HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
  Irak – der Kampf um Öl

von James A. Paul, Executive Director, Global Policy Forum, August 2002

Irak besitzt erwiesenermaßen die zweitgrößten Erdölreserven der Erde, die derzeit auf 112,5 Milliarden Barrel geschätzt werden – etwa 11% der Erdölvorkommen insgesamt. Seine Erdgasvorkommen sind ähnlich immens. Viele Experten gehen davon aus, dass es im Irak weitere noch nicht entdeckte Ölreserven gibt, die die derzeit bekannte Menge noch verdoppeln könnten, wodurch Irak etwa über gleich viel Öl verfügt wie Saudiarabien. Das irakische Öl ist von hoher Qualität und kann sehr billig gefördert werden, wodurch es eines der profitabelsten Vorkommen bildet. Die Erdölgesellschaften hoffen auf Förderrechte in den reichen Ölfeldern des Irak, die hunderte von Milliarden Dollars wert sind. Aus der Sicht der Industrie ist ein „Boom“ zu erwarten. Nachdem steigender Ölverbrauch zu einer Erschöpfung der Reserven in den meisten anderen Regionen in den kommenden 10 – 15 Jahren führen wird, wird der Stellenwert des irakischen Erdöls in der Weltversorgung entsprechend steigen. Es gibt keine Ölgesellschaft auf der Welt, die nicht am Irak interessiert ist. Die geopolitische Rivalität zwischen größeren Staaten hat sich das vergangene Jahrhundert hindurch immer wieder um die Kontrolle derart entscheidender Erdölvorkommen gedreht.

Fünf Gesellschaften beherrschen die Erdölindustrie – zwei US-amerikanische, zwei hauptsächlich britische und eine hauptsächlich französische (der Größe nach sind das: Exxon Mobil, Royal Durch-Shell, British Petroleum-Amoco, Chevron-Texaco und TotalFinaElf. Royal Dutch Shell wird oft als britisch-niederländische, während TotalFinaElf manchmal als französisch-italienische Gesellschaft beschrieben wird). Die US-amerikanische Exxon Mobil ist die größte Erdölgesellschaft und nach einigen Maßstäben die größte Firma der Welt. Dementsprechend halten die Vereinigten Staaten von Amerika die Position Nummer 1 bei den Ölgesellschaften, Großbritannien folgt auf Platz 2 und in einigem Abstand Frankreich auf Platz 3. Wenn man sieht, wie die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien praktisch allein die Sanktionen gegen den Irak fordern und betreiben, kann man den möglichen Zusammenhang dieser Sanktionspolitik mit den Interessen der großen Ölgesellschaften kaum übersehen.

US-amerikanische und britische Gesellschaften hielten lange einen Dreiviertel-Anteil an der irakischen Erdölproduktion. Sie verloren diesen 1972 mit der Verstaatlichung der Iraq Petroleum Company IPC (die größeren Anteile an der IPC hielten damals: Shell, BP, Esso – später Exxon, Mobil und CFP, die französische Gesellschaft). Die Verstaatlichung, die nach zehn Jahren ständig steigender Spannungen zwischen Ölgesellschaften und Regierung durchgeführt wurde, erschütterte die internationale Ölindustrie, da der Irak versuchte, seine Kontrolle über seine Ölvorkommen zu verstärken. Nach der Verstaatlichung suchte der Irak die Zusammenarbeit mit französischen Gesellschaften und der sowjetischen Regierung (seit 1918 hatte Frankreich Irak als seine wichtigste Erdölquelle betrachtet und als Möglichkeit, mit den angloamerikanischen Gesellschaften gleichzuziehen). Heute sind die US-amerikanischen und britischen Gesellschaften scharf darauf, ihre frühere Position zurückzugewinnen, die sie als entscheidend für ihre führende Rolle in der weiteren Entwicklung der weltweiten Ölindustrie erachten. Auch die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens betrachten die Kontrolle über das irakische und das Erdöl der Golfregion als wesentlich für ihre weiteren militärischen, geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen. Andererseits hoffen auch andere Staaten und Erdölgesellschaften auf eine wichtige oder gar beherrschende Position im Irak. Im Zuge der Entstaatlichung des Ölsektors sehen die internationalen Gesellschaften Irak als extrem attraktiven Bereich, in den sie expandieren können. Frankreich und Russland, die langjährigen Platzhirschen, bilden die größte Herausforderung für die zukünftige angloamerikanische beherrschende Position, aber auch ernstzunehmende Konkurrenten aus China, Deutschland und Japan spielen eine Rolle im irakischen Gewinnspiel.

Während der 90er Jahre hatten die russische Lukoil, die China National Petroleum Corporation und die französische TotalFinaElf Verträge mit der irakischen Regierung betreffend die Erschließung irakischer Ölvorkommen nach der Aufhebung der Sanktionen. 1997 schloss Lukoil einen Vertrag betreffend das Qurna-Gebiet im Westen Iraks ab, China National einen über das Rumailah-Gebiet im Norden (der chinesische Bedarf an Ölimporten aus dem Persischen Golf wird von 0,5 Millionen Barrel am Tag 1997 auf 5,5 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2020 steigen, wodurch China zu einem der wichtigsten Kunden der Region wird). Die französische TotalFinaElf führte zur gleichen Zeit Verhandlungen über die weitere Erschließung des sagenhaften Majnun-Erdölvorkommens.

Die US-amerikanischen und britischen Gesellschaften machten sich große Sorgen, ihre Konkurrenten könnten einen anhaltenden Vorteil im globalen Ölgeschäft erringen. „Irak besitzt riesige Reserven an Öl und Gas – Reserven, zu denen meines Erachtens Chevron Zugang haben sollte“, schwärmte Chevron-Direktor Kenneth T. Derr 1998 in seiner Rede im Commonwealth Club in San Francisco, wo er seine massive Unterstützung von Sanktionen zum Ausdruck brachte (zu dieser Zeit war die derzeitige Beraterin für nationale Sicherheit Condoleeza Rice im Vorstand von Chevron und ein Supertanker wurde nach ihr benannt. Obwohl man versucht sein könnte, auf die vielen Verbindungen zwischen Ölindustrie und Bush-Regierung hinzuweisen – inklusive den Präsidenten selbst und Vizepräsident Cheney, hatten Ölinteressen seit je her einen wesentlichen Einfluss auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika ungeachtet von Parteien und Personen). Die Sanktionen gegen den Irak haben die Konkurrenten hintangehalten – ein klarer Vorteil. Die angloamerikanischen Gesellschaften hoffen darauf, durch den Sturz der irakischen Regierung selbst große Vorteile über ihre Konkurrenten durch die folgende Regierung zu erreichen. In dem Ausmaß, in dem die Wirkung der Sanktionen nachlässt und Saddam an der Regierung bleibt, verschärfen sich die Widersprüche, da sie eventuell nicht zum Zug kommen könnten. Die direkte militärische Intervention durch die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien eröffnet ein verlockendes, aber gefährliches Spiel, das Exxon, Shell, BP und Chevron die unmittelbare Kontrolle über den irakischen Ölboom bringen könnte – oder einen massiven Rückschlag durch eine politische Explosion in der ganzen Region.

1999 sagte General Anthony C. Zinni, Oberbefehlshaber des US Central Command, vor dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika aus, die Golfregion mit ihren riesigen Ölreserven sei von „langfristigem vitalem Interesse“ für die USA. Die Vereinigten Staaten von Amerika „müssen freien Zugang zu den Ressourcen dieser Region haben“. „Freier Zugang“ heißt militärische und wirtschaftliche Kontrolle über diese Ressourcen. Das ist wesentlicher Bestandteil der strategischen Doktrin der Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Zweiten Weltkrieg. Bis 1971 hatte Großbritannien (die ehemalige Kolonialmacht) die Kontrolle über die Region und ihren Ölreichtum. Seitdem haben die Vereinigten Staaten von Amerika immer größere militärische Kräfte eingesetzt, um durch bewaffnete Übermacht den „freien Zugang“ zu sichern. 

Der drohende Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika ist nur aus dieser Sicht erklärbar. All das Gerede über Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und Menschenrechtsverletzungen durch Saddam Hussein entspricht nicht den wirklichen Interessen, die die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika antreiben. Es sind der „freie Zugang“ zum irakischen Erdöl und die völlige Kontrolle über dieses Öl durch US-amerikanische und britische Gesellschaften, die deren Regierungen dazu bringen, das Risiko dieses Krieges einzugehen, um die Weltherrschaft zu erringen.

 
 
 
zurück