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"Vielleicht stehen wir nicht vor dem Great Reset, sondern an der Schwelle zum Great Awakening?" (aus einer Leserzuschrift)

     
 

Der Westen, der Süden und das Recht (III)

Westliche Politiker, auch deutsche, verurteilen Antrag an den IStGH, einen Haftbefehl gegen Netanyahu zu verhängen. Es wäre der erste Haftbefehl gegen einen westlichen Politiker. US-Senator kündigt Sanktionen gegen IStGH an.

German Foreign Policy

 

BERLIN/TEL AVIV (Eigener Bericht) – Mit Wut und Empörung reagieren westliche Politiker, darunter deutsche, auf den ersten Antrag des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, Haftbefehle gegen westliche Politiker zu verhängen. Chefankläger Karim Khan hat am gestrigen Montag Haftbefehle gegen drei führende Vertreter der Hamas, gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sowie Israels Verteidigungsminister Joav Gallant beantragt; der IStGH muss sie nun genehmigen oder sie zurückweisen. Der israelische Juraprofessor Neve Gordon erklärt, fachlich werde es „sehr schwierig“ sein, die Haftbefehle abzulehnen. Allerdings nimmt der politische Druck auf den IStGH, der jahrzehntelang nur dem Westen missliebige Politiker aus dem Globalen Süden anklagte, bereits zu. US-Präsident Joe Biden nennt Khans Anträge „ungeheuerlich“. Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Michael Link stuft sie als „hochproblematisch“ ein. Der US-Senator Lindsey Graham kündigt eine überparteiliche Initiative im US-Senat mit dem Ziel an, „krachende Sanktionen“ gegen den IStGH zu verhängen, sollte er den westlichen Mächten nicht mehr zu Willen sein.

 

Ausrottung, Mord und Geiselnahme

 

Die Anträge auf Haftbefehle, die Chefankläger Karim Khan am gestrigen Montag stellte, richten sich auf palästinensischer Seite gegen den zur Zeit in Qatar ansässigen Hamas-Chef Ismail Haniya, gegen Yahya Sinwar, den ranghöchsten Anführer der Hamas im Gazastreifen, sowie gegen Mohammed Deif, den militärischen Oberbefehlshaber des militärischen Flügels der Hamas (Al Qassam-Brigaden). Sinwar und Deif werden unverändert im Gazastreifen vermutet. Khan schreibt den drei Palästinensern Verantwortung für Ausrottung, Mord, Vergewaltigung, Folter, Geiselnahme und weitere Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschheit vor. Insbesondere seien sie „verantwortlich für die Tötung hunderter Israelis“ in dem Massaker vom 7. Oktober 2023, das von der Hamas bzw. „insbesondere ihrem militärischem Arm, den Al Qassam-Brigaden“, durchgeführt worden sei.[1] Zudem hätten sie mindestens 245 Geiseln nehmen lassen. Der Chefankläger gibt sich fest überzeugt, Haniya, Sinwar und Deif hätten „das Begehen von Kriegsverbrechen am 7. Oktober 2023 geplant und angezettelt“; darüber hinaus hätten sie ihre Verantwortung nicht zuletzt mit persönlichen Besuchen bei einigen der israelischen Geiseln implizit eingeräumt.

 

Hunger als Waffe

 

Auf israelischer Seite richten sich die Anträge auf Haftbefehle gegen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Joav Gallant. Ihnen wirft Khan Aushungern als Mittel der Kriegführung und daraus resultierende Ausrottung, das Befehlen absichtsvoller Angriffe auf die Zivilbevölkerung, vorsätzliche Tötung oder Mord sowie das vorsätzliche Verursachen massiven Leides bzw. schwerer physischer und psychischer Verletzungen vor.[2] So habe Israel die Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen aller „Gegenstände“ beraubt, die „für das menschliche Überleben unerlässlich“ seien. Insbesondere habe es die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten zunächst komplett, dann willkürlich blockiert. Es habe eine Zeitlang die Wasserversorgung, die Versorgung mit Strom sogar bis heute blockiert. Zudem seien Zivilisten, die an Verteilstellen für Nahrung Schlange gestanden hätten, und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen umgebracht worden. Khan betont, Israel habe – wie jeder andere Staat – das volle Recht auf Selbstverteidigung. Dieses Recht befreie es allerdings ebensowenig wie andere Staaten von der Wahrung des humanitären Völkerrechts.

 

Strafgerichtshof für den Globalen Süden

 

Stimmen die IStGH-Richter Khans Anträgen auf Verhängung der Haftbefehle gegen Netanyahu und gegen Gallant zu, dann würden zum ersten Mal führende Politiker aus einem westlichen Staat von dem Gerichtshof wegen mutmaßlicher Verbrechen belangt. Faktisch fungierte der IStGH, seit er zum 1. Juli 2002 seine Arbeit aufgenommen hatte, als Instrument des Westens zur Aburteilung missliebiger Politiker aus dem Globalen Süden. Jahrelang ging der Gerichtshof ausschließlich gegen Politiker aus afrikanischen Staaten vor, darunter die Demokratische Republik Kongo, Sudan oder auch Côte d’Ivoire; auf dem Kontinent wurde er deshalb als „Afrika-Gerichtshof“ verspottet. Weil seine Legitimität empfindlich zu leiden begann, folgten Ermittlungen gegen Personen aus anderen Ländern des Globalen Südens, so etwa aus Georgien und Venezuela; allerdings lagen auch in diesen Fällen die Angeklagten mit dem Westen im Streit.[3] Letzteres trifft auch auf den bisher prominentesten Fall zu, auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin; ihn lässt der IStGH seit dem 17. März 2023 wegen angeblich gezielter Verschleppung ukrainischer Kinder suchen. Ein Haftbefehl gegen Netanyahu und Gallant bräche mit der prowestlichen Praxis des IStGH.

 

Wut und Empörung

 

Entsprechend verärgerte Reaktionen waren am gestrigen Montag aus westlichen Staaten zu hören. US-Präsident Joe Biden etwa erklärte, er finde Khans Antrag „ungeheuerlich“; es gebe „keine Gleichwertigkeit zwischen Israel und der Hamas“.[4] Biden fügte hinzu: „Wir werden immer an der Seite Israels stehen gegen Bedrohungen für seine Sicherheit.“ Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer behauptete, er respektiere „die Unabhängigkeit des IStGH in vollem Umfang“; es sei aber „unverständlich“, dass demokratisch gewählte Repräsentanten des Staates Israel in einem Atemzug mit Vertretern der Hamas genannt würden.[5] Allerdings ist das kein Argument gegen die Vorwürfe, die Khan mit detaillierter Begründung gegen Netanyahu und Gallant erhoben hat. Ganz ähnlich bezog der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala Position; er nannte es „erschreckend und völlig inakzeptabel“, dass „Vertreter einer demokratisch gewählten Regierung“ von Khan parallel zu „Anführern einer islamistischen Terrororganisation“ genannt würden. Auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Michael Link erklärte Khans Anträge mit einer identischen Argumentation und ohne jegliche völkerrechtliche Begründung für „hochproblematisch“.[6]

 

„Feindlicher Druck“

 

Zustimmende Reaktionen kommen hingegen von Menschenrechtlern. So äußert der United Nations Director von Human Rights Watch (HRW), Louis Carbonneau, gravierende Menschenrechtsverletzungen in Israel und Palästina seien jahrzehntelang straflos geblieben. Khans „prinzipientreuer Schritt“ öffne nun „die Tür“, um all diejenigen, die Verantwortung für „die Gräueltaten der vergangenen Monate“ trügen, zur Verantwortung zu ziehen.[7] Carbonneau warnt allerdings, die Mitgliedstaaten des IStGH müssten sich jetzt vorbereiten, „die Unabhängigkeit“ des Gerichtshofs zu schützen – denn „feindlicher Druck“ auf ihn werde vermutlich „zunehmen, während die IStGH-Richter Khans Antrag bearbeiten“. Neve Gordon, ein israelischer Professor für Menschenrechtsgesetzgebung an der Londoner Queen Mary University, geht davon aus, der IStGH werde dem Antrag des Chefanklägers mit höchster Wahrscheinlichkeit stattgeben: Bislang sei dies immer geschehen, und da Khan äußerst solide gearbeitet habe, werde es „sehr schwierig“ sein, die Haftbefehle abzulehnen.[8]

 

Sanktionen gegen das Recht

 

Gordon geht allerdings davon aus, dass der Druck auf Khan persönlich wohl zunehmen wird – genauso, wie US-Präsident Donald Trump am 11. Juni 2020 Sanktionen gegen die damalige Chefanklägerin am IStGH, Fatou Bensouda, verhängte, als sie beantragt hatte, Ermittlungen wegen US-Kriegsverbrechen in Afghanistan aufnehmen zu dürfen. Gordon berichtet, eine Gruppe republikanischer US-Senatoren habe Khan schon explizit gewarnt, sie werde, sofern er es wagen werde, gegen israelische Politiker vorzugehen, „Sanktionen gegen ihn und gegen seine Familie“ auf den Weg bringen.[9] Der republikanische US-Senator Lindsey Graham hat am gestrigen Montag geäußert, man dürfe nicht vergessen, dass der IStGH einst US-Militärs habe anklagen wollen; er, Graham, werde jetzt „fieberhaft“ mit Senatoren beider Parteien daran arbeiten, „krachende Sanktionen gegen den IStGH“ auf den Weg zu bringen.[10] Damit nimmt der Westen den offenen Machtkampf gegen den Gerichtshof auf, der ihm lange gegen den Globalen Süden gedient hat, sich nun aber seiner Kontrolle zu entziehen beginnt.

 

Mehr zum Thema: Der Westen, der Süden und das Recht sowie Der Westen, der Süden und das Recht (II).

 

[1], [2] Statement of ICC Prosecutor Karim A.A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine. icc-cpi.int 20.05.2024.

[3] S. dazu Der Westen, der Süden und das Recht.

[4] Statement from President Joe Biden on the Warrant Applications by the International Criminal Court. whitehouse.gov 20.05.2024.

[5] Reactions to ICC prosecutor’s request for arrest warrants for Israeli, Hamas leaders. reuters.com 20.05.2024.

[6] FDP kritisiert „Gleichsetzung“ von Netanjahu und Sinwar durch IStGH. regionalheute.de 20.05.2024.

[7] Louis Carbonneau auf seinem X-Account.

[8], [9] Neve Gordon: The ICC’s milestone decision. newstatesman.com 20.05.2024.

[10] Alexander Bolton: Graham rips ‘outrageous’ ICC prosecutor request or Israel arrest warrants. thehill.com 20.05.2024.

 
     
  erschienen am 21. Mai 2024 auf > GERMAN-FOREIGN-POLICY > Artikel  
  Archiv > Artikel von German-Foreign-Policy auf antikrieg.com  
  Herzlichen Dank den Kollegen von German-Foreign-Policy für die freundliche Überlassung des Artikels!  
     
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Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen.

Klaus Madersbacher, antikrieg.com

 
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  Die Politik der Europäischen Union gegenüber Syrien ist nicht nur scheinheilig, zynisch und menschenverachtend, sie ist ein Verbrechen gegen den Frieden. Das wird etwa durch einen durchgesickerten UNO-Bericht (>>> LINK) bestätigt (von dem Sie nicht viel hören werden ...), siehe auch den vor kurzem erschienenen Bericht der US-Abgeordneten Tulsi Gabbard (LINK) und das Interview mit dem niederländischen Pater Daniel Maes (LINK)! In dem Artikel "In Syrien hungert jeder Dritte (LINK)" finden Sie neuere Informationen. Der Bericht des Welternährungsprogramms der UNO (LINK) spricht Bände und kann daher dem breiten Medienpublikum wohl auch nicht zugemutet werden. Weitere Neuigkeiten über dieses Musterstück barbarischer Politik finden Sie >>> HIER.

Das ist die Politik der Europäischen Union, die offenbar von bestimmten Interessengruppen gelenkt wird und sich aufführt wie die Vereinigte Kolonialverwaltung der europäischen Ex-Kolonialmächte. Warum unsere politischen Vertreter nicht gegen diese kranke und abwegige, für keinen vernünftigen Menschen nachvollziehbare Politik auftreten, fragen Sie diese am besten selbst!

 
> Appell der syrischen Kirchenführer im Juni 2016 (!): Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Syrien und die Syrer sind unverzüglich aufzuheben! (LINK) <
     
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