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  Was, wenn es einen richtigen Krieg in der Ukraine gibt?

Eric Margolis

 

Russland und der Westen befinden sich im Krieg – über Obst, Gemüse, Schweinefleisch und Bankkredite. Der Grund dafür ist die Ukraine, eine riesige Leere, der westlichen Welt ehemals unbekannt, aber jetzt als lebenswichtig im Interesse der nationalen Sicherheit erachtet, für die es wert ist, einen sehr beängstigenden Krieg zu riskieren.

Wirtschaftssanktionen wie die von den Vereinigten Staaten von Amerika gegen Russland verhängten mögen relativ harmlos erscheinen. Das sind sie nicht. Handelssanktionen sind eine Form von strategischer Kriegsführung, die manchmal mit Kugeln und Granaten weiterbetrieben wird.

Denken Sie zum Beispiel an das Embargo der Vereinigten Staaten von Amerika 1940 gegen Japan, das zu Tokios schicksalsträchtiger Entscheidung führte, lieber in den Krieg zu ziehen als mit langsamer wirtschaftlicher Strangulierung konfrontiert zu sein. Wieviele Amerikaner wissen, dass Präsident Roosevelt den Panamakanal für japanische Schiffe sperrte, um Forderungen Nachdruck zu verleihen, Tokio müsse aus Mandschurien und China abziehen?

Es ist erschreckend, dass es heutzutage in Washington und Moskau hochrangige Leute gibt, die tatsächlich einen Zusammenstoß in der Ukraine zwischen russischen Kräften und der NATO in Erwägung ziehen – einem verlängerter Arm der Militärmacht der Vereinigten Staaten von Amerika.

Intensiver werdende Angriffe der ukrainischen Regierungskräfte (die stillschweigend von den Vereinigten Staaten von Amerika bewaffnet und finanziert werden) gegen pro-russische Separatisten und zivile Ziele in der Ostukraine erhöhen die Gefahr, dass Moskau militärisch intervenieren könnte, um die ethnisch russische Minderheit der Ukraine zu beschützen.

Ein ausgewachsener militärischer Konflikt könnte beginnen mit einer von Russland erklärten „Flugverbotszone“ über der östlichen Ukraine, wie die von den Vereinigten Staaten von Amerika über den Irak verhängte. Moskaus Ziel wäre es, die Bombardierung und den Beschuss der rebellischen ukrainischen Städte durch die Luftwaffe Kiews einzustellen.

Russlands Anführer Präsident Vladimir Putin steht unter zunehmendem Druck der Öffentlichkeit, die Tötung von pro-russischen Ukrainern zu beenden – die bis 1991 russische Bürger waren.

Die Vereinigten Staaten von Amerika begannen gerade mit Luftangriffen gegen den nördlichen Irak, angeblich um die Jesiden zu beschützen, eine kleine religiöse Sekte, die auf Zarathustra begründet ist und die viele Iraker als Teufelsanbeter bezeichnen. Obwohl diese Luftangriffe eindeutig darauf gerichtet waren, die von den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützten Kurden gegen die auf dem Vormarsch befindlichen Kräfte des Islamischen Staates zu stärken, bezeichnete Washington sie als einen humanitären Angriff zum Schutz von irakischen Christen und Jesiden – ganz und gar auf der Linie der Behauptung der Administration, einen humanitären Krieg zu führen. 

Die NATO könnte schnell ihre potente Luftmacht gegen die russischen Luftkräfte einsetzen. Von neuen Luftwaffenstützpunkten in Rumänien, Bulgarien und Polen startende Flugzeuge der Vereinigten Staaten von Amerika und der NATO wären eine ernsthafte Gefahr für die russische Luftwaffe über der russisch-ukrainischen Grenzzone. Mehr Kriegsflugzeuge der Vereinigten Staaten von Amerika würden eilends nach Osteuropa gebracht. Die russische Luftabwehr ist stark und russische Luftwaffenstützpunkte liegen nahe der Kampfzone. Dennoch ist die Luftmacht der NATO der russischen Luftwaffe technisch überlegen und verfügt über besser ausgebildete Piloten.

Am Boden hat Russland einen leichten Vorteil. Es hat 16.000-18.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine stehen, ausgerüstet mit mechanisierter Infanterie, Panzerfahrzeugen, mobiler Luftabwehr und Artillerie. Eine kompetente, aber kleine Streitmacht, und kaum eine Bedrohung für Europa, wie die kriegsgeilen Medien heulen. Man vergleiche diese kleine Zahl von Soldaten nur mit der sowjetischen ersten ukrainischen Front 1944, die aus sechs Armeen und Tausenden von Panzern und schweren Geschützen bestand.

Mit dieser armseligen Streitmacht könnte Russland Grenzgeplänkel bestreiten, aber sicher nicht die Ukraine wiedererobern. Russlands einst 200 Divisionen starke Armee mit rund 50.000 Panzern ist heute ein Schatten ihrer Vergangenheit: 205.000 aktive Soldaten und 80.000 desinteressierte Reservisten verteilen sich über das größte Land der Erde. Wie schon immer besitzt Russland eine exzellente schwere Artillerie und gute Panzer, aber nichts im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg, als sowjetische 152mm-Geschütze und Raketenbatterien kilometerlang Rad an Rad aneinandergereiht standen. 

Jeder Versuch der NATO, die Krim zu besetzen, würde wohl von den russischen Luft-, See und Bodentruppen vereitelt werden. Das enge, seichte Schwarze Meer könnte sich als tödliche Falle für Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten von Amerika erweisen. Sevastopol wurde (zusammen mit Leningrad und Stalingrad) wegen ihrer heroischen Verteidigung im Zweiten Weltkrieg zur Heldenstadt der Sowjetunion ernannt.

Die zusammengeschusterte Armee der Ukraine, rund 64.000 Mann stark, leidet unter schlechter Ausbildung, logistischen Problemen und einer schwachen Führung. In der Zeit der Sowjetunion waren es über 700.000 Mann mit russischen Waffen auf dem neuesten Stand. Heute wird die Armee gestützt von ausländischen Söldnern und Rechtsextremisten aus Kiew. Auch so hätte sie keine Chance gegen Russlands besser bewaffnete, besser ausgestattete Soldaten. 

Und die NATO? 1970 hatte die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika rund 710.000 Soldaten in Europa stehen, hauptsächlich stationiert in Deutschland. Heute haben die Vereinigten Staaten von Amerika nur mehr 27.500 in Deutschland stationierte Soldaten übrig, weitgehend nicht kämpfende Unterstützungseinheiten. Bestenfalls könnten die Vereinigten Staaten von Amerika wahrscheinlich zwei schwache Kampfbrigaden auf die Beine bringen – insgesamt etwa 5.500 Mann – und in die Ukraine schicken. Der Rest der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika ist stationiert in Afghanistan, Kuwait, am Golf, in Südkorea und Japan, oder in den Staaten. Sie nach Europa zu schaffen würde rund sechs Monate erfordern. 

Aber die Vereinigten Staaten von Amerika halten noch immer große Luftstützpunkte in Deutschland, welche eine militärische Intervention in der Ukraine unterstützen könnten. Vor kurzem wurden kleine Kontingente der Vereinigten Staaten von Amerika und der NATO klammheimlich nach Osteuropa und in die Baltische Region verlegt – groß genug, um einen Krieg auszulösen, aber zu klein, um einen zu gewinnen. 

Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden die bewaffneten Kräfte der Vereinigten Staaten von Amerika, die NATO und Russlands Militär durch Budgetkürzungen stark reduziert. Bis zur Krise um die Ukraine bestand nahezu keine Aussicht auf einen Krieg in Europa. Die Kriegsbegeisterung unter den Europäern und Russen ist sehr klein.

Britannien, jetzt ein zahnloser alter Löwe, würde die Vereinigten Staaten von Amerika in der Ukraine mit ein paar Mann und Kriegsflugzeugen unterstützen, ebenso Frankreich, Dänemark, Polen, Kanada und Holland, aber nur in einem eingeschränkten oder gar nur symbolischen Ausmaß. Deutschland und die Türkei, die beiden Schwergewichte der NATO, wollen jeden Konflikt mit Russland vermeiden und könnten leicht beiseite stehen. Beide betreiben in großem Ausmaß Geschäfte mit Russland und sind unglücklich über die künstlich erzeugte Krise in der Ukraine. 

Jeder militärische Zusammenstoß in der Ukraine wäre also anfänglich beschränkt in Ausmaß und Intensität. Eine Konfrontation könnte aber rasch zu einer gefährlichen Krise heranwachsen. Eine Lehre aus dem Kalten Krieg ist, dass atomar bewaffnete Mächte sich niemals direkt gegenseitig bekämpfen dürfen, sondern nur durch Stellvertreter.

Nichts ist das Risiko eines Atomkriegs wert, auch nicht eines begrenzten. Lasst doch die Ukrainer ihre Differenzen durch Volksabstimmung lösen.

Am 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Welktkrieges sehen wir unsere Führer wieder mit dem Feuer spielen.

 
     
  erschienen am 9. August 2014 auf > www.ericmargolis.com  
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
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