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  Regimewechsel in Syrien

Jane Powers

 

Seit gut einem Jahr haben die Vereinigten Staaten von Amerika eine Politik des Regimewechsels in Syrien verfolgt. Der Grund für diese Politik liegt in dem breiteren regionalen Interesse Washingtons: Unterstützung gehorsamer Klientenstaaten und Eliminierung von Staaten, die die Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika in Frage stellen. Konkreter gesagt, sind die Vereinigten Staaten von Amerika daran interessiert, die „iranische Einflusssphäre“ zu brechen, in der Syrien eine Schlüsselposition einnimmt. Beim Streben nach Regimewechsel haben die Vereinigten Staaten von Amerika die Rebellen unterstützt. Diese Unterstützung umfasst Hilfsgüter für hunderte Millionen Dollars, die Hilfe bei der Lieferung von Waffen an die Rebellen, die Ausbildung von Rebellen in Jordanien, und die Bereitstellung von geheimdienstlichen Erkentnissen für die Auswahl von Rebellenfraktionen.  

Diese Politik ist das Gegenteil dessen, was versucht werden müsste, um die Gewalt abzuschwächen. Das Gegenteil insofern, als die von den Vereinigten Staaten von Amerika finanzierten Rebellen, wie das Assad–Regime, schwere Kriegsverbrechen und Verstösse gegen die Menschenrechte begangen haben (und viel von ihren Zuwächsen jihadistischen Gruppierungen verdanken). Daher ist die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika eine Politik, die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen fürdert.

Eine Intervention in Syrien, in welcher Form auch immer, wird einfach eine taktische Eskalation einer bereits existierenden Politik kennzeichnen. Und man braucht keine Spezialausbildung in internationalen Beziehungen zu haben, um zu verstehen, dass vermehrte Unterstützung von Kriegsverbrechern nur die Gewalt verstärken wird.

Leider sieht es so aus, als dränge die Obama-Administration auf eine Intervention. Um diese Intervention zu verkaufen, hat Obama den Vorwand der „roten Linie“ in Bezug auf chemische Waffen benutzt. Wie bei jeder Intervention ist ein Vorwand nötig, da die amerikanische Öffentlichkeit die wirklichen hegemonialen Bestrebungen der Administration sofort zurückweisen würde.

Dieser Vorwand kann leicht entlarvt werden, wenn man Washingtons eigenes Register des Einsatzes chemischer Waffen und der Unterstützung von Benutzern chemischer Waffen untersucht. Zehn Jahre lang warfen die Vereinigten Staaten von Amerika im Krieg gegen Vietnam Millionen Gallonen (1 Gallone = ca. 3,8 l) Agent Orange auf Vietnam ab. Agent Orange ist ein Herbizid, das den Krebserreger Dioxin enthält, und sollte den Viet Cong in die Flucht schlagen. In Wirklichkeit vergiftete Agent Orange geschätzte drei Millionen Vietnamesen, führte zu hunderttausenden Geburtsschäden und zerstörte einen großen Teil des Landes. Eine Hinterlassenschaft, die bis heute anhält.

Die massenhafte Vergiftung von Vietnamesen (und Veteranen der Vereinigten Staaten von Amerika) passte den Vereinigten Staaten von Amerika offensichtlich gut, da sie fortfuhren, den rücksichtslosen Gebrauch chemischer Waffen die 1980er Jahre hindurch durch die Unterstützung ihres damaligen engen Verbündeten Saddam Hussein zu fördern. Bereits 1984 gab das Außenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika zu, dass der Irak in seinem Krieg gegen den Iran chemischeWaffen benutzt hat. Im gleichen Jahr begann die CIA, den Irak mit Informationen zu versorgen, die benutzt wurden, um iranische Soldaten mit Senfgas anzugreifen. Die Vereinigten Staaten von Amerika stellten dem Irak Hilfsgüter und Exporte im Wert von Milliarden Dollars zur Verfügung, darunter die Helikopter (für chemische Angriffe) und chemische und biologische Gifte (darunter Anthrax). Saddam tötete in den 1980ern Tausende Iraner und Kurden mit chemischen Waffen, alle mit Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika für die chemische Kriegsführung ging im letzten Jahrzehnt weiter. Unter Plan Colombia (1999) haben die Vereinigten Staaten von Amerika Milliarden Dollars zur Verfügung gestellt, hauptsächlich in Form von Militärhilfe im Rahmen von Kolumbiens gegen die eigene Bevölkerung andauernde Aufständischenbekämpfung (offiziell unter dem Namen „Krieg gegen das Rauschgift“). Eine zentrale Taktik der Regierung war deren Sprühkampagne aus der Luft, offiziell zum Zweck der Ausrottung der Kokapflanzen mit Herbiziden. Die Folgen des Abwurfs von chemischen Stoffen aus Flugzeugen auf 12.000 km² landwirtschaftliche Gebiete in Kolumbien sind leicht absehbar und können daher nicht als „unbeabsichtigt“ ausgegeben werden: über 10.000 Bauern berichteten verheerende Schäden an ihren Nahrungspflanzen, tausende beschwerten sich über negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit, und hunderttausende wurden vertrieben; und all das mit enormer Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Washington setzte chemische Kriegsführung auch in seinem Krieg gegen den Irak ein. Die Vereinigten Staaten von Amerika setzten Weißen Phosphor ein, sie entwickelten und benutzten eine neue Version von Napalm; das abgereicherte Uran in der Munition der Vereinigten Staaten von Amerika bedeckt den Irak mit einer dünnen Schicht radioaktiven Staubs. Das abgereicherte Uran scheint nach neuestem Stand das Heimtückischste zu sein: Die Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie der Universität von Michigan untersuchte 56 Familien in Fallujah im Zeitraum von 2007 – 2010 und fand heraus, das mehr als die Hälfte der Neugeborenen schwere Defekte aufwies, darunter fehlende Glieder, Herzdefekte, Gehirndefekte usw. Vor dem Jahr 2000 lag die Quote der Geburtsdefekte unter 2 Peozent.

Außer der inhärenten Doppelmoral, die in Washingtons Verurteilung von chemischer Kriegsführung liegt, macht auch der Vorwand der „roten Linie“ keinen Sinn. Warum bilden chemische Waffen die exklusive „rote Linie“? Das ist sehr willkürlich. 70.000 Menschen wurden im Bürgerkrieg bereits mit konventionellen Waffen getötet (das sind viel mehr, als ein einzelner Einsatz von chemischen Waffen verursachen würde). Warum nicht Gewehre und Raketen für die „rote Linie“ hernehmen? 

All das lässt ernste Fragen aufkommen. Sind die Vereinigten Staaten von Amerika wirklich an einer Intervention interessiert? Wenn ja, warum jetzt? Und an welcher Art von Intervention? Diese offenen Fragen ändern allerdings nichts an der Tatsache, dass die „rote Linie“ mit den chemischen Waffen eine Lüge ist, dass Washington die Gewalt durch die Unterstützung der kriegstreibenden Rebellen angeheizt hat, und dass jede Eskalation der Taktik (darunter die verstärkte Unterstützung der Rebellen) nur die Gewalt eskalieren wird und daher eine sehr schlechte Idee ist.

Diejenigen, für die das menschliche Leben einen Wert hat, werden nicht die Unterstützung einer Gruppe, die gegen die Menschenrechte verstösst, gegen eine andere Gruppe tolerieren, die ebenfalls gegen die Menschenrechte verstösst.

 
     
  erschienen am 5. Mai 2013 auf > www.antiwar.com > Artikel  
 
siehe dazu im Archiv:
> William Blum - Die Vereinigten Staaten von Amerika und ihr Waffenkamerad Al Qaeda
> Finian Cunningham - Der Syrienkonflikt bringt Amerikas „Achse des Bösen“ ans Licht
> T.X. Hammes - Falsche Fragestellung bei der Bombardierung des Iran
> Matthew Harwood - ‚Sie sahen alle gleich aus’
> Robert C. Koehler - Das Leiden Fallujahs
> Paul Craig Roberts - Syrien: Washingtons jüngstes Kriegsverbrechen
> Shamus Cooke - Wie Obama sich für Krieg statt für Frieden in Syrien entschied
> Justin Raimondo - Lügengeschichten aus Tremseh
> Jörg v. Paleske - Der Staat BRD führt einen Angriffskrieg gegen den Staat Syrien!
> Eric Margolis - Gerade zurück aus dem Mittleren Osten – und ich mache mir große Sorgen
> Mike Lofgren - Chuck Hagel und das amerikanische Imperium
> Jacob G. Hornberger - Das Verteidigungsministerium hat nichts mit Verteidigung zu tun
> Klaus Madersbacher - Breivik in Brüssel?
 
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