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| Westliche
Experten behaupten gern, Russlands Wirtschaft stünde
kurz vor dem Zusammenbruch, obwohl es dafür keinerlei
Beweise gibt Ian Proud
Ich höre seit 2014 von der angeblich bevorstehenden Implosion der russischen Wirtschaft, doch die schien nie wahrscheinlich. In einem bemerkenswerten Artikel im britischen Telegraph verfolgt Ambrose Evans-Pritchard einen unstrukturierten Ansatz in der Westukraine-Politik. Er behauptet, das Kräfteverhältnis verschiebe sich zugunsten der Ukraine, da Russland bald in eine Wirtschaftskrise geraten könnte. Weiter sagt er: Wenn wir jetzt aufgeben, verspielen wir den Sieg noch. Bemerkenswerterweise erklärt er jedoch nicht, wie die Ukraine die vermeintliche Oberhand gewinnt oder wie ihr unwahrscheinlicher Sieg über Russland zustande kommen soll. Denn es gibt keinerlei Beweise für seine Behauptungen. Evans-Pritchards Lebenslauf weist keinerlei Russlandexpertise auf. Das sollte bei einer Zeitung wie dem Telegraph nicht überraschen, deren Ukraine-Expertenteam mit Russophoben und ehemaligen britischen Militärangehörigen besetzt ist, die ein Eigeninteresse daran haben, die Illusion einer letztendlichen russischen Niederlage aufrechtzuerhalten. Nehmen wir Dom Nicholls, Co-Moderator des Podcasts Ukraine: The Latest des Telegraph, der sich selbst großspurig als weltweit vertrauenswürdigster und preisgekrönter Podcast zum Thema Krieg bezeichnet, obwohl Nicholls Lebenslauf keinerlei Fachkenntnisse zum Thema Russland erkennen lässt. Sein Podcast weicht nie von der Linie der britischen Regierung ab, dass Putin letztendlich besiegt werden müsse und nur weiterer Druck zum Erfolg führen werde. Auch lässt er den Podcast nicht zu weit in Richtung realer Beweise für Russlands Fähigkeit abdriften, länger durchzuhalten als die Ukraine. Und dann ist da noch Hamish De-Bretton Gordon, Oberst a. D. und Chemiewaffenexperte, der noch weniger Expertise besitzt als Dom Nicholls, der ohnehin über keinerlei Fachkenntnisse verfügt. Er veröffentlicht regelmäßig haarsträubende Artikel mit Titeln wie Putin frisst seine eigenen Anhänger und Putin wird heute vor Angst zittern. Es spielt keine Rolle, dass sie keinerlei Verständnis für das strategische Kräfteverhältnis im Krieg haben. Fakten und Analysen sind völlig irrelevant für Leute, deren oberste, ja einzige Priorität darin besteht, die neuesten Verlautbarungen des Verteidigungsministeriums in Whitehall zu verbreiten. Das ist kein Journalismus, sondern Regierungspropaganda. Die BBC, ohnehin ein staatlicher Sender, ist mit ihrer einseitigen Berichterstattung schon schlimm genug, aber der Telegraph ist aufgrund seiner Unterwanderung durch Pseudo-Regierungsagenten, die sich als Experten ausgeben, noch viel bedrohlicher. Das größte Versäumnis der westlichen Medienberichterstattung über den Krieg in der Ukraine und die Ukraine-Krise seit ihrem Beginn war das völlige Fehlen eines Vergleichs. Der Fokus liegt stets und ausschließlich auf den negativen Auswirkungen des Konflikts auf Russland selbst. Und in der Tat gab es negative Folgen. Russland unterliegt über 20.000 Wirtschaftssanktionen, ist vom Großteil des Handels mit dem Westen ausgeschlossen, vom politischen Dialog als diplomatischem Instrument ausgeschlossen, von den meisten internationalen Sport- und Kulturveranstaltungen abgeschnitten, Hunderttausende seiner Soldaten wurden seit Kriegsbeginn getötet oder verwundet, und die Bewegungsfreiheit seiner Bürger innerhalb Europas wird zunehmend eingeschränkt. Die russische Wirtschaft sieht heute völlig anders aus als 2014, als die Krise begann. Wie Präsident Putin kürzlich betonte, schwächelt das Wirtschaftswachstum nach den anfänglichen Höchstständen während des Krieges, die durch massive Konjunkturprogramme angekurbelt wurden. Zinsen und Inflation sind weiterhin besorgniserregend hoch, der Arbeitskräftemangel in einigen Branchen verschärft sich, die Bevölkerung altert weiter, und das Land ist nach wie vor zu stark von Exporten fossiler Brennstoffe abhängig. Es genügt jedoch nicht, lediglich von den wirtschaftlichen Herausforderungen Russlands zu sprechen, ohne die vergleichbaren Herausforderungen der Ukraine zu betrachten, die insbesondere in den Artikeln des Telegraph kaum Erwähnung finden. Nehmen wir also Ambrose-Pritchards fadenscheinige Behauptung, Russlands Ölexporte seien aufgrund der jüngsten Sanktionen Trumps gegen Rosneft und Lukoil eingebrochen. Diese Behauptung wäre überzeugender, wenn sie zuträfe und sich die ukrainischen Exporte deutlich besser entwickelten. Erste Anzeichen deuten zwar darauf hin, dass die US-Sanktionen gegen Rosneft und Lukoil deren Handelsvolumen drastisch reduziert haben. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass der Handel lediglich auf andere russische Ölexporteure verlagert wurde, ohne dass dies einen signifikanten Nettoeffekt hatte. Man sollte bedenken, dass russisches Öl seit 2014 in der einen oder anderen Form von der EU sanktioniert wird und dass die Gasexporte seit Beginn des Ukraine-Krieges schrittweise zurückgegangen sind. Man würde daher erwarten, dass der Gesamtwert der russischen Exporte gesunken ist. Schauen wir uns das einmal genauer an. Seit 2014 lag der durchschnittliche Quartalswert der russischen Exporte knapp über 100 Mrd. US-Dollar. Dies berücksichtigt den enormen Anstieg der Exportwerte kurz vor Kriegsbeginn und im gesamten Jahr 2022 aufgrund der stark gestiegenen Ölpreise. In den vier Quartalen von Q4 2021 bis Q3 2022 beliefen sich die russischen Exporte im Durchschnitt auf 150 Mrd. US-Dollar (bzw. 50 Mrd. US-Dollar pro Monat) und lagen damit 50 % über dem langjährigen Durchschnitt. In den ersten beiden Quartalen 2025 erreichten die russischen Exporte 98 Mrd. US-Dollar, 2 Mrd. US-Dollar unter dem langjährigen Durchschnitt, aber faktisch identisch mit dem Zweijahreszeitraum von Q4 2019 bis Q3 2021. Es gibt also keinerlei Anzeichen dafür, dass die Sanktionen mehr als nur geringfügige Auswirkungen hatten, insbesondere da Russland seine Exporte verstärkt nach Asien und in den globalen Süden verlagert hat. In jedem Fall ist der Wert der Exporte ein weniger hilfreicher Indikator als die gesamte Handelsbilanz, also die Differenz zwischen Exporten und Importen. Es spielt keine Rolle, wie hoch die Exporte eines Landes sind, wenn die Importe gleichzeitig höher sind. Betrachten wir die Situation seit Beginn der Ukraine-Krise im Jahr 2014. Russlands Leistungsbilanzüberschuss der Überschuss der Exporte über die Importe war in der zweiten Jahreshälfte 2014 (10 Mrd. US-Dollar pro Quartal) und im gesamten Jahr 2016 (6 Mrd. US-Dollar) deutlich geringer, als er in den ersten beiden Quartalen 2025 (11 Mrd. US-Dollar) bei fallenden Ölpreisen war. Umgekehrt erzielte Russland 2022 mit einem Quartalsdurchschnitt von 59,5 Mrd. US-Dollar seinen bisher höchsten Leistungsbilanzüberschuss, und zwar in Zeiten steigender Ölpreise. Russland ist jedoch an schwankende Ölpreise gewöhnt und verzeichnete seit 1997 kein Jahresdefizit im Leistungsbilanzsaldo mehr; selbst damals lag dieses unter einer Milliarde US-Dollar. Da Russland stets mehr exportiert als importiert, hat es seine internationalen Reserven über die Jahre aufgebaut und sich so gegen externe wirtschaftliche Schocks und Drucksituationen gewappnet. Russlands internationale Reserven sind von rund 400 Milliarden US-Dollar Ende 2014 auf aktuell 725 Milliarden US-Dollar stetig angewachsen. Selbst wenn westliche Mächte die gesamten immobilisierten Vermögenswerte im Wert von etwa 300 Milliarden US-Dollar beschlagnahmen würden, besäße Russland immer noch mehr als 2014, dem Jahr, in dem die Ukraine-Krise begann. In einem recht bizarren Kommentar behauptet Evans-Pritchard: Putin kann Russlands Goldreserven weiter verkaufen, bis hin zu den zaristischen Doppeladlern ganz unten im Tresor unter der Neglinnaja-Straße (dem Sitz der russischen Zentralbank). Das deutet stark darauf hin, dass Russland kurz vor dem Goldmangel steht, nicht wahr? Und doch ist Russlands Goldreservenbestand von 132 Milliarden US-Dollar zu Kriegsbeginn 2022 auf heute 299 Milliarden US-Dollar angewachsen, einschließlich eines Zuwachses von 17 Milliarden US-Dollar im Oktober 2025. Ich sage das nicht, um Russland Recht zu geben, sondern weil ich die Situation auf Basis von Daten und nicht von inhaltsleeren Parolen analysieren möchte. Die absurden Meldungen im Daily Telegraph sind unglaubwürdig, gerade weil sie bewusst und absichtlich harte Fakten ausblenden. Es geht lediglich darum zu behaupten, Russland leide, ohne einen Vergleich mit der Ukraine anzustellen, der es angeblich bestens gehe. Betrachten wir also die Ukraine im Vergleich. Von 2014 bis 2024 hat sie durchgehend mehr importiert als exportiert, mit einem durchschnittlichen jährlichen Handelsdefizit von 13,1 Milliarden US-Dollar. In den ersten drei vollen Kriegsjahren stiegen die Exporte im Durchschnitt auf 25,6 Milliarden US-Dollar und erreichten in den ersten zehn Monaten des Jahres 2025 bereits 39,8 Milliarden US-Dollar. Anders ausgedrückt: Die Ukraine exportierte 2024 Waren im Wert von 24 Milliarden US-Dollar weniger als 2021 und importierte Waren im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar mehr. Krieg und europäische Beschränkungen für den Import billiger ukrainischer Agrarprodukte haben den Wert der Exporte stark beeinträchtigt. Die ukrainische Leistungsbilanz weist seit 2014 ein durchschnittliches Defizit von 2,8 Milliarden US-Dollar auf. Dieser Wert liegt deutlich unter dem Handelsbilanzdefizit, da insbesondere 2015 und 2022 hohe ausländische Hilfszahlungen zu einem Leistungsbilanzüberschuss führten. Entscheidend ist, dass die Ukraine zwar 2022 einen Leistungsbilanzüberschuss von 8 Milliarden US-Dollar aufwies, 2023 jedoch wieder in ein Defizit von 9,6 Milliarden US-Dollar abrutschte, das 2024 auf 15,1 Milliarden US-Dollar anstieg. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2025 belief sich das Defizit bereits auf 26,9 Milliarden US-Dollar. Die Ukraine kann die durch diese Defizite entstandene Lücke in ihren internationalen Reserven derzeit nur durch Spenden westlicher Staaten schließen. Doch wie sich im Hinblick auf die stockenden Bemühungen Europas um eine Einigung über einen seltsam benannten Reparationskredit abzeichnet, erweist sich dies aufgrund des Widerstands der belgischen und der Europäischen Zentralbank zunehmend als schwierig. Die kriegslüsternen Kommentatoren des Telegraphs, die vom bevorstehenden Zusammenbruch der russischen Wirtschaft sprechen, lenken daher nur vom eigentlichen Problem ab. Wenn die westlichen Investitionen in die Ukraine ausbleiben, könnte das Land schnell gezwungen sein, seine Währung abzuwerten und damit eine galoppierende Inflation, hohe Zinsen und einen Staatsbankrott zu bewältigen. Streng genommen ist die Ukraine bereits bankrott, da sie sich weigert, ihre bestehenden Schulden zu bedienen und gleichzeitig weitere Kredite beantragt. Westliche internationale Finanzinstitutionen haben dies bisher geflissentlich ignoriert, möglicherweise aus demselben Grund, aus dem die Journalisten des Telegraph behaupten, Russlands Wirtschaft stehe kurz vor dem Zusammenbruch. |
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| erschienen am 5. Dezember 2025 auf > Strategic Culture Foundation > Artikel | ||||||||||||||
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