HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
     
  Koreanische Kriegsspiele

Bruce Cumings

 

Nordkorea grüsste 2013 mit einem Knall (oder mehreren), nicht mit dem letzten Röcheln, auf das die Washingtoner Camarilla aus Regierungsvertretern und Experten gehofft hatte – und das sie ständig seit dem Fall der Berliner Mauer prophezeit hat. Im Dezember startete Pyongyang eine Langstreckenrakete, die nach einer Reihe von Fehlstarts seit 1998 den ersten Satelliten des Landes in eine Erdumlaufbahn brachte. Ein paar Monate danach zündete Nordkorea seine dritte Atombombe.

Dann, als die alljährlichen Kriegsmanöver der Vereinigten Staaten von Amerika und Südkoreas in Gang kamen und das Präsidentenamt in Seoul neu besetzt wurde, ließ der Norden ein Mischmasch von atemberaubender Rhetorik vom Stapel, brüllte, dass die Ereignisse auf Krieg zusteuerten, widerrief das koreanische Waffenstillstandsabkommen aus dem Jahr 1953 und drohte, einen atomaren Präventivschlag entweder gegen die Vereinigten Staaten von Amerika oder gegen Südkorea zu führen.

Mittendrin platzierte der großartige Dennis Rodman von den Chicago Bulls sein stahlgepierctes, tätowiertes und farbenprächtiges 2m Großformat neben den „jungen Burschen“ (so beschrieb der stellvertretende Vorsitzende des Generalstabs der Vereinigten Staaten von Amerika den neuen Anführer des Nordens) Kim Jong-un bei einem Basketballspiel in Pyongyang. Wie es heisst, kann man so etwas nicht inszenieren. (> LINK)

Die Republik Korea, einer der höchstentwickelten Industriestaaten der Welt, war laut Pyongyang eine „Marionette der US-Imperialisten,“ geführt von einer „Ratte“ namens Lee Myung-bak, und als dieser aus dem Amt schied, brachte die neue Präsidentin Park Geun-hye etwas neues, nämlich ein „giftiges Rascheln des Rocks“ in das Blaue Haus in Seoul. Als wäre der Norden noch nicht verhasst genug (auf dem globalen Index 2007 der Unbeliebtheit lag er auf Platz vier, allerdings nach Israel, Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika), erweiterte er sein Repertoire um unverhohlenen Sexismus – im Koreanischen wird diese Redewendung verwendet, um Frauen zu verspotten, die als zu aggressiv gelten.

Wenn die erhitzte Rhetorik des Nordens eine Art neuen Rekord erreicht hat, so war doch das Vorgehen kaum neu. Nichts ist für dieses Regime charakteristischer als seine eingebildete, anmaßende Sehnsucht, die Aufmerksamkeit der Welt zu erlangen, während es gleichzeitig alle Seiten mit Vernichtung bedroht und durch drakonische Maßnahmen sicherstellt, dass sein eigenes Volk so gut wie nichts von dieser Welt weiß. Vor 20 Jahren, als die Clinton-Administration den Norden unter höchsten Druck setzte, seine Plutoniumproduktion für spezielle Inspektionen zu öffnen, schimpfte der Norden, dass der Krieg jede Minute ausbrechen könnte.

Diese Episode 1993-94 versuchte in ähnlicher Weise, die Politik des neuen südkoreanischen Präsidenten Kim Young-sam zu beeinflussen. Vor fast 40 Jahren, als Jimmy Carter Präsident war, schrie sich Nordkorea heiser, weil die Halbinsel sich „am Rand des Krieges“ befand. Der Unterschied ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten Experten diese Sachen in Berichten der Korean Central News Agency lasen, die mit normaler Post um Wochen verspätet einlangten; heute geht das unmittelbar über das Internet, das der Norden in höchstem Ausmaß ausnutzt (während die Massen noch immer keinen Internetzugang haben). Abschreckend ist natürlich, dass der Norden sich auf die Klugheit seiner Gegner verlässt, dass sie sein ständiges kriegstreiberisches Spektakel nicht ernst nehmen.

Heute richtet sich die Rhetorik auf drei Dinge: Präsidentin Park vor die Wahl zu stellen, die harte Linie ihres Vorgängers fortzusetzen oder zurückzukehren zum Dialog mit dem Norden; die Schwelle von Obamas Haltung der „strategischen Beharrlichkeit“ (die keine Strategie war, aber sicher beharrlich, da der Norden seit Obamas Amtsantritt 2009 drei Langstreckenraketen gestartet und zwei Atombomben getestet hat) zu erhöhen; und um China, das zum ersten Mal mit den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenarbeitet hat, um die neuesten UNO-Sanktionen gegen den Norden zustandezubringen, vor die Entscheidung zu stellen – setzt die Sanktionen durch auf das Risiko hin, dass die Ereignisse außer Kontrolle geraten, oder kehrt zurück zu der gewohnten Haltung, für Sanktionen zu stimmen und dann wegzusehen, wenn der Norden dagegen verstösst. 

* * *

Es kann kaum gesagt werden, dass Pyongyangs alteingeführte Possen freundschaftliche Beziehungen in der Region stören. Als Premierminister sitzt in Tokio jetzt Shinzo Abe, dessen Großvater Nobubuke Kishi in den 1930er Jahren die Munitionsindustrie in Manchukuo betrieb, der Region im Nordosten Chinas, die vom kaiserlichen Japan nach dessen Einmarsch 1931 okkupiert war. Das war die Zeit, in der Kim Il-sung und seine Mitguerillas die japanischen Militaristen bekämpften, und Parks Vater Park Chung-hee (der als brutaler Diktator 18 Jahre lang Südkorea beherrschte) Offizier in der japanischen Armee und glücklicher Empfänger einer goldenen Uhr für seine Loyalität zum Marionettenkaiser Puyi war.

Berühmt für seinen hirnlosen Mangel an Sensivität für die historischen Beschwerden seiner Nachbarn gegenüber Japan, früher in seiner Laufbahn und in seiner Wahlkampagne, sagte Abe vor einem öffentlichen Forum anlässlich seines Staatsbesuchs in Washington im Februar: „Ich traf sie [die Präsidentschaftskandidatin Park Geun-hye] zweimal … und mein Großvater war unter den besten Freunden ihres Vaters, Präsident Park Chung-hee ... Präsident Park Chung-hee war also einer, der offensichtlich in einem sehr engen Verhältnis zu Japan stand.“ Abe dachte wahrscheinlich, dass das ein Kompliment war.

Inzwischen hat China ein Jahrzehnt sorgfältiger Diplomatie mit seinen Nachbarn dadurch getrübt, dass es immer enstere Konfrontationen mit Japan und südostasiatischen Staaten angezettelt hat wegen Inseln (die meisten davon unbewohnte Felshaufen), die es beansprucht, genannt die Senkakus/Diaoyus, Spratlys und Paracels, wobei kaum eine Woche vergeht, ohne dass chinesische Kriegsschiffe die Inseln anfahren, die von Japan beansprucht werden, wobei damit gerechnet wird, dass Tokio - dessen Marine der chinesischen weit überlegen ist – den Konflikt nicht eskaliert. Südkorea hat einen gleichermaßen unlösbaren Konflikt mit Japan bezüglich anderer windumtoster Felsen, Dokdo/Takeshima, der gleichfalls außer Kontrolle geraten könnte.

* * *

Nun kommt Barack Obama mit seiner „Achse nach Asien“ und bringt neue Stützpunkte und Kräfteverlagerungen der Vereinigten Staaten von Amerika mit dem Ziel, China einzudämmen – wobei er jede derartige Absicht bestreitet. Sicher genießen viele in Washington das Spektakel, dass China, die zweitgrößte Wirtschaft der Welt Japan, der drittgrößten an die Gurgel fährt, wobei ihre Beziehungen sich wohl auf dem tiefsten Stand seit dem Austausch von Botschaftern 1972 befinden. Auch Nordkoreas Beziehungen zu China könnten ihren Tiefststand erreicht haben, jetzt wo Peking mit Washington in der Frage der Sanktionen zusammenarbeitet.

China ist wütend, weil die Raketen und Atombomben des Nordens Japan und Südkorea dazu bringen könnten, selbst atomar zu rüsten. Diese bewirkten jedenfalls eine schnelle Reaktion der Vereinigten Staaten von Amerika: Mitte März bewilligte Präsident Obama $1 Milliarde für ein Raketenabwehrprogramm der Vereinigten Staaten von Amerika, wobei 14 neue Batterien zusätzlich in Kalifornien und Alaska aufgestellt werden sollen (diese als Abfangraketen zu bezeichnen ist etwas irreführend – in 15 Tests dieser Systeme unter idealen Bedingungen funktionierten nur acht). Wie es das Glück haben will, sind derlei Raketenabwehrkräfte auch nützlich gegen Chinas veraltete Interkontinentalraketen.

Die Wahrheit ist, dass Pyongyang von den Hardlinern des Pentagon und den Rüstungskonzernen für seine Provokationen bezahlt werden sollte – die Nordkoreaner sind der perfekte Vorwand für Amerikas geheime Eindämmung Chinas – und dafür, dass die Militärausgaben hoch bleiben.  

Ende März legte Obama noch eins drauf, indem er B-52 und B-2 Stealth-Bomber über Südkorea fliegen und Bombenattrappen abwerfen ließ. Das war eine unnötige und provokante Neuaufführung von „Das Imperium schlägt zurück“ – vor über 60 Jahren begann Washington mit seiner atomaren Erpressung des Nordens, als es B-29 Bomber zu simulierten Hiroshima/Nagasaki Bombeneinsätzen im Herbst 1951 über Nordkorea schickte. Operation Hudson Harbor warf Atombombenattrappen oder schwere TNT-Bomben ab in einer Mission, die auf „das Funktionieren aller Aktivitäten gerichtet war, die in einem Atomschlag erforderlich sind, einschließlich Montage und Test der Waffen.“

Seit damals waren Atomwaffen die ganze Zeit über Teil unserer Kriegspläne gegen den Norden. Sie wurden im Koreakrieg nur deshalb nicht eingesetzt, weil die Luftwaffe der Vereinigten Staaten von Amerika imstande war, jede Stadt im Norden mit konventionellen Brandbomben einzuäschern. Nur wenige Amerikaner wissen das, aber jeder Nordkoreaner weiß es, und es ist auch kein Wunder, dass sie rund 15.000 unterirdische Anlagen gebaut haben, die ihrer nationalen Sicherheit dienen. Wie provokant der Norden auch erscheint, wir ernten nur den Sturm unseres damaligen atomaren Terrors.

Washingtons unüberlegte Beharrlichkeit und Seouls harte Linie haben beim Norden gar nichts erreicht ausser der ständig steigenden Zuverlässigkeit seiner Atombomben und Raketen. Sie haben wirklich keine Chance, ausser sie reden mit Pyongyang – am ehesten entlang der empfohlenen Linie des ehemaligen Chefs von Los Alamos Siegfried Hecker, dass die Programme durch die „Three No’s“ („Drei Keine“) eingegrenzt werden sollten: „Keine neuen Atomwaffen, keine besseren Atomwaffen, keine Weitergabe.“

Geht man von den umfangreichen unterirdischen labyrinthmäßigen Anlagen des Nordens aus, können Spione nie mit Sicherheit herausfinden, ob sie jede Bombe erfasst haben, und eine Handvoll Atomwaffen werden einer unsicheren Führung Sicherheit und Abschreckung bieten, wobei vieles ungewiss bleiben wird. Andernfalls sind sie nutzlos.

Vergangenes Jahr sagte Verteidigungsminister Leon Panetta, wir wären „fast täglich bis auf ein Inch (25,4mm) in die Nähe eines Krieges mit dem Norden“ gekommen. Heute sieht es eher nach Millimetern aus. Das ist ein ungeheuerlicher Kommentar zu sieben Jahrzehnten verfehlter amerikanischer Politik gegenüber Pyongyang.

 
     
  erschienen in der Ausgabe April 2013 auf > The Nation > Artikel  
  Professor Bruce Cumings ist Vorstand der historischen Abteilung der Universität von Chicago  
 
siehe dazu im Archiv:
  > Jack A. Smith - Hinter dem amerikanisch-nordkoreanischen Getöse
  > Eric Margolis - Wie ein dritter Koreakrieg aussehen würde
  > Jason Ditz / antiwar news - Dennis Rodmans Nordkorea gegen das der Medien
  > Jason Ditz / antiwar news - Nordkorea: NATO-Krieg gegen Libyen beweist, dass Abrüstung unklug ist
  > Eric Margolis - Hysterie rund um Kims Atomwaffen
  > Paul Craig Roberts - Amerikas moralische Entartung
  > John Pilger - V I E T N A M - Psychokrieg gegen die Geschichte
siehe dazu auch:
  Radio Utopie: petrapez - Der Krieg Korea gegen Korea
 
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt