt", erklärt Mankoff.

 

Alles andere als isoliert

Daneben ordnen sich die russischen Angriffe in den allgemeinen Prozess des Erstarkens nicht-westlicher Mächte ein. Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht galt schon vor Jahren als unaufhaltsam. Die globale Finanzkrise machte es im Jahr 2008 unumgänglich, die Privilegien bei der Weltgestaltung, die zuvor den G7/G8 vorbehalten waren, im Rahmen der "G20" mit einigen Schwellenländern zu teilen. Zudem macht inzwischen der Aufstieg des "BRICS"-Bündnisses Furore, das im Juli mit der Gründung der "New Development Bank" und eines eigenen Währungsfonds zum ersten Mal eine Alternative zu den Finanzinstitutionen der westlichen Hegemonie (Weltbank, IWF) etablieren konnte.[6] Die Kriege, die die NATO und ihre Mitgliedstaaten seit 1991 führten, müssen weitestgehend als gescheitert gelten - vom Krieg gegen Jugoslawien (1999) über diejenigen in Afghanistan (ab 2001) und Irak (ab 2003) bis Libyen (2011). Der Versuch, Russlands Einfluss im Rahmen des Ukraine-Konflikts zu brechen und das Land zu isolieren [7], schlug ebenfalls fehl; Moskau sei "alles andere als isoliert", konstatierte im Juli Dmitri Trenin, Direktor des Moscow Center des US-amerikanischen Carnegie Endowment.[8] Tatsächlich ist der Westen nicht mehr in der Lage, Russland von der Intervention in einen Krieg abzuhalten, in den er selbst massiv involviert ist. Dies belegen die aktuellen russischen Operationen in Syrien - die ersten außerhalb des Gebiets der ehemaligen Sowjetunion seit deren Zerfall im Jahr 1991.

 

Unterstützung für Jihadisten

Jenseits ihrer weltpolitischen Bedeutung legen die russischen Luftangriffe in Syrien einmal mehr die Kooperation der westlichen Mächte mit Jihadisten offen. Zu den Zielen, die russische Bomber in den vergangenen Tagen attackierten, gehörten neben Einheiten des IS auch Stellungen der Miliz Jaish al Fatah.[9] Diese ist ein Zusammenschluss, der von salafistischen und jihadistischen Verbänden dominiert wird; eine starke Stellung in ihm hat die Al Nusra-Front inne, der syrische Ableger von Al Qaida. Jaish al Fatah ist - mit logistischer Hilfe des NATO-Mitglieds Türkei - von Saudi-Arabien, einem zentralen Verbündeten des Westens in Mittelost, mit Geld und Waffen ausgestattet worden.[10] US-Medien räumen heute unumwunden ein, dass Teile von Jaish al Fatah - angeblich "moderate" Milizen - auch von US-Geheimdiensten hochgerüstet wurden.[11] Dies bestätigt erneut, dass der Westen und seine Verbündeten zum Sturz missliebiger Regierungen in der islamischen Welt bei Bedarf auch Bündnisse bewaffnen, die zumindest unter spürbarem Einfluss von Al Qaida stehen. Damit stärken sie genau diejenige Organisation, gegen die sie im Jahr 2001 wegen der Anschläge vom 11. September ihren globalen "Anti-Terror-Krieg" entfesselten.

 

An der Seite von Al Qaida

Dasselbe belegen auch die jüngsten russischen Luftschläge gegen die Miliz Tajammu al Izza. Diese selbst zählt nicht zum Spektrum der in Syrien operierenden Jihadisten; sie ist von den Vereinigten Staaten ausgerüstet worden und hat dies mit Hilfe von Videos dokumentiert, auf denen ihre Mitglieder US-amerikanische Anti-Panzer-Raketen abfeuern. Westliche Medien führen den russischen Luftangriff auf Tajammu al Izza vom Mittwoch als Beleg dafür auf, dass Moskau die säkulare Opposition attackiere und lediglich auf die Sicherung der Herrschaft von Präsident Bashar al Assad ziele. Der tatsächliche Stellenwert der Bombardierung von Tajammu al Izza lässt sich jedoch einer Analyse entnehmen, die der Syrien-Experte Aron Lund für das US-amerikanische Carnegie Endowment erstellt hat. Wie Lund festhält, operiert die Miliz, ganz wie "viele andere vom Westen unterstützte Gruppierungen", an der Seite von Jihadisten, darunter die Al Nusra-Front.[12] Gemeinsam seien sie dabei, vereint "nach Süden vorzustoßen" und "zum ersten Mal in Kerngebiete der Regierung" einzudringen, "darunter Distrikte mit einer alawitischen Bevölkerungsmehrheit". Die Befürchtung, Al Nusra/Al Qaida könne - unterstützt von Milizen wie Tajammu al Izza - alawitische Gebiete erobern und anschließend - wie einst im Irak - Massaker an der alawitischen Bevölkerung verüben, die von Jihadisten als "ungläubig" eingestuft wird, hat in jüngster Zeit bei Beobachtern weltweit gravierende Sorgen hervorgerufen.

 

Blanker Zynismus

Vor etwas über einem Jahrzehnt kooperierten die westlichen Mächte in ihrem "Anti-Terror-Krieg" gegen Al Qaida mit der Regierung von Bashar al Assad - und ließen gefangene Jihadisten nach Damaskus überstellen, wo diese gefoltert wurden. Von den erfolterten Erkenntnissen profitierten unter Rot-Grün auch deutsche Behörden (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Heute wirft der Westen Assad brutale Folter vor - und kooperiert im Kampf gegen ihn mit Jihadisten, die er noch vor wenigen Jahren bedenkenlos an die syrischen Behörden ausgeliefert hätte.[14] Blanker Zynismus ist neben unerbittlichem Dominanzstreben die einzige Konstante westlicher Weltpolitik.

 

Mehr zum Thema: Machtkampf in Nahost, Spitzendiplomat fordert Bundeswehr-Einsatz in Syrien, Zynische Optionen und Deutschlands ordnungspolitischer Radius.

[1] Gemeinsame Erklärung zum Militäreinsatz Russlands in Syrien. www.auswaertiges-amt.de 02.10.2015.
[2] Steinmeier warnt Russland vor einem Alleingang in Syrien. www.faz.net 02.10.2015.
[3] S. dazu
Sisi in Berlin (II) und Spitzendiplomat fordert Bundeswehr-Einsatz in Syrien.
[4] Iraq defends intelligence sharing with Russia, Syria, Iran. www.militarytimes.com 28.09.2015.
[5] Spencer Kimball: Russland fordert US-Dominanz im Nahen Osten heraus. www.dw.com 01.10.2015.
[6] S. dazu
Umrisse einer multipolaren Welt und Der Überlegenheitsanspruch des Westens.
[7] S. dazu
Die Allianz der Bedrohten und Umbruchszeiten.
[8] Dmitri Trenin: Russia Far From Isolated in Non-West Community. carnegie.ru 08.07.2015.
[9] Kareem Shaheen, Matthew Weaver, Saeed Kamali Dehghan: US-backed Syrian rebels say they have been hit by Russian airstrikes. www.theguardian.com 01.10.2015.
[10] Kim Sengupta: Turkey and Saudi Arabia alarm the West by backing Islamist extremists the Americans had bombed in Syria. www.independent.co.uk 12.05.2015.
[11] Ben Hubbard: A Look at the Army of Conquest, a Prominent Rebel Alliance in Syria. www.nytimes.com 01.10.2015.
[12] Aron Lund: What Is Russia Bombing in Syria? carnegieendowment.org 02.10.2015.
[13] S. dazu
Oktober 2001 und Deutsch-syrischer Herbst.
[14] S. dazu
Die Islamisierung der Rebellion, Religion und Interesse und Vom Nutzen des Jihad (I).

 
     
  erschienen am 5. Oktober 2015 auf > German Foreign Policy > Artikel  
  Herzlichen Dank den Kollegen von German Foreign Policy, einer Website, die ich täglich lese und die ich uneingeschränkt empfehle.  
 
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